Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 12. Februar 1996
Aktenzeichen: 1 S 3415/95

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 12.02.1996, Az.: 1 S 3415/95)

1. Bei der ausländerrechtlichen Abschiebungsandrohung (§§ 49, 50 AuslG (AuslG 1990)) handelt es sich um einen Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs 6 BRAGO (BRAGebO). Für ein allein gegen diese Maßnahme gerichtetes Eilverfahren erhält ein Prozeßbevollmächtigter daher drei Zehntel der in § 31 BRAGO (BRAGebO) bestimmten Gebühren (im Anschluß an VGH Bad-Württ, Beschl v 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -).

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers (§§ 164, 165, 151, 146 Abs. 2 und 3, 147 VwGO, § 9 Abs. 2 BRAGO) ist nicht begründet. Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluß vom 21. August 1995 die zu erstattenden Kosten auf DM 105,23 festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat ebenfalls zu Recht die dagegen gerichtete Erinnerung zurückgewiesen. Auf die ausführlichen und umfangreich begründeten Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann verwiesen werden.

Lediglich wiederholend wird ausgeführt: § 40 BRAGO gilt nach § 114 Abs. 5 BRAGO sinngemäß im Verfahren auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsakts, auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und in Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Aus der sinngemäßen Anwendung des § 40 BRAGO folgt, daß jedes der genannten Verfahren gegenüber dem Hauptprozeß gebührenrechtlich als besondere, selbständige Angelegenheit gilt. Für diese besondere selbständige Angelegenheit kann der Antragsteller allerdings nicht die volle Gebühr (vgl. §§ 114 Abs. 6, 31, 40 BRAGO) beanspruchen, sondern ihm stehen nur drei Zehntel der Rechtsanwaltsgebühren (§ 114 Abs. 6 BRAGO) zu, weil Gegenstand des Verfahrens die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (§ 50 AuslG) war, die als Akt der Zwangsvollstreckung zu behandeln ist.

Der erkennende Senat, der bereits mit Beschluß vom 15.7.1992 - 1 S 1425/92 - das vorläufige Rechtsschutzverfahren gegen die Androhung der Abschiebung nebst Fristsetzung als Akt der Zwangsvollstreckung behandelt hat, nimmt ergänzend Bezug auf einen Beschluß des 13. Senats vom 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, in dem dieser die Anwendung von § 114 Abs. 6 Satz 1 BRAGO wie folgt begründet hat:

"Diese Regelung greift ihrem Wortlaut und Zweck nach nur dann ein, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen "Akt der Zwangsvollstreckung handelt. Der Gesetzesbegründung liegt die Vorstellung zugrunde, daß in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt sich gegen einen Akt der Zwangsvollstreckung richtet, eine Überprüfung nicht in der Sache, sondern nur hinsichtlich der Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt, weshalb es gerechtfertigt sei, die Gebühren mit den Gebühren abzustimmen, die in den §§ 57 ff BRAGO für die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der ZPO vorgesehen seien (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 1953, Anl. Bd. 43, BT-Drs. 2545, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften, Vergütung der Rechtsanwälte, Begründung zu § 112 BRAGO a.F., S. 267, 269). Die Gesetzesbegründung geht offenbar davon aus, daß ein Verfahren gegen einen Akt der Zwangsvollstreckung regelmäßig weniger zeit- und arbeitsaufwendig ist als ein solches gegen den Grundverwaltungsakt und zwar unabhängig vom jeweiligen Sachgebiet und ungeachtet der im Einzelfall erhobenen Einwendungen gegen die Vollstreckung. Diese verallgemeinernde Betrachtungsweise wird durch den eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 6 BRAGO bestätigt, der die Reduzierung der Rechtsanwaltsgebühr auf drei Zehntel allein daran knüpft, ob ein Akt der Zwangsvollstreckung vorliegt und keine Berücksichtigung des Einzelfalles oder des Sachgebiets, in dem die Vollstreckung geschieht, zuläßt. Mit dem eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 6 BRAGO ist es unvereinbar, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in bestimmten Bereichen des Verwaltungsrechts vom Anwendungsbereich des § 114 Abs. 6 BRAGO auszunehmen, z.B. Abschiebungsandrohungen nach §§ 49, 50 AuslG, weil sie mit Blick auf die Geltendmachung und Prüfung von Abschiebungshindernissen (§ 50 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 - 4 AuslG) erfahrungsgemäß oftmals Schwierigkeiten bereiten. Auch in anderen Vollstreckungsverfahren können materiell-rechtliche Einwände gegen die Vollstreckungsmaßnahme erhoben werden (z.B. §§ 52 PolG, Bad.-Württ., 19 Abs. 3, 26 Abs. 2 und 3, 27 LVwVG). Eine Auslegung gegen den Wortlaut einer Vorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, mit anderen Worten, wenn der Zusammenhang der ... ihrem Wortlaut nach klaren Vorschrift mit anderen Vorschriften des Gesetzes ergibt, daß die Vorschrift das nicht aussagen will, was sie ihrem Wortlaut nach auszusagen scheint (BVerwG, NKU v. 14.7.1978, Buchholz 238.90 Nr. 74; BVerfGE 85, 69 ff., 74; BVerfG, Beschl. v. 10.1.1995, NJW 1995, 1141 f.). Davon kann hier mit Blick auf die Gesetzesbegründung nicht gesprochen werden. Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung kennt ähnliche Vorschriften, die ausnahmslos eine Reduzierung der Rechtsanwaltsgebühren in Vollstreckungsverfahren vorsehen (§ 119 Abs. 2 BRAGO für Verwaltungszwangsverfahren und § 57 BRAGO). In § 57 BRAGO geht es um die Abgrenzung, wann eine "Tätigkeit" in der Zwangsvollstreckung nach der ZPO gegeben ist. Letztere setzt einen Vollstreckungstitel voraus. Auch dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Zwangsvollstreckung weniger arbeitsintensiv ist (vgl. BT-Drs. 2545, Begründung zu § 57 BRAGO a.F., S. 258). In Anlehnung daran sieht § 119 Abs. 2 BRAGO auch für die Verwaltungsvollstreckung Drei-Zehntel-Gebühren vor (BT-Drs. 2545, Begründung zu § 117 BRAGO a.F., S. 270).

