Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Juli 2009
Aktenzeichen: 20 W (pat) 17/05

(BPatG: Beschluss v. 08.07.2009, Az.: 20 W (pat) 17/05)

Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 7. Oktober 2004 wird aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Die am 26. Oktober 1999 eingereichte Patentanmeldung 199 51 620.0-35 mit den japanischen Unionsprioritäten vom 29. Oktober 1998 und 30. Oktober 1998 mit der Bezeichnung "Differentialverstärkerschaltung und Differentialtreiber vom Hochzieh-Typ" betrifft eine integrierte Differentialverstärkerschaltung in MOS-Technik, die durch ihren schaltungstechnischen Aufbau ermöglicht, eine Differentialverstärkungsoperation sogar in den Fällen korrekt auszuführen, bei denen die Zentralwerte der Amplitude der Differentialeingangssignale sehr verschieden sind (vgl. urspr. Beschreibung S. 7, Z. 20 -25). Um diese Funktion zu realisieren, werden relativ hochpegelige Eingangssignale in einer Differentialverstärkerstufe in NKanal-Technik, niedrigpegelige Eingangssignale in einer Differentialverstärkerstufe in P-Kanal-Technik verarbeitet. Die Ausgangssignale werden einer weiteren, zweiten Differentialverstärkerschaltung zugeführt, die mit einer gesteuerten Stromquelle beschaltet ist, die ihren Stromwert in Abhängigkeit von den durch den Herstellungsprozess erzeugten Transistorcharakteristiken ändert (vgl. urspr. Beschreibung, S. 8, Z. 20 - 25). Die damit reduzierte Anfälligkeit für den Einfluss von Herstellungsprozessen ermöglicht es, verstärkte Ausgabesignale mit einem gleichmäßigen Pegel zu erzeugen (vgl. urspr. Beschreibung, S. 10, Z. 32 -35). Die so erzeugten Ausgabesignale werden im Weiteren einer CMOS-Inverterschaltung zugeleitet. Im Weiteren wird ein Differentialtreiber mit einer steuerbaren Konstantstromquelle beschaltet, die verhindern soll, dass Ströme von der Ausgangssignalleiterseite des Differenzverstärkers zur Energiequellenspannungsseite fließen, wenn die Ausgangssignalspannungen über die Energiequellenspannung angestiegen sind (vgl. urspr. Beschreibung, S. 11, Z. 13 -20).

Die ursprünglich eingereichte Patentanmeldung umfasst 31 Ansprüche, von denen 8 einander nebengeordnet sind. Bezüglich des Wortlauts der Ansprüche im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

In ihrem Prüfungsbescheid vom 27. September 2001, auf den der Senat in vollem Umfang Bezug nimmt, hat die Prüfungsstelle die Patentansprüche 1, 6 bis 11 und 31 für nicht gewährbar erachtet, da bestimmte Merkmale in diesen Ansprüchen unklar seien. Die Erteilung eines Patents sei mit den geltenden Unterlagen nicht möglich. Zum Stand der Technik nennt sie in Bezug auf den Patentanspruch 1 die Druckschrift

(1) US 5,451,898 und kommt zu dem Ergebnis:

"Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass ein klargestellter Patentanspruch 1 gewährbar wäre."

Zu den Patentansprüchen 6 und 7 stellt die Prüfungsstelle fest:

"Das Merkmal der Patentansprüche 6 und 7, "deren Gate-Elektroden mit ersten bzw. zweiten Eingabe versorgt werden" ist unklar, so dass die Patentansprüche 6 und 7 nicht gewährbar sind. Insbesondere ist nicht klar was unter "Eingabe" in diesem Zusammenhang gemeint ist. Die Prüfungsstelle schlägt vor einen anderen Begriff zu verwenden. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass klar gestellte Patentansprüche 6 und 7 gewährbar wären."

Zum Patentanspruch 11 stellt die Prüfungsstelle fest:

"Das Merkmal des Patentanspruchs 11, "stromaufwärtigen" ist unklar, so dass der Patentanspruch 11 nicht gewährbar ist. Insbesondere ist nicht klar, was unter "stromaufwärtigen" in diesem Zusammenhang gemeint ist. Die Prüfungsstelle schlägt vor einen anderen Begriff zu verwenden."

