Oberlandesgericht München:
Urteil vom 11. Februar 2010
Aktenzeichen: 23 U 2414/09

(OLG München: Urteil v. 11.02.2010, Az.: 23 U 2414/09)

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.03.2009 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf € 4.000.000,-- festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen Verletzung eines Mittelverwendungskontrollvertrages geltend.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der €M. AG & Co. KG€, einer Publikumsgesellschaft mit einem prospektierten Anlagevolumen von 200 Mio. € (im Folgenden: €KG€).

Die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat mit der KG den als Anlage K 5 vorgelegten Mittelverwendungskontrollvertrag geschlossen. Dessen § 2 regelt im Einzelnen die Voraussetzungen der Mittelfreigabe, insbesondere der Freigabe von Vergütungen an die DVM D. V. AG (€DVM€) gemäß einem zwischen der KG und der DVM abgeschlossenen Emissions-Dienstleistungsvertrag, der die KG verpflichtete, Lizenz- und Vermittlungsgebühren für Vertriebsleistungen an diese zu bezahlen (Anlage K 4, insbesondere §§ 2, 8, 9).

Mit Schreiben vom 26.10.2004 (Anlage K 10) wandte sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) an die KG und äußerte darin die Auffassung, diese betreibe mit ihrem Fondskonzept ein unerlaubtes Finanzkommissionsgeschäft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG, weshalb ihr gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und außerdem gemäß § 44 c KWG ein umfangreicher Fragenkatalog vorgelegt wurde (K 10, Seite 13 ff.).

Der zentrale Vorwurf des Klägers lautet, die Beklagte hätte ab Erhalt dieses € ihr in Ablichtung zugegangenen € Schreibens und bis zur endgültigen Untersagungsverfügung der BaFin am 15.06.2005 keine Lizenz- und Vermittlungsgebühren an die DVM mehr freigeben dürfen (siehe hierzu die Übersichten auf K 6 und K 7). Das Schreiben der BaFin vom 26.10.2004 (K 10) stelle insofern eine €ganz zentrale Zäsur€ dar (etwa Schriftsatz des Klägers vom 11.12.2009, Seite 3, = Blatt 353 d.A.). Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, ein €Einfrieren€ der für den Vertrieb bestimmten Gelder sei, zumal angesichts der Bemühungen der Geschäftsführung der KG, das Anlagemodell zu retten, nicht veranlasst gewesen; außerdem hätte in diesem Falle der Vertrieb seine Tätigkeit eingestellt mit der Folge, dass keine neuen Anleger mehr hätten gewonnen werden können.

Zur Ergänzung wird auf die ausführliche Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteiles Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klage unter Beachtung der in § 6 Abs. 2 des Mittelverwendungskontrollvertrages enthaltenen Haftungsbegrenzung auf 4 Mio. stattgegeben: Bei einer Gesamtschau des Mittelverwendungskontrollvertrages habe die Beklagte sich nicht auf eine pure €Belegprüfung€ beschränken dürfen, weshalb es eine Pflichtverletzung darstelle, Gelder für Zwecke freizugeben, die womöglich nicht mehr erreichbar seien. Die Beklagte, die auch den Emissionsprospekt geprüft habe, hätte auf das Schreiben der BaFin weitere Nachforschungen anstellen, das Scheitern des Fondskonzeptes erkennen, feststellen müssen, dass kein Raum mehr für die im Emissions-Dienstleistungsvertrag vorgesehenen Leistungen an die DVM sei und deshalb keine Gelder mehr freigeben dürfen.

Mit ihrer Berufung, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 17.06.2009, Blatt 270 ff., wird Bezug genommen: Die Beklagte habe sehr wohl überlegt, ob angesichts Anlage K 10 noch Gelder freigegeben werden durften, sei jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass dies der Fall sei und das Blockieren der Freigabe weiterer Mittel eine Pflichtverletzung (gegenüber der KG) dargestellt hätte. Das Konzept der KG sei keineswegs gescheitert gewesen, vielmehr sei versucht worden, deren Struktur zu ändern. Die vom Landgericht als verletzt betrachteten Pflichten ließen sich dem Mittelverwendungskontrollvertrag nicht entnehmen. Immerhin habe die BaFin ihre Abwicklungsverfügung erst im Juni 2005 erlassen (vgl. Anlage K 11).

