Verwaltungsgericht Hamburg:
Beschluss vom 25. September 2009
Aktenzeichen: 10 W 1218/09

(VG Hamburg: Beschluss v. 25.09.2009, Az.: 10 W 1218/09)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt ... wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Klage, mit der die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Vorführung zur Musterung erreicht werden soll.

Das Kreiswehrersatzamt Hamburg forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 11.03.2008 auf, sich am 09.04.2008 um 10:30 Uhr zur Musterung sowie zur Eignungsuntersuchung und Eignungsfeststellung vorzustellen. Für den Fall, dass der Antragsteller den Termin aus einem wichtigen Grund nicht einhalten könne, solle er dies sofort telefonisch mitteilen. Für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens wurde auf die Möglichkeit der Vorführung durch die Polizei hingewiesen.

Der Antragsteller reagierte auf dieses Schreiben nicht und erschien am 09.04.2009 auch nicht zur Musterung.

Mit Schreiben vom 21.04.2008 forderte das Kreiswehrersatzamt den Antragsteller unter Bezugnahme auf sein vorhergehendes Schreiben erneut auf, sich zur Musterung vorzustellen und setzte hierfür einen Termin auf den 20.05.2008, 8 Uhr, fest. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 21.04.2008 Bezug genommen.

Der Antragsteller erschien auch zum zweiten Musterungstermin nicht.

Mit auf den 29.03.2008 datiertem, der Polizei am 12.08.2008 zugegangenem, Schreiben bat das Kreiswehrersatzamt im Wege der Amtshilfe, den Antragsteller an den Tagen Montag bis Donnerstag (01.09. € 04.09.2008) zwecks Durchführung der Musterung vorzuführen.

Der Antragsteller wurde daraufhin am 02.09.2008 gegen 6 Uhr von zwei Bediensteten der Polizei zur Vorführung abgeholt, zum Kreiswehrersatzamt gebracht und dort mit dem Ergebnis €nicht wehrdienstfähig€ gemustert.

Am 15.04.2009 hat der Antragsteller beantragt , ihm für eine noch zu erhebende Klage Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Zur Begründung trägt er vor, das Vorgehen am 02.09.2008 sei rechtswidrig gewesen. Er habe ein Feststellungsinteresse in Form eines erheblichen Rehabilitationsinteresses.

Er sei von den Beamten auf der Straße vor dem Streifenwagen durchsucht worden. Anschließend sei er zur Polizeirevierwache im W. verbracht worden. Dort sei ihm unter anderem sein Bargeld abgenommen worden, bevor er für circa eine Stunde in einer Zelle gewartet habe, bis er in einem zivilen Einsatzwagen zum Kreiswehrersatzamt gefahren worden sei. Im Büro des Kreiswehrersatzamts sei sein Reisepass ohne sein Einverständnis einbehalten worden. Daraufhin sei er gemustert worden, wobei unter anderem seine Größe und sein Gewicht gemessen worden seien. Schließlich habe man ihm mitgeteilt, dass er aufgrund seines €gewaltigen Übergewichts€ ausgemustert werde.

Das Verfahren sei schon deshalb rechtswidrig, weil sein €gewaltiges€ Übergewicht von vorneherein für alle Beteiligten erkennbar gewesen sei.

Außerdem sei er der Musterung nicht unentschuldigt ferngeblieben. Das Schreiben des Kreiswehrersatzamts vom 11.03.2008 sei ihm unter Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz (WPflG) nicht förmlich zugestellt, sondern mittels einfachen Briefs übersendet worden. Das Schreiben des Kreiswehrersatzamts vom 21.04.2008 sei per Einschreiben an ihn versandt worden. Damit fehle es bereits an einer formellen Voraussetzung des § 44 Abs. 2 WPflG, was ein unentschuldigtes Fernbleiben ausschließe.