§ 114 Abs. 6 BRAGO greift hiernach nur dann ein, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen Akt der Zwangsvollstreckung handelt. Denn die gerichtliche Prüfung erstreckt sich bei einem Akt der Zwangsvollstreckung allein auf die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungsaktes, d.h. auf die Einhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen. Zu diesen zählen lediglich das Vorliegen eines bestands- bzw. rechtskräftigen Grundverwaltungsaktes und die formalen Voraussetzungen des Vollstreckungsverfahrens (vgl. §§ 6, 9 VwVG, § 19 LVwVG; zum Ganzen: Engelhardt/App, VwVG., VwVZG, Komm., 3. Aufl., § 6 VwVG, Anm. I und II; vgl § 2 LVwVG). Die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes wird nicht überprüft. Dies rechtfertigt eine Reduzierung der Gebühr auf drei Zehntel. Ist dagegen Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens neben dem Vollstreckungsakt auch der kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung sofort vollziehbare Grundverwaltungsakt (vgl. §§ 12 LVwVG, 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so ist § 114 Abs. 6 BRAGO nicht anwendbar (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.12.1993 - A 16 S 2118/93 -; vgl. auch VG Freiburg, Beschl. v. 7.1.1994, NVwZ-Beilage 1994, 18 f.; Madert, in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 114, RdNr. 17)."

Im vorliegenden Verfahren stand kein Grundverwaltungsakt zur Überprüfung an, vielmehr nur die auf §§ 49, 50 AuslG gestützte Abschiebungsandrohung, bei der es sich um einen Akt der Zwangsvollstreckung handelt, zumindest wird sie einem solchen gleichgestellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.4.1983, NVwZ 1983, 742; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.7.1992, a.a.O.). Die Abschiebungsandrohung dient der Vollstreckung der gesetzlichen Pflicht zur Ausreise (§ 42 Abs. 1 AuslG). Unerheblich ist, daß sich diese Verpflichtung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, denn der Begriff der Vollstreckungsmaßnahme im Sinne des § 12 LVwVG setzt nicht voraus, daß ein Verwaltungsakt vollstreckt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.4.1991 - 1 S 931/91 -, VBlBW 1991, 383). Es kommt auch nicht maßgeblich darauf an, daß dem Antragsteller in der Abschiebungsandrohung zugleich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wurde, denn dieser Bestimmung einer konkreten Ausreisefrist kommt kein eigenständiger Regelungsgehalt zu (a.A. zu § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG a.F.: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.6.1992 - A 16 S 1756/92 -). Der Regelungsgehalt der Ausreisefrist erschöpft sich darin, daß er den Betroffenen darauf hinweist, daß er nach Ablauf der ihm gesetzten Frist mit der zwangsweisen Durchsetzung, d.h. mit der Zwangsvollstreckung der Abschiebungsandrohung, zu rechnen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 12.02.1996
Az: 1 S 3415/95


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