Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. März 2001
Aktenzeichen: 34 W (pat) 44/98

(BPatG: Beschluss v. 22.03.2001, Az.: 34 W (pat) 44/98)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluß der Patentabteilung 34 des Deutschen Patentamts vom 21. April 1998 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Patentabteilung das Patent wegen mangelnder Offenbarung widerrufen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.

Der erteilte (einzige) Patentanspruch lautet:

Verfahren zur individuellen Einstellung der Kennlinie eines Reglers für Zentralheizungskessel mit einer Anpassung der Vorlauftemperatur an den jeweiligen Wärmebedarf unter Verwendung von Kenndaten, dadurch gekennzeichnet, daß dem Regler die für den Verlauf der Kennlinie (K) maßgeblichen, individuellen Daten (x, y, z) des Betreibers über die Beheizungsart, die örtlichen Klimadaten, den baulichen Zustand sowie die Bauweise des Gebäudes und über die Norminnentemperatur eingegeben werden und daß der Regler anhand dieser Daten die erforderliche Kennlinie selbst einstellt.

Im Einspruchsverfahren hatten sich die drei Einsprechenden auf die Widerrufsgründe nach § 21 Abs 1 Nr 1 und 2 PatG berufen. Von der Einsprechenden I wurde u.a. eine offenkundige Vorbenutzung des Heizungsreglers RVL55 der Fa L... im Vorfeld der Ausstellung ISH in München im Januar 1989 geltend gemacht und im Zusammenhang damit auf die folgenden, den Regler RVL55 betreffenden Druckschriften verwiesen:

D4a EP 0 326 644 A1 D4b Landis & Gyr Firmenschrift 2602D: "Heizungsregler RVL55", Mai 1989 D4c Landis & Gyr Firmenschrift: Betriebshandbuch Heizungsregler RVL55, August 1989 D4d Landis & Gyr: Bedienkarten S 2-15, 29 und 30 zum Heizungsregler RVL55, Copyright-Vermerk 1988 Die Einsprechende I hat ferner die D5 CH-Zeitschrift: Schweizer Baublatt, Nr 20, 10. März 1989, S 3-5 genannt, in der auf die Vorstellung des Heizungsreglers RVL55 auf der oa Ausstellung Bezug genommen sei.

Die Patentinhaberin hat die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung und die Vorveröffentlichung der Firmenschriften D4b bis D4d anerkannt. Sie sieht durch das Streitpatent eine Lehre zum technischen Handeln gegeben. Das beanspruchte Verfahren ist nach ihrer Auffassung neu und beruht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Unterlagen D4a bis D4d ließen erkennen, daß die Einstellung einer Heizungskennlinie am Gerät RVL55 aufwendig und schwierig sei.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechenden beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Einsprechenden kritisieren die Änderung des in den ursprünglichen Unterlagen verwendeten Begriffs "Normtemperatur" in "Norminnentemperatur". Sie sehen weiterhin ungenügende Offenbarung und mangelnde erfinderische Tätigkeit beim Gegenstand des Anspruchs des Streitpatents.

Wegen Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Die Einsprüche waren zulässig.

1. Nach dem verteidigten Anspruch betrifft das Patent ein 1 Verfahren zur individuellen Einstellung der Kennlinie eines Reglers für Zentralheizungskessel 2 mit einer Anpassung der Vorlauftemperatur an den jeweiligen Wärmebedarf 3 unter Verwendung von Kenndaten 4 dem Regler werden die für den Verlauf der Kennlinie (K) maßgeblichen, 5 individuellen Daten (x, y, z) des Betreibers eingegeben, nämlich über 6 die Beheizungsart 7 die örtlichen Klimadaten 8 den baulichen Zustand 9 die Bauweise des Gebäudes 10 und über die Norminnentemperatur 11 der Regler stellt anhand dieser Daten die erforderliche Kennlinie selbst ein.

2. Der erteilte Anspruch ist zulässig. Die Merkmale des Anspruchs sind den Ansprüchen 1 und 2 vom Anmeldetag entnommen.

Die kennzeichnenden Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 2 wurden in Anlehnung an die ursprüngliche Beschreibung, s Offenlegungsschrift 40 06 492 Sp 1 Z 56 bis 61, präzisiert. Dabei wurde der in der oa Beschreibungsstelle im Zusammenhang mit dem Fußpunkt der Kennlinie verwendete Begriff "Normtemperatur" durch "Norminnentemperatur" ersetzt, vgl Merkmal 10. Auch diese Änderung begegnet keinen Bedenken. Als Fußpunkt der Kennlinie wird der Punkt auf der Kennlinie benannt, in dem Außentemperatur, Vorlauftemperatur und Raumtemperatur den gleichen Wert aufweisen, zB 20 oC. Der Begriff der Normtemperatur kann hier nur auf die Raumtemperatur bzw Innentemperatur bezogen sein und ist folglich als Norminnentemperatur zu verstehen, wohingegen unter den im Zusammenhang mit dem oberen Endpunkt der Kennlinie genannten "örtlichen Klimadaten" insbesondere die Normaußentemperatur zu verstehen ist. Werte für die Norminnentemperatur wie auch für die Normaußentemperatur sind in der DIN 4701 angegeben.