Mit Schreiben vom 24.06.2009 machte der Antragsteller darüber hinaus erstmals geltend, dass er den Musterungsterminen am 09.04.2008 und 20.05.2008 auch deshalb nicht unentschuldigt ferngeblieben sei, weil er dem Kreiswehrersatzamt am Nachmittag des 19.05.2008 per Fax mitgeteilt habe, dass er letztgenannten Termin aus €wichtigen beruflichen Gründen€ nicht wahrnehmen könne. Darauf sei keine Reaktion erfolgt. Mit Schreiben vom 31.05.2008 habe er außerdem um Freistellung von der Musterung aufgrund der €Drei-Brüder-Regelung€ gebeten. Das Kreiswehrersatzamt sei verpflichtet gewesen, diesen Antrag vorrangig zu bescheiden, sei dem aber nicht nachgekommen.

Das Ersuchen des Kreiswehrersatzamts vom 29.03.2008, ihn vorzuführen, sei rechtswidrig, weil zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 WPflG nicht erfüllt gewesen seien. Damals sei lediglich das Schreiben vom 11.03.2008 auf den Weg gebracht, aber nicht gemäß § 44 Abs. 1 WPflG förmlich zugestellt worden.

Die Antragsgegnerin zu 1. macht demgegenüber geltend, die Anordnung der Vorführung zur Musterung sei auf Grundlage des § 44 Abs. 2 WPflG rechtmäßig. Der Antragsteller sei in den Ladungen zur Musterung über die Folgen seines unentschuldigten Fernbleibens belehrt worden. Das Ersuchen um polizeiliche Vorführung sei bei der Polizei erst am 12.08.2008 eingegangen, zu diesem Zeitpunkt seien das Vorführungsersuchen und dessen Vollzug nach § 44 Abs. 2 WPflG rechtmäßig gewesen. Da nach dem wehrmedizinischen Ergebnis der Musterung gemäß § 8 a WPflG die Wehrdienstunfähigkeit festgestellt worden sei, sei die Personalakte des Antragstellers nach Ablauf der Widerspruchsfrist gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gelöscht worden. Es falle auf, dass der Antragsteller seinen neuen Vortrag erst jetzt erhebe, obwohl er dies bereits im Rahmen der Widerspruchsfrist gegen den Ausmusterungsbescheid habe tun können, wodurch die gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 2 BDSG zwingend vorzunehmende Vernichtung seiner Personalakte hätte verhindert werden können.

Wegen des weiteren Vortrags wird auf den Schriftsatz vom 22.07.2009 Bezug genommen.

Das Kreiswehrersatzamt Hamburg teilte der Wehrbereichsverwaltung Nord mit Schreiben vom 24.04.2009 im Hinblick auf den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers unter anderem mit, dass aufgrund der nach § 20 Abs. 2 BDSG erfolgten Löschung dessen persönlicher Daten nicht mehr nachvollzogen werden könne, ob bzw. von welcher Mitarbeiterin der Personalausweis des Antragstellers für circa 1 bis 2 Stunden einbehalten worden sei. Die Herausgabe sei auf Bitten freiwillig erfolgt. Ausweislich der Betreffzeile dieses Schreibens erstattete der Antragsteller Anzeige gegen die Antragsgegnerin zu 1. wegen Unterschlagung seines Reisepasses.

Die Antragsgegnerin zu 2. macht geltend, die beabsichtigte Klage sei bereits mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig. Insbesondere sei kein schwerwiegender Eingriff in Grundrechtspositionen des Antragstellers erkennbar. Jedenfalls sei die beabsichtigte Klage unbegründet, da die Polizei rechtmäßig im Wege der Amtshilfe gehandelt habe. Sowohl die Musterung als auch die Amtshilfehandlung seien rechtmäßig.

Die Vorführung beruhe auf § 44 Abs. 2 S. 1 WPflG. Ihre Verpflichtung zur Amtshilfe folge aus § 19 Abs. 2 S. 1 WPflG. Dies sei unabhängig davon der Fall, ob der Antragsteller sein Fernbleiben bei dem zweiten Musterungstermin per Fax vom 19.05.2008 hinreichend entschuldigen konnte und ob das Kreiswehrersatzamt zunächst den Antrag auf Befreiung vom Wehrdienst hätte bescheiden müssen. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 des Bundes- (VwVfG) und des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HmbVwVfG) trage die ersuchende Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Hauptmaßnahme, um deretwegen um Amtshilfe ersucht werde. Ein Fall offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Hauptmaßnahme, welcher der ersuchten Behörde ausnahmsweise ein Weigerungsrecht vermitteln könne, habe nicht vorgelegen.

