Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Dezember 2005
Aktenzeichen: 6 W (pat) 316/02

(BPatG: Beschluss v. 06.12.2005, Az.: 6 W (pat) 316/02)

Tenor

Das Patent 100 62 876 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen die am 18. April 2002 veröffentlichte Erteilung des Patents 100 62 876 mit der Bezeichnung "Pleuellagerschale" ist am 15. Juli 2002 (Einsprechende I) und am 18. Juli 2002 (Einsprechende II) Einspruch erhoben worden. Die Einsprüche sind mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu sei und auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus macht die Einsprechende I geltend, der wesentliche Inhalt des Patents sei ihr ohne Einwilligung entnommen worden (widerrechtliche Entnahme).

In den Einspruchsbegründungen verweisen die Einsprechenden auf folgende Druckschriften:

- DE 44 42 186 A1 bzw. C2,

- Werkstoffdatenblatt "BRONFER" der W... GmbH

- Römpp Chemie Lexikon, 9., Aufl., 1991, S. 3275

- DIN 17 662, Dezember 1983

- "Wieland-Kupferwerkstoffe", 6. Aufl., 1999, S. 54 bis 63

- DIN ISO 4383, November 1992

- Prospekt "Plattierte Werkstoffe" der W... l GmbH, Mai 1996

- DE 198 57 757 C1

- DE 41 18 040 A1

- US 51 16 692.

Zur Geltendmachung der widerrechtlichen Entnahme legt die Einsprechende I weiterhin ein Schreiben der Patentinhaberin vom 11. August 1998 an die Einsprechende I (Anlage A3) sowie einen Besuchsbericht vom 16. März 1998 (Anlage A4) vor.

Im Prüfungsverfahren sind darüber hinaus noch folgende Druckschriften berücksichtigt worden:

- DE 42 43 880 C2

- DE 37 27 468 A1

- JP 11-125 236 A

- JP 07-293 547 A

- JP 06-257 613 A

- JP 05-196030 A

- JP 01-158217 A.

Die Einsprechenden stellen übereinstimmend den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"Pleuellagerschale (4, 6) für ein Pleuel (2) aus Titan oder Titanlegierung mit einer Trägerschicht (8, 20) aus einem Stahlwerkstoff und einer Gleitschicht (16, 26) für die Kurbelwelle, wobei auf den Rücken der Trägerschicht (8, 20) eine 10 - 50 µm dicke Schicht (10, 22) aus einem Zinnbronze-Werkstoff aufplattiert ist."

Der nebengeordnete Anspruch 11 lautet:

"Verwendung eines zinnbronzeplattierten Stahlbands (18) mit einer ein- oder beidseitigen 10 - 50 µm dicken Zinnbronze-Schicht (10, 12, 22) zur Herstellung einer Pleuellagerschale (4, 6) für ein Pleuel (2) aus Titan oder Titanlegierung mit einer Trägerschicht (8, 20) aus einem Stahlwerkstoff und einer Gleitschicht (16, 26) für die Kurbelwelle, wobei das zinnbronzeplattierte Stahlband (18) die Trägerschicht (8, 20) der Pleuellagerschale (4, 6) bildet und mit der Gleitschicht (16, 26) beschichtet wird und sodann zur Bildung der Pleuellagerschalen (4, 6) in Abschnitte getrennt wird, wobei die mit Zinnbronze (10, 22) plattierte Seite der Trägerschicht (8, 20) den Rücken der Lagerschale bildet."

Der nebengeordnete Anspruch 12 lautet:

"Pleuel (2) aus Titan oder Titanlegierung mit im großen Pleuelauge montierten Pleuellagerschalen (4, 6) zur Lagerung des Pleuels an der Kurbelwelle eines Kraftfahrzeugmotors, wobei die Pleuellagerschale (4, 6) eine Trägerschicht (8, 20) aus einem Stahlwerkstoff und eine Gleitschicht (16, 26) für die Kurbelwelle aufweist und wobei auf den Rücken der Trägerschicht (8, 20) eine 10 - 50 µm dicke Schicht (10, 22) aus einem Zinnbronze-Werkstoff aufplattiert ist."

Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 10 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche sind ausreichend substantiiert und auch zulässig.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

a. Die erteilten Ansprüche 1 bis 12 sind zulässig, da sie den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 12 entsprechen.

b. Die zweifelsfrei gewerblich anwendbare Pleuellagerschale nach Anspruch 1 ist neu, da keine der genannten Druckschriften sämtliche im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Merkmale zeigt, wie sich auch aus den folgenden Ausführungen ergibt. Dies gilt auch für den Verwendungsanspruch 11 sowie das Pleuel nach Anspruch 12.

