Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 31. Juli 2012
Aktenzeichen: I-4 U 21/10

(OLG Hamm: Urteil v. 31.07.2012, Az.: I-4 U 21/10)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. Oktober 2009 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollstrecken an dem Beklagten zu 2. als dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1., zu unterlassen, bei geschäftlichen Handlungen im Bereich des Glücksspielwesens Personen unter 18 Jahren (Minderjährigen) die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen und/oder durch die Betreiber von Lotterieannahmestellen ermöglichen zu lassen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 1/6 und die Beklagten 5/6.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufung und der Revision.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000 Euro abzuwenden, falls nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe

A.

Der am 4.12.2008 in das Vereinsregister des Amtsgerichts Köln als Verein eingetragene Kläger verfolgt als Vereinszweck unter anderem die Ahndung von Rechtsverstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Er nimmt die Beklagten auf Unterlassung wegen eines behaupteten Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 des Glücksspielstaatsvertrages vom 1.1.2008 (GlüStV) in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG in Anspruch.

Der Kläger hat behauptet, er habe am 3.4.2009 von der damals 17jährigen Schülerin N2 in der Lotto-Annahmestelle S2, Q-Straße in C und in der Lotto-Annahmestelle D, P-Straße in der C Altstadt zwei Testkäufe durchführen lassen. Die Testkäuferin habe ohne Alterskontrolle je ein Rubbellos käuflich erwerben können. Der Kläger hat gemeint, die Beklagten hätten ihre Prüfpflichten und damit wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten gegenüber den selbständigen Lotto-Annahmestellen verletzt.

Der Kläger hat folgende Anträge gestellt:

I.

Die Beklagten werden verurteilt, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft zu vollstrecken ist an dem Beklagten zu 2 als dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1, zu unterlassen, bei geschäftlichen Handlungen im Bereich des Glücksspielwesens

Personen unter 18 Jahren (Minderjährigen) die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen und/oder durch Dritte zu begehen.

I. a)

Hilfsweise wird den Beklagten unter Androhung eines Zwangsgeldes bis zu 250.000,-- € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft, zu vollstrecken an dem Beklagten zu 2 als dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1, oder von Zwangshaft aufgegeben, geeignete Maßnahmen im Glücksspielwesen zu ergreifen, um das Verbot der Teilnahme von Personen unter 18 Jahren (Minderjährigen) an öffentlichen Glücksspielen sicherzustellen und durchzusetzen.

II.

Im Wege der Stufenklage wird weiter beantragt, die Beklagte zu 1 zu verurteilen,

1.

dem Kläger durch Vorlage einer geordneten Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben Auskunft darüber zu erteilen, welcher Gewinn aufgrund von Handlungen gemäß Ziffer I erzielt worden ist, durch Bekanntgabe des erreichten Umsatzes abzüglich eventueller Herstellungs- und Betriebskosten.

2.

erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben nach dem Antrag zu II. 1. an Eides statt zu versichern,

3.

an das Bundesverwaltungsamt, Barbarastraße 1, 50735 Köln, den Betrag, der sich aus der gem. Antrag zu Ziffer II. 1 erteilten Auskunft ergibt, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben den Verkauf an die Testperson mit Nichtwissen bestritten und gemeint, das Bestreiten mit Nichtwissen sei ausnahmsweise zulässig, weil die Beklagten und ihre Organe an dem Vorfall nicht beteiligt waren, zudem in den zahlreichen Annahmestellen wöchentlich zwischen 4 und 5 Mio. Kundenkontakte, also weit über 1.000 Kaufsituationen pro Annahmestelle stattfänden, so dass eine Kenntnis und Aufklärung nachvollziehbarerweise weder vorliege noch möglich sei. Die vom Kläger postulierte Dokumentationspflicht sei überzogen. Nicht jeder Verkaufsvorgang müsse und könne nach Zeit, Ort und Durchführung einer Altersverifikation festgehalten werden. Insbesondere gebe es auch keine Garantiehaftung im Sinne völliger Fehlerfreiheit bei der Durchführung von Maßnahmen, um den gesetzlichen Anforderungen an den Jugendschutz nachzukommen. Dadurch, dass sich der erwachsene Begleiter der Testperson im vorgetragenen Verletzungsfall nach dem Testkauf nicht gemeldet habe, habe der Kläger jede Nachforschungsmöglichkeit und damit den Beweis durch die Beklagten vereitelt. Schließlich verneinen die Beklagten eine Haftung des Beklagten zu 2. Eine solche komme nur in Betracht, wenn dieser als Geschäftsführer die begangenen Wettbewerbsverstöße kannte oder hätte kennen müssen. Das sei in Fällen der vorliegenden Art nicht der Fall.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und dies damit begründet, dass der Kläger gegen das Verbot des Rechtsmissbrauches nach § 8 Abs. 4 UWG verstoßen habe, weil er es planmäßig unterlasse, gegen eigene Mitglieder vorzugehen, er also nicht handele, um einen unverfälschten Wettbewerb durchzusetzen.

