Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Beschluss vom 6. Februar 2007
Aktenzeichen: 2 Ws 270/06

(Brandenburgisches OLG: Beschluss v. 06.02.2007, Az.: 2 Ws 270/06)

Tenor

Die weitere Beschwerde des Vertreters der Landeskasse vom 1. November 2006 gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Oktober 2006 wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

In dem erstinstanzlich bei dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) anhängigen Strafverfahren wurde dem Angeklagten das Einschleusen von Ausländern zur Last gelegt. Rechtsanwalt T€ K€ meldete sich mit Vollmacht vom 23. September 2005 als Verteidiger für den seinerzeit noch Beschuldigten, der in Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt (Oder) einsaß. In der Hauptverhandlung am 24. Januar 2006 wurde der Verteidiger antragsgemäß als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Angeklagte wurde verurteilt und ihm die Verfahrenskosten auferlegt.

Der Verteidiger mit Kanzleisitz in B€ hatte den Verurteilten in der Untersuchungshaft am 23. September 2005 sowie am 6. Oktober 2005, 8. November 2005, 25. November 2005, 15. Dezember 2005, 22. Dezember 2005 und am 10. Januar 2006 - insgesamt sieben mal - in der Justizvollzugsanstalt in Frankfurt (Oder) besucht, daneben an den genannten Tagen vier weitere, ebenfalls in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt (Oder) inhaftierte Mandanten.

Mit Antrag vom 28. Januar 2006 sowie ergänzend vom 5. April 2006 begehrte der Verteidiger die Festsetzung folgender Gebühren und Auslagen:

Grundgebühr mit Zuschlag VV Nr. 4101162,00 EuroVerfahrensgebühr mit Zuschlag VV Nr. 4105137,00 EuroVerfahrensgebühr Amtsgericht mit Zuschlag VV Nr. 4107137,00 EuroTerminsgebühr Amtsgericht mit Zuschlag VV Nr. 4109224,00 EuroEinziehungsgebühr Streitwert 50,00 Euro VV Nr. 414225,00 EuroFotokopien (263 Kopien) VV Nr. 700056,95 EuroEntgelte für Post- u. Telekommunikationsdienste VV Nr. 700220,00 EuroFahrkosten B€ - Frankfurt (Oder) - B€ 603 km VV Nr. 703180,90 EuroTage- u. Abwesenheitsgeld bei einer Geschäftsreise VV Nr. 700560,00 Euro7 Informationsfahrten in die Justizvollzugsanstalt Frankfurt (Oder) (7 x 60,00 Euro = 420,00 Euro) plus 7 Fahrtkosten B€ - Frankfurt (Oder) - B€ 603 x 7 = 4.221 km = 1.266,30 Euro: Zwischensumme 1.686,30 Euro hiervon 20 % =337,26 Euro16 % Mehrwertsteuer214,41 EuroKostenübersendungspauschale12,00 Euro Gesamtbetrag:1.566,52 Euro.Hinsichtlich der sieben geltend gemachten Informationsfahrten in die Justizvollzugsanstalt Frankfurt (Oder) (Tage- u. Abwesenheitsgeld bei einer Geschäftsreise VV Nr. 7005) = 7 x 60,00 Euro = 420,00 Euro; Fahrtkosten B€ - Frankfurt (Oder) - B€ (603 km x 7 = 4.221 km = 1.266,30 Euro) rechnete der Verteidiger anteilig lediglich 20 % wegen der weiteren Besuche der in der gleichen Justizvollzugsanstalt inhaftierten Mandanten ab.

Am 12. April 2006 setzte das Amtsgericht Frankfurt (Oder) die dem Verteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 1.287,08 Euro fest, dabei wurden nur die Kosten für zwei Informationsreisen anerkannt.

