Verwaltungsgericht Stuttgart:
Urteil vom 12. April 2016
Aktenzeichen: 1 K 2297/15

(VG Stuttgart: Urteil v. 12.04.2016, Az.: 1 K 2297/15)

1. § 4 Nr. 21 a) bb) UStG setzt Art. 132 Abs. 1 lit. i) RL 2006/112/EG - MWSt-RL - nicht vollständig in nationales Recht um.

2. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG dahingehend, dass der Begriff der Vorbereitung auf einen Beruf auch die berufliche Fortbildung umfasst, kommt nicht in Betracht, weil er mit dem Wortlaut der Norm nicht zu vereinbaren ist.

Tenor

Die der Klägerin vom Regierungspräsidium Freiburg erteilte Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG vom 06.11.2012 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin, ein bundesweit tätiger gewerblicher Seminaranbieter, begehrt die Aufhebung einer ihr auf Ersuchen des Finanzamts ... erteilten Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG.

Mit Schreiben vom 29.12.2011 informierte das Finanzamt ... das Regierungspräsidium Freiburg darüber, dass die Klägerin bundesweit insbesondere in der Fortbildung von Juristen tätig sei. Sie biete Fachanwaltslehrgänge, Fortbildungsveranstaltungen nach § 15 FAO sowie weitere Seminare an. Da nach § 4 Nr. 21 UStG die Steuerfreiheit aller von der Klägerin angebotenen Fortbildungsmaßnahmen zu prüfen sei, werde um Entscheidung gebeten, ob ab dem Jahr 2008 für die nicht zertifizierten Fortbildungsmaßnahmen eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG erteilt werde.

Mit Bescheid vom 06.11.2012 bescheinigte das Regierungspräsidium Freiburg nach Anhörung der Klägerin, die der Erteilung der Bescheinigung widersprach, dass die für Rechtsanwälte angebotenen beruflichen Bildungsmaßnahmen rückwirkend ab 01.01.2008:

- Fachanwalts-Lehrgänge- Fortbildungen gemäß § 15 FAO- Aus- und Fortbildung Mediationzusätzlich ab 01.01.2012:- fachübergreifende Seminare

ordnungsgemäß i.S.d. § 4 Nr. 21 a) bb) UStG auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bescheinigung müsse auf Ersuchen des zuständigen Finanzamts auch ohne einen Antrag des Steuerpflichtigen erteilt werden. Die vom Regierungspräsidium zu prüfenden Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG für die Erteilung der Bescheinigung lägen vor. Die von der Klägerin angebotenen Bildungsmaßnahmen bereiteten auf einen Beruf vor. Der umsatzsteuerrechtliche Berufsbegriff sei weit zu verstehen. Er setze keinen berufsqualifizierenden Abschluss oder eine allgemeinverbindliche Festlegung der erforderlichen berufsbezogenen Kenntnisse voraus. Neben der eigentlichen Berufsausbildung erfasse er auch die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung, wobei es auf die Dauer der jeweiligen Maßnahme nicht ankomme. Es genüge daher, dass den teilnehmenden Rechtsanwälten mit den angebotenen beruflichen Bildungsmaßnahmen berufsspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt würden und es sich insoweit um die Fort- und Weiterbildung in einem Beruf handele. Die bescheinigten Maßnahmen bereiteten auch €ordnungsgemä߀ auf einen Beruf vor. Dieses Tatbestandsmerkmal diene lediglich dazu, etwaige unseriöse Anbieter von der Steuerbefreiung auszuschließen. Die Erteilung der Bescheinigung für zurückliegende Zeiträume sei höchstrichterlich gebilligt worden. Ob die übrigen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung vorlägen, insbesondere ob die Klägerin eine berufsbildende Einrichtung unterhalte, sei von der Finanzverwaltung zu prüfen.