Die Musterung sei erforderlich gewesen. Die einschreitenden Polizeibeamten seien weder rechtlich noch tatsächlich befugt gewesen, über die Ausmusterung des Antragstellers aufgrund dessen möglichen Übergewichts zu entscheiden. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig gewesen. Aus Gründen der Eigensicherung sei der Antragsteller aufgefordert worden, den Inhalt seiner Taschen vorzuzeigen und gefragt worden, ob er gefährliche Gegenstände bei sich führe, bevor er in den Funkstreifenwagen gestiegen sei. Eine über bloßes Abtasten der Taschen hinausgehende Durchsuchung des Antragstellers habe nicht stattgefunden. Der Antragsteller habe den Inhalt seiner Taschen auf Bitten der Beamten freiwillig gezeigt. Der Antragsteller sei im Polizeikommissariat nicht, wie von ihm behauptetet, in einer Zelle eingesperrt, sondern im Sicheren Raum verwahrt worden. Dies stelle keine Ingewahrsamnahme, mit der stets eine Freiheitsentziehung einhergehe, dar. Eine Abholung zur Musterung erfolge regelmäßig so früh am Morgen, damit die Wehrpflichtigen vor Arbeits- oder Schulantritt angetroffen würden. Dadurch bedingt habe sich eine längere Wartezeit ergeben, bis der Antragsteller von zur Verfügung stehenden Kräften zum Kreiswehrersatzamt habe gefahren werden können.

Die Sachakten haben dem Gericht vorgelegen.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass das Abholen des Antragstellers am 2. September 2008 in dessen Wohnung zum Zweck der Vorführung beim Kreiswehrersatzamt, die Durchsuchung seiner Person, der Transport per Streifenwagen vom G.-C.-W. zur Polizeidienststelle im W. , die anschließende Verwahrung des Klägers in einer Zelle sowie der darauf folgende weitere Transport des Antragstellers im zivilen Einsatzwagen der Polizei zur Musterung rechtswidrig war, hat keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO liegen nicht vor, da die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An die Beurteilung der Erfolgsaussichten dürfen zwar keine überspannten Anforderungen gestellt werden, denn die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung seitens einer unbemittelten Partei unverhältnismäßig zu erschweren und die Gewährung von Prozesskostenhilfe von einem schon hoch wahrscheinlichen oder gar sicheren Erfolg abhängig machen (BVerfG, Beschl. v. 04.02.2004, 1 BvR 1715/02, Juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.01.2009, 3 So 183/08, unveröffentlicht). Prozesskostenhilfe darf aber verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerwG, Beschl. v. 05.01.1994, 1 A 14.92, Buchholz 130 § 166 VwGO Nr. 33 / Juris). Dies ist vorliegend der Fall.

Die vom Antragsteller beabsichtige Klage dürfte bereits unzulässig sein (hierzu unter 1.), jedenfalls aber wird sie in der Sache voraussichtlich keinen Erfolg haben (hierzu unter 2.).

1. Die beabsichtigte Klage dürfte bereits mangels Vorliegens eines berechtigten Feststellungsinteresses unzulässig sein.

Dabei kann offen bleiben, ob bzw. inwieweit die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO oder die Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft wäre bzw. inwieweit es sich bei den anzugreifenden Maßnahmen um Real- oder Verwaltungsakte handelte. Denn beide Klagearten setzten voraus, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der jeweiligen Feststellung hat.

Ein solches als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Entscheidend für sein Vorliegen ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Antragstellers in den genannten Bereichen zu verbessern (BVerwG, Beschl. v. 08.05.2001, 1 WB 15/01, Juris). Das Feststellungsinteresse wird bejaht bei Präjudizialität für einen Schadens- oder Entschädigungsanspruch, bei Vorliegen einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr und bei Bestehen eines Rehabilitationsinteresses bzw. tiefgreifenden Grundrechtseingriffs.

a. Nach diesen Maßstäben dürfte der gegen die Antragsgegnerin zu 1. zu erhebenden Klage das Feststellungsinteresse fehlen.