In der Berufungserwiderung vom 16.10.2009 verteidigt der Kläger seine erstinstanzliche und vom Landgericht übernommene Argumentation (Blatt 293 ff.):

Die Einwendungen der BaFin (K 10) hätten sich auf den €Kern€ bzw. das €Herzstück€ des Fondsmodells bezogen, weshalb die Beklagte ab Zugang dieses Schreibens keine Gelder mehr hätte freigeben dürfen. Der, gerade auch wegen seines Werbeeffektes, geschlossene Mittelverwendungskontrollvertrag beinhalte für Situationen wie die hier gegebene auch Nachforschungspflichten. Die Beklagte sei in die Korrespondenz zwischen KG und BaFin €aktiv eingebunden€ gewesen, weshalb sie nicht habe weitermachen können, €als wäre nichts geschehen€ (siehe z.B. BE 12, = Blatt 304; Schriftsatz Kläger vom 14.05.2008, Seite 41, = Blatt 145). Bei einem Honorar in Höhe von 100.000,-- € könne die Beklagte sich nicht auf den reinen Wortlaut ihrer Pflichten aus K 5 zurückziehen. Der Kläger könne auch die Schäden einzelner Anleger über § 92 InsO, als €klassischen Quotenschaden€, geltend machen (BE 36, = Blatt 328 f.). Angesichts von Sinn und Zweck des Mittelverwendungskontrollvertrages könne sich die Beklagte auch nicht auf Weisungen der Fondsgeschäftsführung berufen (vgl. hierzu das als Anlage B 11 vorgelegte Schreiben vom 04.11.2004).

Auf die weiteren Schriftsätze ab 23.11.2009 (Blatt 335) wird ergänzend Bezug genommen.

Der Senat hat die Sache im Termin vom 03.12.2009 mit den Parteien erörtert und Hinweise erteilt (Protokoll Blatt 342/345). Auf die Schriftsätze des Klägers hierauf vom 02.12.2009 (Blatt 346 ff.), 11.12.2009 (Blatt 351 ff.), 15.12.2009 (Blatt 367 ff.), 07.01.2010 (Blatt 375 f.) sowie vom 20.01.2010 (Blatt 388 ff.) wird Bezug genommen, ebenso auf denjenigen der Beklagten vom 15.01.2010 (Blatt 377 ff.).

Eine Beweisaufnahme war nicht veranlasst.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Landgericht und Kläger überspannen im konkreten Falle die Anforderungen an die Pflichten des Mittelverwendungskontrolleurs. Das Schreiben der BaFin vom 26.10.2004 (K 10) stellte noch keinen ausreichenden Grund dafür dar, die der KG - vertraglich geschuldeten - Mittelfreigaben einzustellen, zumal die BaFin ihre endgültige Abwicklungsanordnung (K 11) erst mehr als ein halbes Jahr später erließ (und deren Rechtmäßigkeit ohnehin fragwürdig ist).

151. Was die Auslegung des Mittelverwendungskontrollvertrages (K 5) anbelangt, ist dem Kläger zuzugeben, dass nicht alleine auf dessen Wortlaut abgestellt werden kann: Auch wenn gemäß § 2, letzter Absatz, eine materielle Überprüfung der Investitionen der KG nicht vorgesehen ist, schuldete die Beklagte nach Sinn und Zweck des Kontrollvertrages auch ein gewisses €Mitdenken€, also ein Beobachten des Gesamtzusammenhanges, nicht lediglich die im Einzelnen geregelte bloße Belegprüfung (§§ 133, 157, 242 BGB). So etwa geht der BGH in seiner (von beiden Seiten für sich reklamierten) Entscheidung vom 19.11.2009 durchaus davon aus, ein Mittelverwendungskontrollvertrag könne auch beispielsweise Pflichten zu einer Untersuchung, Sicherstellung bzw. €Vergewisserung€ enthalten (III ZR 109/08 Tz. 17, 23 ff., WM 2010, 25 € wobei allerdings gleich an dieser Stelle angemerkt sei, dass im dort zugrundeliegenden Sachverhalt, anders als hier, Kläger die Anleger selbst und nicht die Fondsgesellschaft waren und überdies ausdrücklich ein echter Vertrag zu Gunsten der Anleger geschlossen worden war. Soweit der BGH in seinem Urteil vom 08.10.2009 - III ZR 241/08, im Zusammenhang mit der Haftung eines Mittelverwendungskontrolleurs ebenfalls davon ausging, dieser könne u. U. zu einer €Klärung der Hintergründe€ verpflichtet sein [Tz. 17], ist beachtlich, dass der Mittelverwendungskontrolleur dort zugleich die Stellung eines mit den Anlegern direkt in vertraglicher Beziehung stehenden Treuhandkommanditisten hatte).