Am 04.12.2012 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung ausgeführt wurde, die Klägerin sei nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn sie - anders als ihre unmittelbaren kommerziellen Konkurrenten - der Umsatzsteuerbefreiung unterworfen würde. Die Bescheinigung sei zu Unrecht erteilt worden, weil die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG nicht vorlägen. Weder sei die Klägerin eine allgemein bildende oder berufsbildende Einrichtung, noch bereiteten ihre Leistungen auf einen Beruf oder eine Prüfung vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts vor. Steuerbefreiungen seien eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellten, dass jede Dienstleistung, die gegen Entgelt erbracht werde, der Steuer unterliege. Auch die Fachanwaltslehrgänge bereiteten nicht auf eine Prüfung vor. Es würden lediglich theoretische Kenntnisse vermittelt. Dessen versichere sich die Klägerin mittels schriftlicher Leistungskontrollen, die sie eigenverantwortlich durchführe. Die angebotenen Leistungen seien nicht berufsvorbereitend, weil die Teilnehmer bereits den Beruf des Rechtsanwalts ausübten. Die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass auch die reine Fortbildung als berufsvorbereitend i.S.d. § 4 Nr. 21 a) bb) UStG anzusehen sei, finde im Gesetz keine Stütze. Der Gesetzestatbestand sei insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig. Die Legaldefinitionen in § 1 Abs. 1 BBiG sprächen ebenfalls für eine strikte Abgrenzung zwischen Berufsausbildung und beruflicher Fortbildung. Auch mit Blick auf den Gesetzeszweck sei die angefochtene Bescheinigung rechtswidrig. Mit der Steuerbefreiung verfolge der Gesetzgeber zwei Ziele, nämlich eine Verringerung der Kosten für die Benutzer von Bildungseinrichtungen sowie eine Gleichbehandlung öffentlicher und privater Schulen im Hinblick auf die Tatsache, dass öffentliche Schulen regelmäßig keine umsatzsteuerbaren Leistungen erbrächten. Von diesem Gesetzeszweck sei die Steuerbefreiung eines gewerblichen Seminaranbieters, der Leistungen gegenüber vorsteuerabzugsberechtigten Rechtsanwälten erbringe, ersichtlich nicht umfasst. Schließlich werde diese Gesetzesauslegung durch den - letztendlich nicht weiter verfolgten - Entwurf zum Jahressteuergesetz 2013 belegt, mit dem § 4 Nr. 21 UStG neu gefasst und die Umsatzsteuerbefreiung ausdrücklich auch auf Maßnahmen der Fortbildung und der beruflichen Umschulung erstreckt werden sollte. Bei einer unionsrechtskonformen Auslegung ergebe sich nichts anderes, da die Auslegung ihre Grenze am Gesetzeswortlaut finde. Zudem gelange Art. 132 lit. i MWSt-RL hier nach Art. 134 MWSt-RL überhaupt nicht zur Anwendung, da die Klägerin mit anderen, umsatzsteuerpflichtigen Anbietern im Wettbewerb stehe. Der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts erstrecke sich auch auf die Frage, ob es sich bei der Klägerin um eine berufsbildende Einrichtung handele. Nach Art. 132 lit. i MWSt-RL befreiten die Mitgliedstaaten private Einrichtungen nur dann von der Mehrwertsteuer, wenn sie eine vergleichbare Zielsetzung wie die in der Vorschrift genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts hätten. Dies sei nicht erst von den Finanzbehörden, sondern bereits von der zuständigen Landesbehörde bzw. vom Verwaltungsgericht im Verfahren über die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG zu prüfen.

Die Klägerin beantragt,

die ihr vom Regierungspräsidium Freiburg erteilte Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG vom 06.11.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Bescheid und trägt ergänzend vor, die Auslegung des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG habe sich nicht am Berufsbildungsgesetz, sondern am Unionsrecht zu orientieren, das eine Harmonisierung der Umsatzsteuerbefreiung innerhalb der EU sicherstellen solle. Gemäß Art. 132 Abs. 1 lit. i) MWSt-RL gelte die Mehrwertsteuerbefreiung auch für Umsätze aus Fortbildung und beruflicher Umschulung. Nach Art. 44 Satz 1 Durchführungs-VO (EU) Nr. 282/2011 umfassten die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung und Umschulung jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse diene. Bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung erfasse § 4 Nr. 21 a) bb) UStG daher auch die fachliche Fortbildung. Der Hinweis, dass erst durch die ursprünglich geplante und nicht weiter verfolgte Änderung des Umsatzsteuergesetzes die gewerblichen Fortbildungsanbieter ab dem 01.01.2013 der Umsatzsteuerbefreiung unterlegen hätten, sei nicht richtig. Durch die geplante Änderung sollte lediglich die Terminologie der MWSt-RL übernommen und die Vorschrift an die interpretierende Rechtsprechung des EuGH angepasst werden. Damit wäre die bisher notwendige richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG entbehrlich geworden. Eine materielle Rechtsänderung wäre damit insoweit jedoch nicht verbunden gewesen. Aus Art. 134 MWSt-RL folge nichts Abweichendes. Auch andere Unternehmer, die vergleichbare Leistungen erbrächten, müssten die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen. Es sei Aufgabe der Finanzverwaltung, für Steuergerechtigkeit zu sorgen. Die Zielsetzung der Klägerin sei im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Diese Prüfung falle in die Zuständigkeit der Finanzverwaltung.

