Bundespatentgericht:
Urteil vom 4. August 2009
Aktenzeichen: 3 Ni 52/07

(BPatG: Urteil v. 04.08.2009, Az.: 3 Ni 52/07)

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. März 1997 als internationale PCT-Anmeldung mit der Veröffentlichungsnummer WO 97/34600 angemeldeten, die Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 196 10 955 vom 20. März 1996 in Anspruch nehmenden, u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 896 537 B1 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 597 00 356 geführt wird. Das Streitpatent betrifft ein "Kombinationspräparat, enthaltend 5-Methylisoxazol-4-carbonsäure-(4-trifluormethyl)-anilid und N-(4-Trifluormethylphenyl)-2-cyan-3-hydroxycrotonsäureamid" und umfasst in der erteilten Fassung 11 Patentansprüche, die wie folgt lauten:

1. Feste Zubereitung, enthaltenddie Komponente 1) 5-Methylisoxazol-4-carbonsäure-(4-trifluormethyl)-anilid, die Komponente 2) die Verbindung der Formel I und/oder eine stereoisomere Form der Verbindung der Formel I und/oder ein physiologisch verträgliches Salz der Verbindung der Formel I, und 3) einen pharmazeutisch verträglichen Träger, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt der Komponente 1 von 2 bis 20 mg beträgt und der Gehalt der Komponente 2 von 0,3 % bis 50 % der Komponente 1) beträgt.

2.

Zubereitung gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt der Komponente 2) von 0,5 % bis 20 % der Komponente 1) beträgt.

3.

Zubereitung gemäß der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt der Komponente 2) von 0,8 % bis 15 % der Komponente 1) beträgt.

4.

Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt der Komponente 2) von 1 % bis 10 % der Komponente 1 beträgt.

5.

Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Gehalt der Komponente 2) von 1 % bis 5 % der Komponente 1 beträgt.

6.

Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass es die Komponenten 1 und 2 in einer Darreichungsform zur rektalen oder oralen Applikation enthält.

7.

Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponenten 1 und 2 in gleichartigen, getrennten Darreichungsformen zur zeitlich gemeinsamen Verabreichung vorliegen.

8.

Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponenten 1 und 2 in getrennten, unterschiedlichen Darreichungsformen zur zeitlich gemeinsamen Verabreichung vorliegen.

9.

Verwendung der Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von immunologischen Erkrankungen.

10.Verwendung der Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuten immunologischen Ereignissen wie Sepsis, Allergie, Graftversus-Host-Reaktionen oder HostversusGraft-Reaktionen oder Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, systemischem Lupus erythematodes oder multipler Sklerose oder Psoriasis, atopischer Dermatitis, Asthma, Urtikaria, Rhinitis, Uveitis, Typ II-Diabetes, zystischer Fibrose, Kolitis, Leberfibrose oder Krebserkrankungen wie Lungenkrebs, Leukämie, Eierstockkrebs, Sarkome, Kaposi's Sarkom, Meningiom, Darmkrebs, Lymphknotenkrebs, Hirntumore, Brustkrebs, Pankreaskrebs, Prostatakrebs oder Hautkrebs.

11.Verfahren zur Herstellung der Zubereitung gemäß einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass man 5-Methylisoxazol-4-carbonsäure-(4-trifluormethyl)anilid, die Verbindung der Formel I und/oder ein physiologisch verträgliches Salz der Verbindung der Formel I und/oder eine stereoisomere Form der Verbindung der Formel I und einen pharmazeutischen Träger zu einer pharmazeutischen Darreichungsform verarbeitet.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 Int-PatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand nicht neu sei und sich für den Fachmann aus dem Stand der Technik in nahe liegender Weise ergebe. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Unterlagen:

NIK1 EP 0 896 537 B1 (Streitpatent)