Am 29. Juni 2006 legte der Verteidiger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung ein. Zur Begründung führte er aus, dass sämtliche Informationsreisen zur Verteidigung erforderlich gewesen seien. Dem Geständnis in der Hauptverhandlung seien zahlreiche Gespräche mit dem Mandanten vorausgegangen. Es könne nicht pauschal bestimmt werden, wie viele Informationsreisen erstattungsfähig seien. Dies müsse dem Verteidiger überlassen bleiben, weil anderenfalls in die Grundrechte des Verteidigers als auch in die Rechte der Verteidigung unzulässig eingegriffen werde.

Mit Beschluss vom 8. August 2006 verwarf das Amtsgericht Frankfurt (Oder) die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss als unbegründet.

Auf die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht Frankfurt (Oder), nach Übertragung der Sache vom Einzelrichter auf die Kammer gemäß § 33 Abs. 8 RVG, unter Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) die Vergütung des Beschwerdeführers in beantragter Höhe festgesetzt. Gleichzeitig hat das Landgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die weitere Beschwerde zugelassen, die der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse am 1. November 2006 eingelegt hat.

II.

Die weitere Beschwerde ist gem. § 56 Abs. 2 i. v. m. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG statthaft, form- und fristgerecht. Auf einen bestimmten Wert des Beschwerdegegenstandes kommt es nicht an, weil das Landgericht die weitere Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Die weitere Beschwerde kann gem. § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Der Senat ist an die Zulassung € unabhängig davon, ob die Sache grundsätzliche Bedeutung hat oder nicht € gebunden (Gerold/Schmidt-Madert, § 33 RVG, Rn. 19).

Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Oktober 2006 lässt eine Rechtsverletzung nicht besorgen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Recht entweder gar nicht oder unrichtig angewandt worden wäre. Die unrichtige Anwendung kann beruhen auf einer Verkennung der Merkmale der richtigen Norm oder auf einer Einordnung der richtig erkannten Merkmale unter eine falsche Norm, d. h. unrichtiger Subsumtion (vgl. Gaier NJW 2004, S. 110).

Im Ergebnis hat das Landgericht die dem Verteidiger zustehenden Gebühren zutreffend festgesetzt.

Aus § 46 Abs. 1 RVG ergibt sich zunächst der Grundsatz, dass Auslagen nicht vergütet werden, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren. Aufgrund der negativen Fassung von § 46 Abs. 1 RVG, der diesbezüglich der Vorgängervorschrift in § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO entspricht, wird eine Beweislast für die Staatskasse begründet, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich gewesen seien (Bischof/Jungbauer - Matthias, 2. Auflage 2007 § 46 Rn. 4). Der Gesetzgeber hat mit seinem Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 12. Mai 2004 bewusst daran festgehalten, dass im Zweifel die Notwendigkeit der Auslagen anzuerkennen ist. Es ist deshalb nicht Aufgabe des Urkundsbeamten oder des auf die Erinnerung entscheidenden Gerichts, seine eigene Auffassung an die Stelle der des Rechtsanwalts zu setzen. Der Rechtsanwalt hat den Rechtsstreit geführt und nur er ist für die sachgemäße Wahrnehmung der Interessen der Partei verantwortlich (vgl. hierzu BT-Drucks. 15/1971, S. 200).

Dieser Grundsatz gilt aber nicht grenzenlos. Die Staatskasse ist nicht verpflichtet, die Kosten für unnötige und zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderliche Auslagen zu erstatten. Eine besondere Situation kann es daher mit Rücksicht auf das Kostenrisiko rechtfertigen, die Erstattung von Auslagen von der Darlegung konkreter Umstände abhängig zu machen (BVerfG NJW 2003, S. 1443). Die Prüfung, ob die Erforderlichkeit der Auslagen fehlte, ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