16Schuldete die Beklagte demnach € über den reinen Wortlaut hinaus - ein am Zweck der Mittelverwendungskontrolle orientiertes Mitdenken, geht der Senat andererseits nicht davon aus, die Parteien hätten bei Abschluss des Mittelverwendungskontrollvertrages €Nachforschungspflichten€ gewollt (vgl. BE vom 16.10.2009, Seite 9 unten = Blatt 301 d.A.). Derartige Pflichten hätten nach Voraussetzungen und Umfang im Vertrag konkret geregelt werden müssen.

17Erst recht nicht kann angesichts der Vertragsgestaltung zugrunde gelegt werden, die Beklagte habe die Stellung eines €Quasi-Organs€ der KG, eines €bereichsspezifisch installierten Aufsichtsrates€, wahrnehmen sollen, weshalb sie für den Bereich der Verwendungskontrolle ohne weiteres €dem Vorstand der KG gleichzusetzen€ sei (vgl. BE 21, = Blatt 313 und öfter).

2. Bei einem derartigen Verständnis des Mittelverwendungskontrollvertrages bot das Schreiben der BaFin vom 26.10.2004 keinen ausreichenden Anlass für die Beklagte dazu, die Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Mittelverwendungskontrollvertrag auszusetzen. Die Beklagte musste zu diesem Zeitpunkt nicht €klüger€ sein als die BaFin mehr als ein halbes Jahr später.

a) Das Landgericht verkennt bereits, dass es sich bei dem genannten Schreiben (K 10) öffentlichrechtlich um eine bloße Anhörung im Sinne von § 28 VwVfG handelte, die insbesondere dazu diente, der KG rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren zu gewähren und, wie der Fragenkatalog ab Seite 13 des Schreibens auch deutlich zeigt, ein Mittel der Sachverhaltsaufklärung sein sollte (siehe etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 28 Rn. 1 f., 12).

b) Hinzu kommt, dass die von der BaFin aufgeworfene Problematik aufsichtsrechtlicher, mithin öffentlichrechtlicher, Art war (Betreiben eines unerlaubten Finanzkommissionsgeschäftes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG), während die Verträge zwischen KG und Beklagter sowie zwischen KG und DVM AG (Emissionsdienstleistungsvertrag, K 4) zivilrechtlicher Natur sind. Die Beklagte hätte demnach € aufgrund eines bloßen Anhörungsschreibens - davon ausgehen müssen, dass es zum einen aufgrund der KWG-rechtlichen Problematik zu einem Scheitern des Fondskonzeptes kommen werde und andererseits zugrunde legen, dass die in den Raum gestellte öffentlichrechtliche Problematik zivilrechtlich (über § 134 BGB€) auf den Emissions-Dienstleistungsvertrag durchschlägt. Dies hält der Senat für überzogen.

Hätte eine Behörde etwa öffentlichrechtliche Bedenken, gleich welcher Art, speziell gegen den Emissions-Dienstleistungsvertrag erhoben, läge der Fall womöglich anders. Hier indes trägt der Kläger nichts vor, aus dem entnehmbar wäre, die Beklagte habe bereits im November/Dezember 2004 wissen müssen, dass es nicht gelingen werde, den Bedenken der BaFin Rechnung zu tragen. Die BaFin selbst sperrte das der Kontrolle bzw. Freigabeermächtigung der Beklagten unterliegende €Und-Konto€ erst am 25.05.2005. Der Senat teilt nicht die Ansicht des Landgerichts, die Beklagte habe diese Maßnahme bereits Monate zuvor vorwegnehmen müssen.

