Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 22. September 2014
Aktenzeichen: III-1 Ws 246+272/14

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 22.09.2014, Az.: III-1 Ws 246+272/14)

Tenor

1. Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Mai 2013 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Einzelrichters der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 25. März 2014 wird als unbegründet verworfen.

3. Beide Beschwerdeverfahren sind gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In dem derzeit vor der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf anhängigen Strafverfahren 10 KLs 5/13 gegen M. u. a. wird der (Mit-)Angeklagten H. aufgrund der Ende Februar 2013 angebrachten Anklage (50 Js 509/11 StA Düsseldorf) vorgeworfen, sich als Prostituierte im Bordellbetrieb täterschaftlich an einem gewerbsmäßigen Bandenbetrug zum Nachteil eines Bordellkunden beteiligt zu haben. Die Hauptverhandlung hat am 1. Juli 2013 begonnen und dauert zurzeit an; Termine sind noch für den Zeitraum bis Juni 2015 anberaumt.

Durch Beschluss vom 8. Mai 2013 hat die Kammer auf Antrag des der Angeklagten H. als Pflichtverteidiger beigeordneten Rechtsanwalts gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG festgestellt, dass zur sachgemäßen Durchführung der Verteidigung "ein Komplettausdruck der übersandten e-Akte erforderlich" sei. Hiergegen wendet sich der Bezirksrevisor mit seiner Beschwerde vom 6. Mai 2014.

Im Kostenfestsetzungsverfahren ist auf Antrag des Pflichtverteidigers am 12. Juli 2013 ein Vorschuss auf entstandene Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 49.267,12 € festgesetzt und angewiesen worden; hiervon entfallen 40.732,90 € netto (= 48.472,15 € brutto) auf Auslagen für die Fertigung von 271.436 Ausdrucken aus dem Antragsteller überlassenen elektronischen Datenträgern (Dokumentenpauschale). Auf die Erinnerung des Bezirksrevisors hat der zuständige Einzelrichter der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf durch Beschluss vom 25. März 2014 die geltend gemachte Dokumentenpauschale - mangels Glaubhaftmachung der Auslagenentstehung - vollständig abgesetzt und in Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nur den verbleibenden Restbetrag in Höhe von 794,97 € zu Gunsten des Antragstellers festgesetzt. Hiergegen wendet sich letzterer mit seiner Beschwerde.

Beiden Rechtsmitteln ist nicht abgeholfen worden. Über sie hat der Senat in voller Besetzung zu entscheiden, nachdem der hier zuständige Einzelrichter die Sache mit Beschluss vom 3. September wegen besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher sowie rechtlicher Art und wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).

II.

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss der Kammer vom 8. Mai 2013 ist unzulässig.

1. Bei der im angefochtenen Beschluss getroffenen Feststellung, dass "ein Komplettausdruck der übersandten e-Akte erforderlich" sei, handelt es sich - entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors - um eine für das Festsetzungsverfahren (§ 55 RVG) bindende Entscheidung des Gerichts im Sinne von § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 RVG.

Nach diesen Vorschriften kann der beigeordnete Rechtsanwalt für beabsichtigte Aufwendungen gemäß § 670 BGB eine gerichtliche Feststellung ihrer Erforderlichkeit zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erwirken. Der Feststellung zugänglich sind sämtliche Aufwendungen, die zum Zwecke der Ausführung der Beiordnung getätigt werden, jedoch neben den allgemein anfallenden Geschäftskosten entstehen (vgl. Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG). Unter den Begriff der Aufwendungen gemäß § 670 BGB fallen daher insbesondere die in Teil 7 VV RVG ausdrücklich aufgeführten Auslagen (Mayer/Kroiß-Ebert, RVG, 6. Auflage [2013], § 46 Rdnr. 14, 15), für die das Gesetz an Stelle der Abrechnung nach tatsächlichem Aufwand die Geltendmachung von Pauschalen vorsieht. Der bei Erstellung von Ausdrucken aus einer e-Akte anfallende Kostenaufwand gehört hierbei zum Anwendungsbereich der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a), die für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten eine Dokumentenpauschale vorsieht. Zwar ist die elektronische Aktenführung im Strafverfahren bislang nicht gesetzlich eingeführt. Mit der Ergänzung der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) um den Zusatz "und Ausdrucke" durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22. März 2005 wollte der Gesetzgeber jedoch nicht nur die Ausdrucke aus elektronisch geführten Akten, sondern auch Ausdrucke aus sonstigen elektronisch gespeicherten Dateien in Bezug auf die Dokumentenpauschale den auf herkömmliche Weise erstellten Ablichtungen aus Papierakten gleichstellen (vgl. BT-Drucks. 15/4067 S. 57: "Ausdrucke aus elektronisch gespeicherten Dateien, insbesondere aus elektronisch geführten Akten").

2. Gegen die Entscheidungen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 und 3 RVG ist eine Beschwerde nicht statthaft.

