Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 16. November 2004
Aktenzeichen: I-20 U 79/01

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 16.11.2004, Az.: I-20 U 79/01)

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 20.04.2001 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt abgeän-dert:

Dem Beklagten wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu

6 Monaten, untersagt, im geschäftlichen Verkehr die Produkte

Creatin-Kapseln je 500 mg

World's Food-L Carnitin Plus Kapseln 500 mg

Muscle Max Carnitin 500 Tabletten 500 mg

Vita-Life Super L-Carnitin Kapseln 500 mg

Multipower L-Carnitin-Drink 1000 mg

Multipower L-Carnitin Ampullen 1000 mg

Multipower Creatine Drink 5 g

Multipower Creatine Powder Instant 1000 mg

Multipower Creatine Capsules 1000 mg

ohne Zulassung als Arzneimittel (gem. § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 3/5 und dem Beklagten zu 2/5 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 11.000 EUR anwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Si-cherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 9.000 EUR anwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat, nachdem der Kläger ohnehin in Anbe- tracht des Sachverständigengutachtens seine Unterlassungsklage in Bezug auf 8 Produkte zurückgenommen hat, weiterhin in der Sache teilweise Erfolg. Der Beklagte hat sich mit seiner Berufung zu Recht gegen einige der vom Landgericht ausgesprochenen Verbote gewendet, die sich auf Produkte beziehen, die nicht als Arzneimittel einzustufen sind. Im Hinblick auf die Produkte mit den Inhaltsstoffen Carnitin und Creatin ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet, weil nach der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme festzustellen ist, dass diese Produkte als Arzneimittel einzuordnen sind und ihre Bewerbung oder ihr Vertrieb gegen §§ 21 AMG und § 3a HWG als Normen, die im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG n.F. dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, verstoßen.

Kernpunkt dieses Rechtsstreits ist die Abgrenzung von Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmitteln zu Arzneimitteln. Nach der gesetzlichen Definition des § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel nicht nur solche Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung an oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden und krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten, sondern auch solche Substanzen, die die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG). Eine Einschränkung erfährt der grundsätzliche Arzneimittelbegriff durch § 2 Abs. 3 AMG. Keine Arzneimittel sind danach Lebensmittel im Sinne des LMBG (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG), d.h. Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden und die nicht überwiegend einem anderen Zweck als der Ernährung oder dem Genuss dienen (§ 1 Abs. 1 LMBG). "Ernährung" bezeichnet dabei die Zufuhr von Nährstoffen zur Deckung der energetischen stofflichen Bedürfnisse des Körpers, während "Genussmittel" solche Stoffe sind, die keine oder nur unwesentliche Mengen an Nährstoffen enthalten, von denen aber eine anregende Wirkung auf körperliche Funktionen ausgeht (Zipfel/Radke, Lebensmittelrecht, Band II, C 100 § 1 Rdnr. 39, 43). Derselbe Stoff kann danach nicht gleichzeitig Lebensmittel und Arzneimittel sein.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (zuletzt WRP 2004, 1277, 1278 - Honigwein, WRP 2004, 1024-1029 - Sportlernahrung II.) ist für die Einordnung eines Produktes als Arznei- oder Lebensmittel seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Die Verkehrsauffassung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung des Produktes kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie durch die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt. Der gemeinschaftsrechtliche Arzneimittelbegriff ist durch die Richtlinie 2004/27/EG zur Änderung des Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel neu definiert worden. Demnach sind Arzneimittel jetzt "alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind" (Art. 1 Nr. 2 1. Alt.) oder "alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen" (Art. 1 Nr. 2 2. Alt.).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist in Bezug auf die einzelnen Produkte, deren Bewerbung oder Vertrieb hier angegriffen wird, Folgendes festzustellen:

1. Erzeugnisse mit dem Inhaltsstoff Carnitin (Nr. 6.-11. des Tenors des landgerichtlichen Urteils; Ziff. 1a) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001; Nr. 1.-6. des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004)