Die Anmelderin hat daraufhin mit Eingabe vom 15. Februar 2002 neue Patentansprüche 1 bis 24 zum Ersatz für die ursprünglichen Patentansprüche 1 bis 31 eingereicht und zu den als unklar beanstandeten Begriffen Stellung genommen. Der neue Patentanspruch 1 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 7 und der neue Patentanspruch 4 dem ursprünglichen Anspruch 11.

Die Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts hat daraufhin die Patentanmeldung mit Beschluss vom 7. Oktober 2004 zurückgewiesen, da die Patentansprüche 1 und 4 unklare Begriffe enthielten und deshalb nicht gewährbar seien.

U. a. heißt es in dem Beschluss:

"Zum Patentanspruch 1 Der geltende Patentanspruch 1 enthält weiterhin das Merkmal "deren Gate-Elektroden mit ersten bzw. zweiten Eingaben versorgt werden". Die von der Anmelderin vorgenommene Klarstellung im ersten Absatz des Anspruchs führt zwar bereits dort die Begriffe einer "ersten Eingabe" und einer "zweiten Eingabe" ein, der Begriff "Eingabe" wird aber weiterhin verwendet. Im Prüfungsbescheid wurde explizit der Begriff "Eingabe" als unklar bemängelt und vorgeschlagen, einen anderen Begriff zu verwenden. Dies ist nicht erfolgt. Bezüglich des im Prüfungsbescheid vom 27. September 2001 bemängelten unklaren Merkmals "deren Gate-Elektroden mit ersten bzw. zweiten Eingaben versorgt werden" ist der geltende Anspruch 1 gegenüber dem entsprechenden ursprünglichen Anspruch 7 folglich unverändert. Der Anspruch 1 ist somit unklar, so dass der Patentanspruch 1 nicht gewährbar ist.

Zum Patentanspruch 4 Der geltende Patentanspruch 4 enthält weiterhin das Merkmal "stromaufwärtiger". Laut ihrem Schreiben vom 15. Februar 2002 erscheint der Anmelderin dieser Begriff gerechtfertigt. Die Prüfungsstelle kann dem nicht zustimmen. Ein solcher Begriff setzt offensichtlich voraus, dass eine eindeutige Stromrichtung definiert ist, welche als Basis für eine Richtungsangabe dienen kann. Dies ist im Anspruch 4 aber nicht der Fall. In ihrem Schreiben verweist die Anmelderin auf die Fig. 11 und die zugehörige Beschreibung. Hieraus ist zwar zu entnehmen, dass der "stromaufwärtige Anschluss" das Bezugszeichen 32A trägt und somit die Ergänzung dieses Bezugszeichens im Anspruch 4 berechtigt ist, der Begriff "stromaufwärtiger", welcher im Prüfungsbescheid als unklar bemängelt wurde, wird damit jedoch nicht klargestellt. Auch wurde nicht, wie im Prüfungsbescheid vorgeschlagen, ein anderer Begriff verwendet. Bezüglich des im Prüfungsbescheid vom 27. September 2001 bemängelten unklaren Merkmals "stromaufwärtiger" ist der geltende Anspruch 4 gegenüber dem entsprechenden ursprünglichen Anspruch 11 folglich unverändert. Der Anspruch 4 ist somit unklar, so dass der Patentanspruch 4 nicht gewährbar ist."

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 3. Dezember 2004. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2004 hat die Anmelderin neue Patentansprüche 1 -24 eingereicht und beantragt, die Prüfungsstelle möge der Beschwerde abhelfen.