Die Neuheit ist im übrigen von den Einsprechenden auch nicht in Frage gestellt worden.

c. Die Pleuellagerschale gemäß dem erteilten Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die vorliegende Erfindung ist auf eine Pleuellagerschale für ein Pleuel aus Titan oder einem Titanwerkstoff gerichtet. Bei einem solchen Pleuel werden üblicherweise Lagerschalen verwendet, mittels derer das Pleuel an einer Kurbelwelle eines Motors gelagert wird. Die Lagerschalen bestehen aus einem Basiswerkstoff, der auf der der Kurbelwelle zugewandten Seite mit einer Gleitschicht versehen ist. Auf der dem Pleuel zugewandten Seite ist die Lagerschale ebenfalls mit einer Beschichtung versehen, welche üblicherweise aus Stahl bestanden hat. Durch die hohe Affinität zwischen Stahl und Titan kommt es jedoch verstärkt zu Reibfraß zwischen dem Pleuel aus Titan und der Rückseite der Lagerschale, was einen erhöhten Verschleiß und eine Zerstörung des Pleuels nach sich zieht.

Hier schafft die Erfindung Abhilfe, indem erfindungsgemäß auf die Pleuellagerschale auf ihrer dem Pleuel zugewandten Seite eine 10 - 50 µm dicke Schicht aus einem Zinnbronze-Werkstoff aufplattiert ist.

Es geht also erfindungsgemäß nicht darum, die Gleitschicht der Pleuellagerschale in irgendeiner Weise auszubilden, es geht ausschließlich darum, die Rückseite - also die der Gleitschicht abgewandte Seite - der Pleuellagerschale in einer speziellen Art und Weise mit einer Beschichtung zu versehen.

Zu einer solchen Maßnahme vermag der Stand der Technik jedoch keine Anregung zu liefern.

Aus der JP 01-158 217 A und der JP 05-196 030 A sind jeweils Pleuel aus Titan bzw aus einer Titanlegierung bekannt.

Weiterhin erläutern die JP 11-125 236 A, die JP 06-257 613 A und die JP 07-293 547 A jeweils Lagerschalen für Pleuel, wobei zur Vermeidung von Reibfraß die Rückseite der Lagerschalen mit einer Aluminium- bzw Harzschicht beschichtet ist.

In den Druckschriften DE 37 27 468 A1 und DE 42 43 880 C2 sind jeweils Lagerschalen für ein Pleuel beschrieben, wobei die Rückseite der Stahlstützschicht der Lagerschale eine metallische Schutzschicht (DE 37 27 468 A1) bzw. eine Plattierungsschicht aus Zinn (DE 42 43 880 C2) aufweist.

Die DE 41 18 040 A1 nennt verschiedene Werkstoffe für Lagermetalle (vgl Sp 3, Z 8 bis 13), darunter auch Zinnbronze.

Die DIN 17 662 betrifft ganz allgemein Kupfer-Zinn-Legierungen und weist auf die besondere Eignung bestimmter Kupfer-Zinn-Legierungen für Lagerbuchsen hin.

Die DIN ISO 4383 betrifft Verbundwerkstoffe für dünnwandige Gleitlager und erläutert deren Eigenschaften.

Die DE 44 42 186 A1 bzw C2 erläutert Schichtwerkstoffe für Gleitelemente, die eine Funktionsschicht zB aus Zinnbronze aufweisen können (vgl Anspruch 1).

Das Werkstoffdatenblatt "BRONFER" beschreibt ein- oder beidseitig mit Zinnbronze plattierte Tiefziehstähle und weist besonders auf die Verwendung dieses Werkstoffes zur Herstellung von Gleitlagern hin.

Die DE 198 57 757 C1 befasst sich mit Pleuellagerschalen, bei denen auf der dem Pleuel zugewandten Seite eine Beschichtung aus PFA (Perfluor-Alkoxy-Polymere) vorgesehen ist (vgl Anspruch 1). Der Auszug aus dem Römpp-Lexikon erläutert die chemische Zusammensetzung, die Eigenschaften und die Verwendung dieser Perfluor-Alkoxy-Polymere.

Die Literaturstelle "Wieland-Kupferwerkstoffe" beschreibt verschiedene Kupfer-Zinn-Legierungen und deren Eigenschaften.

Der Prospekt "Plattierte Werkstoffe" listet verschiedene Werkstoffe auf, die von der Einsprechenden II hergestellt werden, ua auch den im Werkstoffdatenblatt "BRONFER" beschriebenen Werkstoff.

Aus der US 51 16 692 ist ein Mehrschichtgleitlager bekannt, bestehend aus einer Trägerschicht aus einem Stahlwerkstoff, einer Gleitschicht aus einer Aluminiumlegierung und einer auf der Rückseite angeordneten Beschichtung aus einer Zinnlegierung mit einer Dicke von maximal 5 µm, die Kupfer und/oder Antimon enthalten kann.