Der Sachverständige Dr. S. hat zur Bewertung von Carnitin in seinem Gutachten vom 13.04.2004 (dort Seite 15, Bl. 290 GA) allgemein ausgeführt: "Vor dem Hintergrund, dass die mittlere tägliche Zufuhr von Carnitin bei 70-90 mg liegt und bei einem starken Fleischkonsum (300 g Rindfleisch entsprechen ca. 200 mg Carnitin) deutlich höhere Mengen zugeführt werden können, muss eine tägliche Gesamtzufuhr bis 300 mg Carnitin noch als physiologisch betrachtet werden. Eine zusätzliche Zufuhr von Carnitin in Dosen von 500 mg bis 6 g wurde von Cerretelli und Marconi als eine pharmakologische Dosierung bezeichnet. Beim Sportler sollen nach Böhles Dosen von 500 mg bis ca. 3 g die Korrektur des AC/FC-Quotienten im Blut nach körperlicher Belastung bewirken. Nach der Definition des Kammergerichts ist dies eine pharmakologische Wirkung, da physiologische Dosen eine solche Wirkung nicht hervorrufen. Nach der Definition, die in der Richtlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln zu Medizinprodukten gegeben wird, handelt es sich hingegen um eine metabolische Wirkung, die Arzneimittel ebenso wie eine pharmakologische oder immunologische Wirkung von Medizinprodukten unterscheidet." Ergänzend hat der Sachverständige bei seiner Anhörung im Termin vom 28.09.2004 erläutert, dass der (gesunde) Mensch im Rahmen dessen, was nach traditionellem Verständnis im Bereich normaler Ernährung üblich ist, Carnitin nicht gesondert zu erhalten brauche, auch nicht bei sportlicher Betätigung. Die Anwendung von Carnitin sei bei Menschen mit genetischen Defekten und Dialysepatienten erforderlich. Im Hinblick auf die einzelnen streitgegenständlichen Produkte mit dem Inhaltsstoff L-Carnitin hat der Sachverständige festgestellt, dass bei den Produkten World's Food L-Carnitin Plus Kapseln, Muscle Max Carnitin 500 Tabletten, Vita-Life Super L-Carnitin Kapseln, Multipower L-Carnitin-Drink 1000 mg und L-Carnitin Ampullen Multipower die zugeführte Menge an Carnitin um ein Vielfaches über der durchschnittlichen Zufuhr mit der Nahrung liege. Carnitin in einer Menge von 500 mg oder mehr diene damit überwiegend anderen Zwecken als der Ernährung.

Aufgrund dessen stellt der Senat (in Übereinstimmung mit OLG Hamm LRE 46, 138-142 und KG Berlin LRE 44, 416, 421, KGR 2003, 353-355) fest, dass die oben genannten Produkte in einer Dosierung ab 500 mg pharmakologische Wirkung im weiteren Sinne, nämlich metabolische Wirkung haben. Ein Ernährungszweck ist nicht gegeben, vielmehr steht die Manipulation des Stoffwechsels durch Erhöhung der Konzentration des freien Carnitins im Vordergrund. Es werden im Körper gezielt Mechanismen in Gang gesetzt, um mit der hohen Belastung des Produktes fertig zu werden. Nur diesem Zweck dient die Einnahme von L-Carnitin; energetische, stoffliche Bedürfnisse des Körpers, die mit einer Nahrungsaufnahme zu decken wären, gibt es nicht, weil der (normal gesunde) Mensch, wie der Sachverständige Dr. S. erklärt hat, kein Carnitin benötigt.

