Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. September 2004
Aktenzeichen: 21 W (pat) 316/02

(BPatG: Beschluss v. 28.09.2004, Az.: 21 W (pat) 316/02)

Tenor

Nach Prüfung des Einspruchs wird das Patent widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 28. Mai 1999 unter Inanspruchnahme der inneren Priorität vom 29. Mai 1998 (DE 198 23 985) beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte und am 16. Dezember 1999 offengelegte Patentanmeldung ist das Patent mit der Bezeichnung "Verfahren und Anordnung zur Ermittlung von Kenngrößen zur Beurteilung der Elektroenergiequalität" erteilt worden. Die Veröffentlichung der Patenterteilung ist am 6. Juni 2002 erfolgt.

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden.

Dem Einspruchsverfahren liegt der erteilte Patentanspruch 1 zugrunde.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Ermittlung von Kenngrößen zur Beurteilung der Elektroenergiequalität in Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzen aus den gemessenen Werten von Strom und Spannung in diesen Netzen, wobei mehrere Kanäle vorgesehen sind und in jedem Kanal zunächst eine Erfassung der Eingangsgrößen von Spannung U und Strom I erfolgt, wobei daran anschließend in jedem Kanal eine Signalvorverarbeitung der erhaltenen Meßsignale, umfassend Verstärkung, Filterung und Bandbreitenbegrenzung, erfolgt, wobei nachfolgend in jedem Kanal eine Potentialtrennung vorgenommen wird, wobei anschließend in jedem Kanal eine Signalvorverarbeitung durch jeweils einen ersten Rechner (DSP) erfolgt, umfassend eine Fourieranalyse, eine Effektivwertberechnung und eine erweiterte Filterung/Bandbegrenzung, wobei wiederum nachfolgend in jedem Kanal die solcherart vorverarbeitenden Strom- und Spannungsgrößen über ein bidirektionales Interface jeweils einem zweiten Rechner (KPC) zugeführt werden, der die weitere Signalverarbeitung, umfassend die Berechnung der Parameter der Spannungsqualität sowie eine mathematische Werteaufbereitung für eine statistische Bewertung der Meßergebnisse, vornimmtund wobei schließlich die Signal- und Ergebnisweitergabe von allen Kanälen an einen einzigen übergeordneten dritten Rechner (HOST PC) erfolgt, der seinerseits die ereignisbezogene Steuerung aller ersten und zweiten Rechner (DSP, KPC) vornimmt, derart, dass eine ereignisbezogene Beurteilung in Echtzeit stattfindet."

Zu dem rückbezogenen Patentanspruch 2 und dem nebengeordneten Patentanspruch 3 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine entsprechende Anordnung anzugeben, mittels der die Echtzeiterfassung und Echtzeitbewertung der Strom- und Spannungsverläufe und damit die Bewertung schnell veränderlicher Abläufe möglich ist (Patentschrift Sp 1 Zn 62 ff).

Zur Begründung des Einspruchs hat die Einsprechende u.a. auf die Entgegenhaltungen

(D1) US 5 736 847

(D4) TIETZE, U. und SCHENK, CH.: "Halbleiter-Schaltungstechnik", 9. Auflage, Springer-Verlag, 1989, Seiten 770-775

(D5) Siemens-Katalog "Analyse der Netzqualität", SIMEAS N, Oscillostore, Katalog SR 10.2, 1997 verwiesen.

Die Einsprechende hat am 19. Dezember 2002 ihren Einspruch zurückgenommen.

Die Patentinhaberin hat in ihrem Schriftsatz vom 15. Dezember 2003 beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Am 16. August 2004 hat sie ihre Absicht erklärt, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen und hat um Entscheidung nach Aktenlage gebeten. Sachlich hat sie sich zum Einspruch nicht geäußert. Zur mündlichen Verhandlung ist sie nicht erschienen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet im Einspruchsverfahren (§ 147 Abs 3 PatG) auf Grund mündlicher Verhandlung in entsprechender Anwendung von § 78 PatG (vgl. BPatG Mitt. 2002, 417, 418 - Etikettierverfahren).