c) Der Senat vermag dem Kläger auch nicht zu folgen, soweit dieser der Beklagten die Nichtbeachtung der €faktischen Maßgeblichkeit€, also der faktischen Auswirkungen des Schreibens der BaFin, vorwirft (etwa BE 16, = Blatt 308): Er verlangt hier von der Beklagten, sie hätte zum entsprechenden Zeitpunkt davon ausgehen müssen, dass der umfangreiche Fragenkatalog der BaFin, (Seite 13 ff. von K 10) sowie die entsprechenden Antworten hierauf, auch die der Beklagten, letztlich keine Rolle mehr spielen würden (die BaFin also zu einer Schließung des Fonds bereits damals fest entschlossen war). Fordert man von der Beklagten die Beachtung einer derartigen €faktischen Maßgeblichkeit€, hätte sie die Gelder beispielsweise auch dann einfrieren müssen, wenn ein negativer Artikel über den Fonds in der Presse erschienen wäre. Der Mittelverwendungskontrollvertrag deckt die Annahme einer entsprechenden Pflicht indes nicht.

Der Kläger ist selbst der Ansicht, es sei für die Pflichtenstellung der Beklagten unerheblich, ob die KWG-rechtliche Auffassung der BaFin im Schreiben vom 26.10.2004 bzw. der Abwicklungsanordnung vom 15.06.2005 rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sei; sie habe ihr Verhalten nicht nach einer € zudem äußerst vagen € Prognose über das Ergebnis späterer Verwaltungsstreitigkeiten ausrichten dürfen (Schriftsatz 11.12.2009, Seite 4, = Blatt 354). Dennoch habe sie € gewissermaßen vorsorglich € ihre zivil rechtlichen Pflichten gegenüber der KG verletzen müssen. Verlangt wird hier von der Beklagten eine alleine auf die Realität bezogene Sichtweise. Andererseits habe sich der Fonds der KG nicht an eine institutionelle Anlegerschaft gerichtet, sondern an die €breite Masse€ privater Kleinanleger, weshalb es aus Sicht des Klägers fernliegend sei anzunehmen, der prospektierte Fonds habe € nach endgültiger Ausräumung der KWG € rechtlichen Bedenken € nicht durch die Zeichnung weiterer privater Kleinanleger €aufgefüllt€ werden können (a.a.O., Seite 7, = Blatt 357). Diesen Optimismus, also dass es gelingt, die Bedenken der BaFin auszuräumen und den Fonds durch Werbung weiterer Anleger wieder €aufzufüllen€, gesteht der Kläger der Beklagten jedoch offenbar nicht zu.

d) Zu letztgenannter Prognose hat der Senat im Termin vom 03.12.2009 die Frage aufgeworfen, was denn passiert wäre, wenn die Beklagte, wie vom Kläger gefordert, aufgrund des Schreibens der BaFin keine weiteren Zahlungen an die DVM AG freigegeben hätte: Nach Ansicht des Klägers wäre lediglich der Vertrieb vorübergehend ausgesetzt worden (Schriftsatz 11.12.2009, Seite 6 ff., = Blatt 356 ff.), nach Ansicht der Beklagten hingegen das weitere Anwerben von Anlegern unterblieben und damit letztlich der Fonds in die Insolvenz getrieben (Schriftsätze 15.01.2010, Seite 10, = Blatt 386 bzw. 18.06.2008, Seite 8, = Blatt 179). Näherer Vortrag hierzu, etwa wie der Vertrieb im Einzelnen organisiert war bzw. wie sich ein €Einfrieren€ der von der KG gemäß dem Emissions-Dienstleistungsvertrag geschuldeten Gelder im Einzelnen ausgewirkt hätte, ob die Mitarbeiter / Vermittler (€) ihre Tätigkeit eingestellt hätten, fehlt trotz entsprechenden Hinweises des Senates im Termin. Ohne zu spekulieren, dürfte es naheliegen, dass ohne Freigabe der Vermittlungsprovisionen Anleger, wenn überhaupt, nur mehr in sehr reduziertem Umfange geworben worden wären. Unter diesen Umständen sieht der Senat keine Möglichkeit, der Beklagten vorzuwerfen, sie habe es unterlassen, aufgrund eines Anhörungsschreibens gemäß § 28 VwVfG, weitere Mittelfreigaben zu verweigern.