Der Kläger hat die Abweisung der Stufenklage (Antrag zu II. 1. bis 3.) hingenommen.

Der Senat hat seine gegen die Abweisung der Klage im Übrigen gerichtete Berufung mit Urteil vom 13.7.2010 zurückgewiesen und das Vorgehen des Klägers für missbräuchlich gehalten, weil das selektive und gezielte Vorgehen nur gegen einen einzelnen Wettbewerber funktionswidrig sei. Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des Senats insoweit durch den Bundesgerichtshof aufgehoben und der Rechtsstreit zur Entscheidung über die Begründetheit des Unterlassungsanspruchs und die Kosten der Revision zurückverwiesen worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß.

die Beklagten zu verurteilen, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft zu vollstrecken ist an dem Beklagten zu 2 als dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1, zu unterlassen, bei geschäftlichen Handlungen im Bereich des Glücksspielwesens

Personen unter 18 Jahren (Minderjährigen) die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen und/oder durch die Betreiber von Lottoannahmestellen ermöglichen zu lassen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 29.10.2009 (Az. 22 O 111/09) zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Wegen des Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

Die Klage ist zulässig. Der Unterlassungsanspruch ist gegen beide Beklagte begründet.

I.

1. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der Kläger klagebefugt ist, insbesondere die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vom Kläger erfüllt werden, weil er zuletzt nachgewiesen habe, über ausreichende liquide Mittel zur Verfolgung seiner Vereinszwecke zu verfügen. Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG liegt nach Ansicht des BGH jedenfalls bei Marktstrukturen wie der vorliegenden weder darin, dass der Kläger gezielt nur die Beklagten in Anspruch nehme, noch darin, dass er das Vorgehen gegen die staatlichen Lotteriegesellschaften mittelbar zum Vereinszweck erhebt.

2. Der Bundesgerichtshof hat zudem klargestellt, dass auch der Hauptantrag des Klägers ausreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist.

3. Der Rechtsweg zu den Zivilgerichten steht dem Kläger offen, da es vorliegend um die Beurteilung eines Werbe- und Vertriebsverbots als Marktverhalten geht, dem alle Glücksspielanbieter unterliegen. Daher ist ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG zu beurteilen, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben.

II.

Der Unterlassungsanspruch nach dem Hauptantrag ist auch nach §§ 8 Abs. 1 mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG und § 4 Abs. 3 S. 3 GlüStV sowie § 11 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 1.1.2008 (Glücksspielstaatsvertrag Ausführungsgesetz NRW, GV. NRW S. 445) begründet.

1. Nach den genannten Vorschriften haben konzessionierte Glücksspielveranstalter und Vermittler sicherzustellen, dass Minderjährige von der Teilnahme am Glücksspiel ausgeschlossen bleiben. § 4 Abs. 3 GlüStV und die darauf basierenden nordrheinwestfälischen Ausführungsvorschriften sind Marktverhaltensvorschriften im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG, weil sie jedenfalls dem Schutz von Minderjährigen als potentiellen Kunden ungesetzlicher Angebote dienen und die Glücksspielverbote auch im Übrigen als Marktverhaltensgebote zum Schutz auch und gerade der Verbraucher anzusehen sind (BGH GRUR 2002, 269 - Sportwetten-Genehmigung, GRUR 2002, 636, 637 - Sportwetten; GRUR 2004, 693, 695 - Schöner Wetten; Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl. 2012, § 4 Rn. 11.178).