Ein Feststellungsinteresse aufgrund der Präjudizialität scheidet schon deshalb aus, weil die Erledigung bereits vor Klageerhebung eintrat und der Antragsteller ein Schadensersatzbegehren direkt vor einem ordentlichen Gericht geltend machen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.05.2001, a. a. O.). Angesichts der nunmehr erfolgten Musterung und bestandskräftig festgesetzten Wehrdienstunfähigkeit des Antragstellers scheidet auch die Annahme eines Feststellungsinteresses aufgrund einer konkreten Wiederholungsgefahr aus. Ein Rehabilitationsinteresse des Antragstellers im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin zu 1. getroffenen Maßnahmen ist ebenfalls nicht ersichtlich.

b. Auch in Bezug auf die durch die Polizei durchgeführte Vorführung dürfte ein Feststellungsinteresse des Antragstellers zu verneinen sein. Präjudizialität und Wiederholungsgefahr scheiden aus den bereits unter a. genannten Gründen aus. Auch ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt eines Rehabilitationsinteresses oder eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs dürfte zu verneinen sein. Es ist nicht ersichtlich, dass die Maßnahmen der Polizei diskriminierenden Charakter hatten.

Eine publikumswirksame Identitätsfeststellung fand nicht statt. Der Antragsteller wurde um 6 Uhr morgens abgeholt, um diese Uhrzeit ist in Hamburg Anfang September noch nicht einmal die Sonne aufgegangen, so dass nicht von €Zuschauern€ ausgegangen werden muss. Auch ein das Feststellungsinteresse begründender tiefgreifender Grundrechtseingriff dürfte zu verneinen sein. Denn ein Feststellungsinteresse ergibt sich nicht allein aus der Tatsache, dass in ein Grundrecht eingegriffen wird. Andernfalls müsste angesichts des umfassenden Schutzes der Rechtssphäre des Bürgers durch die Freiheitsgrundrechte das eingrenzende Kriterium des berechtigten Interesses praktisch leerlaufen, da jede belastende Maßnahme in diesem Sinne grundrechtsrelevant wäre. Denkbar ist allerdings, dass sich aus einer erledigten Maßnahme eine fortdauernde faktische Grundrechtsbeeinträchtigung ergibt, die ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit begründet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Auflage 2007, § 113 Rn. 146). Dies ist hier nicht ersichtlich. Der Vorfall lag im Zeitpunkt der Antragseinreichung bereits sieben Monate zurück. Dass eine mögliche Beeinträchtigung bis heute fortdauert, ist nicht erkennbar.

Der Aufenthalt im sogenannten Sicheren Raum bei der Polizei dauerte nach Angaben des Antragstellers nur ungefähr eine Stunde. Damit dürfte im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 1 S. 1 GG jedenfalls die €Erheblichkeit€ des Grundrechtseingriffs zu verneinen sein. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, inwieweit eine daraus resultierende Grundrechtsbeeinträchtigung nach sieben Monaten noch fortdauern sollte.

2. Die beabsichtigte Klage ist voraussichtlich nicht begründet.

Nach der hier angezeigten summarischen Prüfung waren die anzugreifenden Maßnahmen rechtmäßig und verletzten den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Sowohl die Anordnung der Vorführung durch das Kreiswehrersatzamt (hierzu unter a.), als auch die Durchführung der Vorführung durch die Polizei (hierzu unter b.) dürften sich als rechtmäßig erweisen.

a. Das Kreiswehrersatzamt ordnete die Vorführung zu Recht an.

Rechtsgrundlage der Anordnung der Vorführung ist § 44 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG). Hiernach kann die Vorführung bei Wehrpflichtigen angeordnet werden, die der Musterung unentschuldigt fernbleiben. Die Zulässigkeit der Anordnung ist nicht vom Nachweis schuldhaften Handelns abhängig. Es reicht aus, wenn der Wehrpflichtige nicht € oder nicht ausreichend € entschuldigt hat, warum er nicht zum angegebenen Termin erschienen ist (Steinlecher/Walz, Wehrpflichtgesetz, 6. Auflage, § 44 Rn. 34).

aa. Der Antragsteller ist Wehrpflichtiger im Sinne des § 44 Abs. 2 WPflG. Er unterliegt der allgemeinen Wehrpflicht, § 1 WPflG. Er hatte das 18. Lebensjahr vollendet, seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes.