Ihren Abhilfeantrag hat die Beschwerdeführerin damit begründet, dass die im Zurückweisungsbeschluss beanstandeten Begriffe in den neuen Ansprüchen nicht mehr enthalten seien. So sei der beanstandete Begriff "Ausgabe" durch "Ausgabesignal", der beanstandete Begriff "Eingabe" durch "Eingabesignal" ersetzt worden. Der zuvor verwendete Begriff "stromaufwärtiger Anschluss (32A)" sei durch den Begriff "ein Anschluss (32A)" und der Begriff "stromabwärtiger Anschluss (32B)" durch den Begriff "ein anderer Anschluss (32B)" ersetzt worden. Darüber hinaus sei auch der im ersten Prüfbescheid gerügte Ausdruck "wechselseitig" in den neuen Ansprüchen nicht mehr enthalten. Damit wären sämtliche Gründe, aus denen die Zurückweisung erfolgte, entfallen und die Voraussetzungen für eine Abhilfe nach § 73 (3) PatG gegeben.

Die Prüfungsstelle für IPC-Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Beschwerde mit Verfügung vom 10. Januar 2005 zur Entscheidung an das Bundespatentgericht überstellt.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Anmelderin ihre Anmeldung weiter. In der mündlichen Verhandlung hat sie die Teilung der Anmeldung erklärt und ihr Anspruchsbegehren unter Vorlage neuer Patentansprüche 1 bis 3 verteidigt. Sie beantragt sinngemäß:

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 03 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 28. September 2004 aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 3 und unter Berücksichtigung der neuen Zeichnung Figur 9, alles eingereicht in der mündlichen Verhandlung, zu erteilen;

hilfsweise:

die Stammanmeldung zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen.

Der danach geltende Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Differentialverstärkerschaltung, die in einem gemeinsamen Halbleitersubstrat gebildet ist, zum Erzeugen verstärkter Ausgabesignale (OUT, /OUT) durch Vergleichen von ersten und zweiten Eingabesignalen (IN, /IN), umfassend: ein Paar Eingangs-MOS-Transistoren (N21, N22) eines ersten Leitfähigkeitstyps, deren Gate-Elektroden mit ersten bzw. zweiten Eingabesignalen (IN, /IN) versorgt werden, deren Drain-Elektroden jeweils über Lastschaltungen (L1, L2) mit einer ersten Energiequelle (Vdd) verbunden sind und deren Source-Elektroden mit einem Anschluss einer ersten Stromquelle (I21) verbunden sind; ein Paar Ausgangs-MOS-Transistoren (P25, P24) eines zweiten Leitfähigkeitstyps, wobei das Drain-Signal des Paars EingangsMOS-Transistoren (N21, N22) des ersten Leitfähigkeitstyps jeweils in deren Gate-Elektroden eingegeben wird und jeweils ein Differentialausgabesignal (OUT, /OUT) an deren Drain-Elektroden erzeugt wird; und ein Paar Eingangs-MOS-Transistoren (P21, P22) eines zweiten Leitfähigkeitstyps, deren Gate-Elektroden mit den zweiten bzw. ersten Eingabesignale (IN, /IN) versorgt werden, deren Drain-Elektroden jeweils mit den Drain-Elektroden des Paares Ausgangs-MOS-Transistoren (P25, P24) verbunden sind und deren Source-Elektroden über eine zweite Stromquelle (I22) mit der ersten Energiequelle (Vdd) verbunden sind."

Zum Wortlaut der anhängigen Patentansprüche 2 und 3 wird auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen verwiesen.

Die Anmelderin und Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der beanspruchte Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und durch diesen auch nicht nahe gelegt sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Deutsche Patentund Markenamt auf der Grundlage der neu gefassten Patentansprüche 1 bis 3, weil diese Ansprüche noch keiner Prüfung durch die Prüfungsstelle des Deutschen Patentund Markenamts unterzogen worden sind (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG).

1. Die Patentansprüche 1 bis 3 sind zulässig. Die Merkmale der Patentansprüche 1 bis 3 sind in den ursprünglichen Patentansprüchen 7 bis 9 als zur Erfindung gehörend offenbart.

Der Anmeldegegenstand ist in der Fassung des geltenden Patentanspruchs 1 auch so vollständig und deutlich offenbart, dass der zuständige Fachmann, ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung elektrische Schaltungstechnik mit Erfahrung in der Entwicklung von Differentialverstärkerschaltungen, ihn ausführen kann. Mit der Neufassung des Patentanspruchs 1 sind auch die im Beschluss der Prüfungsstelle monierten Unklarheiten ausgeräumt worden.