NIK2 EP 0 217 206 A2 NIK3 Eicher, T. und Hauptmann, S., "Chemie der Heterocyclen-Struktur, Reaktionen und Synthesen", 1994 Georg Thieme Verlag Stuttgart New York, S. 138 bis 139 NIK4 Akhrem, A. A. et al., "Isoxazole Derivatives in the Synthesis of Bifunctional Compounds by Cleavage of the Heteroring (Review)" -UDC 547.786'435'442'435 -1982 Plenum Publishing Corporation, S. 853 bis 868 NIK5 EP 0 797 989 A1 NIK6 EP 0 013 376 A2 NIK7 ChemCon GmbH, Freiburg i. Br.: Vergleichsversuch vom 11. Oktober 2007 -"Synthesis of 5-Methylisoxazol-4-car bonicacid-(4-trifluormethyl)anilid"

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 0 896 537 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen gemäß den Hilfsanträgen 1 oder 2, jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 21. Juli 2009.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie u. a. auf folgende Dokumente:

NiB1 EP 0 607 777 A2 NiB2 US5547970A NiB3 US5554637A NiB4 US5556870A NiB5 Versuchsbericht -"Herstellung von 5-Methylisoxazol-4-carbonic acid-(4-trifluormethyl)anilid (Leflunomid)" der Sanofi-Aventis GmbH vom 31. Juli 2009, Verfasser: Dr. Florian Blume Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der hilfsweise verteidigten Fassung der Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als nicht begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) liegt nicht vor, so dass die Klage abzuweisen war.

I.

1.

Das Streitpatent betrifft feste Zubereitungen von Leflunomid und Teriflunomid, deren Verwendung zur Behandlung von immunologischen Erkrankungen sowie ein Verfahren zur Herstellung dieser Zubereitungen.

2.

Nach den Angaben im einleitenden Teil der Streitpatentschrift, war es vor dem Prioritätstag bekannt, dass 5-Methylisoxazol-4-carbonsäure-(4-trifluormethyl)-anilid (= Leflunomid) antirheumatisch, antiphlogistisch, antipyretisch und analgetisch wirksam ist und auch zur Behandlung von multipler Sklerose eingesetzt werden kann. Zum maßgeblichen Zeitpunkt war es gemäß EP 0 217 206 (= NIK2) ferner bekannt, dass N-(4-Trifluormethylphenyl)-2-cyan-3-hydroxycrotonsäureamid (= Teriflunomid) immunmodulierende Eigenschaften hat und sich zur Behandlung von chronischer Graftversus-Host-Krankheit und Autoimmunerkrankungen, wie systemischem Lupus erythematodes, eignet. In diesem Zusammenhang wird zudem beschrieben, dass pharmazeutische Präparate verabreicht werden können, die einen der beiden Wirkstoffe in einer Dosierung von 10 bis 200 mg, bevorzugt 50 bis 100 mg, als Injektionslösung insbesondere auf Basis von Teriflunomid auch in einer Dosierung von 1 bis 30 mg und bei rektaler Verabreichung in einer Dosierungvon 50 bis 300 mg enthalten. Allerdings zeige die orale Applikation von 5 mg/kg oder 10mg/kg jeweils der Verbindung 1 oder 2 alleine keine signifikante Wirkung (vgl. NIK1 Abs. [0001] und [0002]).

3.

Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, eine pharmazeutische Zusammensetzung auf Basis dieser Komponenten für den Bereich der immunsupressiven Therapie mit verbesserter Wirkung bei geringerer Dosierung bereitzustellen.

4.

Gelöst wird diese Aufgabe durch die Bereitstellung einer 1.

festen Zubereitung, enthaltend 2.

5-Methylisoxazol-4-carbonsäure-(4-trifluormethyl)-anilid (= Leflunomid), und 3.

N-(4-Trifluormethylphenyl)-2-cyan-3-hydroxycrotonsäureamid (= Teriflunomid) und/oder eine stereoisomere Form und/oder ein physiologisch verträgliches Salz der Komponente 2), 4.

einen pharmazeutisch verträglichen Träger, wobei 5.

der Gehalt a) von Leflunomid (Komponente 1.) 2 bis 20 mg und b) von Teriflunomid (Komponente 2.) 0,3 bis 50 % von Leflunomid beträgt.