Die Notwendigkeit von Informationsreisen durch den Pflichtverteidiger gemäß § 46 Abs. 1 RVG ist grundsätzlich im Kostenfestsetzungsverfahren durch das Gericht überprüfbar. Eine Kostenerstattung kann dann ausscheiden, wenn die Prüfung ergibt, dass das die Auslagen verursachende Ereignis für die sachgemäße Wahrnehmung der Interessen des Mandanten nicht erforderlich war. Maßstab kann die Beantwortung der Frage sein, ob ein verständiger nicht mittelloser Beschuldigter oder Angeklagter die Auslagen in gleicher Situation auch veranlasst hätte. Dabei ist auf den Zeitpunkt des Entstehens der Auslagen abzustellen. Wenn sich Anhaltspunkte ergeben, die auf einen Missbrauch der grundsätzlich kostenschonenden Prozessführung des Pflichtverteidigers hindeuten, kann die grundsätzlich den Staat treffende Darlegungs- und Beweislast auf den Verteidiger verlagert werden. Die Erstattung von Auslagen ist dann von der Darlegung konkreter Umstände abhängig zu machen (BVerfG NJW 2003, S. 1443).

Solche Umstände liegen hier nicht vor, wenngleich bei insgesamt sieben abgerechneten Fahrten grundsätzlich Anhaltspunkte für eine nicht sachgemäße Behandlung der Sache bestehen könnten, weil zwar die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) erst am 24. November 2005 bei dem Amtsgericht eingegangen ist und das Hauptverfahren erst mit Beschluss vom 5. Januar 2006 eröffnet wurde, der Verteidiger aber den Verurteilten am 6. Oktober 2005, 8. November 2005, 25. November 2005, 15. Dezember 2005 und 20. Dezember 2005 besucht hat, als sich das Verfahren noch im Ermittlungsstadium bzw. im Zwischenverfahren befand.

Allein dieser Umstand genügt aber nicht, um die grundsätzlich anzuerkennende Notwendigkeit der Informationsfahrten im Sinne einer umgekehrten Beweislast im Sinne des § 46 Abs. 1 RVG zu widerlegen. Zu berücksichtigen ist vor allem, dass der Verteidiger an allen Besuchstagen nicht nur den Verurteilten, sondern jeweils vier weitere inhaftierte Mandanten besucht hatte und er diesem Umstand durch Abrechnung von je 20 % der Informationsfahrten Rechnung getragen hat. Erkennt man mit Blick auf die Umstände dieses Einzelfalls, insbesondere der Ausländereigenschaft des Beschuldigten und der damit verbundenen Verständigungsschwierigkeiten im Untersuchungshaftvollzug, im Gegensatz dazu jedenfalls zwei Informationsfahrten als notwendig an, so ergäbe sich bei einer Gegenüberstellung der hierdurch verursachten Kosten sogar eine Minimierung bei der durch den Verteidiger gewählten Variante einer 20 %igen Geltendmachung der Auslagen. Trotz des durchaus als durchschnittlich einzustufenden Schwierigkeitsgrades dieser Angelegenheit erscheint es deshalb in diesem Einzelfall (noch) nicht missbräuchlich, wenn der Verteidiger den Verurteilten auch nur "bei Gelegenheit" besucht und seiner Führsorgepflicht als Verteidiger nachkommt. Nach Aktenlage hat der Verteidiger durchaus auch über die Gespräche hinaus weitere Aktivitäten entfaltet. So hat er am 10. November 2005 beantragt, das Mobiltelefon des Verurteilten herauszugeben, wegen der darin gespeicherten Telefonnummern und Adressen der Familienangehörigen. Dem Landgericht ist daher beizupflichten, dass es hinzunehmen ist, wenn ein Verteidiger trotz durchschnittlich gelagertem Strafvorwurf seinen Mandanten häufiger besucht. Die Argumentation des Verteidigers bleibt damit durchaus auch schlüssig, wenn er vorträgt, dass die Besuche letztlich zu einem Geständnis in der Hauptverhandlung geführt haben. Die Vielzahl der Besuche kann deshalb auch darin begründet sein, dass sich der Verurteilte zunächst uneinsichtig gezeigt hat.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 33 Abs. 9 RVG).






Brandenburgisches OLG:
Beschluss v. 06.02.2007
Az: 2 Ws 270/06


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