Der damit vorzunehmenden Einordnung der streitgegenständlichen Produkte als Arzneimittel steht nicht entgegen, dass es keine Normen gibt, die die Verwendung von L-Carnitin in Lebensmitteln beschränken, auch nicht ab einer bestimmten Menge, und dass L-Carnitin und L-Carnitin Hydrochlorid in der Liste der Stoffe stehen, die nach der Richtlinie 2004/05/EG bestimmten Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen. Die Aufnahme bestimmter Stoffe in sogenannte positive Listen, die die Zusetzung zu den dort genannten Lebensmitteln erlauben, besagt, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung erläutert hat, dass man von geringer toxischer Wirkung solcher Stoffe ausgeht. Eine metabolische Wirkung von L-Carnitin, wie sie der Sachverständige bejaht hat, ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. Dass die Europäische Lebensmittelbehörde eine Menge von 2 g Carnitin täglich in der vom Beklagten überreichten Stellungnahme vom 03.11.2003 (Anlage BB 11) für unbedenklich gehalten hat, besagt lediglich, dass von dieser Stelle keine Gesundheitsgefahr bei täglicher Zufuhr von bis zu 2 g L-Carnitin gesehen wird. Jedoch ist der Nachweis einer gesundheitlichen Gefahr nicht Voraussetzung für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung. Entgegen der vom Beklagten im Schriftsatz vom 20.09.2004 (Seite 3/4, Bl. 357, 358 GA) vertretenen Auffassung kann ein derartiges Postulat der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.05.2004 (GRUR 2004, 793-797 - Sportlernahung II) nicht entnommen werden. Diese Frage stellt sich nur bei Fällen mit Bezug auf andere Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft. Vielmehr nimmt der Bundesgerichtshof ausdrücklich Bezug auf seine Ausführungen in der Entscheidung WRP 2002, 1141-1148 - Muskelaufbaupräparate; dort waren von der Vorinstanz Gesundheitsgefahren positiv festgestellt worden. "Unter diesen Umständen" hat der Bundesgerichtshof die Einordnung als Arzneimittel für gerechtfertigt gehalten, was jedoch nicht bedeutet, dass die Einordnung generell nur bei einer Gesundheitsgefahr gerechtfertigt wäre. Soweit der Beklagte rügt, der Sachverständige habe in Bezug auf die tägliche Aufnahme von L-Carnitin mit der Nahrung, insbesondere bei Rindfleisch zu niedrige Werte zugrunde gelegt, hat der Sachverständige bei seiner Anhörung ausgeführt, dass auch die als Gegenmeinung vom Beklagten angeführten Untersuchungen von Gustavsen einen Carnitingehalt von Rindfleisch mit 450 bis 1.430 mg/kg nennen. Im übrigen hat der Sachverständige (wie auch das Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 27.03.2003, dort Seite 12, LRE 46, 138-142) darauf hingewiesen, dass sich andere Angaben von Gustavsen auf die Trockensubstanz und nicht die unveränderte Substanz beziehen würden. Damit ist das vom Landgericht zu Ziff. 6., 7., 8., 9. und 11. ausgesprochene Verbot bezüglich der dort genannten Produkte zu bestätigen. Bezüglich des Produktes Muscle Max Carnitin + Kapseln (Nr. 10. des landgerichtlichen Tenors) hat der Kläger die Klage zurückgenommen.

2. Erzeugnisse mit dem Inhaltsstoff Creatin (Nr. 1., 13.-15. des landgerichtlichen Tenors, Nr. 1b) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 7.-10. des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004).

Der Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 13.04.2004 zum Inhaltsstoff Creatin allgemein ausgeführt: "Die Gabe von Creatin soll die Leistung im Schnellkraftsport fördern. Der erwogene Effekt wird dabei über eine Erhöhung der Phospho-Creatin-Konzentration im Muskel erklärt, wodurch die Leistung länger aufrechterhalten und die Ermüdung hinausgezögert werden soll (Bl. 292 GA). Creatin gehört nicht zu den Substanzen der Doping-Liste. Seine Zweckbestimmung ist jedoch die Steigerung der körperlichen Leistung. ... Creatin ist für Menschen kein essentieller Nährstoff, der ergänzt oder zusätzlich zugeführt werden müsste. Er wird vom gesunden menschlichen Körper in ausreichendem Umfang gebildet. Ein überwiegender Ernährungszweck kann daher nicht gesehen werden. Die Anwendung dient der Leistungssteigerung im Sport". Ergänzend hierzu hat er im Termin vom 28.09.2004 besonders darauf hingewiesen, dass die durch die Zufuhr von Creatin erreichte Wassereinlagerung in den Muskeln nur eine sehr kurzfristige Wirkung habe und eine Leistungssteigerung z.B. beim Schwimmen nur bei einer Strecke von 50 m oder beim Gewichtheben nur bei den ersten beiden Versuchen erreicht werden könne. In Bezug auf die streitgegenständlichen Produkte Creatin Kapseln 500 mg, Multipower Creatin Drink, Multipower Creatin capusles und Multipower Creatin Microfine Powder hat der Sachverständige festgestellt, dass ein überwiegender Ernährungszweck nicht gesehen werden könne; die beiden letztgenannten Produkte hat der Sachverständige darüber hinaus ausdrücklich als Arzneimittel eingestuft. Entgegen der vom Beklagten vertretenen Meinung, dass eine pharmakologische Wirkung von Creatin nicht belegt sei, kommt der Senat aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständlichen Creatin-Produkte als Arzneimittel einzuordnen sind. Zwar weist eine die Muskeln aufbauende und deren Zellvolumen erweiternde Wirkung eines Mittels nicht stets und zwangsläufig auf einen arzneilichen Anwendungszweck hin. In Betracht kommt vielmehr auch, dass ein solches Mittel der Befriedigung besonderer physiologischer Bedürfnisse und sich daraus ergebende Ernährungserfordernisse einer speziellen Personengruppe dient und damit ein diätetisches Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 Lit b DiätVO darstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit zunehmend als Zweck einer Ernährung anerkannt wird. Der Aufbau von (neuem) Muskelgewebe kann daher unter Umständen auch den physiologischen Bedürfnissen bestimmter Personengruppen Rechnung tragen (BGH GRUR 2004, 793-797 - Sportlernahrung II). Einen derartigen Ernährungszweck haben die oben genannten Creatinerzeugnisse, die vom Beklagten vertrieben werden, jedoch gerade nicht. Denn indem die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit als Ernährungszweck anerkannt wird, wird zum Ausdruck gebracht, dass dies auf eine gewisse Dauer angelegt sein muss. Wird dahingegen - wie hier - nur ein ganz kurzfristiger Muskelaufbaueffekt erreicht, soll damit nicht insgesamt die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Vielmehr sollen die körperlichen Funktionen für wenige Minuten manipuliert werden, um nach der sportlichen Betätigung sofort wieder in den alten Zustand zurückzufallen.