3. Das Streitpatent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

3.1 Im vorliegenden Fall ist als Fachmann ein Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Elektrotechnik oder Regelungstechnik mit speziellen Erfahrungen im Entwurf von Heizungsregelanlagen anzusehen.

3.2 Offenbarung der Streitpatentschrift:

Regler für Zentralheizungskessel mit einer Anpassung der Vorlauftemperatur an den jeweiligen Wärmebedarf arbeiten üblicherweise nach einer den jeweiligen Bedürfnissen entsprechenden Kennlinie, s Oberbegriff des Anspruchs 1, Merkmale 1 und 2. Für den Betrieb der Zentralheizungsanlage ist diese Kennlinie notwendigerweise dem Regler eingegeben. Eine im Werk voreingestellte Kennlinie des Reglers muß evtl noch vor Ort an die Besonderheiten des zu beheizenden Objekts angepaßt werden, vgl Streitpatentschrift Sp 1 Abs 3 f. Hierzu sind verschiedene Methoden gebräuchlich, zB die Methode der schrittweisen Adaption, vgl Streitpatentschrift Sp 1 Abs 4.

Die Streitpatentschrift stellt darauf ab, daß der Regler verschiedene Kennlinien einstellen kann. Solche Kennlinien sind zB in den Figuren 1 und 2 schematisch dargestellt. Aus der Streitpatentschrift geht weiter hervor, daß zB die örtlichen Klimadaten mit insbesondere der tiefsten zu berücksichtigenden Außentemperatur (Normaußentemperatur) die Lage des oberen Endpunkts der Kennlinie beeinflussen, s Sp 1 Z 59 ff.

3.3 Lehre des Patents:

Lehre des Patents ist es, daß die Einstellung der Kennlinie unter Berücksichtigung von dem Regler eingegebenen individuellen Daten (x, y, z) selbsttätig durch den Regler erfolgt. Bei den Daten handelt es sich um Daten über die Beheizungsart etc, die im Anspruch angegeben sind. Damit läßt sich die Kennlinie auch von einer Person ohne besondere Kenntnisse der technischen Zusammenhänge durch einfache Eingabe der Kenndaten ohne Probeläufe oder Adaption einstellen, vgl Aufgabe Sp 1 Z 35 ff sowie ferner Sp 1 Z 24 bis 28 und Sp 2 Z 8 bis 13.

Eine Angabe, wie die Festlegung der Kennlinie innerhalb des Reglers bzw durch den Regler im einzelnen erfolgt, ist nicht nötig. Dem die Streitpatentschrift lesenden Fachmann ist klar, daß der Regler anhand der eingegebenen Daten die diesen Daten entsprechende Kennlinie zB aus einer der gängigen Berechnungsformeln berechnen oder aus einem zuvor im Werk abgespeicherten Kennlinienfeld auswählen kann.

4. Das Verfahren nach dem Anspruch mag neu und gewerblich anwendbar sein. Es beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Nächstkommender Stand der Technik ist der im Jahre 1989 der Öffentlichkeit vorgestellte Heizungsregler RVL55 der Fa L... Dieser offenkundig vorbe- nutzte Regler ist in den von der Einsprechenden I vorgelegten Druckschriften D4a bis D4d beschrieben.

Bei dem Regler RVL55 ist schon die Grundidee des Streitpatents verwirklicht, daß die Einstellung der Kennlinie unter Berücksichtigung von dem Regler eingegebenen individuellen Daten (x, y, z) selbsttätig durch den Regler erfolgt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ohne Selbstadaption gearbeitet wird. Eine solche Möglichkeit steht wahlweise zur Verfügung, s Landis & Gyr Firmenschrift 2602D "Heizungsregler RVL55" (D4b), S 7 links unter "Einstellungen": "Selbstadaption der Heizkennlinie ja/nein".