Die Aufgabe wird gemäß den Patentansprüchen 9 und 10 ferner gelöst durch die Verwendung dieser Zubereitungen zur Behandlung von immunologischen Erkrankungen bzw. von akuten immunologischen Ereignissen.

Sie wird darüber hinaus gemäß Patentanspruch 11 gelöst durch ein Verfahren zur Herstellung der Zubereitungen.

5. Der zuständige Fachmann ist ein Team zumindest aus einem promovierten Chemiker oder Pharmazeuten, mit mehrjähriger Industriepraxis und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung, sowie einem in der Forschung tätigen Mediziner, mit Erfahrung auf dem Gebiet der Immunologie.

II.

Das Streitpatent in der erteilten Fassung erweist sich als bestandsfähig. Die Klägerin hat den Senat nicht vom Vorliegen der Nichtigkeitsgründe unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit überzeugen können.

1. Die mit Patentanspruch 1 bereitgestellte feste Zubereitung ist neu, weil mit keinem der im Verfahren genannten Dokumente eine feste Zusammensetzung beschrieben wird, die alle im Patentanspruch 1 angegeben Merkmale erfüllt.

Dies gilt auch für die von der Klägerin als neuheitsschädlich erachtete europäische Patentanmeldung EP 0 217< 206 A2 (= NIK2). Diese betrifft die Verwendung von Leflunomid und Teriflunomid zur Behandlung von chronischen Graftversus-Host-Krankheiten sowie von Autoimmunkrankheiten, wie z. B. systemischen Lupus erythematodes (vgl. Patentanspruch 1 sowie Beschreibung S. 1 Z. 17 bis 24). Dabei können gemäß dieser Druckschrift die beiden in Rede stehenden Wirkstoffe in festen Formulierungen nicht nur einzeln eingesetzt werden, sondern auch gemeinsam in Kombination. Hinsichtlich des Gehaltes der diese Wirkstoffe aufweisenden festen Dosierungseinheiten, wie Tabletten, Kapseln oder Suppositorien, wird in diesem Zusammenhang jedoch nur eine für alle Formulierungen gleichermaßen geltende Gesamtdosis von 10 bis 200 mg genannt, d. h. eine Dosierung, die sowohl jeweils für einen der beiden in Rede stehenden Wirkstoffe als auch für eine beide Arzneistoffe umfassende Kombination gilt (vgl. Patentansprüche 5 und 6 i. V. m. Beschreibung S. 10 Z. 20 bis 30). Hinweise dahingehend aber, in welchem Mengenverhältnis beide Wirkstoffe im Fall eines Kombinationspräparates zur Erzielung der angestrebten Wirkung vorliegen sollen, enthält diese Druckschrift jedoch an keiner Stelle. Auch die im gleichen Absatz im folgenden genannte Dosierungsangabe von 1 bis 30 mg für Teriflunomid ist nicht dazu geeignet, dem Fachmann einen entsprechenden Anhaltspunkt zu geben. Diese bezieht sich nämlich auf eine zur Injektion vorgesehene Zubereitung, die nur einen der beiden in Rede stehenden Wirkstoffe enthält. Die Wirkstoffaufnahme aus festen Formulierungen über den Magen-Darm-Trakt erfolgt aber auf einem physiologisch anderen Weg als eine direkte intravenöse Verabreichung eines Wirkstoffes, was dazu führen kann, dass zur Erzielung einer vergleichbaren Wirkung jeweils unterschiedliche Wirkstoffmengen erforderlich sind. Dem entsprechend enthält das Dokument NIK2 für die dort beschriebenen Wirkstoffe auch unterschiedliche Dosierungsempfehlungen abhängig vom jeweiligen Verabreichungsweg. Danach sind ohne dass eine Unterscheidung zwischen Leflunomid und Teriflunomid gemacht wird -bei erwachsenen Menschen sogar 50 bis 200 mg Wirkstoff bei oraler, 10 bis 30 mg bei intravenöser und 100 bis 300 mg bei rektaler Applikation indiziert (vgl. Beschreibung S. 10 Z. 32 bis 35). Somit aber ergeben sich für den Fachmann auch anhand dieser Angaben keine Hinweise dahingehend, in welchen Mengenverhältnissen Leflunomid und Teriflunomid in einer festen Zubereitung vorliegen müssen, um zu der gewünschten Wirkung zu führen.