Zudem hat der Sachverständige Dr. S. in seinem Gutachten Gesundheitsgefahren, die bei der Einnahme von Creatin drohen, dargestellt. Er hat auf Einzelfallberichte über akute Nierenschädigungen sowie auf Muskelkrämpfe als bekannte Nebenwirkung hingewiesen (S. 18/19 des Gutachtens vom 13.04.2004, Bl. 293/294 d.A.). Jedenfalls diese Gesundheitsgefahren erfordern die Einordnung der Creatin-Produkte als Arzneimittel (BGH GRUR 2003, 631 - L-Glutamin; Köhler, GRUR 2002, 844 [849]).

3. Präparate mit Aminosäuren (Nr. 2.-5., 12., 16. und 17. des landgerichtlichen Tenors, Nr. 1c) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 11.-18. des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004)

Nach der Klagerücknahme in Bezug auf die unter Nr. 2.-5., 12. und 16. im Tenor des landgerichtlichen Urteils aufgeführten Präparate ist nur noch das Mittel Multipower Super Amino Liquid im Streit und zwar in der Form, dass der Kläger es als sog. Präsentationsarzneimittel (und nicht mehr als Funktionsarzneimittel) verboten haben will. In den vom Beklagten benutzten Werbematerialien wird das Produkt wie folgt beschrieben:

Super Amino Liquid Hochdosiert und super effektiv 9.200 mg Aminosäuren und Peptide pro Ampulle, davon 3.000 mg L-Arginin und 1.000 mg L-Ornithin. Flüssige Darreichungsform für eine besonders schnelle und gute Resorption. Mintgeschmack, 20 Ampullen à 20 ml. 1-3 Ampullen vor dem täglichen Einschlafen, kurweise 4-6 Wochen mit 4 Wochen Pause.

In dem linksseitigen Text heißt es darüberhinaus:

Aminosäuren: Für den Profi mehr als nur Proteinbestandteil. Der Schritt zum Profi beginnt ernährungsmäßig mit der Erhöhung der Aminosäurenzufuhr. Durch die gute Resorbierbarkeit in der flüssigen Form bist du als Bodybuilder mit Super Amino Liquid am Besten versorgt. Je nach Intensität deines Trainings nimmst du bis zu 3 Ampullen am Abend vor dem Einschlafen. Nach rund einem Monat legst du dann 4 Wochen Pause ein und beginnst wieder von vorn.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung eines Produktes auch durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie der Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt, beeinflusst wird (GRUR 2000, 528-530 - L-Carnitin) ist hier festzustellen, dass die Verbraucher nicht die Vorstellung haben, dass es sich um ein Arzneimittel handelt. Hiergegen spricht vor allem, dass die Erhöhung der Aminosäuren-Zufuhr "ernährungsmäßig" erfolgen soll, und das Produkt damit als Ernährungsmittel angeboten wird. Weder der Darreichungsform (Ampullen) noch den Anwendungshinweisen (bis zu drei Ampullen am Abend vor dem Einschlafen, kurweise 4-6 Wochen mit 4 Wochen Pause) kann entnommen werden, dass der Verkehr trotz der Bezeichnung als Ernährungsmittel eine Zweckbestimmung als Arzneimittel annimmt (vgl. BGH GRUR 2000, 528-530 - L-Carnitin). Angesichts des gefundenen Ergebnisses hat die Streitfrage, welcher Bezug zwischen Werbematerial und Produkt zu verlangen ist, damit überhaupt die Qualifizierung als Arzneimittel berührt werden kann (vgl. Köhler GRUR 2002, 844 [847], Meyer WRP 2002, 1205 [1213]; Mühl WRP 2003, 1088), vorliegend keine Bedeutung.

