Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. Dezember 2004
Aktenzeichen: 17 W (pat) 11/03

(BPatG: Beschluss v. 07.12.2004, Az.: 17 W (pat) 11/03)

Tenor

Auf die Beschwerden der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 52 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Oktober 2002 aufgehoben. Das Patent 39 43 766 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die durch Teilung des Stammpatents 39 11 876 (Eingangsdatum der Teilungserklärung: 6. Juni 1995) entstandene Teilanmeldung P 39 43 766.3-52 wurde die Erteilung des Patents 39 43 766 mit der Bezeichnung

"Selbstdiagnosesystem"

am 27. Mai 1999 veröffentlicht.

Zwei gegen dieses Patent erhobene Einsprüche wurden gestützt auf die von der Prüfungsstelle herangezogenen Druckschriften 1) DE 33 05 807 A1 2) US 42 77 829 A1 3) EP 00 65 703 A2 4) JP 59-24 270 5) B. Przybyla: "Eigendiagnose von elektronischen Steuergeräten im Kraftfahrzeug". In: VDI-Berichte Nr. 612, 1986, S. 361-373 und auf die in den Einsprüchen erstmals genannten Druckschriften 6) EP 00 65 703 A2 (=Druckschrift 3)

7) Zuckmantel u.a.: "Der Weg vom bordeigenen Kontrollsystem zur Systemdiagnose." In: VDI-Berichte Nr. 612, 1986, S. 375-385 8) JP 63 - 6488 A (= Anm.-AZ 61-149807)

9) JP 63 - 79031 A (=Anm.-AZ 61-223802)

10) US 49 43 924 (nachveröffentlicht, Prioritäten aus D8, 9).

Die Patentabteilung 52 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat das (Streit-) Patent mit Beschluss vom 24. Oktober 2002 in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gegen diesen Beschluss sind die Beschwerden beider Einsprechenden gerichtet.

Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent in der erteilten Fassung. Dessen einziger Anspruch lautet:

Selbstdiagnosesystem zur Diagnose eines elektronischen Steuergerätes eines Kraftfahrzeugs, wobei die elektronische Steuerung Mess- und Fühlelemente (12 bis 16) zur Erfassung der Betriebszustände des Fahrzeugs und weiter einen Steuerungsrechner (1) mit flüchtigem (9) und Festwertspeicher (8) umfasst, um Ausgangsdaten zu errechnen und das Fahrzeug in Übereinstimmung mit Eingangsdaten aus den Mess- und Fühlelementen (12 bis 16) zu steuern, wobei weiterhin eine Einrichtung (24) zur Eigendiagnose vorgesehen ist, um die Eingangs- und Ausgangsdaten selbsttätig zu überprüfen und unter Verwendung weiterer Daten Abnormalitäten festzustellen, wobei ein nichtflüchtiger Speicher (10) vorgesehen ist, um Fehlercode-Daten, welche Art und Ort eines Fehlers bezeichnen, zu speichern, und wobei weiterhin eine Ausgabeeinrichtung (21) zur Anzeige des im nichtflüchtigen Speicher (10) gespeicherten Fehlercodes vorgesehen sinddadurch gekennzeichnet, dassein aus der Einrichtung zur Eigendiagnose (24) von Regelabweichungen gebildetes Fehlersignal in den Festwertspeicher (ROM 8) gelangt, um einen zugehörigen repräsentativen Fehlercode auszulesen, wobei der nichtflüchtige Speicher (RAM 10) derart ausgebildet ist, dass er die Eigendiagnoseablaufdaten, welche zur Feststellung von Abnormalitäten eingesetzt werden, zusammen mit den Fehlercodes sequentiell unter vorgegebenen Adressen abspeichert;

und dass über ein Abfragesignal die im nichtflüchtigen Speicher (10) abgelegten Eigendiagnoseablaufdaten und die Fehlercodes abrufbar und auf der Ausgabeeinrichtung (21) anzeigbar sind.

Die Einsprechende I macht in ihrem schriftlichen Vortrag unzulässige Erweiterung, mangelnde Ausführbarkeit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend.