Zu keiner anderen Sichtweise kann der Vortrag der Klägerin führen, auch wenn, zugegebenermaßen das Mengenverhältnis von Leflunomid zu Teriflunomid in der europäischen Patentanmeldung NIK2 nicht angegeben sei, sei dieses einzige unterscheidende Merkmal wegen des sehr großen Verhältnisbereiches von 330:1 bis 1:1 nicht neuheitsbegründend. Dieses Merkmal (= Merkmal 5. b) nach der Merkmalsanalyse I. 4.) ist jedoch nicht singulär zu sehen. Es bezieht sich direkt auf den im vorausgenannten Merkmal 5. a) (= nach der Merkmalsanalyse I. 4.) angegebenen Gehalt der Komponente 1, des Leflunomids. Über diese Abhängigkeit aber definiert es nicht nur den streitpatentgemäß vorgesehenen möglichen Gehalt von Teriflunomid in der mit dem verteidigten Patentanspruch 1 angegebenen festen Zubereitung, sondern mit der Vorgabe, dass der Gehalt an Teriflunomid 0,3 bis 50 % des Gehaltes von Leflunomid in der in Rede stehenden Zusammensetzung beträgt, gleichzeitig auch den Bereich für das Mischungsverhältnis selbst. Dabei erstreckt sich der für Leflunomid im Patentanspruch 1 angegebene Gehaltsbereich des weiteren nicht über einen sehr großen bzw. nicht weiter eingegrenzten Bereich, sondern über den Bereich von 2 bis 20 mg, auf den damit auch der mit dem Merkmal 5 b) für Teriflunomid angegebene Gehaltsbereich beschränkt ist. Nachdem aber NIK2 weder Hinweise auf das mit diesem Merkmal definierte Mischungsverhältnis, noch Angaben dahingehend enthält, diesem einen Gehalt an Leflunomid von 2 bis 20 mg zugrunde zu legen, ist dieses Merkmal nach Überzeugung des Senates nicht vorweggenommen (vgl. auch BGH GRUR 1981, 812 Ls. 2 -"Etikettiermaschine").

Der Senat kann sich ferner nicht dem Argument der Klägerin anschließen, die Neuheit der streitpatentgemäßen festen Zusammensetzung sei nicht gegeben, weil sich jeweils zwangsläufig im Zuge der Synthese von Leflunomid -wie anhand des Dokumentes NIK6 i. V. m. dem Vergleichsversuch NIK7 zu ersehen sei -auch Teriflunomid bilde bzw. bei der Lagerung -wie NIK5 zeige -Leflunomid in Teriflunomid umlagere.

