Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Juli 2009
Aktenzeichen: 20 W (pat) 354/04

(BPatG: Beschluss v. 06.07.2009, Az.: 20 W (pat) 354/04)

Tenor

Das Patent 102 09 254 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 27. Februar 2002 eingereichte Patentanmeldung wurde durch Beschluss des Deutschen Patentund Markenamts -Prüfungsstelle für Klasse G 01 N -vom 24. März 2004 das Patent 102 09 254 mit der Bezeichnung "Ultraschalleinrichtung zur Detektion von Gasblasen" erteilt. Die Patenterteilung wurde am 29. Juli 2004 veröffentlicht. Das erteilte Patent umfasst einen Patentanspruch. Dieser lautet:

"1. Ultraschalleinrichtung zur Detektion von Gasblasen in flüssigkeitsgefüllten Leitungen mit nichtsteifen Rohrwänden bestehend aus einem Ultraschallsender und einem Ultraschall-Empfänger, sowie einer elektronischen Ansteuerund Auswerteschaltung, gekennzeichnet durch folgende Merkmale, a) Der Ultraschall-Sender gibt einen kurzen Ultraschall-Impuls ab; b) Die Auswerteschaltung enthält zwei Trigger-Schaltungen mit unterschiedlichen Schwellenwerten;

c) Die Sensitivität für definierte Größen von Gasblasen wird durch den Abstand der Schwellenwerte der Trigger-Schaltungen bestimmt;

d) Die Reglung der Verstärkung des Systems für die Erfassung von Gasblasen im optimalen Bereich erfolgt schnell zu niedrigen Werten und langsam zu höheren Werten;

e) Die Einrichtung enthält eine Schaltungsanordnung zur Selbstkontrolle der gesamten Signalkette vom Ultraschall-Sender zum Ultraschall-Empfänger bis zur Messwerterfassung, dabei wird ein kleiner Teil der Ultraschall-Impulse des Senders ohne zu prüfende Leitung zum Empfänger geleitet."

Dabei soll die Aufgabe gelöst werden, eine Ultraschalleinrichtung zur Detektion von Glasblasen in flüssigkeitsgefüllten Leitungen mit nichtsteifen Rohrwänden zu entwickeln, die mit geringem technischen Aufwand auch wechselnden akustischen Bedingungen ständig gerecht wird (Absatz 0007 der Patentschrift).

Gegen das Patent wurde am 29. Oktober 2004 von der e... GmbH, L... in F..., Einspruch erhoben und dabei geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents ihr widerrechtlich entnommen worden sei (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG), nicht patentfähig sei (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) und über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausgehe (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).

Den Einspruchsgrund der fehlenden Patentfähigkeit stützt die Einsprechende auf die bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigte Druckschrift D1 EP0643301B1 und legt im einzelnen dar, dass und warum ihrer Meinung nach alle Merkmale des erteilten Patentanspruchs aus der Druckschrift D1 vorbekannt seien.

Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 21. Januar 2009, eingegangen am 26. Januar 2009, ihren Einspruch zurückgenommen (Bl. 73 d. A.).

Die Patentinhaberin hat dem Einspruch widersprochen und beantragt, das Patent 102 09 254 aufrechtzuerhalten.

Sie macht geltend, der Einspruch sei unzulässig, weil die von der Einsprechenden behauptete widerrechtliche Entnahme nicht hinreichend substantiiert sei und dies auf den gesamten Einspruch durchgreife, da der Widerruf wegen widerrechtlicher Entnahme in Form eines Hauptantrags durch die Einsprechende beantragt worden sei.

II.

1.

Nach Rücknahme des Einspruchs war das Verfahren von Amts wegen ohne die Einsprechende fortzusetzen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 i. V. m.§ 147 Abs. 3 Satz 2 PatG; BPatGE 46, 247 -gerichtliches Einspruchsverfahren).

2.

Der Einspruch ist zulässig. Er wurde formund fristgerecht erhoben. Im Einspruch sind jedenfalls in Bezug auf den Einspruchsgrund der fehlenden Patentfähigkeit auch die Tatsachen, die ihn rechtfertigen, im Einzelnen angegeben. Die Einsprechende hat in ihrem Einspruchsschriftsatz unter Bezugnahme auf konkrete Textstellen aus der Druckschrift EP 0 643 301 B1 (D1) unter Berücksichtigung aller Merkmale des erteilten Patentanspruchs vorgetragen, dass und warum die Lehre des Patentanspruchs 1 nicht neu sei.