Der Wehrpflicht stand nicht entgegen, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben per Einschreiben vom 31.05.2008 einen Antrag auf Befreiung vom Wehrdienst gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 2 WPflG gestellt haben will. Zum Einen hat das Gericht insoweit bereits in tatsächlicher Hinsicht Zweifel an der Wahrheit dieses Vortrags. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller sich weder nach Erhalt der ersten, noch der zweiten Ladung zur Musterung auf diesen Befreiungsgrund berufen und auch bei der Musterung und Untersuchung am 02.09.2008 nicht auf den angeblichen Befreiungsantrag hingewiesen hat. Der Antragsteller erwähnt den Antrag erstmals mit Schriftsatz vom 24.06.2009. Dem als Anlage K 3 zur Akte gereichten Schreiben des Klägers dürfte insoweit keinerlei Beweiswert zukommen. Hierbei handelt es sich um ein PC-Schreiben ohne Unterschrift, das jederzeit verfasst worden sein kann. Insbesondere ergibt sich aus diesem nichts hinsichtlich der Frage, ob € und zu welchem Zeitpunkt € es abgesendet wurde. Einen Nachweis über die Einlieferung des Schreibens legte der Antragsteller gerade nicht vor. Darüber hinaus kann auch der Zugang beim Kreiswehrersatzamt nicht aufgeklärt werden. Denn die Sachakte wurde entsprechend der aus § 20 Abs. 2 Nr. 2 BDSG folgenden Pflicht gelöscht, nachdem der Antragsteller die Widerspruchfrist hatte verstreichen lassen und die Daten nicht mehr benötigt wurden. Hierauf dürfte der Antragsteller im Musterungsbescheid auch hingewiesen worden sein.

Im Übrigen führte € den Vortrag des Antragstellers als wahr unterstellt € die bloße Stellung eines Befreiungsantrags ohne positive Bescheidung auch nicht zum Wegfall der Wehrpflicht. Der Antragsteller legte auch nicht dar, dass er bereits durch schriftlichen Bescheid von der Vorstellungspflicht befreit worden sei.

Eine Regelung wie in § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Musterungsverordnung in der Fassung vom 16.12.1983, auf die der Antragsteller möglicherweise anspielt, besteht seit Außerkraftsetzung dieser Rechtsverordnung zum 30.11.2001 nicht mehr. Danach waren Wehrpflichtige von der Pflicht, sich zur Musterung vorzustellen, zu befreien, wenn sie einen Antrag auf Befreiung nach § 11 Abs. 2 WPflG gestellt und den erforderlichen Nachweis erbracht hatten.

bb. Der Antragsteller blieb der Musterung auch unentschuldigt fern.

Er erschien unstreitig weder am 09.04.2008 noch am 20.05.2008 zur Musterung.

Der diesbezügliche Einwand des Antragstellers, seine Vorführung sei angesichts seines für alle Beteiligten erkennbaren €gewaltigen Übergewichts€ von vornherein rechtswidrig gewesen, geht fehl. Gemäß § 17 Abs. 4 WPflG sind Wehrpflichtige vor der Musterungsentscheidung auf ihre geistige und körperliche Tauglichkeit eingehend zu untersuchen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers waren die Ladungen vom 11.03.2008 und 21.04.2008 zu ihrer Wirksamkeit auch nicht gemäß § 44 Abs. 1 WPflG zuzustellen. Bei einer Bestellung zum Musterungstermin handelt es sich nicht, wie von § 44 Abs. 1 S. 1 WPflG vorausgesetzt, um einen €Bescheid, der in Ausführung dieses Gesetzes ergeht€. Die (formlose) Ladung ist kein Verwaltungsakt (BVerwG, Urt. v. 25.05.1984, 8 C 87/82, NVwZ 1984, 728 und Urt. v. 19.07.1989, 8 C 79/87, NVwZ 1990, 69 f.). Im Übrigen gingen die Ladungen dem Antragsteller unstreitig tatsächlich zu, so dass selbst im Falle der Erforderlichkeit einer förmlichen Zustellung ein Zustellungsmangel gemäß § 8 VwZG geheilt worden wäre.

