Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. März 2006
Aktenzeichen: 19 W (pat) 60/03

(BPatG: Beschluss v. 13.03.2006, Az.: 19 W (pat) 60/03)

Tenor

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I Das Deutsche Patent- und Markenamt - Patentabteilung 33 - hat das auf die am 14. Juli 1995 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 195 25 673 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Niveauregulierung von Arbeitsgerätschaften", im Einspruchsverfahren durch Beschluss vom 11. April 2003 mit der Begründung widerrufen, dass der entgegengehaltene Stand der Technik dem Verfahren des Patentanspruchs 1 patenthindernd entgegenstehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin und Patentinhaberin. Sie hat einen neuen Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 eingereicht.

Die ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführerin und Patentinhaberin und die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin und Einsprechende sind ankündigungsgemäß zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Der erteilte Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"Verfahren zur Niveauregulierung von schrägstehenden Arbeitsgerätschaften, insbesondere im Baubereich, die mit mehreren, hydraulisch verfahrbaren Aufstandsstützen zur Abstützung und zur Niveauregulierung einer auf dem Arbeitsgerät befindlichen Arbeitsbühne versehen sind, dadurch gekennzeichnet, daß

a) mittels einer aus mindestens zwei Pendelpotentiometern bestehenden Meßeinheit die Schräglage (Ist-Niveau) der Arbeitsbühne relativ zur Oberfläche des Untergrunds in ruhendem Zustand um die Längsachse und um die Querachse des Arbeitsgeräts gemessen wird, b) das derart gemessene Ist-Niveau mit einem vorgebbaren Soll-Niveau verglichen wird, c) die Aufstandsstützen unter gleichzeitiger Sperrung der Fahrfunktion des Arbeitsgeräts bis zum Bodenkontakt ausgefahren werden, d) woraufhin die Aufstandsstützen einzeln oder in Kombination mit mehreren Aufstandsstützen entsprechend dem Ist-Niveau derart ausgefahren und/oder eingefahren werden, daß das Arbeitsgerät im Soll-Niveau stabilisiert und horizontal und vertikal nivelliert wird, e) nach Beendigung des Arbeitsprozesses die Aufstandsstützen zum Wiederherstellen des Ausgangszustandes in Abhängigkeit von ihrem vorherigen Ausfuhrgrad gegebenenfalls erst einzeln eingefahren und, sobald die Aufstandsstützen alle gleiche Höhe erreicht haben und der auf den Achsen des Arbeitsgeräts lastende Druck sich wieder erhöht, alle Aufstandsstützen gleichzeitig unter gleichzeitiger Freigabe der Fahrfunktion wieder eingefahren werden, f) der Nivelliervorgang (nach den Verfahrensschritten a bis e) elektronisch über eine Datenverarbeitungsanlage synchronisiert wird."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag dadurch, dass an ihn unter Ersetzen des Punktes durch ein Komma, das Merkmal

"g) das Niveau während des gesamten Arbeitsprozesses an und mit dem Arbeitsgerät elektronisch durch Vergleich der kontinuierlich gemessenen Ist-Werte mit dem Soll-Wert überwacht wird und bei einer Niveauänderung durch den Hub einzelner oder gegebenenfalls mehrerer Aufstandsstützen das Soll-Niveau wieder hergestellt wird."

angefügt ist.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 dadurch, dass das Merkmal g) unter Ersetzen des Punktes durch ein Komma, wie folgt, ergänzt ist:

"wobei sich die Nachregulierung bei einer Fehlergröße von 0,8¡ selbsttätig einschaltet und bei Unterschreiten einer Fehlergröße von 0,1¡ der automatische Nivelliervorgang eingestellt wird."

Mit den im jeweiligen Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen soll die Aufgabe gelöst werden, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, welches größtmögliche Standsicherheit eines Arbeitsgeräts, beispielsweise einer Baumaschine oder einer Arbeitsbühne, bei gleichzeitiger Nivellierung des Arbeitsgeräts in Abhängigkeit von der Schräglage des Untergrundes gewährleistet und dabei automatisch und zeitsparend arbeitet (Streit-PS Sp. 2 Z. 12 bis 19).

Die Patentinhaberin stellte schriftsätzlich den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent 195 25 673 mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Patentschrift nach Hauptantrag, hilfsweise Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, mit Patentansprüchen 2 bis 11 gemäß Patentschrift, höchst hilfsweise Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, mit Patentansprüchen 2 bis 4 und 7 bis 11 gemäß Patentschrift.

