Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 30. Mai 2012
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 3/12

(BGH: Beschluss v. 30.05.2012, Az.: AnwZ (Brfg) 3/12)

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 21. November 2011 wird abgelehnt.

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 21. November 2011 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.

Der Geschäftswert des Zulassungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist seit dem 30. August 1996 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und Mitglied der Beklagten. Seit 2005 wird er regelmäßig von Insolvenz-1 gerichten zum Insolvenzverwalter bestellt; einen Fachanwaltslehrgang hat er nicht besucht. Mit Schreiben vom 5. März 2007 beantragte er bei der Beklagten die Verleihung der Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Insolvenzrecht" zu führen. Zum Nachweis seiner besonderen theoretischen Kenntnisse berief er sich unter anderem auf verschiedene von ihm stammende Veröffentlichungen in Fachzeitschriften sowie ein von ihm für die Insolvenzrichter beim Amtsgericht C. erstelltes Merkblatt für Insolvenzplanverfahren bei geschlossenen Immobilienfonds und legte - auf Anregung des Vorsitzenden des Fachausschusses der Beklagten - eine 110seitige Zusammenstellung (mit 5 Aktenordnern) vor; diese enthielt eine Erläuterung und Zuordnung von ihm im Rahmen von 130 Insolvenzverfahren erstellter Schriftstücke (Gutachten; Berichte; Schriftsätze) zu den einzelnen Bereichen des Fachgebiets Insolvenzrecht (§ 14 FAO). Mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 lehnte die Beklagte - entgegen dem Votum ihres Fachausschusses - den Antrag ab; der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 9. Juni 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass durch die Veröffentlichungen und das Merkblatt nicht alle Rechtsgebiete des § 14 FAO abgedeckt seien; die vom Kläger im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit erworbenen praktischen Erfahrungen seien nicht geeignet, den Nachweis theoretischer Kenntnisse zu ersetzen. Auf die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof - unter Zurückweisung der weitergehenden Klage - die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verpflichtet, über den Antrag unter Beachtung der in den Urteilsgründen ausgeführten Rechtsauffassung - die Beklagte habe den Antrag nicht zurückweisen dürfen, ohne dass zuvor ein Fachgespräch (§ 7 FAO) stattgefunden habe - neu zu befinden.

Gegen dieses Urteil richten sich die Anträge beider Parteien auf Zulassung der Berufung. 2 II.

1. Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers hat Erfolg; es bestehen, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Der Anwaltsgerichtshof hat die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunterlagen als nur zum Nachweis praktischer Erfahrungen (§ 5 Abs. 1g FAO) geeignet angesehen und sie als zum Beleg der notwendigen theoretischen Kenntnisse (§ 4 Abs. 3 FAO) auf den anderweitig nicht abgedeckten Teilgebieten des § 14 FAO unerheblich außer Betracht gelassen. Nach der Senatsrechtsprechung sind demgegenüber zum Nachweis dieser Kenntnisse alle geeigneten Beweismittel und Erkenntnisquellen zu berücksichtigen; dementsprechend kann es auch genügen, wenn ein Antragsteller auf seine berufliche Tätigkeit zurückgreift und aussagekräftige, mit entsprechendem theoretischen Niveau bearbeitete Schriftsätze bzw. Aktenauszüge oder sonstige Arbeitsnachweise vorlegt, aus denen sich die notwendigen Kenntnisse ableiten lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 46/94, BRAK-Mitt. 1995, 73, 75 zur mit § 7 Abs. 3 FAO inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 8 Abs. 3 RAFachBezG; ferner Senatsbeschluss vom 19. Juni 2000 - AnwZ (B) 59/99, NJW 2000, 3648, 3649).

2. Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag der Beklagten ist unbegründet; die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor. Die maßgeblichen Rechtsfragen zum Fachgespräch sind in der Senatsrechtsprechung geklärt. Sollten, was 3 im Rahmen der Berufung des Klägers zu klären sein wird (s.o.), die vorgelegten Unterlagen zur Abdeckung aller Fachgebiete des § 14 FAO nicht ausreichend gewesen sein, war es rechtsfehlerhaft, den Antrag des Klägers auf Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung abzulehnen, ohne zuvor ein Fachgespräch durchzuführen.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung zu § 7 FAO in der bis zum 31. Dezember 2002 gültigen Fassung die Auffassung vertreten, dass Gegenstand eines Fachgesprächs nur die Rechtsgebiete sein können, in denen der Nachweis der in den §§ 4, 5 FAO geforderten Kenntnisse und Erfahrungen anhand der eingereichten Unterlagen noch nicht geführt ist; hat der Antragsteller ausreichende Unterlagen (§ 6 FAO) vorgelegt, ist für ein Fachgespräch kein Raum (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. September 2002 - AnwZ (B) 40/01, BRAK-Mitt. 2003, 25, 26 ff. und 7. März 2005 - AnwZ (B) 11/04, BRAK-Mitt. 2005, 123 f. m.w.N.; siehe auch Senatsbeschluss vom 21. Juni 1999 - AnwZ (B) 91/98, BGHZ 142, 97, 99 m.w.N. zu § 10 RAFachBezG). Das Fachgespräch tritt damit nicht als eigenständige Prüfung der fachlichen Qualifikation des Bewerbers neben die in der FAO geforderten Nachweise, sondern hat Bedeutung nur als ergänzende Beurteilungsgrundlage für die Fälle, in denen die schriftlichen Unterlagen nicht ausreichen, der Nachweis im Rahmen eines Fachgesprächs aber noch aussichtsreich erscheint (Senatsbeschluss vom 23. September 2002, aaO S. 27). Diese Rechtsprechung gilt - bei verfassungskonformer Auslegung der Bestimmung - weiterhin auch für die ab 1. Januar 2003 geltende Neufassung des § 7 FAO (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2005, aaO S. 124 und vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, NJW 2006, 1513 Rn. 32). Soweit die Beklagte aus bestimmten Formulierungen des Senatsbeschlusses vom 16. April 2007 (AnwZ (B) 31/06, BRAK-Mitt. 2007, 166 Rn. 11 ff.) ableiten möchte, dass im vorliegenden Fall im Rahmen des § 4 Abs. 3 FAO eine Ersetzung des feh-6 lenden Nachweises theoretischer Kenntnisse in einzelnen Teilbereichen des § 14 FAO durch ein Fachgespräch unmöglich sei, ist dies unzutreffend. In dem zitierten Beschluss ging es um die praktischen Erfahrungen aus "mindestens 5 eröffneten Verfahren aus dem ersten bis sechsten Teil der InsO als Insolvenzverwalter" (§ 5 Abs. 1g Nr. 1 FAO). Insoweit hat der Senat unter Hinweis unter anderem darauf, dass zum Nachweis dieser besonderen praktischen Kenntnisse ein Fachgespräch nicht zielführend sei und die FAO in § 5 Abs. 1g Nr. 3 und 4 auch eine spezielle Ersetzungsregelung vorsehe, eine Verpflichtung der damaligen Beklagten zur Führung eines Fachgesprächs verneint. Hieraus lässt sich für den vorliegenden Fall nichts ableiten. Im Übrigen hat der Senat in der Folgezeit ausdrücklich Fachgespräche bei Defiziten im Nachweis theoretischer Kenntnisse im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 3 FAO für zulässig erachtet (vgl. Beschluss vom 21. Juli 2008 - AnwZ (B) 62/07, AnwBl. 2008, 711, 712; siehe zur Ersetzung auch Beschluss vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 14/07, NJW-RR 2008, 927 Rn. 7 ff.). Er hat lediglich im Hinblick auf die begrenzte - nicht eigenständige, sondern nur ergänzende - Funktion des Fachgesprächs (s.o.) deutlich gemacht, dass ein solches zum Nachweis nicht in Betracht kommt, wenn die vom Antragsteller im Rahmen des § 4 Abs. 3 FAO vorgelegten Unterlagen in wesentlichen Teilen unzureichend sind und deshalb kein partieller Klärungsbedarf besteht (Beschluss vom 21. Juli 2008, aaO). Hiervon kann im vorliegenden Fall, in dem allein durch die vorgelegten Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und das erstellte Merkblatt die Teilgebiete des § 14 FAO mehrheitlich abgedeckt sind, nicht gesprochen werden.

III.

Das Verfahren wird als Verfahren über die Berufung des Klägers fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung durch den Kläger bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

Rechtsmittelbelehrung:

Die Berufung ist durch den Kläger innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird 7 auf die Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 6 VwGO).

Tolksdorf Roggenbuck Seiters Frey Martini Vorinstanz:

AGH Berlin, Entscheidung vom 21.11.2011 - I AGH 6/10 -






BGH:
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