Der rechtzeitig und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es sind innerhalb der Einspruchsfrist die den Einspruch rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt worden, so dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können.

Der Einspruch hat auch Erfolg, denn der Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig.

Der - erteilte - Patentanspruch 1 ist formal zulässig, denn er findet seine Stütze auch in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen, dort in den Ansprüchen 1 und 2 sowie in den Figuren 1 und 2 mit Beschreibung S 1 Abs 1 und S 3 f.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist zwar neu. Er beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich aus dem Stand der Technik gemäß D1 in Verbindung mit dem Wissen und Können des Fachmanns in naheliegender Weise ergibt.

Als zuständiger Fachmann ist dabei ein in der Entwicklung von Überwachungseinrichtungen für Stromversorgungsnetze tätiger Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik anzusehen.

Mit Gliederungspunkten versehen lautet der Patentanspruch 1:

Verfahren zur Ermittlung von Kenngrößen zur Beurteilung der Elektroenergiequalität in Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzen aus den gemessenen Werten von Strom und Spannung in diesen Netzen, a) wobei mehrere Kanäle vorgesehen sind undb) in jedem Kanal zunächst eine Erfassung der Eingangsgrößen von Spannung U und Strom I erfolgt, c) wobei daran anschließend in jedem Kanal eine Signalvorverarbeitung der erhaltenen Messsignale, umfassend Verstärkung, Filterung und Bandbreitenbegrenzung, erfolgt, d) wobei nachfolgend in jedem Kanal eine Potentialtrennung vorgenommen wird, e) wobei anschließend in jedem Kanal eine Signalvorverarbeitung durch jeweils einen ersten Rechner (DSP) erfolgt, umfassend eine Fourieranalyse, eine Effektivwertberechnung und eine erweiterte Filterung/Bandbegrenzung, f) wobei wiederum nachfolgend in jedem Kanal die solcherart vorverarbeiteten Strom- und Spannungsgrößen über ein bidirektionales Interface jeweils einem zweiten Rechner (KPC) zugeführt werden, der die weitere Signalverarbeitung, umfassend die Berechnung der Parameter der Spannungsqualität sowie eine mathematische Werteaufarbeitung für eine statistische Bewertung der Messergebnisse vornimmt, g) und wobei schließlich die Signal- und Ergebnisweitergabe von allen Kanälen an einen einzigen übergeordneten dritten Rechner (HOST PC) erfolgt, der seinerseits die ereignisbezogene Steuerung aller ersten und zweiten Rechner (DSP, KPC) vornimmt, derart, dassh) eine ereignisbezogene Beurteilung in Echtzeit stattfindet.

Die D1 betrifft die Überwachung der Qualität der über ein Leistungsnetz übertragenen elektrischen Leistung ("... monitor the quality of the power being transmitted through a power system"; Sp 1 Zn 11 ff) auf der Grundlage von gemessenen Werten von Strom und Spannung ("... voltage and current signals"; Sp 2 Zn 19 bis 28), wobei sowohl Hochspannung als auch niedrigere Spannungen angesprochen sind ("... from a relatively high voltage on the distributor cable to the lower voltage ..."; Sp 1 Zn 16 bis 60). Somit erschließt sich daraus ein Verfahren zur Ermittlung von Kenngrößen zur Beurteilung der Elektroenergiequalität in Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzen aus den gemessenen Werten von Strom und Spannung in diesen Netzen.

Dabei sind eine Vielzahl von Überwachungseinheiten ("IED 100") vorhanden (Figur 2 in Verbindung mit Sp 3 Zn 40 ff), die mehrere Kanäle bilden (Merkmal a)).