e) Die Beklagte, die auch nach dem Vortrag des Klägers auf das Schreiben des Vorstandsmitgliedes Rasch vom 04.11.2004, Anl. B 11, hin in materielle Prüfungen eintrat (BE 9, = Blatt 301) und die unstreitig auch selbst einen Fragenkatalog der BaFin beantwortete (B 14), gab im Zeitraum 28.10.2004 € 11.11.2004 keine Mittel frei (vgl. hierzu die Zeitpunkte in den Anl. K 6 und K 7). Auf die genaue Dauer und Intensität der entsprechenden Überlegungen auf Seiten der Beklagten kommt es letztlich nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass die ihr damals unstreitig bekannten Umstände (Anhörungsschreiben der BaFin, geplante Umstrukturierung des Fonds vom 27.10.2004, Schreiben des Vorstandsmitgliedes der KG vom 08.11.2004) keine hinreichende Grundlage für die klägerische Forderung darstellten, auch weiterhin, also über den 11.11. 2004 hinaus, keine Mittel mehr freizugeben. Noch am 06.12. 2004 ging es, entgegen der insoweit verkürzten Darstellung des Landgerichts auf Seite 7 /8 des Ersturteiles, keineswegs nur um ein €aliud€ (Fortsetzung des Fonds in Form einer GbR ), sondern war auch von einer €Fortentwicklung€ der KG -Struktur die Rede (vgl. Anl. K 21). Vertriebsprovisionen würden im Übrigen auch bei einer GbR sinnvoll sein.

Es überspannt jedenfalls die Anforderungen an die Pflichten der Beklagten, hier €vorauszusehen€, wie die weitere Entwicklung verlaufen würde; insbesondere musste die Beklagte nach Ansicht des Senates nicht etwa zivilrechtliche Rechtsfragen oder gar Rechtsstreitigkeiten durchspielen, etwa die, welche Einwendungen die KG der DVM AG hätte entgegensetzen können, wenn die Beklagte keine weiteren Mittel freigegeben hätte (siehe hierzu Schriftsätze des Klägers vom 11.12.2009, Seite 10, = Blatt 360, oder der Beklagten vom 15.01.2010, Seite 10, = Blatt 286).

3. Nachdem von einer Pflichtverletzung der Beklagten nicht ausgegangen werden kann, kommt es auf die weitere Frage, ob der KG durch die weitere Mittelfreigabe überhaupt ein Schaden entstanden ist, nicht mehr entscheidend an. Der Senat bezweifelt dies:

Unterstellt man eine Pflichtverletzung der Beklagten dadurch, dass sie weiterhin die Mittel für den Vertrieb freigab, anstelle sie zu sistieren, müsste der KG hieraus ein Schaden entstanden sein. Als Vermögensabfluss in diesem Sinne sind zweifellos die der Klageforderung entsprechenden im fraglichen Zeitraum freigegebenen Mittel anzusehen (vgl. Anlagen K 6, K 7). Andererseits verweist die Beklagte darauf, die Insolvenzmasse sei seit dem 28.10.2004 durch das Neuanwerben von Anlegergeldern um nahezu 24 Mio. € bereichert worden (Schriftsatz 15.01.2010, Seite 10, = Blatt 386). Geht man von den in den Anlagen K 6 und K 7 enthaltenen und zwischen den Parteien unstreitigen Beträge aus, so ist eine Summe in dieser Größenordnung plausibel, ohne dass es auf deren exakte Richtigkeit ankäme. Entgegen der Darstellung des Klägers ist dieses Vorbringen keineswegs neu: Bereits im Schriftsatz vom 14.05.2008 führt der Kläger selbst aus, bis Mitte 2005 seien €weiterhin Hunderte und Tausende neuer Anleger€ geworben worden (Seite 44, = Blatt 148) € die selbstverständlich weitere Gelder einbezahlten. Auch die Beklagte hat mehrfach darauf verwiesen, die freigegebenen Gelder seien Voraussetzung für eine weitere Vertriebstätigkeit und damit für den Zufluss weiterer Anlagegelder gewesen, weshalb der €Nutzen den geltend gemachten Schaden deutlich überwogen€ habe (Schriftsatz 17.06.2009, Seite 4 unten, = Blatt 273). Bei der gebotenen schadenersatzrechtlichen Betrachtung können die von Seiten der €Neuanleger€ (ab 28.10.2004) zugeflossenen Gelder mithin nicht unberücksichtigt bleiben.