Der Senat bezweifelt nicht, dass sich bei der Synthese von Leflunomid als Nebenprodukt auch Teriflunomid bilden kann. Der von der Klägerin vorgelegte Vergleichsversuch NIK7 ist jedoch nicht dazu geeignet, das zwangsläufige, regelmäßige Vorhandensein von Teriflunomid in Mengen wie sie in Patentanspruch 1 genannt werden, für das Syntheseprodukt des Beispiels "Verfahrensvariante a): 3." auf Seite 7 der europäischen Patentanmeldung EP 0 013 376 (= NIK6) zu belegen. Das auf dem in dieser Druckschrift beschriebenen Weg hergestellte Endprodukt, bei dem es sich um die kristalline Verbindung der Formel I und somit um Leflunomid handelt, weist einen Schmelzpunkt von 166,5¡ C auf (vgl. NIK 6 Beschreibung S. 7 Z. 15 bis 27 i. V. m. S. 1 Z. 11 bis 18). Der Schmelzpunkt des Endproduktes gemäß dem Vergleichsbeispiel NIK7, mit dem das in Rede stehende Beispiel des Dokumentes NIK6 nachgearbeitetet worden ist, liegt dagegen bei 153,6¡ C (vgl. NIK7 S. 7 Tabelle, letzte wagrechte Spalte i. V. m. S. 13 "Melting Point"). Wie aus dem Versuchsbericht hervorgeht, handelt es sich dabei allerdings um das Rohprodukt (vgl. NIK 7 S. 7 "Synthesis"), das -was auch von der Klägerin nicht bestritten wird -erhebliche Verunreinigungen enthält. Der Fachmann wird solche Produkte jedoch keinesfalls zur Herstellung von Arzneimitteln in Betracht ziehen. Bekanntlich kommen dazu grundsätzlich nur solche Stoffe zum Einsatz, die den Vorgaben höchster Reinheit entsprechen. Ein Nachweis dafür, dass Teriflunomid auch in einem zur Arzneimittelherstellung geeigneten, aufgereinigten Rohprodukt gemäß NIK7 mit einem Schmelzpunkt von 166,5¡ C in den diskutierten Mengen nachweisbar ist, ist mit diesem Vergleichsversuch daher nicht erbracht worden.