In jeder Überwachungseinheit (100), also in jedem Kanal, erfolgt zunächst eine Erfassung der Eingangsgrößen Spannung und Strom ("voltage inputs V1-V3", "current inputs I11-I32"; Sp 3 Zn 31 ff) (Merkmal b)).

Daran anschließend erfolgt in jedem Kanal eine Signalvorverarbeitung ("Signal conditioning circuitry 23" in Figur 3), wobei eine Verstärkung ausdrücklich erwähnt wird ("amplify"; Sp 3 Z 65 bis Sp 4 Z 2), so dass bis auf eine "Filterung und Bandbreitenbegrenzung" das Merkmal c) gegeben ist.

Bei dem aus der D1 hervorgehenden Verfahren erfolgt anschließend in jedem Kanal mit Hilfe eines digitalen Signalprozessors (DSP) (Pos. 28 in Figur 3) eine Fourier Transformation ("Fast Fourier Transform (FFT)") sowie die Berechnung des Effektivwertes der Spannung und/oder der Stromstärke ("Root Mean Square (RMS) voltage and/or current") (Sp 4 Zn 29 ff), wonach - bis auf "eine erweiterte Filterung/Bandbreitenbegrenzung" - das Merkmal e) gegeben ist.

Wiederum nachfolgend werden die vorverarbeiteten Strom- und Spannungsgrößen gemäß Figur 3 in Verbindung mit Sp 5 Zn 9 ff über ein "dual port RAM 27" einem zweiten Rechner ("microcontroller 35") zugeführt, der mittels eines im EEPROM 34 gespeicherten Programms ("logic") (88) die weitere Signalverarbeitung vornimmt (Figur 4 und Sp 5 Zn 60 ff). Dabei ist das "dual port RAM 27" als "bidirektionales Interface" aufzufassen - wie dies die Einsprechende auf Seite 4, vorletzter Absatz ihres Einspruchsschriftsatzes dargelegt hat - da in Sp 3 Zn 42 bis 46 ausgeführt ist, dass der PC (114) in Figur 2 als Master für die Überwachungseinheiten (100) verwendet wird und somit das "dual port RAM 27" auch eine Datenübergabe in die entgegengesetzte Richtung ermöglichen muss. Nach Figur 4 umfasst die "weitere Signalverarbeitung" durch den Rechner (35) die Berechnung von Leistungsparametern ("means for calculating power parameters", Pos. 82), insbesondere für den normalen Arbeitsbereich ("normal operating range"; 85) und für den Fall außerhalb des normalen Arbeitsbereichs ("for out of normal range"; 86). Weiterhin werden u.a. die Wirk- und Blindleistung ("real and reactive power"; 96) berechnet und es sind Maßnahmen zur Fehlerkompensation ("error compensating means"; 83) vorgesehen. Dies sind Faktoren, die in eine statistische Auswertung der Spannungsqualität eingehen, wie sie im Hinblick auf in Sp 2 Zn 1 ff angesprochene Datenerfassungssysteme ("data acquisition systems") und in Sp 1 Zn 42 ff aufgegriffene Erfassung von Störfällen ("faults") erforderlich sind. Demnach ist das Merkmal f) gegeben.

Schließlich geht aus der Figur 2 in Verbindung mit der Beschreibung in Sp 3 Zn 39 ff hervor, dass alle Kanäle ("IED" bzw. die einzelnen, die IED's tragenden Äste) mit einem einzigen dritten Rechner ("PC"; Pos. 114) verbunden sind, wobei dieser PC die Mastereinrichtung ("master device") der einzelnen Kanäle, und somit einen übergeordneten PC, darstellt. Des weiteren ist eine Verbindung verschiedener solcher PC's mittels Datenübertragungsnetz ("communication network"; 116) möglich. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Signal- und Ergebnisweitergabe von allen Kanälen an einen einzigen übergeordneten dritten Rechner erfolgt, der seinerseits die ereignisbezogene Steuerung aller ersten und zweiten Rechner vornimmt (Merkmal g).