2. Die Differentialverstärkerschaltung nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist unzweifelhaft gewerblich anwendbar und gilt auch gegenüber dem bisher bekannt gewordenen Stand der Technik nach der Druckschrift US 5,451,898 als neu, da die dort ausgebildete Differentialverstärkerschaltung nicht im Zusammenwirkung mit einem Paar Ausgangs-MOS-Transistoren eines zweiten Leitfähigkeitstyps steht, wobei das Drain-Signal des Paars Eingangs-MOS-Transistoren des ersten Leitfähigkeitstyps jeweils in deren Gate-Elektroden eingegeben wird und jeweils ein Differentialausgabesignal an deren Drain-Elektroden erzeugt wird und kein Paar Eingangs-MOS-Transistoren eines zweiten Leitfähigkeitstyps aufweist, deren Gate-Elektroden mit den zweiten bzw. ersten Eingabesignale versorgt werden, deren Drain-Elektroden jeweils mit den Drain-Elektroden des Paares AusgangsMOS-Transistoren verbunden sind und deren Source-Elektroden über eine zweite Stromquelle mit der ersten Energiequelle verbunden sind.

Darüber hinaus ergibt sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 auch nicht in nahe liegender Weise aus dem zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht zu ziehenden Stand der Technik nach der US 5,451,898 und dem Fachwissen des zuständigen Fachmanns. So offenbart die Druckschrift US 5,451,898 in ihrer Figur 1 einen einstufigen Differentialverstärker, dessen Ausgangssignalerzeugung unabhängig von Versorgungsspannungsschwankungen und/oder Steilheitsänderungen sein soll (vgl. Sp. 1, Z. 7 -9 und Sp. 2, Z. 64 -68). Um dies zu erreichen, wird die Grundschaltung einer einstufigen Differentialverstärkerschaltung von einer Bias-Stromversorgung gespeist, die einen Transistor enthält (vgl. Fig. 2 -5, M11), der gleich wie die Lasttransistoren (vgl. Fig. 2 -5, M1 und M2) der Differentialverstärkerschaltung aufgebaut ist (Sp. 3, Z. 67 -68) und eine Rückkoppelschleife (vgl. Fig. 2, M12, M14, M15, i. V. m. Sp. 4, Z. 5 -9) enthält, um eine bestimmte Spannung über den Transistor der Bias-Stromversorgung und damit auch über die Last-Transistoren der Differentialverstärkerschaltung zu halten (vgl. Sp. 3, Z. 50 -54).

Offensichtlich ausgehend von dieser einstufigen Differentialverstärkerschaltung wird die anmeldungsgemäße Schaltungsanordnung durch die im Patentanspruch 1 neu enthaltenen Merkmale schaltungstechnisch zu einer mehrstufigen Differentialverstärkerschaltung so weiterentwickelt, dass eine Ausgabe mit einem gleichmäßigen Pegel erzeugt wird und eine reduzierte Anfälligkeit gegenüber Einflüssen von Herstellungsprozessen auf die Transistorcharakteristiken erreicht wird (vgl. urspr. Beschreibung, S. 4, Z. 14 -19). Nach Überzeugung des Senats überschreiten diese zusammenwirkenden und im Hinblick auf eine Reduzierung der Anfälligkeit gegenüber Einflüssen von Herstellungsprozessen auf die Transistorcharakteristiken speziell aufeinander abgestimmten schaltungstechnischen Maßnahmen des geltenden Patentanspruchs 1 insgesamt das Maß dessen, was von einem Fachmann bei durchschnittlichem Handeln erwartet werden kann.

3.

Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Wie aus der Akte ersichtlich ist, hat zu den vorgenannten Merkmalen des neuen Anspruchs 1 das Deutsche Patentund Markenamt im Verfahren nach § 44 PatG für die Prüfung, ob der Anmeldungsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 3 und 4 PatG erfüllt, noch nicht recherchiert. Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise ein Stand der Technik existiert, der einer Erteilung des angemeldeten Patents in dessen jetziger Fassung entgegensteht. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des druckschriftlichen Standes der Technik zu allen Anspruchsmerkmalen ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patentund Markenamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen.