Auf die Substantiierung der anderen geltend gemachten Einspruchsgründe kommt es unter diesen Umständen nicht an. Nachdem es im Einspruchsverfahren an sich nicht erforderlich ist, dass der Einsprechende einen Antrag stellt, kann es für die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs auch nicht auf tatsächlich gestellte Anträge ankommen. Insoweit hat die Substantiierung einer geltend gemachten widerrechtlichen Entnahme auch keinen Vorrang gegenüber der Substantiierung anderer Einspruchsgründe.

3.

Ein Widerruf des angegriffenen Patents wegen widerrechtlicher Entnahme (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG) kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil der Sachvortrag der Einsprechenden zu diesem Widerrufsgrund nicht hinreichend substantiiert ist. Der Einspruch enthält nämlich keine Angaben, aus denen sich ergibt, dass die Einsprechende tatsächlich die zum Einspruch berechtigte Verletzte wäre (§ 59 Abs. 1 S. 1 PatG). Insbesondere fehlt der Tatsachenvortrag dazu, wie das Recht an der vermeintlichen Erfindung auf die Einsprechende übergegangen sein soll. Nach Zurücknahme des Einspruchs kann der entscheidungserhebliche Tatsachenvortrag auch nicht weiter ergänzt werden, weil die Einsprechende nicht mehr am Verfahren beteiligt ist.

4.

Das Patent ist jedoch zu widerrufen, weil das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).

Ohne, dass der genannte Widerrufsgrund von der Einsprechenden geltend gemacht wurde, hat der Senat diesen Widerrufsgrund in der mündlichen Verhandlung von Amts wegen in das Verfahren eingeführt (vgl. Schulte/Kühnen, PatG, 7. Aufl., § 147, Rdn. 17, 19; Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl. § 59, Rdn. 31, 202).

Nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG hat das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Sinn dieser Vorschrift ist es, den Bestand von Patenten zu verhindern, die zum Anmeldezeitpunkt nicht ausführbar waren (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 8. Auflage, § 21 Rdn. 31 bis 34). Denn der Anmelder hat die Lehre, für die er die Erteilung eines Patents erstrebt, in einem solchen Umfange zunächst der Erteilungsbehörde und durch deren Vermittlung später der Öffentlichkeit aufzudecken, dass es einem Fachmann möglich ist, diese Lehre praktisch zu verwirklichen (BGH, GRUR 1984, 272 -Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung [unter II.2.b]).

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Frage einer ausreichend offenbarten technischen Lehre, von der abzuweichen der erkennende Senat keine Veranlassung sieht, ist eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre auch schon dann zu verneinen, wenn der Durchschnittsfachmann diese nur unter großen Schwierigkeiten und nicht oder nur zufällig ohne vorherige Misserfolge zur Erreichung des angestrebten Erfolges praktisch verwirklichen kann (BGH, GRUR 1980, 166, 168 -Doppelachsaggregat).

Als Durchschnittsfachmann ist hier ein Diplomphysiker mit universitärer Ausbildung und Berufserfahrung bei der Entwicklung von Ultraschallmesssystemen anzusehen.

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob dieser Durchschnittsfachmann durch die Angaben im Patentanspruch und in der Patentschrift in die Lage versetzt wird, eine Ultraschalleinrichtung der beanspruchten Art auszuführen, bei der einerseits der Ultraschall-Sender einen kurzen Ultraschall-Impuls abgibt (Merkmal a) und andererseits die Regelung der Verstärkung des Systems für die Erfassung von Gasblasen im optimalen Bereich schnell zu niedrigen Werten und langsam zu höheren Werten erfolgt (Merkmal d).

Dazu ist zunächst zu klären, wie der Durchschnittsfachmann das Merkmal d versteht. Nach den Erläuterungen des Vertreters der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung soll der Fachmann ausgehend von der Erfindungsbeschreibung, wo im Absatz 0012 ausgeführt ist, dass die Verstärkung des Systems so von einem Mikrocontroller geregelt wird, dass die Empfindlichkeit des Systems langfristig geringfügig unter der Auslösung der zweiten Triggerschaltung gehalten wird, und im Absatz 0010 angegeben ist, dass der Schwellenwert der ersten Trigger-Schaltung deutlich niedriger eingestellt ist, als der Schwellenwert der zweiten Trigger-Schaltung, die im Merkmal d angesprochene Regelung der Verstärkung wie folgt verstehen: Diese Funktionsweise soll demnach eine gleitende Mittelwertsbildung über die Zeit sein, auf deren Grundlage nur diejenigen Blasen erkannt werden, die um ein durch den Abstand der beiden Schwellenwerte voneinander bestimmtes Maß von dem Mittelwert abweichen. Dementsprechend soll die Ultraschalleinrichtung ausgestaltet sein.