Der Senat sieht nicht, dass der genannte Zufluss wirklich durch Entstehung entsprechender Rückforderungsansprüche der betreffenden Insolvenzgläubiger kompensiert bzw. neutralisiert wird, wie der Kläger meint (Schriftsatz vom 20.01.2010, Seite 2, = Blatt 389). Fragen ließe sich insoweit allenfalls, ob der Vertrieb der KG auch bei Nichtweiterleitung der Gelder weitergearbeitet und (umsonst) neue Anleger geworben hätte (siehe oben). Nur wenn diese Darstellung des Klägers, die der Senat für wenig naheliegend hält, wirklich zuträfe, wäre von dem geltend gemachten Schaden auszugehen, weil dann auch bei einem Einfrieren der Mittel gegenüber der DVM AG die neuen Anlegergelder zugeflossen wären, mithin die zur Verfügung stehende Masse noch zusätzlich vergrößert worden wäre.

4. Soweit der Kläger seine Ansprüche hilfsweise auf einen entsprechenden Gesamtschaden im Sinne eines Vermögensabflussschadens €der Anlegerschaft€ stützt, kann er sich zur Begründung einer Prozessführungsbefugnis nicht auf § 92 InsO berufen (vgl. Klageschrift Seite 47, = Blatt 47; Schriftsatz 02.02.2009, Seite 27, = Blatt 247 sowie etwa BE 36, = Blatt 328). Der Kläger betont ausdrücklich, über § 92 InsO keine Zeichnungsschäden einzelner Anleger, sondern ausschließlich einen Gesamtschaden aller Anleger aufgrund von deren Gläubigerstellung geltend zu machen und stützt sich als Anspruchsgrundlage auf § 280 BGB i. V. m. dem Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter.

Nach Ansicht des Senates, der hierauf im Termin vom 03.12.2009 auch hingewiesen hat, ist dies nicht möglich. Vielmehr sind Gesamt€ und Einzelschaden zu unterscheiden: Einen Gesamtschaden, im Sinne eines €Quotenschadens€, erleiden etwa die Altgläubiger einer GmbH, wenn der Geschäftsführer seiner Pflicht zur Insolvenzantragstellung nicht nachkommt und weitere Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen geleistet werden (vgl. § 64 GmbHG in der Fassung vor Inkrafttreten des MoMiG). Für einen solchen Schaden stellt § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. eine eigenständige Anspruchsgrundlage (der Gesellschaft!) zur Verfügung; es handelt sich um einen klassischen Anwendungsfall von § 92 InsO (vgl. etwa Ulmer/Habersack/Winter€ Casper, GmbHG, § 64 Rn. 137 ff).

Hier dagegen beruft der Kläger sich als Anspruchsgrundlage auf § 280 BGB . Diese Vorschrift begründet jedoch entweder € direkt - einen Anspruch der KG/Schuldnerin (siehe oben), oder aber € über einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte € einen Anspruch des einzelnen Anlegers, der gegenüber der Beklagten eine bestimmte Pflichtverletzung geltend machen kann. § 280 BGB taugt demgegenüber nicht als Grundlage für einen Anspruch auf einen €Masseabflussschaden€ der KG, den eine €Anlegerschaft als Gesamtschaden€ geltend macht (Schriftsatz Kläger 02.02.2009, Seite 27, = Blatt 247). Einen Zeichnungsschaden (der €Neugläubiger€), für den § 280 BGB heranziehbar wäre, kann und will der Kläger ausdrücklich nicht geltend machen. Damit ist ihm verwehrt, Ansprüche einzelner Anleger aus § 280 BGB € zusätzlich € geltend zu machen.

Darauf, dass bei vorliegender Vertragsgestaltung (K 5) ein echter Vertrag zu Gunsten Dritter (mit einem primären Leistungsanspruch jedes Anlegers gegenüber der Beklagten, § 328 Abs. 1 BGB) hier nicht vorliegt, sondern allenfalls € dem Zweck der Mittelverwendungskontrolle entsprechend € die Einbeziehung der Anleger in den Schutzbereich des Vertrages zwischen der Beklagten und der KG, kommt es demnach nicht mehr an.

5. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus §§ 280 BGB, 57 AktG:

a) Es fehlt insoweit bereits an einer Pflichtverletzung der Beklagten, weil nicht erkennbar ist, dass der Mittelverwendungskontrollvertrag die Beklagte berechtigt oder verpflichtet hätte, zu überprüfen, ob die Erfüllung des Emissionsdienstleistungsvertrages (aufgrund eines Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung) einen Verstoß gegen das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr im Sinne von § 57 AktG darstellt.