Nach dem Vortrag der Einsprechenden II in der mündlichen Verhandlung, in dem sie Bezug nimmt auf die Druckschriften D6 und D7, sieht sie den Gegenstand des Anspruchs mangels erfinderischer Tätigkeit als nicht patentfähig an. Außerdem liege bezüglich des kennzeichnenden Teils des Anspruchs, insbesondere hinsichtlich des Begriffs "Eigendiagnoseablaufdaten" eine unzulässige Erweiterung vor.

Beide Einsprechende stellen den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerden zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht ist auf Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstandes zu erkennen, da dieser hinsichtlich des im Verfahren befindlichen Standes der Technik neu und erfinderisch sei. Außerdem seien die geltend gemachten unzulässigen Erweiterungen und die mangelnde Ausführbarkeit nicht gegeben.

Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die zulässigen Beschwerden der Einsprechenden sind begründet. Das Patent ist zu widerrufen, da sein Gegenstand nicht patentfähig ist, § 21 Abs. 1 PatG.

1. Das Streitpatent betrifft ein Selbstdiagnosesystem zur Diagnose eines elektronischen Steuergerätes eines Kraftfahrzeugs. In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift ist unter Verweis auf die bei bekannten Diagnosesystemen anzutreffenden Probleme als patentgemäße Zielsetzung angegeben, ein System zur Eigendiagnose zu schaffen, bei welchem eine nicht wieder abrufbare Regelabweichung leicht feststellbar und wesentlich besser nachvollziehbar ist, wodurch die umgehende und exakte Reparatur des Fahrzeugs möglich wird.

Als ein Kerngedanke wird hierbei angesehen, die spezifischen Eigendiagnoseablaufdaten, welche zur Feststellung von Abnormalitäten eingesetzt werden, zusammen mit dem ermittelten Fehlercode abzuspeichern, um auch die Fehlerermittlung zu einem späteren Zeitpunkt nachvollziehen zu können.

Der die Lösung der patentgemäßen Aufgabe vermittelnde Anspruch lässt sich wie folgt in Merkmale gliedern:

a1) Selbstdiagnosesystem zur Diagnose eines elektronischen Steuergerätes eines Kraftfahrzeugs, a2) wobei die elektronische Steuerung Mess- und Fühlelemente (12 bis 16) zur Erfassung der Betriebszustände des Fahrzeugs und weiter einen Steuerungsrechner (1) mit flüchtigem (9) und Festwertspeicher (8) umfasst, um Ausgangsdaten zu errechnen und das Fahrzeug in Übereinstimmung mit Eingangsdaten aus den Mess- und Fühlelementen (12 bis 16) zu steuern, b1) wobei weiterhin eine Einrichtung (24) zur Eigendiagnose vorgesehen ist, um die Eingangs- und Ausgangsdaten selbsttätig zu überprüfen und unter Verwendung weiterer Daten Abnormalitäten festzustellen, b2) wobei ein nichtflüchtiger Speicher (10) vorgesehen ist, um Fehlercode-Daten, welche Art und Ort eines Fehlers bezeichnen, zu speichern, b3) und wobei weiterhin eine Ausgabeeinrichtung (21) zur Anzeige des im nichtflüchtigen Speicher (10) gespeicherten Fehlercodes vorgesehen sinddadurch gekennzeichnet, dassc1) ein aus der Einrichtung zur Eigendiagnose (24) von Regelabweichungen gebildetes Fehlersignal in den Festwertspeicher (ROM 8) gelangt, um einen zugehörigen repräsentativen Fehlercode auszulesen, c2) wobei der nichtflüchtige Speicher (RAM 10) derart ausgebildet ist, dass er die Eigendiagnoseablaufdaten, welche zur Feststellung von Abnormalitäten eingesetzt werden, zusammen mit den Fehlercodes sequentiell unter vorgegebenen Adressen abspeichert;

c3) und dass über ein Abfragesignal die im nichtflüchtigen Speicher (10) abgelegten Eigendiagnoseablaufdaten und die Fehlercodes abrufbar und auf der Ausgabeeinrichtung (21) anzeigbar sind.