4. Produkte mit Glutamin (Nr. 18. des landgerichtgerichtlichen Tenors, Nr. 1d) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 18. des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004)

Insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.

5. Produkte mit Pyruvat (Nr. 19. des Tenors des landgerichtlichen Urteils, Nr. 1e) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 21. des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004)

Der Sachverständige hat in seinen allgemeinen Ausführungen (Bl. 296 GA) zum Inhaltsstoff Pyruvat ausgeführt, dass Übergewichtige, die mit hohen Dosen von Pyruvat und Dihydroxyaceton behandelt wurden, eine gesteigerte Gewichtsabnahme unter Diät, eine verminderte Gewichtszunahme nach der Diät sowie eine Zunahme der Ausdauerleistung gezeigt hätten. Das Mittel wurde zur Leistungssteigerung benutzt, wobei eine entsprechende Wirkung in mehreren Studien jedoch nicht belegt werden konnte. Der Kläger versteht die Ausführungen des Sachverständigen so, dass dieser eine pharmakologische, auf die Beeinflussung von Körperfunktionen bezogene Wirkung festgestellt habe. Der Beklagte hält den Ausführungen des Sachverständigen das Gutachten von Prof. Roddick vom 09.12.1998 (Anlage BB 13) entgegen. Dort ist ausgeführt, dass Benztraubensäure (Pyruvat) ein Nährstoff sei und ihre Verwendung im Rahmen der Sporternährung ausschließlich einer Optimierung der Ernährung diene. Es sei nicht als Arzneimittel einzuordnen und werde von den Sportlern auch nicht so bewertet.

Der Senat hat keine hinreichend gesicherte Grundlage, um eine pharmakologische Wirkung des Produktes Multipower Pyruvat Ampullen festzustellen. Allein der Umstand, dass das Mittel zur Leistungssteigerung benutzt wird, seine Wirkung in mehreren Studien jedoch nicht belegt werden konnte, reicht insoweit nicht aus. Denn eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit wird zunehmend als Zweck einer Ernährung anerkannt und kann daher nicht als maßgeblicher und zwingender Hinweis auf eine Arzneimitteleigenschaft angesehen werden. Auch der weitere vom Sachverständigen festgestellte Umstand, dass ein ernährungsphysiologisches Bedürfnis zur Zufuhr von Pyruvat der Literatur nicht entnommen werden kann (vgl. Seite 49 des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004, Bl. 324 GA), vermag nicht zu einer Einordnung als Arzneimittel zu führen. Auch wenn das Produkt damit weder ein Ernährungs- noch ein Genussmittel ist, führt dies nicht zur Bejahung seines Charakters als Arzneimittel, so lange die Manipulation von Körperfunktionen nicht festgestellt werden kann.

6. Produkte mit HMB (Nr. 21 des landgerichtlichen Tenors, Nr. 1f) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 19 des Sachverständigengutachtens vom 13.04.2004)

Der Kläger hat sein Begehren insofern umgestellt, als er das Präparat Multipower HMB Kapseln als sog. Präsentationsarzneimittel verboten haben will. In der vom Beklagten benutzten Werbung ist das Präparat wie folgt dargestellt:

HMB Die antikatabole Entdeckung Eine Kapsel enthält reines HMB Dose à 60 Kapseln 2 x 3 Kapseln täglich

In dem linksseitigen Text heißt es dazu:

Spezial Effects. Für spezifische Situationen gibt es noch spezifischere Produkte. ... HMB (ß'Hydroxy-ß-Methylbutyrat), ein Methabolit der essentiellen Aminosäure Leuzin mit antikatabolen Eigenschaften.

