Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2007
Aktenzeichen: 32 W (pat) 3/06

(BPatG: Beschluss v. 11.07.2007, Az.: 32 W (pat) 3/06)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 26. Oktober 2005 aufgehoben, soweit darin der Widerspruch aus der Marke 903 486 für die von der angegriffenen Marke 399 21 077 umfassten Waren "Spiele, Spielzeug" zurückgewiesen worden ist.

In dem genannten Umfang wird die Löschung der Marke 399 21 077 angeordnet.

Gründe

I.

Die am 13. April 1999 angemeldete Wortmarke BIG AIR ist für zahlreiche Waren und Dienstleistungen unterschiedlicher Klassen, u. a. für

"18: Taschen, insbesondere Sporttaschen, Reisetaschen, Reisekoffer, Rucksäcke, Umhängetaschen;

25: Schuhwaren, insbesondere Skischuhe, soweit in Klasse 25 enthalten, Kopfbedeckungen;

28: Spiele, Spielzeug; Turn- und Sportgeräte, insbesondere Ski, soweit in Klasse 28 enthalten"

am 19. Februar 2004 in das Markenregister des Deutschen Patent- und Markenamts unter der Nr. 399 21 077 eingetragen worden.

Widerspruch erhoben, beschränkt auf die vorgenannten Waren der jüngeren Marke, ist aus der seit dem 20. März 1973 aufgrund Verkehrsdurchsetzung für

"28: Plastikspielwaren"

registrierten deutschen Marke 903 486 BIG Zusammen mit der Begründung des Widerspruchs hat die Widersprechende Unterlagen zur Benutzung der Marke sowie Angaben zu sonstigen, zu ihren Gunsten registrierten Marken mit dem Bestandteil "BIG" vorgelegt.

Seitens der Markenstelle für Klasse 41 ist der Widerspruch mit Beschluss einer Beamtin des höheren Dienstes vom 26. Oktober 2005 wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen worden. Auch soweit sich teilweise identische Erzeugnisse gegenüberstünden, bestehe mangels Markenähnlichkeit weder in unmittelbarer noch in sonstiger Hinsicht Verwechslungsgefahr, weil "BIG AIR" einen einheitlichen Gesamtbegriff verkörpere. Zwar sei das Wort "BIG" generell als Stammbestandteil einer Zeichenserie geeignet; die angegriffene Marke füge sich aber von der Wortbildung her nicht in eine solche der Widersprechenden ein, da sie, anders als deren sonstige Marken, nicht aus der Kombination von "BIG" mit einem Namen oder einer glatt beschreibenden Angabe bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie zunächst die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Markenstelle unter entsprechender Löschung der jüngeren Marke in dem genannten Umfang erstrebt hat. Unter Hinweis auf beigefügte Unterlagen (Auszug aus einem Produktkatalog; vergleichende Aufstellung zur Bekanntheit von Marken, u. a. der Widerspruchsmarke; Urteile der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Nürnberg in Verletzungsverfahren) vertritt sie die Ansicht, die Vergleichsmarken unterlägen sowohl unmittelbar wie mittelbar einer Verwechslungsgefahr, zumal der Bestandteil "AIR" beschreibende Anklänge aufweise.

Nachdem der Senat in der Ladung zur mündlichen Verhandlung seine - vorläufige - Rechtsauffassung zu erkennen gegeben hat, ist der Widerspruch lediglich für die Waren

"Spiele, Spielzeug"

aufrechterhalten, bezüglich der sonstigen angegriffenen Waren aber zurückgenommen worden.

An der mündlichen Verhandlung haben beide Beteiligten - die Widersprechende gemäß vorheriger Ankündigung - nicht teilgenommen. Der Markeninhaber hat sich auch sonst, ebenso wie bereits im patentamtlichen Verfahren, nicht zur Sache geäußert.

Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Von vornherein nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens war die Marke 399 21 077 - weil insoweit mit dem Widerspruch nicht angegriffen - hinsichtlich der Waren in den Klassen 9, 14, 16, 32, 33, der Waren "Bekleidungsstücke, insbesondere Sportbekleidung" in Klasse 25 sowie der Dienstleistungen in Klasse 41.

Nach teilweiser Rücknahme des Widerspruchs in der Beschwerdeinstanz steht die jüngere Marke nunmehr auch für die Waren in Klasse 18, die "Schuhwaren, insbesondere Skischuhe, soweit in Klasse 25 enthalten, Kopfbedeckungen" sowie die Waren "Turn- und Sportgeräte, insbesondere Ski, soweit in Klasse 28 enthalten" außer Streit. Insoweit hat das Beschwerdeverfahren seine Erledigung gefunden.