Mit Beschluss vom 14.03.2014 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.

Das Verfahren hat vom 08.04.2014 bis zum 05.05.2015 geruht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefallenen Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Behördenakten verwiesen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.

a) Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, und nicht um eine Abgabenangelegenheit im Sinne von § 33 FGO, über die die Finanzgerichte zu entscheiden hätten. Gegenstand des Verfahrens ist eine von der zuständigen Landesbehörde erteilte Bescheinigung, dass die in ihr aufgeführten Leistungen der Klägerin ordnungsgemäß i.S.d. § 4 Nr. 21 a) bb) UStG auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten. Über die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift und über das Vorliegen der Steuerbefreiung entscheidet die Finanzverwaltung. Ob der Mitwirkungsakt einer anderen Behörde ein selbstständig angreifbarer Verwaltungsakt ist, hängt maßgeblich davon ab, ob der Mitwirkung nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung unmittelbare rechtliche Außenwirkung für den Betroffenen zukommt. Dies ist hier der Fall, weil es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für das nachfolgende Besteuerungsverfahren durch die Finanzverwaltung verbindlichen Grundlagenbescheid im Sinn des § 171 Abs. 10 AO handelt (vgl. BFH, Urt. v. 20.08.2009 - V R 25/08 - BFHE 226, 479 <484 f.>; BVerwG, Urt. v. 12.06.2013 - 9 C 4.12 - BVerwGE 147, 1 <juris Rn. 10>).

b) Der Klägerin fehlt auch nicht die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin macht geltend, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein. Zwar stellt die Erteilung der Bescheinigung ein Tatbestandsmerkmal für die Umsatzsteuerbefreiung dar, hat also in der Regel überwiegend günstige Folgen. Für die Klägerin ist die Bescheinigung allerdings auch unmittelbar mit rechtlichen Nachteilen verbunden, weil sie dadurch die Befugnis zum Vorsteuerabzug verliert (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).

c) Eines Vorverfahrens bedurfte es gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO nicht.

2. Die Klage ist auch begründet. Die angefochtene Bescheinigung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Zwar durfte die Bescheinigung auf Ersuchen des zuständigen Finanzamts gegen den Willen der Klägerin erteilt werden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Erteilung der Bescheinigung keinen Antrag des betroffenen Unternehmers voraussetzt. Die Bescheinigungsbehörde wird durch das Ersuchen des zuständigen Finanzamts in der Weise in das Besteuerungsverfahren eingebunden, dass ihr kein Handlungsermessen verbleibt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.2006 - 10 C 10.05 - DÖV 2006, 962; Urt. v. 11.10.2006 - 10 C 4.06 - NJW 2007, 714). Die Einräumung eines Antragsrechts wäre mit der Systematik des Umsatzsteuerrechts nicht vereinbar, weil damit letztlich dem Unternehmer die Möglichkeit eröffnet würde, auf die Steuerbefreiung zugunsten eines Vorsteuerabzugs zu verzichten. Das wäre mit der Regelung des § 9 UStG unvereinbar. Absatz 1 dieser Vorschrift räumt dem Unternehmer die Option ein, einen Umsatz, der nach bestimmten Vorschriften des § 4 UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig zu behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. § 4 Nr. 21 a) UStG gehört nicht zu den in § 9 Abs. 1 UStG im Einzelnen aufgezählten Steuerbefreiungstatbeständen. Damit verbietet es sich, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 a) UStG zur Disposition des Unternehmers zu stellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.2006 - 10 C 10.05 - a.a.O.).

b) Die Bescheinigung ist jedoch materiell rechtswidrig. Zu Unrecht ist der Klägerin bescheinigt worden, dass die von ihr für Rechtsanwälte angebotenen, näher bezeichneten beruflichen Bildungsmaßnahmen ordnungsgemäß im Sinn des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten.