Die Einsprechende stellte schriftsätzlich den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde der Patentinhaberin hat keinen Erfolg. Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag und gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist ein FH-Maschinenbauingenieur mit Kenntnissen in der Konstruktion von Arbeitsgerätschaften, insbesondere im Baubereich, und Grundkenntnisse in der Regeltechnik anzusehen.

1. Hauptantrag Aus der DE 40 33 761 C1 (einzige Figur) ist in Übereinstimmung mit den Merkmalen des Oberbegriffs bekannt ein

"Verfahren zur Niveauregulierung von schrägstehenden Arbeitsgerätschaften, die mit mehreren, hydraulisch verfahrbaren Aufstandsstützen (1 bis 4) zur Abstützung und zur Niveauregulierung einer auf dem Arbeitsgerät befindlichen Arbeitsbühne (Sp. 1 Z. 18 bis 23, Sp. 3 Z. 66: Körper) versehen sind (Sp. 1 Z. 3 bis 16)".

Dem Fachmann ist geläufig, dass es sich bei der in der DE 40 33 761 C1 (Sp. 4 Z. 48 bis 52) erwähnten elektronischen Libelle um einen, ein Pendel aufweisenden Sensor handelt, der einen dem Winkel gegenüber der Horizontalen proportionalen elektrischen Wert ausgibt. Der Fachmann versteht unter einer elektronischen Libelle somit auch ein Pendelpotentiometer, das zur Nivellierung einer Arbeitsbühne zweidimensional arbeiten, also mindestens zweifach vorhanden sein muss (vgl. auch Sp. 4 Z. 51: Neigungssensoren). Damit entnimmt der Fachmann aus der DE 40 33 761 C1 in Übereinstimmung mit dem Merkmal a) dass

"mittels einer aus mindestens zwei Pendelpotentiometern bestehenden Messeinheit (Sp. 2 Z. 55 bis 57 i. V. m. Sp. 4 Z. 48 bis 52: Nivelliereinrichtung 13 mit Neigungssensoren in Form elektronischer Libellen als Pendelneigungsmesser) die Schräglage (Ist-Niveau) der Arbeitsbühne (Körper) relativ zur Oberfläche des Untergrunds (d. h. relativ zur Horizontalen) in ruhendem Zustand um die Längsachse und um die Querachse des Arbeitsgeräts gemessen wird (Sp. 4 Z. 48 bis 52: Neigungssensoren, erzeugen Lagesignale, d. h. die Schräglage der Längs- und Querachse relativ zur Horizontalen wird gemessen)".

Weiterhin ist - mit Merkmal b) übereinstimmend- bekannt, dass

"das derart gemessene Ist-Niveau (Schräglage entsprechend der Lagesignale der Neigungssensoren) mit einem vorgebbaren Soll-Niveau (Nivellierposition) verglichen wird (Sp. 5 Z. 34 bis 40)", Nur teilweise mit Merkmal c) übereinstimmend lehrt die DE 40 33 761 C1, dass

"die Aufstandsstützen (1 bis 4) bis zum Bodenkontakt ausgefahren werden (Sp. 5 Z. 13 bis 31)".

Auch das Merkmal d) ist hinsichtlich seiner, das Ausfahren der Aufstandsstützen betreffenden Alternativlösung bekannt, denn auch beim Verfahren nach der DE 40 33 761 C1 ist vorgesehen, dass nach dem Ausfahren der Aufstandsstützen bis zum Bodenkontakt

"die Aufstandsstützen (1 bis 4) einzeln oder in Kombination mit mehreren Aufstandsstützen (1 bis 4) entsprechend dem Ist-Niveau derart ausgefahren werden, dass das Arbeitsgerät im Soll-Niveau (Nivellierposition) stabilisiert und horizontal und vertikal nivelliert wird (Sp. 5 Z. 31 bis 40)".

Teilweise übereinstimmend mit Merkmal e) ist aus der DE 40 33 761 C1 bekannt, dass

"nach Beendigung des Arbeitsprozesses die Aufstandsstützen (1 bis 4) zum Wiederherstellen des Ausgangszustandes wieder eingefahren werden (Sp. 6 Z. 3 bis 10)".

Den Nivelliervorgang sieht der Senat durch die Verfahrensschritte a) bis d) beschrieben, das Einfahren der Aufstandsstützen nach Beendigung des Arbeitsvorganges gemäß dem Merkmal e) gehört somit nicht mehr zum Nivelliervorgang.

Dass es sich bei der Steuerlogik 12 um eine Datenverarbeitungsanlage handelt, ist nach Überzeugung des Senats daraus zu entnehmen, dass die Steuerlogik 12 von den Neigungssensoren herrührende Lagesignale erhält, diese digital verarbeitet und dementsprechend Steuersignale an die Steuerventile V1 bis V4 abgibt (Sp. 5 Z. 31 bis 40).