Durch den hierarchischen Aufbau des Systems gemäß D1 mit einem ersten, einem zweiten und einem dritten Rechner ("digital signal processor" (28), "microcontroller" (35), "PC" (114)) ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf eine in Sp 1 Zn 46 ff angesprochene ständige Überwachung ("to continuously monitor") u.a. auch von Störfällen ("faults") sowie eine Überwachung mit hoher Genauigkeit ("with high accuracy"; Sp 2 Zn 11 ff) eine ereignisbezogene Beurteilung in Echtzeit stattfindet, wonach auch das Merkmal h) gegeben ist.

Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich das Verfahren gemäß dem Patentanspruch 1 dadurch, dass anschließend an eine Erfassung der Eingangsgrößen bei der Signalvorverarbeitung neben einer Verstärkung auch eine Filterung und Bandbreitenbegrenzung erfolgt (vgl. Merkmal c)), nach der Signalvorverarbeitung in jedem Kanal eine Potentialtrennung vorgenommen wird (Merkmal d)) und durch den ersten Rechner neben der Fourieranalyse und der Effektivwertberechnung auch eine erweiterte Filterung /Bandbegrenzung erfolgt (vgl. Merkmal e)).

Diese Unterschiede können die Patentfähigkeit nicht begründen. Denn die im Merkmal c) sonst noch angegebenen Maßnahmen "Filterung und Bandbreitenbegrenzung" sind - wie die Einsprechende zutreffend ausführt - für den Fachmann übliche Signalverarbeitungsschritte. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf D4, S 772 letzter Abs (dort geht es um die Bandbreitenbegrenzung bei A/D-Wandlern; solche A/D-Wandler sind auch in der Figur 3 der D1 mit Bezugszeichen 29 und 30 vorhanden) und auf die Patentschrift Sp 2 Z 67 bis Sp 3 Z 2 selbst, wo explizit ausgeführt ist, dass eine solche Signalvorverarbeitung an sich bekannt ist. Eine geeignete ("erweiterte") Filterung/Bandbegrenzung bei der Signalvorverarbeitung gemäß Merkmal e) wird ein Fachmann bei Bedarf ebenfalls vorsehen.

Schließlich ist auch die Potentialtrennung, wie sie im Merkmal d) angegeben ist, eine Maßnahme, die der Fachmann bei der Überwachung hoher Spannungen und Ströme überlicherweise vorsehen wird, um elektrische Einflüsse und Rückwirkungen auf Sensoren und andere Systemkomponenten zu vermeiden. Beispielsweise wird eine Potentialtrennung auch in der D1 in Figur 1 dargestellt, und zwar durch die zwischen den Lastleitungen (101A, 101B und 101C vorhandenen Potentialwandler ("PT's") 104A und 104B. An welcher Stelle diese Potentialtrennung durchgeführt wird, etwa bereits direkt an der Energieübertragungsleitung, wie in D1, oder nach der Signalvorverarbeitung, wie es dem Fachmann beispielsweise aus der D5 (Seite 1/2) geläufig ist, wird dieser ebenfalls je nach Bedarf in fachgerechter Weise festlegen, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.

Der Patentanspruch 1 hat somit wegen fehlender Patentfähigkeit seines Gegenstandes keinen Bestand. Da nur über den Antrag insgesamt entschieden werden kann, teilen der darauf rückbezogene Patentanspruch 2 und der nebengeordnete Patentanspruch 3 das Schicksal des Patentanspruchs 1.

Im Übrigen wäre auch die Anordnung gemäß dem Patentanspruch 3 für sich genommen nicht patentfähig, da - wie der Senat im Einzelnen überprüft hat - diese Anordnung gegenüber der D1 nicht neu ist.

Dr. Winterfeldt Klosterhuber Dr. Franz Dr. Maksymiw Pü






BPatG:
Beschluss v. 28.09.2004
Az: 21 W (pat) 316/02


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