4.

Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf Billigkeitserwägungen (§ 80 Abs. 3 PatG). Das patentamtliche Prüfungsverfahren und der angegriffene Zurückweisungsbeschluss leiden an gravierenden Verfahrensfehlern und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei einem ordnungsgemäßen Verfahren und einem ordnungsgemäßen Beschluss die Anmelderin von einer Beschwerde abgesehen hätte. In dem patentamtlichen Prüfungsverfahren waren die Beanstandungen der Prüfungsstelle unverständlich mit der Folge, dass sich die Anmelderin nicht darauf einstellen konnte. Der angegriffene Beschluss ist -entgegen § 47 Abs. 1 PatG -nicht begründet.

Gemäß § 47 Abs. 1 PatG ist ein Beschluss dann nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihm nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (BGHZ 39, 333 -Warmpressen, mit weiteren Nachweisen). Der gänzlich fehlenden Begründung gleichzusetzen ist der Fall, dass die Begründung -wie hier sachlich inhaltslos ist. Gemäß § 48 PatG kann eine Patentanmeldung nur zurückgewiesen werden, weil der Gegenstand der Anmeldung nicht patentfähig i. S. v. §§ 1 bis 5 PatG ist, weil die Anmeldung nicht den Anforderungen der §§ 34, 37 und 38 PatG genügt oder weil die Anforderungen des § 36 PatG offensichtlich nicht erfüllt sind. Weder der angegriffene Zurückweisungsbeschluss, noch der vorangegangene Beanstandungsbescheid setzen sich mit einem dieser gesetzlichen Zurückweisungsgründe auseinander.

Eine ordnungsgemäße Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Zurückweisungsgründen setzt als erstes eine Festlegung der Prüfungsstelle voraus, was Gegenstand der zur Entscheidung gestellten Patentansprüche ist. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben, dass für die Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstandes eines Patentanspruchs zunächst dieser Gegenstand ermittelt werden muss, indem der Patentanspruch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen aus der Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ausgelegt wird. Diese Auslegung muss -wie jede Auslegung -auf tatsächlicher Grundlage getroffen werden, zu der neben den objektiven technischen Gegebenheiten auch ein bestimmtes Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen sowie Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und methodische Herangehensweise dieser Fachleute gehören, die das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können. Bei "Unklarheiten" ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt. Erst wenn eine solche Auslegung erfolgt ist, steht der Gegenstand der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest (vgl. BGH GRUR 2007, 859, 860 Rz. 13, 14 -Informationsübermittlungsverfahren I). In einem Patentverletzungsverfahren hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich festgestellt, dass das angerufene Gericht eine Patentverletzungsklage nicht mit der Begründung abweisen darf, dass die Angaben des Patentanspruchs unklar seien und ihr Sinngehalt unaufklärbar sei (BGH, Urteil vom 31. März 2009 -X ZR 95/05 -Mitt. 2009, 283 -Straßenbaumaschine).

Nach Auffassung des Senats sind diese Grundsätze auch auf das Patentanmeldeverfahren anzuwenden. Dem steht nicht entgegen, dass im Anmeldeverfahren -anders als im Einspruchsverfahren, im Nichtigkeitsund Verletzungsverfahren noch keine Patentansprüche erteilt worden sind, sondern solche Ansprüche erst unter Patentschutz gestellt werden sollen. Solange Anmelder und Prüfungsstelle über die konkrete Gestaltung der Patentansprüche verhandeln, liegen Inhalt und Reichweite des potentiellen Regelungscharakters des beantragten Patents noch nicht fest. In diesem Verfahrensstadium stellen sich noch keine Auslegungsfragen, weil Anmelder und Prüfungsstelle ja gerade noch über eine Gestaltung der Patentansprüche verhandeln, die im besten Fall eindeutig ist und keine Auslegungsfragen aufwirft. Anders ist es jedoch dann, wenn sich der Patentanmelder endgültig auf die konkrete Gestaltung der von ihm beantragten Patentansprüche festgelegt hat und die Ansprüche in dieser ganz bestimmten Fassung in Kenntnis etwa noch bestehender Einwände der Prüfungsstelle endgültig zur Entscheidung gestellt hat. In diesem Verfahrensstadium muss die Prüfungsstelle nach Auffassung des Senats die zu ihrer Entscheidung gestellten Patentansprüche genauso prüfen, wie sie in einem Einspruchsverfahren die erteilten und mit dem Einspruch angegriffenen Patentansprüche prüfen würde. Das bedeutet, dass erforderlichenfalls als erstes eine Auslegung der Patentansprüche auf ihren rechtlichen Gehalt und ihren erfinderischen Gegenstand hin erfolgen muss.