2. Die Streitpunkte der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Ausführbarkeit können unerörtert bleiben, da der Gegenstand des Anspruchs nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (vgl. BGH GRUR 1991, 120 "Elastische Bandage").

Der nächstkommende Stand der Technik geht aus D6 (EP 00 65 703 A2) hervor. In dieser Druckschrift wird ein elektronisches Steuergerät für ein Kraftfahrzeug beschrieben, wobei zu dieser Steuerung Meß- und Fühlelemente (Sensoren 2 bis 16) und ein Steuerungsrechner (CPU 50, ROM 52, RAM 54) gehören und wobei dieser Rechner dafür vorgesehen ist, Ausgangsdaten zu errechnen und das Fahrzeug in Übereinstimmung mit den Eingangsdaten aus den Meß- und Fühlelementen zu steuern (S. 4, le. Abs. mit S. 5, erster Abs.; S.8, Zeile 16 "vehicle"). In D6 wird außerdem ein Selbstdiagnosesystem zur Diagnose des besagten elektronischen Steuergerätes beschrieben, wobei eine Einrichtung zur Eigendiagnose vorgesehen ist, um die Eingangs- und Ausgangsdaten selbsttätig zu überprüfen und unter Verwendung weiterer Daten Abnormalitäten festzustellen (Anspruchsseite 1, Z. 24 bis Anspruchsseite 2, Z. 4; S. 8, Z. 24 bis S. 9, Z. 12). Es ist ein nichtflüchtiger Speicher (RAM 54) vorgesehen (S. 3, Z. 19-21; Anspruchsseite 1, Z. 17 mit Z. 22-24), um Fehlercode-Daten, welche Art und Ort eines Fehlers bezeichnen, zu speichern (Anspruchsseite 4, Z. 6, 7; S. 9, Z. 12 bis S. 10, Z. 8). Ferner dient eine Ausgabevorrichtung (display unit) zur Anzeige des im nichtflüchtigen Speicher (RAM) gespeicherten Fehlercodes (S. 14, Z. 2-5; Fig. 3, Schritt 116).

Insoweit stimmt das aus D6 hervorgehende Selbstdiagnosesystem zunächst weitgehend mit den Merkmalen a1 bis b3 des Oberbegriffs des Streitpatent-Anspruchs überein. Lediglich in Bezug auf das Merkmal a2 ergibt sich hinsichtlich der Aufteilung der RAM-Funktionen beim Anspruchsgegenstand in einen flüchtigen Speicher (Direktzugriffsspeicher RAM 9, Sp. 5, Z. 58 der Streit-Patentschrift) und in einen nichtflüchtigen Speicher (nichtflüchtiger RAM-Speicher 10, Sp. 9, Z. 59) ein Unterschied.

Bei dem Selbstdiagnosesystem gemäß D6 muss weiterhin zwingend vorgesehen sein, dass ein (in der Druckschrift D6 selbst nicht explizit erwähntes) Fehlersignal in den Festwertspeicher (ROM 52) gelangt, um einen zugehörigen repräsentativen Fehlercode auszulesen. Ohne ein solches Fehlersignal wäre es ansonsten nicht möglich, aus dem Festwertspeicher die Fehlercodes auszulesen (vgl. S. 12, Z. 23 bis 26). Weiterhin ist der nichtflüchtige Speicher (RAM-Speicher 54) beim Gegenstand der Druckschrift D6 derart ausgebildet, dass die Daten, welche zur Feststellung von Abnormalitäten eingesetzt werden, zusammen mit den Fehlercodes sequentiell unter vorgegebenen Adressen abgespeichert werden (vgl. Anspruchsseite 2, Z. 1 bis 6; S. 9, Z. 28 bis S. 10, Zeile 6; S. 12, Z. 17 bis 19). Über ein Abfragesignal (vgl. S. 12, Zeilen 21 und 22) ist es weiterhin möglich, die im nichtflüchtigen Speicher abgelegten "Eigendiagnosedaten" und die Fehlercodes abzurufen und - wie bereits erwähnt - über eine Anzeigeeinrichtung (vgl. S. 14, Z. 2-4) darzustellen.