Damit ist aus der DE 40 33 761 C1 auch noch bekannt, dass, wie beim Merkmal f)

"der Nivelliervorgang elektronisch über eine Datenverarbeitungsanlage (12) synchronisiert wird".

Von dem Verfahren nach der DE 40 33 761 C1 unterscheidet sich das Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag in den Merkmalen c) und e) somit dadurch, dass A) das Aus- bzw. Einfahren der Aufstandsstützen unter gleichzeitiger Sperrung bzw. Freigabe der Fahrfunktion des Arbeitsgeräts erfolgtund B) die Aufstandsstützen in Abhängigkeit von ihrem vorherigen Ausfuhrgrad gegebenenfalls erst einzeln eingefahren und, sobald die Aufstandsstützen alle gleiche Höhe erreicht haben und der auf den Achsen des Arbeitsgeräts lastende Druck sich wieder erhöht, alle Aufstandsstützen gleichzeitig wieder eingefahren werden.

Diese Unterschiede sind jedoch nicht patentbegründend.

Zu A):

Bei einem automatisierten Verfahren zur Niveauregulierung, wie es aus der DE 40 33 761 C1 bekannt ist, liegt es für den Fachmann auf der Hand, die Sicherheitsvorgaben hinsichtlich der Fahrfunktion des Arbeitsgeräts ebenfalls durch Automatisierung zu erfüllen. Er gestaltet demzufolge das bekannte Verfahren so aus, dass das Aus- bzw. Einfahren der Aufstandsstützen unter gleichzeitiger Sperrung bzw. Freigabe der Fahrfunktion des Arbeitsgeräts erfolgt.

Zu B):

Für den Fachmann liegt es außerdem nahe, das - mit dem Nivelliervorgang in keinem Zusammenhang stehende, diesen nicht beeinflussende und damit unabhängig von diesem zu beurteilende - Einfahren der Aufstandsstützen nach Beendigung des Arbeitsvorgangs in umgekehrter Reihenfolge wie das Ausfahren (Sp. 5 Z. 13 bis 40) erfolgen zu lassen, nämlich derart, dass die Aufstandsstützen in Abhängigkeit von ihrem vorherigen Ausfuhrgrad gegebenenfalls erst einzeln eingefahren und, sobald die Aufstandsstützen alle gleiche Höhe erreicht haben und der auf den Achsen des Arbeitsgeräts lastende Druck sich wieder erhöht, alle Aufstandsstützen gleichzeitig wieder eingefahren werden.

Das Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

2. Hilfsantrag 1 Auch das in den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 zusätzlich aufgenommene Merkmal g) kann die Patentfähigkeit nicht begründen. Denn, wenn der Fachmann damit rechnen muss, dass der Boden nachgiebig ist, hat er keine andere Möglichkeit, als die Schräglage kontinuierlich überwachen zu lassen, um damit gegebenenfalls auf eine Niveauänderung sofort reagieren zu können. Gemäß dieser Forderung ergibt es sich dann, das aus der DE 40 33 761 C1 bekannte Verfahren so zu ergänzen, dass das Niveau während des gesamten Arbeitsprozesses an und mit dem Arbeitsgerät elektronisch durch Vergleich der kontinuierlich gemessenen Ist-Werte mit dem Soll-Wert überwacht wird und bei einer Niveauänderung durch den Hub einzelner oder gegebenenfalls mehrerer Aufstandstützen das Soll-Niveau wieder hergestellt wird.

Damit muss der Fachmann nicht erfinderisch tätig werden, um zum Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 zu gelangen.

3. Hilfsantrag 2 Auch das Festlegen von Grenzwerten für die Aktivierung bzw. Deaktivierung der Regelung, wie sie im ergänzten Merkmal g) gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 angegeben sind, stellt eine bei einer Regelung fachübliche Maßnahme dar. Die Grenzwerte ergeben sich dabei in der Praxis von selbst, etwa durch die Bodenbeschaffenheit oder die Messgenauigkeit der Neigungssensoren.

Somit ist auch im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 etwas erfinderisches nicht enthalten.

4. Das Verfahren des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag, Hilfsantrag 1 und 2 ist daher nicht patentfähig. Mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 fallen auch die jeweils auf diesen rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 (Hauptantrag und Hilfsantrag 1) sowie 2 bis 4 und 7 bis 11 (Hilfsantrag 2).






BPatG:
Beschluss v. 13.03.2006
Az: 19 W (pat) 60/03


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