Der Begriff der "Unklarheit" als solcher ist dem Patentgesetz als Patentierungshindernis nicht zu entnehmen. Es ist deshalb zunächst zu klären, welcher patentrechtlich relevante Inhalt der Feststellung zukommt, dass ein Merkmal "unklar" sei. Hierbei dürfen nur Anforderungen gestellt werden, die im Gesetz eine Stütze finden.

Mit dem Begriff "Unklarheit" kann gemeint sein, dass der Fachmann, an den sich die Lehre wendet, nicht weiß, was unter den im Patentanspruch verwendeten Begriffen zu verstehen ist. Der Begriff der Unklarheit kann aber auch im Sinne von "mehrdeutig" gemeint sein, nämlich dass der Fachmann den Begriffen jeweils verschiedene Bedeutungsinhalte zuordnet, aus der Patentanmeldung aber nicht erfährt, welcher maßgebend sein soll. Auch kann der Begriff der Unklarheit "Unvollständigkeit" bedeuten, das heißt, dass der Fachmann zwar die verwendeten Begriffe eindeutig einordnen kann, dass ihm aber zusätzliche Informationen fehlen, ohne die er nicht nach der offenbarten Lehre arbeiten kann. (Zu den vorstehenden Definitionen für den Begriff der Unklarheit s. BGH GRUR 1980, 984, 985 - Tomograph). Schließlich kann mit dem Begriff "unklar" auch nur gemeint sein -und darauf deutet im vorliegenden Fall der Hinweis der Prüfungsstelle hin -dass nicht der richtige technische Fachausdruck verwendet wird. Das ist ein Problem, das bei Übersetzungen vorkommen kann. In ihren Stellungnahmen und Beschlüssen im Anmeldeverfahren darf die Prüfungsstelle nicht im Ungewissen lassen, unter welchem dieser Gesichtspunkte sie sich mit der Frage der Patentfähigkeit befasst hat. Denn es handelt sich jeweils um unterschiedliche Tatbestände, deren Feststellung das Vorhandensein jeweils andere Umstände voraussetzt (vgl. BGH a. a. O.).

Die Prüfungsstelle hat es unterlassen, die beschwerdegegenständliche Anmeldung nach Maßgabe dieser Kategorien zu prüfen und dementsprechende, verständliche und nachvollziehbare Feststellungen zu treffen. Statt dessen beschränken sich Bescheid und Beschluss darauf, einzelne Merkmale der jeweils geltenden Patentansprüche als "unklar" zu bezeichnen. Es fehlt aber im Prüfungsbescheid und vor allem im Zurückweisungsbeschluss jede Art von Begründung dafür, was an dem Begriff "Eingabe" bzw. warum der Begriff "Eingabe" unklar sein soll. Andererseits versteht die Prüfungsstelle den Begriff "Eingabe" doch, da sie vorschlägt, einen anderen Begriff zu verwenden. Hierdurch wird der Beschluss auch widersprüchlich. Ein Zusammenhang mit den gesetzlichen Zurückweisungsgründen wird an keiner Stelle hergestellt, so dass sich dem angegriffenen Beschluss kein patentrechtlicher Gedankengang entnehmen lässt.