Nach dem klaren Wortlaut dieses Vertrages oblagen der Beklagten eine Reihe konkret umrissener € formaler € Pflichten, wobei sie in dem oben angedeuteten Umfang (siehe oben 1.) auch gehalten gewesen sein mag, unter Beachtung von Sinn und Zweck der Mittelverwendungskontrolle die allgemeine Entwicklung im Auge zu behalten. Demgegenüber schuldete sie nicht eine Begutachtung der € gewiss interessanten € Rechtsfrage, ob die Zuwendungen aus dem Vermögen der KG bei der hier gegebenen Konzernstruktur (Klageschrift Seite 5) zu einer, gegebenenfalls analogen, Anwendung von § 57 AktG führen müssen. Selbst wenn man unterstellt, die Beklagte verfüge über Mitarbeiter mit den hierzu erforderlichen Rechtskenntnissen, so gibt der Mittelverwendungskontrollvertrag eine entsprechende Überprüfungspflicht nicht her. Auch im Rahmen der von ihr durchgeführten Prospektprüfung war die Beklagte nicht gehalten, eine derartige Begutachtung vorzunehmen. Der Kläger überspannt auch hier die Pflichten eines Mittelverwendungskontrolleurs (der nicht etwa auch zugleich Treuhandkommanditist ist), wenn er verlangt, die Beklagte müsse vor Abschluss des Mittelverwendungskontrollvertrages derart umstrittene Rechtsfragen überdenken und dann womöglich auf Änderungen des Modells, Herabsetzung der Provisionen an die DVM AG etc., hinwirken bzw. € wie etwa in den Fällen der F. Zinsfonds (BGH III ZR 109/08, siehe oben) € die Anleger warnen.

b) Überdies sieht der Senat € ohne dass es darauf noch maßgeblich ankäme € auch angesichts der Darlegungen des Klägers hierzu (etwa Blatt 17 ff.) die Voraussetzungen von § 57 AktG nicht als gegeben an:

Zutreffend ist, dass diese Vorschrift, zumal bei konzernrechtlichen Sachverhalten, auch dann Anwendung finden kann, wenn auf Seiten des Leistenden und/oder des Empfängers ein Dritter als €Einlagen€ zu verstehende Leistungen gewährt bzw. erhält (übersichtliche Darstellung etwa bei MüKo/AktG-Bayer, 3. Aufl., § 57 Rn. 47 ff. bzw. 54 ff.). Die Annahme einer Einlagenrückgewähr in diesem Sinne würde hier zwar nicht auf Empfängerseite scheitern (vgl. Bayer, a.a.O., Rn. 54, 56, 64 ff, 68), nachdem die DVM AG eine hundertprozentige Tochter der Alleinaktionärin der persönlich haftenden Gesellschafterin (DPM AG) der KG ist.

Die KG ist jedoch, was die Zuwendung anbelangt, nicht €Dritte€ in obengenanntem Sinn, so dass der Abfluss der Mittel nicht der Komplementärin zugerechnet werden kann: Die in Frage stehenden Leistungen flossen nicht aus dem Vermögen der AG/persönlich haftenden Gesellschafterin, sondern aus dem der KG ab. Eine ausreichende Verflechtung (Bayer, a.a.O., Rn. 48 ff.) besteht nicht, nachdem die Komplementärin an der KG mit lediglich € 25.000,-- beteiligt ist; dass die Komplementärin über §§ 128, 161 Abs. 2 HGB auch für Verbindlichkeiten der KG haftet, führt nicht zur Annahme einer Einlagenrückgewähr im Sinne von § 57 AktG.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision, § 543 Abs. 2 ZPO, liegen nicht vor: Entscheidend für den Ausgang des Rechtsstreits war die Frage, ob die Beklagte im konkreten Falle eine Pflichtverletzung begangen hat oder nicht. Eine Prüfungspflicht bezüglich der € im Schrifttum umstrittenen € Anwendungsvoraussetzungen von § 57 AktG oblag der Beklagten nicht, weshalb es auf die vom Senat hilfsweise angestellten Erwägungen hierzu nicht maßgeblich ankam.






OLG München:
Urteil v. 11.02.2010
Az: 23 U 2414/09


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