Bei dem Betrieb bzw der Inbetriebnahme des Geräts RVL55 wird ein Verfahren zur individuellen Einstellung der Kennlinie eines Reglers für Zentralheizungskessel nach Merkmal 1 angewandt, s S 1 liSp Abs 1 und 2 der Firmenschrift D4b. Merkmal 2 des Anspruchs ist verwirklicht, denn es wird mit einer Anpassung der Vorlauftemperatur an den jeweiligen Wärmebedarf gearbeitet, s S 3 liSp Abs "Vorlauftemperatur". In diesem Absatz ist weiter beschrieben, daß Daten bzw Kenndaten über die Gebäudebeschaffenheit maßgebend sind und am Regler eingestellt werden, vgl Merkmale 3, 4 und 5. Die Angabe am Ende des Textes auf S 3 liSp, es "kann eine Krümmung eingegeben werden", liest der Fachmann als Möglichkeit der Eingabe von Daten über die Beheizungsart, da unterschiedliche Beheizungsarten, zB Radiatoren oder Fußbodenheizung, jeweils bestimmte Werte für die Krümmung erfordern, vgl Merkmal 6. Daten über das örtliche Klima entsprechend Merkmal 7 des Anspruchs werden eingegeben, s S 7 liSp Abs 2. Hierzu ist die Einstellung der Auslegungstemperatur, dh der Normaußentemperatur, angegeben. Daten über die Bauweise des Gebäudes finden Berücksichtigung, s S 7 liSp Abs 2, wo die Eingabe der Gebäudezeitkonstante und der Fensterfläche erwähnt sind, vgl Merkmal 9. Bei den Bedienkarten zum Heizungsregler RVL55 nach der Landis & Gyr Firmenschrift (D4d) ist auf Seite 2 die Eingabe des "Sollwert für Anlage Ein" vorgesehen, worunter die Eingabe der Norminnentemperatur entsprechend Merkmal 10 zu verstehen ist. Anhand der eingegebenen Daten stellt der Regler die erforderliche Kennlinie in einem Schritt ohne weitere Adaption selbst ein, vgl Merkmal 11.

Nicht verwirklicht bei dem Regler RVL55 ist die Eingabe von Daten über den baulichen Zustand des Gebäudes (s. Merkmal 8), worunter die Unterscheidung "Alt- oder Neubau" zu verstehen ist, s Streitpatentschrift Sp 1 Z 51-53.

Dieses Merkmal zusätzlich zu den anderen bekannten Merkmalen des Reglers RVL55 vorzusehen, kann erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Dem Fachmann - und praktisch jedem Bezieher eines Neubaus - ist bekannt, daß die zügige Austrocknung eines Neubaus über einen gewissen Zeitraum eine höhere Vorlauftemperatur der Heizung erfordert. Bislang hat der Heizungsinstallateur bzw Heizungsfachmann bei einem Neubau die Kennlinie am Heizungsregler (entsprechend seinen Erfahrungswerten) angehoben und damit die Vorlauftemperatur der Heizungsanlage um ein bestimmtes Maß höher gestellt. Ausgehend von dem Regler RVL55 mit seinen schon zahlreichen Funktionen zur Einstellung einer den Bedürfnissen entsprechenden Kennlinie war es für den Fachmann naheliegend, im Rahmen der gestellten Aufgabe, einer Person ohne einschlägige Vorkenntnisse die Einstellung der Kennlinie auf die den jeweiligen Bedürfnissen entsprechende Lage zu ermöglichen, auch für diesen - in der Praxis ja nicht selten auftretenden - Fall Sorge zu tragen und dementsprechend bei dem Verfahren zur Einstellung der Kennlinie außerdem noch die Eingabe und Berücksichtigung diesbezüglicher Daten vorzusehen.

Die Patentinhaberin hat hervorgehoben, das Betriebshandbuch für den Heizungsregler RVL55 (D4c) sei außerordentlich umfangreich und die große Zahl der Bedienkarten zum Heizungsregler RVL55 (D4d) sei für den Betreiber verwirrend. Daher sei mit dem Regler RVL55 eine einfache Einstellung der Kennlinie durch eine Person ohne besondere Fachkenntnisse nicht möglich.

Die vorstehenden Argumente können zu keiner anderen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit führen, denn der Umfang der oa Unterlagen ist durch die große Zahl weiterer (außerhalb der Lehre des Streitpatents liegenden) Einstellmöglichkeiten des Reglers RVL55 begründet. Die für den Verlauf der Kennlinie maßgeblichen, individuellen Daten des Betreibers lassen sich einfach eingeben. Dies wird auch in der Berichterstattung in der Zeitschrift "Schweizer Baublatt" (D5) über die Neuheiten der Fa L... auf der Ausstellung ISH so dargestellt, s dort S 4 vorletzter Abs bis S 5 Abs 1. Im übrigen ist die Art und Weise der Dateneingabe nicht Gegenstand des Streitpatents.

Ulrich Hövelmann Dr. Frowein Dr. W. Maierprö






BPatG:
Beschluss v. 22.03.2001
Az: 34 W (pat) 44/98


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