Ebensowenig sind die Verweise der Klägerin auf den wissenschaftlichen Artikel NIK4 der Autoren Akhrem, A. A. et al. und die nachveröffentlichte europäische Patentanmeldung EP 0 797 989 A1 (= NIK5) dazu geeignet, die stete zwangsläufige Anwesenheit von Teriflunomid in den streitpatentgemäß genannten Anteilen in festen Leflunomid-Formulierungen zu belegen. Die Klägerin begründet dieses damit, aus NIK4 sei ersichtlich, dass in Anwesenheit von OHø-Ionen bei Isoxazol-Ringen eine Umlagerungen stattfinde, die so auch bei Leflunomid, und zwar als Umlagerung zu Teriflunomid, zu erwarten sei. Diese basenkatalysierte Reaktion finde auch in festen Zubereitungen statt, denn OHø-Ionen seien, z. B. in Form von Talkum, in solchen stets vorhanden. Dies führe dazu, dass die in Rede stehende Umlagerung allgegenwärtig sei und auch heute noch ein Problem darstelle. Bestätigt werde dieses durch die im Dokument NIK5 beschriebenen Ergebnisse, nach denen sich bei Lagerung stets zwangsläufig mindestens 0,3 % Teriflunomid in festen Leflunomid-Zusammensetzungen bilde. Auch wenn es sich dort um extreme Lagerbedingungen handle, so entsprächen die dort beschriebenen Versuche doch ständiger Praxis, weil dabei die Randbedingungen lediglich auf einen kurzen Zeitraum zusammengefasst würden um über einen längeren Zeitraum ersteckende Echtbedingungen zu simulieren. Nach Auffassung des Senates kann es vorliegend allerdings dahingestellt bleiben, inwiefern Talkum, ein unter normalen Bedingungen chemisch stabiles Magnesiumsilikat, in festen Zubereitungen unter für Arzneimittel üblichen, d. h. zumindest nicht extremen Lagerbedingungen, tatsächlich zu basenkatalysierten Ringumlagerungen führen kann. Die einer solchen Umlagerung zugrunde liegenden Mechanismen spielen nämlich bei der Feststellung, inwiefern davon auszugehen ist, dass Teriflunomid zwangsläufig immer in festen Leflunomid-Formulierungen vorhanden ist, keine Rolle, da vorliegend nur dessen Anwesenheit selbst im behaupteten Umfang wesentlich ist. Diese in Rede stehende zwangsläufige Anwesenheit von Teriflunomid in den streitpatentgemäßen Anteilen kann auch nicht aus dem Dokument NIK5 abgeleitet werden. Diese Druckschrift betrifft die Bereitstellung von festen Arzneistoffzubereitungen, die nach einer Lagerung über einen Zeitraum von 6 Monaten bei 40¡ C und 75 % Luft-Feuchtigkeit einen Gehalt an Teriflunomid von 1 bis 4,5 % bzw. auch 8,3 % aufweisen (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 28 bis 31 sowie S. 3 Z. 20/21 sowie Z. 43/44). Dabei handelt es sich um Bedingungen, wie sie für auf 6 bis 12 Monate angelegte Belastungsversuche üblich sind, um unter diesen Stressbedingungen Altersvorgänge zu beschleunigen. Prüfungen unter Einhaltung solcher Bedingungen dienen dazu, üblicherweise zur Haltbarkeit und Lagerungsfähigkeit von Arzneimitteln erforderliche Langzeitprüfungen zu ersetzen, bei denen die Arzneimittel im allgemeinen über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren in Originalverpackung verschiedenen künstlichen Klimazonen ausgesetzt werden. Überprüft wird im Rahmen solcher Versuche, wie hoch der Wirkstoffgehalt nach Ablauf des gewählten Zeitraumes ist. Damit aber erhält der Fachmann mit solchen Versuchen lediglich Informationen dahingehend, wie viel des Wirkstoffes unter diesen Lagerbedingungen schlussendlich nicht mehr in der ursprünglich vorgelegten Form vorliegt. Diese Ergebnisse bilden sodann die Grundlage zur Festsetzung der Haltbarkeitsdauer und den Lagerbedingungen. Angaben jedoch, zu welchem Zeitpunkt innerhalb dieses Prüfungszeitraumes der Wirkstoff und seine Abbauprodukte in welchen Mengenverhältnissen vorliegen, erhält der Fachmann damit nicht. Die im Dokument NIK5 angegebenen Daten lassen es daher nicht zu, aus diesen rückschließend davon auszugehen, Teriflunomid liege in festen Zubereitungen von Leflunomid zwangsläufig stets von Beginn an in den streitpatentgemäßen Anteilen, zumindest aber in einem Anteil von 0,3 % bezogen auf Leflunomid, vor. Unabhängig davon aber, inwiefern die gemäß dem Dokument NIK5 ermittelten Werte tatsächlich nur über den Wirkstoffgehalt des geprüften Erzeugnisses nach Beendigung des Versuches Aufschluss geben, ist geltender Rechtsprechung folgend bei der Beurteilung des Offenbarungsgehaltes einer Vorveröffentlichung nur das zu berücksichtigen, was sich dem Fachmann durch das Nacharbeiten von selbst, d. h. unmittelbar und zwangsläufig ergibt (vgl.

BGH GRUR 1980, 283 Ls. 2, S. 285 II.3.c) -Terephthalsäure). Offenbart wird damit aber nichts, was über die Zusammensetzung oder die innere Struktur eines Erzeugnisses hinausgeht, d. h. Merkmale, die sich -wie vorliegend -als Folge gezielt gewählter äußerer Bedingungen ergeben. Diese weisen nämlich über das Erzeugnis als solches hinaus, weil sie von bewussten Auswahlentscheidungen abhängen (vgl. EPA G 1/92 ABL EPA 1993, 277, 279, Entscheidungsgründe 3.).