Der Antragsteller blieb den Musterungsterminen trotz der von ihm behaupteten €Entschuldigung€ per Fax vom 19.05.2008 auch €unentschuldigt€ fern.

Hinsichtlich des Musterungstermins am 09.04.2008 bedarf dies keiner weiteren Ausführungen.

Auch dem Musterungstermin am 20.05.2008 ist der Antragsteller unentschuldigt ferngeblieben. Selbst wenn dem Kreiswehrersatzamt die Faxsendung am Nachmittag des 19.05.2008 zugegangen sein sollte € was aufgrund der vernichteten Daten nicht mehr aufklärbar sein dürfte, da auch die vom Antragsgegner zur Akte gereichte Sendebestätigung keine Aussage über den Inhalt der gefaxten Nachricht trifft € genügte diese jedenfalls nicht den an eine hinreichende Entschuldigung des Antragstellers, geschweige denn den an deren Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen.

Denn der schlichte Hinweis, den Musterungstermin aus €wichtigen beruflichen Gründen leider nicht wahrnehmen€ zu können, gibt keinerlei Aufschluss darüber, ob der Antragsteller tatsächlich aus wichtigem Grund verhindert war. Weder gab der Antragsteller an, dass er einen bestimmten beruflichen Termin wahrzunehmen habe, noch erklärte er, wo er sich aus beruflichen Gründen stattdessen € und in welchem Zeitraum € aufzuhalten habe. Es fehlt auch eine nachvollziehbare Begründung, weshalb die Verhinderung erst am Nachmittag vor der Musterung mitgeteilt werden konnte. Da das Kreiswehrersatzamt nach Angaben des Antragstellers auf die Faxnachricht nicht reagierte, wäre es im Übrigen ein Leichtes gewesen, es unter der € auf beiden Ladungen angegebenen € Telefonnummer über seine angebliche Verhinderung zu informieren. Die telefonische Sprechzeit dauerte am 19.05.2008, einem Montag, von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr. Das Kreiswehrersatzamt hatte den Antragsteller auch in beiden Ladungen aufgefordert, sofort anzurufen, falls er den Termin aus wichtigem Grunde nicht wahrnehmen könne.

cc. Weitere, ungeschriebene, Voraussetzung der Anordnung der Vorführung ist, dass der Wehrpflichtige über die Folgen seines unentschuldigten Fernbleibens ausreichend belehrt worden ist (Steinlecher/Walz, a. a. O. § 44 Rn. 35). Auch dies war hier der Fall. Das Kreiswehrersatzamt wies in beiden Ladungen darauf hin, dass im Fall des unentschuldigten Fernbleibens die Vorführung durch die Polizei angeordnet werden könne.

dd. Lagen nach alledem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 S. 1 WPflG vor, konnte das Kreiswehrersatzamt die Vorführung des Antragstellers anordnen. Ermessensfehler sind insoweit weder ersichtlich noch vom Antragsteller geltend gemacht.

Gemäß § 44 Abs. 2 S. 2 WPflG war die Polizei um Durchführung zu ersuchen. Der diesbezügliche Einwand des Antragstellers, das Kreiswehrersatzamt habe die Polizei am 29.03.2008 noch nicht um die Durchführung der Vorführung ersuchen dürfen, geht fehl, da es dies ausweislich der Sachakte nicht tat. Laut Eingangstempel ging das Ersuchen bei der Polizei erst am 12.08.2008 ein.

b. Auch die Durchführung der Vorführung durch die Polizei dürfte rechtmäßig gewesen sein. Gemäß § 7 VwVfG richtet sich die Durchführung der Amtshilfe nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht.

Die in § 44 Abs. 2 S. 2 WPflG geregelte polizeiliche Vorführung stellt eine besondere Form des unmittelbaren Zwangs dar, die keiner vorherigen Androhung bedarf (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.07.1989, a. a. O.).

Mit der Annahme des Ersuchens zur Vorführung war die Polizei ermächtigt, alle geeigneten Maßnahmen vorzunehmen, die erforderlich waren, um den Zweck der Vorführung € die Musterung des Antragstellers durch das Kreiswehrersatzamt € zu erreichen, und die zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis standen, vgl. § 4 HmbSOG, § 15 Abs. 1 HmbVwVG.