2. § 4 Abs. 3 S. 2 GlüStV und § 11 Abs. 1 S. 2 des Ausführungsgesetzes NRW verbieten die Teilnahme von Minderjährigen an Glücksspielen. Da Rubbellose Glücksspiele darstellen, ist der Verkauf solcher Lose an Minderjährige unzulässig.

3. Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass es in zwei Fällen zu Losverkäufen an eine minderjährige Testkäuferin in zwei C Annahmestellen der Beklagten zu 1 gekommen ist. Soweit die Beklagten sich diesbezüglich auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückgezogen haben, ist dies unbeachtlich, denn für Informationen, die aus der Sphäre der Beklagten stammen, sind sie selbst darlegungspflichtig. Die Beklagten sind jedenfalls verpflichtet, sich diejenigen Informationen zu beschaffen, die für die Ausräumung des Verstoßes sprechen (BGH GRUR 2002, 190, 191 - DIE PROFIS). Dafür spricht zusätzlich, dass § 4 Abs. 3 Satz 3 GlüStV mit § 11 Abs. 1 Satz 1 AusfG NW den Beklagten die Last auferlegt, die Teilnahme Minderjähriger an Glücksspielen auszuschließen. Zumindest hätte daher die Pflicht bestanden, diejenigen Maßnahmen zu nennen, aufgrund derer der Verletzungsvorwurf nicht zutreffen konnte, oder darzulegen, welche Informationen eingeholt wurden, um künftig Maßnahmen gegen Verstöße treffen zu können. Angesichts der detaillierten Tatsachen, welche der Kläger unter Vorlage von Fotomaterial vorgelegt hat, genügt einerseits das einfache Bestreiten nicht, andererseits haben die Beklagten nicht darlegen können, dass sie Informationen über den möglichen Verstoß eingeholt haben. Jedenfalls bei Verletzung dieser Informationsbeschaffungspflicht ist auch ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO bei Massenvorfällen nicht zulässig. Einer Anhörung der vorsorglich geladenen Zeugin N2 bedurfte es daher im Ergebnis nicht mehr.

4. Für die Erfüllung der Pflichten aus dem GlüStV hat als Täter auch der Geschäftsführer der Beklagten zu 1, der Beklagte zu 2., einzustehen, da er Kenntnis von den Verstößen hatte und gleichwohl keine gefahrenvermeidenden Handlungen ergriffen hat (im Gegenschluss aus BGH GRUR 2007, 890 Tz. 21 - ebay; GRUR 1986, 248, 250 - Sporthosen). Nichts anderes folgt im Ergebnis aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 17.8.2011 - I ZR 223/10, Rn 32, wonach der Geschäftsführer für das wettbewerbswidrige Verhalten seiner Körperschaft haftet, wenn er die Rechtsverletzung entweder selbst veranlasst oder aber gekannt und pflichtwidrig nicht verhindert hat. Dort ging es um die Frage, ob die Kenntnis von Rechtsverstößen einer anderen Gesellschaft (Westdeutsche Lotterie) auch der dortigen Beklagten (Lotto Rheinland-Pfalz GmbH) zumutbar war. Der BGH hat diese Kenntnis für möglich gehalten, wenn Urteile über gleichartige Verstöße gegen die Beklagten vorliegen. Das aber war hier in der hier zu beurteilenden Konstellation der Fall. Zum Zeitpunkt des behaupteten Verstoßes am 3.4.2009 lagen bereits die Urteile des LG Köln vom 20.12.2007 - 84 O 129/06 und des LG Wuppertal vom 16.10.2008 - 13 O 26/08 vor, in denen es jeweils um den Verkauf von Lottoscheinen an Minderjährige ging, so dass dem Beklagten zu 2 bekannt sein musste, dass es zu Verstößen auch der hier gerügten Art wegen unterlassener Altersverifikation bereits gekommen ist.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91,92, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.






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