Auch die in der europäischen Patentanmeldung NIK5 aufgestellte Behauptung, es sei gefunden worden, dass die Lagerung von festen, Leflunomid enthaltenden Arzneistoffzubereitungen zur Bildung von 6 bis 9 % Teriflunomid führe (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 12 bis 16), gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlass. Zum einen werden in diesem Dokument Angaben zu den Bedingungen dieser Lagerung und zum Zeitpunkt der Ermittlung der Anteile an Teriflunomid nicht gemacht. Zum anderen handelt es sich bei der behaupteten, im Rahmen der Lagerung der festen Zusammensetzungen erfolgenden Umlagerung von Leflunomid in Teriflunomid um einen Prozess, der unkontrolliert abläuft. Selbst wenn sich im Zuge dessen gegebenenfalls Konzentrationsverhältnisse einstellen sollten, wie sie auch vorliegend im verteidigten Patentanspruch 1 genannt werden, handelt es sich dabei nicht um die Folge eines planmäßigen Handelns, das in diesem Fall im Einhalten einer definierten Einstellungsregel zu sehen ist, sondern um zufällige, bis zum Prioritätstag augenscheinlich noch nicht beschriebene und damit für den Fachmann unbekannte Erscheinungsformen (vgl. Schulte PatG 8. Aufl. § 3 Rdn. 113, 120 k), Busse PatG 6. Aufl. § 3 Rdn. 118 sowie GRUR 1986 163, 164 II.2.b.2) und 3) "Borhaltige Stähle").

Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften können die Neuheit ebenfalls nicht in Frage stellen. Sie wurden von der Klägerin auch nicht im Hinblick auf die Neuheit der beanspruchten Zusammensetzung genannt.

2. Die Bereitstellung der festen Zubereitung gemäß Patentanspruch 1 beruht im Hinblick auf den vorliegenden Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die europäische Patentanmeldung NIK2 offenbart -wie vorstehend dargelegt neben der Verwendung der Einzelverbindungen Leflunomid und Teriflunomid dem Metabolit von Leflunomid -auch deren gemeinsame Verwendung in pharmazeutischen Präparaten zur Behandlung von Graftversus-Host-Krankheiten und Autoimmunkrankheiten. Beide Wirkstoffe weisen -den Angaben in diesem Dokument zu Folge -nämlich immunmodulierende Eigenschaften auf (vgl. Beschreibung S. 1 Z. 7 bis 15). Hinsichtlich des Wirkstoffgehaltes fester Dosierungseinheiten wird dort sodann ausgeführt, dass dieser unabhängig davon, ob die in Rede stehenden Wirkstoffe einzeln oder in Kombination vorliegen, 10 bis 200 mg, bevorzugt 50 bis 100 mg, betragen kann und beim Menschen Tagesdosen von 50 bis 200 mg Wirkstoff bei oraler Verabreichung und von 100 bis 300 mg bei rektaler Applikation indiziert seien (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 7 bis 15, S. 9 Z. 10 bis 30 und S. 10 Z. 20 bis 35). Hinweise auf konkrete Kombinationen der beiden Wirkstoffe sind den Unterlagen aber nicht zu entnehmen, beschrieben wird nämlich stets nur die Wirkung der jeweiligen Einzelverbindungen (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 30bis S.9 Z.30 i.V. m.Figuren 1 bis 5).

Der Fachmann hatte jedoch keine Veranlassung, die im Dokument NIK2 lediglich in allgemeinem Kontext als Alternative genannte Kombination von Leflunomid und Teriflunomid als Ausgangspunkt zum Auffinden der Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe aufzugreifen, eine pharmazeutische Zusammensetzung auf Basis dieser Komponenten für den Bereich der immunsupressiven Therapie mit verbesserter Wirkung bei geringerer Dosierung bereitzustellen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ging er nämlich nicht nur davon aus, dass -wie in NIK2 dargelegt -jede dieser beiden Verbindungen an sich zur Behandlung der dort genannten immunologischen Erkrankungen geeignet ist (vgl. Beschreibung S. 1 Z. 7 bis 15). Er wusste darüber hinaus auch, dass Leflunomid -wie die Beklagte von der Klägerin unwidersprochen ausgeführt hat -verabreicht in festen Formulierungen im Dünndarm fast vollständig zu Teriflunomid metabolisiert wird, Teriflunomid daher für die pharmakologische Wirkung des Leflunomids verantwortlich ist und das aktive Prinzip darstellt (vgl. NiB1 S. 2 Z. 5 bis 30). Angesichts dessen musste der Fachmann nach Überzeugung des Senates davon ausgehen, dass unabhängig davon, ob der Wirkstoff als Leflunomid oder als dessen Metabolit in festen Formulierungen verabreicht wird, dieser am Ort der Wirkstoff-Resorption, im Dünndarm, stets nur noch in Form des Metaboliten -somit als Teriflunomid -vorliegt. Damit war für ihn in diesem Fall, d. h. unabhängig davon, ob von Leflunomid oder Teriflunomid ausgegangen wird, daher auch immer die gleiche biologische Wirkung zu erwarten gewesen. Dieses trifft um so mehr zu, als in der Druckschrift NIK2 zwar Kombinationen der in Rede stehenden Wirkstoffe erwähnt werden, für diese aber die gleichen Dosierungsempfehlungen, wie sie jeweils für die Einzelsubstanzen genannt werden, gelten. Hinweise dahingehend, eine Kombination von Leflunomid mit Teriflunomid könnte damit verbunden sein, dass gegebenenfalls zumindest in der Summe geringere Wirkstoffmengen verabreicht werden könnten, werden in diesem Dokument dagegen an keiner Stelle gegeben.