Die von der Klägerin angebotenen Seminare, auf welche die angefochtene Bescheinigung sich bezieht, dienen nicht der Vorbereitung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung, sondern der - berufsbegleitenden - beruflichen Fortbildung. Sie richten sich an Teilnehmer, die bereits den Beruf des Rechtsanwalts ausüben. Dies gilt in gleicher Weise für die angebotenen Fachanwalts-Lehrgänge wie für die übrigen Seminar- und Fortbildungsangebote. Die Fachanwalts-Lehrgänge bereiten auch nicht auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vor, da die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung keine vor der Rechtsanwaltskammer abzulegende Prüfung voraussetzt. Nach § 43 c Abs. 2 BRAO entscheidet über den Antrag eines Rechtsanwalts auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, nachdem ein Ausschuss der Kammer die von dem Rechtsanwalt vorzulegenden Nachweise über den Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen geprüft hat. Dabei ist die Bewertung der im Fachlehrgang angefertigten Klausuren einer fachlichen Überprüfung durch die Rechtsanwaltskammer entzogen. Die Kompetenz des Fachausschusses der Rechtsanwaltskammer beschränkt sich auf die Prüfung, ob die vom Antragsteller vorgelegten Zeugnisse den Anforderungen des § 6 Abs. 2 FAO an eine erfolgreiche Lehrgangsteilnahme genügen. Ist dies nicht der Fall, so scheidet ein Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse nach § 6 Abs. 2 FAO aus. Der Fachausschuss ist weder berechtigt noch verpflichtet, einen nach § 6 Abs. 2 FAO unzureichenden Nachweis etwa dadurch zu "vervollständigen", dass er eine im Fachlehrgang nicht bestandene Klausur selbst nochmals fachlich beurteilt und entgegen dem Lehrgangsveranstalter als "bestanden" bewertet (BGH - Senat für Anwaltssachen -, Beschl. v. 21.07.2008 - AnwZ (B) 62/07 -, NJW 2008, 3496 m.w.N.).

Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG dahingehend, dass der Begriff der Vorbereitung auf einen Beruf auch die berufliche Fortbildung umfasst, kommt nicht in Betracht, weil er mit dem Wortlaut der Norm nicht zu vereinbaren ist und zudem dem im Gesetzgebungsverfahren für ein - letztendlich nicht zustande gekommenes - Jahressteuergesetz 2013 geäußerten Willen des Gesetzgebers widerspricht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Umsatzsteuerbefreiung für die von ihr angebotenen Seminare und Fortbildungen unionsrechtlich allerdings zwingend geboten. Nach Art. 132 Abs. 1 lit. i) der RL 2006/112/EG - MWSt-RL - befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer: Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung. Art. 44 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 bestimmt hierzu ergänzend, dass die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 lit. i) der RL 2006/112/EG erbracht werden, Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme umfassen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich.

Die von der Klägerin angebotenen Fortbildungsmaßnahmen unterfallen auch nicht der Vorschrift des Art. 134 der RL 2006/112/EG, die unter den dort genannten Voraussetzungen bestimmte Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 lit. i der Richtlinie ausschließt. Die Einschränkung des Art. 134, wonach die zu befreienden Dienstleistungen zur Ausübung der Hauptleistung €unerlässlich€ und wettbewerbsneutral sein müssen, gilt nicht für Tätigkeiten, die den Kernbereich der Steuerbefreiung ausmachen; sie gilt also nicht für die Schulungsleistungen selbst. Ansonsten liefe die Befreiung in weiten Teilen leer (vgl. Kulmsee, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 124. Lfg., § 4 Nr. 21 UStG Rn. 14; BFH, Urt. v. 07.10.2010 - V R 12/10 - BFHE 231, 349 <juris Rn. 21> m.w.N.).

Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt, dass das nationale Gericht nicht nur die zur Umsetzung einer Richtlinie erlassenen Bestimmungen, sondern das gesamte nationale Recht unter Anwendung der von diesem anerkannten Auslegungsmethoden so auslegt, dass seine Anwendung nicht zu einem der Richtlinie widersprechenden Ergebnis führt (EuGH, Urt. v. 05.10.2004 € Rs. C-397/01 bis 403/01 [Pfeiffer u.a.] € Slg 2004, I-8835 Rn. 115; Urt. v. 28.07.2011 € Rs. C-69/10 [Diouf] € Slg. 2011, I-07151 Rn. 60 = NVwZ 2011, 1380). Die unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts kann unter Umständen auch zu Lasten des Bürgers erfolgen (EuGH, Urt. v. 08.10.1987 € Rs. 80/86 [Kolpinghuis] € Slg. 1987, 3969 Rn. 11 ff.). Eine Grenze unionsrechtskonformer Auslegung ist dabei das auch unionsrechtlich anerkannte contra-legem-Verbot (vgl. EuGH, Urt. v. 24.01.2012 € Rs. C-282/10 [Dominguez] € ECLI:EU:C:2012:33 Rn. 25 = NJW 2012, 509).

Danach sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG bis hin zur Wortlautgrenze so auszulegen, dass hinsichtlich aller Leistungen privater Einrichtungen, für die nach Art. 132 Abs. 1 lit. i) der RL 2006/112/EG ein Anspruch auf Befreiung von der Umsatzsteuer in Betracht kommt, eine Bescheinigung erteilt werden kann (BVerwG, Urt. v. 12.06.2013 - 9 C 4.12 - BVerwGE 147, 1 <juris Rn. 13>). In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall ging es um die Erteilung einer Bescheinigung für Leistungen zur Vorbereitung der Berufswahl. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der vorgenommenen unionsrechtskonformen Auslegung die Wortlautgrenze nicht überschritten gesehen, weil unter "Vorbereitung auf einen Beruf" im Sinn des § 4 Nr. 21 lit. a) bb) UStG nach dem Wortsinn auch die Vorbereitung "auf irgendeinen Beruf" oder "auf das Berufsleben" verstanden werden könne (a.a.O. Rn. 11). Wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Wortlaut des § 4 Nr. 21 lit. a) bb) UStG einer Anwendung des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen entgegensteht, die unionsrechtlich von der Umsatzsteuer zu befreien sind, hat es ausdrücklich offen gelassen (a.a.O. Rn. 13).

Vorliegend würde die Wortlautgrenze eindeutig überschritten, da es um Seminare geht, die sich an Personen richten, die bereits im Berufsleben stehen und die sich in dem von ihnen ausgeübten Beruf fortbilden wollen. Der Begriff der Vorbereitung auf einen Beruf kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er auch die berufliche Fortbildung umfasst (a.A. OVG Bln-Bbg, Urt. v. 05.04.2006 - OVG 9 B 3.05 - juris Rn. 22). Eine solche Auslegung contra legem ist auch unionsrechtlich nicht geboten.

Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für ein Jahressteuergesetz 2013 die Argumentation der gewerblichen Bildungsträger, sie würden durch die Umsatzsteuerfreiheit den Vorsteuerabzug verlieren, aufgegriffen und auf die geplante - unionsrechtlich gebotene - Neuregelung bei der Umsatzbesteuerung von Bildungsleistungen bewusst verzichtet hat (vgl. zur geplanten Neufassung BT-Drs. 17/10000 S. 21 f. <Art. 9 Nr. 3 lit. e> und zur Streichung aus dem Gesetzentwurf BT-Drs. 17/11220 S. 5, 12, 38).

Nach alldem ist die angefochtene Bescheinigung materiell rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen vor, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die entscheidungserhebliche Frage, ob Begriff der Vorbereitung auf einen Beruf in § 4 Nr. 21 lit. a) bb) UStG dahingehend ausgelegt werden kann, dass er auch die berufliche Fortbildung umfasst, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und bedarf im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung. Die am 14.03.2014 erfolgte Übertragung des Rechtstreits auf den Einzelrichter steht der Zulassung der Berufung durch diesen nicht entgegen (BVerwG, Urt. v. 29.07.2004 - 5 C 65.03 - BVerwGE 121, 292).






VG Stuttgart:
Urteil v. 12.04.2016
Az: 1 K 2297/15


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