Auch insoweit vermag der Senat wie schon bei dem Produkt Multipower Super- amino Liquid, das ebenfalls als Präsentationsarzneimittel nunmehr beanstandet worden ist, nicht festzustellen, dass der Verbraucher aufgrund der im Werbeprospekt (Anlage K 4 Seite 15) enthaltenen Aufmachung das Produkt als Arzneimittel einstuft. Auch dieses Produkt wird, wie aus der Übersicht auf Seite 19 des Prospektes ersichtlich ist, ausdrücklich als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Damit wird der angesprochene Verkehrskreis nicht annehmen, dass es entgegen dieser Bezeichnung ein Arzneimittel sei, wenn - wie hier - in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen eintreten können.

7. Produkte mit konjugierter Linolsäure (Nr. 20 des landgerichtlichen Tenors, Nr. 1f) des Beweisbeschlusses vom 11.12.2001, Nr. 20 des Sachverständigengutachtens)

Der Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten zu dem Produkt Multipower CLA Kapseln ausgeführt, dass mit diesem Produkt täglich ca. 3-6 g konjugierte Linolsäure zugeführt werden soll. Dieser Wert liege erheblich über den ca. 300 ml täglich, die bei reichlicher Milchzufuhr mit der Nahrung aufgenommen würden. Notwendigkeit oder Nutzen der Zufuhr von CLA für Sportler seien nicht ersichtlich (Bl. 322 GA). Des weiteren hat der Sachverständige ausgeführt, dass mehrere Untersuchungen bei Menschen, die CLA erhielten, weder einen signifikanten Gewichtsverlust noch eine signifikante Veränderung der Blutfettwerte ergeben hätten. Nur eine - einzige - Studie - zudem bei Übergewichtigen - hätte nach 12-wöchiger Gabe von 3,4 g CLA eine Verminderung des Körperfettes, nicht jedoch des Körpergewichtes gezeigt. In einer Studie mit trainierten Sportlern seien keine signifikanten Leistungssteigerungen oder Veränderungen des Körperfettes beobachtet worden (Seite 25 des Sachverständigengutachtens, Bl. 300 GA). Damit kann die Annahme einer pharmakologischen Wirkung nicht gerechtfertigt werden. Die Beeinflussung von Körperfunktionen ist nicht feststellbar.

8. Schließlich hat die Berufung des Beklagten auch insofern Erfolg, als er sich gegen das Verbot, für die Mittel "Multipower Super Ganer", "Multipower Formular 80+", "Multipower Mega Ganer" und "Multipower Super Formular 100" mit den Aussagen "für den Muskelaufbau", "für Regeneration und Muskelaufbau", "für den ultimativen Masseaufbau im Hochleistungsbereich", "für professionelles Muskelwachstum" zu werben. Das Landgericht hat diese Werbung als gegen § 17 Abs. 1 Ziff. 5 c LMBG verstoßend angesehen, und ausgeführt, dass damit für die Beeinflussung von Körperfunktion geworben werde. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Dass die Erzeugnisse, auf die sich die beanstandete Werbung bezieht, als Arzneimittel anzusehen sind, wird vom Kläger nicht geltend gemacht. Damit kann aber nicht allein aus dem beworbenen Zweck der Mittel "für den Muskelaufbau" oder ähnliches auf ein (Schein-)Arzneimittel, das hier beworben wird, geschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (GRUR 2003, 631-633 - L-Glutamin) ist im Rahmen des § 17 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 c) LMBG der von einem Mittel erweckte Eindruck anhand des Gesamterscheinungsbildes zu bestimmen, in dem das Mittel dem Verkehr entgegentritt. Dabei entspricht es nicht mehr uneingeschränkt der Auffassung der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft, dass Hinweise auf einen Muskelaufbau und eine Muskelvergrößerung bei isolierter Betrachtung auf Arzneimittel hindeuten. Dementsprechend sind die vom Kläger gerügten Werbeaussagen nicht zu beanstanden, weil auch in Betracht kommt, dass sie auf besondere Ernährungserfordernisse einer speziellen Personengruppe abzielen und damit ein diätetisches Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 b) der DiätVO bewerben können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 543 Abs. 2 ZPO n.E., und zwar im Hinblick auf die Klärung der anstehenden Rechtsfragen durch die zitierten Entscheidungen.

Streitwert zweite Instanz: 26.000 EUR, ab 28.09.2004: 18.000 EUR.

Sch. F.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 16.11.2004
Az: I-20 U 79/01


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