Bezüglich der weiterhin mit dem Widerspruch angegriffenen Waren in Klasse 28 "Spiele, Spielzeug" ist die Beschwerde begründet, weil die sich gegenüberstehenden Marken insoweit der Gefahr einer Verwechslung im Verkehr gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG unterliegen.

Nach diesen Bestimmungen ist die Eintragung einer Marke im Falle eines Widerspruchs zu löschen, wenn und soweit für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, einschließlich der Gefahr, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen, wobei eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren besteht, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Identität bzw. Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren (und Dienstleistungen), der Kennzeichnungskraft der älteren Marke sowie der Art des beteiligten Verkehrs und dessen zu erwartende Aufmerksamkeit gegenüber Warenkennzeichnungen (st. Rspr.; vgl. z. B. EuGH GRUR Int. 1999, 734 - Lloyd/Loints; 2000, 899 - Marca/Adidas; BGH GRUR 2005, 513 - Ella May/MEY).

Die für die Widerspruchsmarke geschützten "Plastikspielwaren" fallen unter den Oberbegriff "Spielzeug", so dass insoweit Warenidentität besteht. "Spiele" sind mit "Spielwaren", somit auch solchen aus Plastik, vor allem vom Verwendungszweck her, aber auch in Anbetracht der Vertriebswege, ohne weiteres ähnlich (vgl. Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 13. Aufl., S. 285, 286).

Zwar ist das Wort "BIG" (englisch = groß) von Hause aus für Spielwaren kennzeichnungsschwach, aber als durchgesetztes und in erheblichem Maße benutztes Zeichen hat es einen zumindest durchschnittlichen Schutzumfang erworben.

Wegen des nur in der jüngeren Marke enthaltenen weiteren Wortbestandteils "AIR", der bei der Aufnahme und Wiedergabe der Marke nicht zu überhören oder zu überlesen ist, unterliegen die Vergleichsmarken zwar keiner unmittelbaren Verwechslungsgefahr, jedoch besteht in Anbetracht der Identität des ersten Wortelements "BIG" der angegriffenen Marke mit der Widerspruchsmarke die Gefahr, dass beide Marken - bei einer Verwendung für identische und ähnliche Waren - gedanklich miteinander in Verbindung gebracht und unter diesem Gesichtspunkt (mittelbar) verwechselt werden. Bei dieser Art der Verwechslungsgefahr erkennt der Verkehr zwar, dass es sich um zwei unterschiedliche Marken handelt, ordnet diese aber aufgrund von Gemeinsamkeiten, etwa der Übereinstimmung in kennzeichnungskräftigen Teilelementen, irrtümlich ein und demselben Herkunftsbetrieb zu oder schließt auf sonstige Verbindungen zwischen den Herstellern und Anbietern, vor allem im Sinne einer gemeinsamen Produktverantwortung (vgl. z. B. EuGH GRUR 1998, 387 - Sabèl/Puma; GRUR Int. 2000, 899 - Marca/Adidas; BGH GRUR 2006, 60 - Coccodrillo).

Im vorliegenden Fall kommt dem Bestandteil "BIG" innerhalb der jüngeren Marke die Eignung zu, nach Art eines Stammbestandteils einer Zeichenserie den Herkunftshinweis auf die Widersprechende zu vermitteln. Denn entgegen der Auffassung der Markenstelle verkörpert "BIG AIR" keinen im Bedeutungsgehalt feststehenden Gesamtbegriff. Vielmehr weist "AIR" bei Spielwaren einen warenbeschreibenden Anklang auf (z. B. auf Flugzeuge, Luftballons, Drachen o. ä.). Außerdem ist zu beachten, dass das Wort "BIG" als Herkunftshinweis für die Widersprechende im Verkehr durchgesetzt ist und sie auch über eine Zeichenserie mit diesem (Stamm-)Bestandteil verfügt (wobei allerdings nicht auf eingetragenen Marken der Widersprechenden mit jüngerem Zeitrang als die angegriffene Marke abgestellt werden darf). Schließlich wird der Hinweischarakter von "BIG" dadurch verstärkt, dass diese Bezeichnung in der Firma der Widersprechenden - in unternehmenskennzeichnender Weise - enthalten ist (vgl. BGH GRUR 2002, 542 - BIG).

Nach allem kann der angefochtene Beschluss der Markenstelle bezüglich der jetzt noch verfahrensgegenständlichen Waren "Spiele, Spielzeug" keinen Bestand haben. Für diese Erzeugnisse ist die jüngere Marke zu löschen.

Für eine Auferlegung von Verfahrenskosten (gem. § 71 Abs. 1 MarkenG) besteht kein Anlass.






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Beschluss v. 11.07.2007
Az: 32 W (pat) 3/06


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