- ist die zu prüfende Leitung vollständig (blasenfrei) mit Flüssigkeit gefüllt, soll das verstärkte Ausgangssignal des Empfängers geringfügigunterhalb des Schwellenwertes der zweiten Triggerschaltung liegen;

- treten Blasen auf, fällt das verstärkte Ausgangssignal des Empfängersab; sind die Blasen so groß, dass das verstärkte Ausgangssignal sostark abgeschwächt wird, dass es nicht einmal mehr den Schwellenwert der ersten Triggerschaltung erreicht, werden die Blasen auch alssolche detektiert;

- treten Blasen über eine längere Zeit auf, wird die Verstärkung langsam

(vgl. Absatz 0012) erhöht, so dass das verstärkte Ausgangssignal des Empfängers wieder nahezu den Schwellenwert der zweiten Triggerschaltung erreicht, was zur Folge hat, dass zunehmend auch größere Blasen nicht mehr als solche erkannt werden, weil deren verstärktes Ausgangssignal den ersten Schwellenwert überschreitet, nur nochgrößere Blasen werden als solche erkannt;

- treten hingegen Blasen im weiteren Verlauf nicht mehr auf oder werden sie durchschnittlich kleiner, was ein Überschreiten des zweiten Schwellenwertes zur Folge hat, wird die Verstärkung schnell (vgl. Absatz 0012) verringert.

Dieses Verständnis durch den Fachmann kann sich der Senat nicht anschließen, da ein so verstandenes Merkmal d eine längerfristige Messung des Ausgangssignals des Empfängers voraussetzt (vgl. Absatz 0012: "langfristig"). Eine solche längerfristige Messung steht jedoch in einem für den Durchschnittsfachmann unlösbaren Widerspruch zu der Maßgabe des Merkmals a, wonach der UltraschallSender einen kurzen Ultraschall-Impuls abgibt und insoweit auch nur eine einzige Messung ausgeführt werden kann. Die Mittelwertbildung im oben angenommenen Verständnis des Merkmals d erfordert demgegenüber eine Vielzahl von Messungen.

Die Ausführung der Erfindung nach den Maßgaben des Patentanspruchs scheitert an dem genannten Widerspruch. Der Fachmann ist nicht in der Lage, eine Ultraschalleinrichtung zur Detektion von Gasblasen herzustellen, bei der einerseits der Ultraschall-Sender nur einen kurzen Ultraschall-Impuls abgibt und bei der andererseits eine langfristige Regelung der Verstärkung vorgesehen ist.

Auch die Erfindungsbeschreibung trägt zur Lösung dieses Widerspruchs nichts bei. Weder den Angaben zum Stand der Technik (Absätze 0002 bis 0006), der Angabe des der Erfindung zugrundeliegenden Problems (Absatz 0007) und der wörtlichen Widerholung des Patentanspruchs (Absätze 0008 bis 0009) noch der Erläuterung der Funktionsweise (Absätze 0010 bis 0015) kann entnommen werden, wie die beschriebene langfristige Regelung der Verstärkung in Verbindung mit einem einzigen ausgesendeten kurzen Ultraschall-Impuls erfolgen kann oder wie das Merkmal d vom Fachmann sonst verstanden werden soll, dass es nicht im Widerspruch zu Merkmal a steht.

Auch in der mündlichen Verhandlung vermochte es die Patentinhaberin nicht, anhand der Patentschrift überzeugend darzulegen, wie der Fachmann bei der Ausführung der Erfindung vorzugehen habe.

Dem Fachmann wird deshalb durch das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass er sie ausführen kann.

Dr. Mayer Dr. Hartung Werner Kleinschmidt Pr






BPatG:
Beschluss v. 06.07.2009
Az: 20 W (pat) 354/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/750e4f08d65d/BPatG_Beschluss_vom_6-Juli-2009_Az_20-W-pat-354-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share