Demnach zeigt D6 prinzipiell auch die in den Merkmalen c1 bis c3 angegebenen Maßnahmen, allerdings mit dem Unterschied, daß Gegenstand der in D6 (vergl. S. 9, 1. Abs.) offenbarten Diagnose die dortigen Sensoren, deren Ausgangsleitungen inklusive der zugehörigen Steckverbinder oder sonstige Verbindungsleitungen (ebenfalls mit Steckverbindern) sind, wogegen beim Streitpatent das beanspruchte Diagnosesystem zur Bestimmung von Regelabweichungen, d.h. Abweichungen im Steuerungsrechner (vergl. Sp. 5, Z. 34) selbst, dient.

Dieser Unterschied schafft allerdings entgegen der Ansicht der Patentinhaberin keinen erfinderischen Abstand zum Stand der Technik. Dem Fachmann, einem FH-Ingenieur der Fachrichtung Steuerungs- und Regelungstechnik mit mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung - war nämlich aus D7 (VDI-Berichte 612, 1986, S. 375-385) bekannt, daß in die Kfz-Systemdiagnose neben der Peripherie (Sensoren, Aktoren) auch das Steuergerät (d.h. der eigentliche Steuerungsrechner) in die Diagnose einbezogen wird (S. 379, Abschnitt 2.2.2 mit S. 378, Bild 3). Hierbei werden nach S. 378, Abschnitt 2.2.1 durch Aufgeben festgelegter Eingangsinformationen an den Ausgängen des Steuergerätes definierte Reaktionen ausgelöst und durch Vergleich mit abgelegten Sollwerten Fehlfunktionen erkannt, d.h. zur Feststellung von Abnormalitäten geeignete Eigendiagnoseablaufdaten gebildet. Demnach war für den Fachmann in Kenntnis von D7 keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, in die Diagnose nach D6 das eigentliche Steuergerät zusätzlich einzubeziehen. Es bedurfte ebenfalls keiner erfinderischen Tätigkeit, die hierbei anfallenden Daten in der Weise zu behandeln, wie dieses in D6 bereits für den Diagnosebereich Sensoren, Leitungen und Steckverbinder vorgesehen ist. Diese für den Fachmann nahegelegte Zusammenschau der Druckschriften D6 und D7 führt zu einem Selbstdiagnosesystem, das - mit einer bereits erwähnten Ausnahme bezüglich Merkmal a2 - alle Merkmale des Anspruchsgegenstandes aufweist. Die Ausnahme bezieht sich, wie oben dargestellt, auf die Aufteilung der RAM-Funktionen beim Anspruchsgegenstand in einen flüchtigen Speicher (Direktzugriffsspeicher RAM 9, Sp. 5, Z. 58) und in einen nichtflüchtigen Speicher (nichtflüchtiger RAM-Speicher 10, Sp. 9, Z. 59). Der Fachmann wird jedoch durch beide betrachtete Druckschriften (vergl. in D6 die Anspruchsseite 1, Z. 17 und Z. 22-24 sowie in D7, S. 377, vorletzte Zeile bis S. 378, Z. 4) darüber informiert, daß die für die Selbstdiagnose relevanten Daten, soweit sie in RAM's abgelegt werden, dort nichtflüchtig zu speichern sind. Der Fachmann erhält dadurch die Anregung, die letztgenannten Daten nichtflüchtig zu speichern und ansonsten die übliche RAM-Speichertechnik beizubehalten. Demnach läßt auch die anspruchsgemäße Aufteilung der RAM-Funktionen nach der Lehre des Streitpatents den beanspruchten Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen. Die Lehre des Streitpatents ist folglich vom Fachmann in Kenntnis der Druckschriften D6 und D7 ohne erfinderische Tätigkeit zu bewerkstelligen. Der streitpatentgemäße Anspruch hat demzufolge keinen Bestand.

Bei der gegebenen Sachlage war das Streitpatent unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses aus den genannten Gründen zu widerrufen.

Dr. Fritsch Dr: Schmitt Prasch Schuster Bb






BPatG:
Beschluss v. 07.12.2004
Az: 17 W (pat) 11/03


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