Ausgehend von dieser Sachlage waren für den Fachmann von der in NIK2 in allgemeinem Kontext beschriebenen Kombination von Leflunomid und Teriflunomid keine Vorteile hinsichtlich einer Verringerung der erforderlichen Dosismenge und damit auch nicht hinsichtlich einer Reduzierung von Nebenwirkungen zu erwarten gewesen. Um so weniger war für ihn zu erwarten gewesen, dass die Einstellung der im Patentanspruch 1 angegebenen Mengenverhältnisse für die beiden in Rede stehenden Wirkstoffe darüber hinaus zu einer Wirkungsverbesserung führt. Zu ersehen ist dieses aus der in der Streitpatentschrift auf S. 4 i. V. m. dem Beispiel 1 angegebenen Tabelle 1. Danach führt bereits ein Gehalt von 0,1 % an Teriflunomid zu einer weiteren deutlichen Abnahme des Rattenpfotenvolumens um 93 % bzw. des Arthritis Index um 66 %, wohingegen diese Werte bei einer ausschließlich mit Leflunomid behandelten Ratte bei 74 % bzw. 58 % liegen. Der demnach streitpatentgemäß beobachtete synergistische Effekt war für den Fachmann jedoch aus den vorstehend genannten Gründen in keiner Weise voraussehbar gewesen. Wenn aber -geltender Rechtssprechung folgend -eine Kombination als solche nicht nahegelegt war, so können synergistische Effekte die erfinderische Tätigkeit begründen, wenn sie für den Fachmann unerwartet und überraschend sind (vgl. GRUR 2003, 317, 320/321 li./re. Sp. übergreifender Absatz -Kosmetisches Sonnenschutzmittel).

Die weiteren im Verfahren genannten Dokumente können auch in einer Zusammenschau mit der Druckschrift NIK2 die erfinderische Tätigkeit nicht in Frage stellen. Sie wurden von der Klägerin in diesem Zusammenhang auch nicht diskutiert.

Angesichts dieses Standes der Technik musste der Fachmann somit erfinderisch tätig werden, um die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte feste Zubereitung bereitzustellen. Der Gegenstand des Patentanspruches 1 wird daher vom Stand der Technik nicht nahe gelegt.

3. Mit dem Patentanspruch 1 sind auch die Patentansprüche 2 bis 11 rechtsbeständig.

Für die nebengeordneten Patentansprüche 9, 10 und 11, die die Verwendung der Zubereitung gemäß den Patentansprüchen 1 bis 8 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung immunologischer Erkrankungen bzw. ein Verfahren zur Herstellung dieser Zubereitung betreffen, gelten die vorstehenden Ausführungen sinngemäß. Die erfinderische Tätigkeit wird insoweit daher von den gleichen Argumenten getragen.

Die auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 haben mit diesem Bestand.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Dr. Schermer Martens Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Münzberg Pr






BPatG:
Urteil v. 04.08.2009
Az: 3 Ni 52/07


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