Sofern die Prüfungsstelle an den Zurückweisungsgrund der mangelnden Ausführbarkeit nach § 34 Abs. 4 PatG gedacht haben sollte, hätte sie eine entsprechende Prüfung nicht auf die geltenden Patentansprüche beschränken dürfen. Sie hätte vielmehr die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen darauf untersuchen müssen, ob sie die in den Patentansprüchen verwendeten Begriffe und beschriebenen Maßnahmen näher erläutern. Dass die Prüfungsstelle bei ihrer abschließenden Entscheidung so vorgegangen wäre, wird weder am Bescheid noch am Beschluss erkennbar.

Soweit der vorangegangene Beanstandungsbescheid schließlich unter II.1. aufzählt, was aus der einzigen Entgegenhaltung US 5,451,898 bekannt sei, wird nicht ausgeführt, welche Bedeutung diese Umstände für die Patentfähigkeit des Gegenstandes der damals geltenden Ansprüche bzw. für die fehlende Patentfähigkeit dieses Gegenstandes haben könnten.

5. Das Beschwerdeverfahren, soweit es vor dem Patentamt stattgefunden hat, gibt im übrigen Anlass zu folgenden Anmerkungen: Zu Recht rügt die Anmelderin, dass die Prüfungsstelle ihrer Beschwerde nicht gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 und 2 PatG abgeholfen hat. Denn die Anmelderin hatte mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2004, eingegangen beim Deutschen Patentund Markenamt am 9. Dezember 2004 und damit unmittelbar nach der Beschwerde vom 3. Dezember 2004, alle Beanstandungen, mit denen die Prüfungsstelle in dem angegriffenen Beschluss die Zurückweisung der Anmeldung begründet hatte, ausgeräumt. In den Patentansprüchen 1 bis 24 aus dem Schriftsatz vom 7. Dezember 2004 waren alle Begriffe, die die Prüfungsstelle zuletzt noch als "unklar" beanstandet hatte, durch andere ersetzt worden, und nur mit diesen -nach Auffassung der Prüfungsstelle -"unklaren" Begriffen war die Zurückweisung begründet worden. Gleichzeitig hatte die Anmelderin ausdrücklich Abhilfe nach § 73 Abs. 3 Satz 1 und 2 PatG beantragt.

Bei dieser Sachlage hätte es einer sachgerechten und ökonomischen Verfahrensführung entsprochen, wenn die Prüfungsstelle der Beschwerde gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 PatG abgeholfen und das Prüfungsverfahren anschließend fortgesetzt hätte. Das hätte dem Sinn des Abhilfeverfahrens entsprochen, der darin besteht, Beschwerden vom Bundespatentgericht dann fernzuhalten, wenn die Korrekturbedürftigkeit des erlassenen Beschlusses bei der Prüfung der Beschwerde vom Deutschen Patentund Markenamt erkannt werden kann (BPatGE 27, 157).

6. Bei der Fortführung des patentamtlichen Prüfungsverfahrens ist die Prüfung der Patentanmeldung auf der Grundlage des Patentgesetzes durchzuführen. Die Prüfungsstelle hat sich dabei zunächst mit dem Inhalt des Gegenstandes der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchsfassung mit allen ihren Merkmalen im Einzelnen, ggfs. auch unter Einbeziehung der Beschreibung auseinanderzusetzen, um festzustellen, ob sie die Grundlage für die Erteilung des beantragten Patents sein kann oder aus welchen Gründen des § 48 PatG die Anmeldung zurückgewiesen werden muss. Im Falle der Zurückweisung ist das Prüfungsergebnis vollständig, eindeutig und aus sich heraus verständlich in der Begründung eines neu zu erlassenden Beschlusses niederzulegen.

Für den Fall, dass die Prüfungsstelle die vorliegende Anspruchsfassung nach ordnungsgemäßer Prüfung als gewährbar erachtet, wird sie auf eine Anpassung der Beschreibung auf die geltende Anspruchsfassung durch den Anmelder hinwirken müssen.

Dr. Mayer Werner Gottstein Kleinschmidt Pr






BPatG:
Beschluss v. 08.07.2009
Az: 20 W (pat) 17/05


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