Aus keiner dieser Druckschriften sind jedoch Pleuellagerschalen bekannt, auf deren Rückseite eine Schicht aus einem Zinnbronze-Werkstoff mit einer Dicke von 10 - 50 µm aufplattiert ist. Es werden zwar im Stand der Technik eine Vielzahl von unterschiedlichen Beschichtungen - auch für die Rückseite von Lagerschalen - beschrieben, nirgends ist jedoch eine Lagerbuchse mit dem erfindungsgemäß vorgesehenen Werkstoff Zinnbronze, der speziellen Dicke und der speziellen Aufbringungsart erläutert. Allenfalls aus der US 51 16 692 ist ein Mehrschichtgleitlager bekannt, dessen Rückseite mit einer Beschichtung aus einer Zinnlegierung mit einer Dicke von maximal 5 µm versehen ist, die Kupfer und/oder Antimon enthalten kann. Bei diesem Werkstoff handelt es sich jedoch nicht um einen Zinnbronze-Werkstoff, sondern um eine Zinnlegierung, da ein Zinnbronze-Werkstoff gemäß DIN 17 662 als Hauptbestandteil Kupfer enthält (vgl DIN 17 662, Tab 1), während der in der US 51 16 692 genannte Werkstoff als Hauptbestandteil Zinn enthält (vgl Sp 5, Z 49 bis 54).

Somit kann von keiner dieser Druckschriften eine Anregung in Richtung auf die erfindungsgemäße Ausgestaltung ausgehen, da ihnen allesamt Hinweise dahingehend fehlen, auf der Rückseite der Lagerschale eine in besonderer Art und Weise ausgebildete und aufgebrachte Beschichtung vorzusehen.

Auch die zur Geltendmachung der widerrechtlichen Entnahme vorgelegten Unterlagen vermögen hieran nichts zu ändern. Sie sind auch insbesondere nicht dazu geeignet, den Erfindungsbesitz durch die Einsprechende I nachzuweisen.

Aus dem Schreiben vom 11. August 1998 (Anlage A3) geht aus Punkt 1 hervor, dass auf die Rückseite von Gleitlagerschalen ein Kupferbelag von ca 30 µm Dicke aufplattiert worden ist. Weiterhin geht aus Punkt 2 des Schreibens iVm dem Besuchsbericht (Anlage A4) hervor, dass Pleuelbuchsen auf der Rückseite mit einem CuZn30Si1-Werkstoff beschichtet worden sind. Hierbei handelt es sich aber offensichtlich nicht um einen Zinnbronze-Werkstoff - wie bei der Erfindung, sondern um einen Kupferzink-Werkstoff. Und schließlich geht aus Punkt 3 des Schreibens hervor, dass Zinnbronze-Werkstoffe als Gleitlagerwerkstoff eingesetzt werden soll.

Aus keiner Stelle der zum Nachweis der widerrechtlichen Entnahme vorgelegten Unterlagen geht jedoch hervor, dass auf die Rückseite der Lagerschale eine 10 -50 µm dicke Schicht aus einem Zinnbronze-Werkstoff aufplattiert worden ist. Somit kann die Einsprechende I auch nicht im Erfindungsbesitz gewesen sein.

Anspruch 1 hat daher Bestand.

d. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die auf ihn unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 10 bestandsfähig, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen der Pleuellagerschale nach Anspruch 1 betreffen.

e. Die im nebengeordneten Anspruch 11 beanspruchte Verwendung beruht ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der nebengeordnete Anspruch 11 umfasst ua alle Merkmale des Anspruchs 1. Da - wie bereits vorstehend ausgeführt - eine solche Pleuellagerschale neu und auch erfinderisch ist, ist auch deren Verwendung für ein Pleuel neu und erfinderisch, da der Stand der Technik keine Anregung zur Verwendung eines entsprechend beschichteten Stahlbandes zur Herstellung einer Pleuellagerschale liefert.

Der nebengeordnete Anspruch 11 hat somit ebenfalls Bestand.

f. Das Pleuel gemäß dem nebengeordneten Anspruch 12 beruht ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der nebengeordnete Anspruch 12 umfasst ua alle Merkmale des Anspruchs 1. Da - wie bereits vorstehend ausgeführt - eine solche Pleuellagerschale neu und auch erfinderisch ist, ist auch ein Pleuel mit einer derartigen Lagerschale neu und erfinderisch. Insoweit ergibt sich keine andere Beurteilung als hinsichtlich des Anspruchs 1.

Anspruch 12 hat somit ebenfalls Bestand.

Lischke Schneider Hildebrandt Müller Cl






BPatG:
Beschluss v. 06.12.2005
Az: 6 W (pat) 316/02


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