Die Vorgehensweise der Polizei dürfte hiernach nicht zu beanstanden sein.

aa. Der Rechtmäßigkeit des Vorgehens steht nicht entgegen, dass dem Antragsteller der etwa einstündige Aufenthalt auf dem Polizeirevier erspart worden wäre, wenn die Polizei ihn eine Stunde später zu Hause abgeholt hätte. Die Chance, einen Vorzuführenden zu Hause anzutreffen, ist naturgemäß umso größer, je früher dieser aufgesucht wird. Die Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens wurde durch die Angabe des Antragstellers selbst bestätigt, wonach er sich im Zeitpunkt des Eintreffens der Beamten gerade auf den Weg zur Arbeit machen wollte. Die Polizei suchte den Antragsteller auch nicht unverhältnismäßig früh € etwa zur Nachtzeit € auf.

bb. Nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Polizeibeamten den Antragsteller vor dem Besteigen des Funkstreifenwagens abtasteten und aufforderten, den Inhalt seiner Taschen vorzuzeigen.

Gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 HmbSOG darf eine Person durchsucht werden, wenn sie nach einer anderen Rechtsvorschrift vorgeführt oder zur Durchführung einer Maßnahme an einen anderen Ort gebracht werden soll. Diese Maßnahme war auch nicht unverhältnismäßig. Es bestand ein berechtigtes Interesse daran, sicherzustellen, dass der Antragsteller keine gefährlichen Gegenstände bei sich trug, die den reibungs- und komplikationslosen Ablauf der Vorführung gefährdet hätten.

cc. Auch die übergangsweise Verwahrung des Antragstellers auf dem Polizeirevier dürfte rechtmäßig gewesen sein. Dient das Festhalten der Durchsetzung einer anderen polizeilichen Maßnahme, nämlich der Platz- oder Wohnungsverweisung, der Identitätsfeststellung oder der Vorladung, sind deren Schutzgüter und Gefahranforderungen zugleich die Schutzgüter und Gefahranforderungen des Gewahrsams (vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2005, § 17 Rn. 18, 19). Die Polizei durfte dem Antragsteller demnach solche Beschränkungen auferlegen, die zur Durchsetzung der Vorführung zur Musterung erforderlich waren.

Eine Vorführung geht zwangsläufig mit Freiheitsbeeinträchtigungen einher. Ebenso, wie der Antragsteller im Transportfahrzeug auf der Fahrt zum Kreiswehrersatzamt €festgehalten€ bzw. gehindert werden durfte, sich aus diesem zu entfernen, war auch die übergangsweise Verbringung des Antragstellers auf das Polizeirevier gerechtfertigt. Es kann für die Rechtmäßigkeit der Durchführung der Vorführung zur Musterung nicht verlangt werden, dass der Vorzuführende bei Wartezeiten nur in einem Dienstwagen oder einem Raum des Kreiswehrersatzamts zu warten hätte. Es stellt keinen schwereren Eingriff in die Rechte des Antragstellers dar, ihn stattdessen für eine Stunde auf das Revier zu verbringen und ihn dort in einem Raum unter Aufsicht warten zu lassen. Die zeitweise Verwahrung des Antragstellers auf dem Revier war im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme nicht unverhältnismäßig. Da der Antragsteller um 6 Uhr morgens noch nicht gemustert werden konnte € eine spätere Abholung den Erfolg der Vorführung aber vereitelt hätte €, war die Entstehung einer zu überbrückenden Zeitspanne unausweichlich.

dd. Die Maßnahme war auch im Übrigen rechtmäßig und verhältnismäßig. Insbesondere wurde dem Antragsteller sein Mobiltelefon belassen, so dass er die erforderlichen Telefonate vom Revier aus führen konnte (vgl. auch § 13 b Abs. 2 S. 1 HmbSOG). Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde der anschließende Transport des Antragstellers im zivilen Einsatzwagen der Polizei zum Kreiswehrersatzamt Hamburg rechtswidrig gewesen sein sollte.

III.

Eine Kostenentscheidung ist im Prozesskostenhilfeverfahren nicht veranlasst.






VG Hamburg:
Beschluss v. 25.09.2009
Az: 10 W 1218/09


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