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sieht insoweit kein Rechtsmittel vor. Daher sind nach ganz herrschender Meinung die - für das Festsetzungsverfahren ohnehin nicht bindenden - negativen Feststellungsentscheidungen unanfechtbar (OLG Celle NStZ-RR 2012, 326; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage [2012], § 46 Rdnr. 89; vgl. ferner Senat JurBüro 1986, 891 und MDR 1994, 517, jeweils noch zu § 126 Abs. 2 BRAGO). Gleiches hat nach zutreffender Ansicht aber auch für die mit Bindungswirkung versehenen positiven Vorabentscheidungen der hier zur Rede stehenden Art zu gelten (OLG München 2 Ws 1090/88 vom 25. November 1988 ; Volpert, in: Burhoff [Hrsg.], RVG, 3. Auflage [2012], Vergütungs-ABC Rdnr. 210). Die Zulassung einer - noch dazu unbefristeten - Beschwerde würde nämlich dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zuwiderlaufen, die dem Pflichtverteidiger vor der unter Umständen kurzfristig erforderlichen Tätigung von Auslagen für die Verteidigung eine verlässliche Vertrauensgrundlage für deren spätere Erstattungsfähigkeit verschaffen soll, sofern er hierauf anträgt.

Ob bei einer Willkürentscheidung des Gerichts ein außerordentliches Beschwerderecht der Staatskasse anzuerkennen wäre (vgl. hierzu OLG München, aaO ), kann dahinstehen, denn ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Der angefochtene Beschluss bezieht sich auf die einer Feststellungsentscheidung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG zugänglichen Aufwendungen (s. o. II 1) und orientiert sich bei sachgerechter Auslegung (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen zu IV 1) an einem grundsätzlich vertretbaren und damit jedenfalls nicht willkürlichen Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Erforderlichkeit" zur sachgemäßen Durchführung der Verteidigung.

III.

Die im Vorschussfestsetzungsverfahren erhobene Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht von einer Festsetzung der Dokumentenpauschale mangels hinreichender Glaubhaftmachung der nach Angabe des Antragstellers bereits erfolgten Auslagenentstehung (vorerst) abgesehen. Das ergänzende Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

1. Der Antragsteller hat den geltend gemachten Druckaufwand für 271.436 Blatt anhand einer zur Akte gereichten Auflistung (Kopierblatt "Abgerechnete Kopien RA N." als Anlage zum Schriftsatz vom 22. Januar 2014, Bl. 41-46 Kostenbd.) im Grundsatz nachvollziehbar aufgeschlüsselt und die Fertigung der aufgelisteten Ausdrucke durch eigenes Büropersonal unter Hinweis auf seine Stellung als Organ der Rechtspflege anwaltlich versichert. Zur ergänzenden Glaubhaftmachung hat er ferner im Beschwerdeverfahren diesbezügliche eidesstattliche Versicherungen der in der Kanzlei tätigen Auszubildenden M.M. vom 9. April 2014 sowie der Bürovorsteherin J.N. vom 19. Mai 2014 zur Akte gereicht. Eine Vorlage der kopierten Aktenteile hält der Antragsteller unter Hinweis auf die mit dem Transport verbundenen Kosten für unzumutbar, zumal die Papierakte zur fortlaufenden Bearbeitung der Sache im noch anhängigen Verfahren benötigt werde. Auch eine Sichtung der gefertigten Ausdrucke durch den am Strafverfahren nicht beteiligten Bezirksrevisor müsse aus berufs- und standesrechtlichen Gründen abgelehnt werden, weil hierbei eine - unzulässige - kognitive Wahrnehmung von Akteninhalten zu befürchten sei und das Kanzleipersonal die zu ihrer Vermeidung erforderliche Kontrolle organisatorisch nicht sicherstellen könne.

2. Im Verfahren zur Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung und des Vorschusses hierauf sind die als entstanden angemeldeten Kosten gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 104 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Wie dies zu erfolgen hat, schreibt das Gesetz außerhalb der hier nicht zur Rede stehenden Fallgestaltungen des § 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO (Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie Umsatzsteuerbeträge) nicht vor. Nach der im angefochtenen Beschluss zitierten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (III-2 Ws 686/13 vom 18. Dezember 2013 ), der sich auch der Senat anschließt, ist die Frage der hinreichenden Glaubhaftmachung vielmehr stets im Einzelfall und angepasst an die konkreten Umstände zu beurteilen, wobei die tatsächlich zur Verfügung stehenden Beweismittel, die Höhe der Auslagen und die Bedeutung der Angelegenheit sowie Zumutbarkeitserwägungen eine Rolle spielen können.

In Abwägung dieser Einzelfallumstände hält der Senat zur Glaubhaftmachung der hier zur Rede stehenden Auslagen für die Fertigung von Ausdrucken aus der e-Akte den - vom Antragsteller bislang abgelehnten - Sachbeweis mittels Überprüfung durch Vertreter der Staatskasse in den Kanzleiräumen für erforderlich und zumutbar. Hierfür ist zunächst die außergewöhnliche Höhe der angemeldeten Auslagen maßgeblich, die es bereits für sich allein rechtfertigt, an die Darlegung und Glaubhaftmachung zwecks Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Staatskasse entsprechend hohe Anforderungen zu stellen: Immerhin hat der Antragsteller im hier anhängigen Verfahren bereits für 271.436 Ausdrucke und mit weiterem Kostenfestsetzungsantrag vom 22. Januar 2014 für zusätzliche 108.135 Ausdrucke eine Dokumentenpauschale angemeldet. Darüber hinaus fällt ins Gewicht, dass für die Entstehung der hier zur Rede stehenden Auslagen ein objektiver Sachbeweis vorhanden sein müsste, denn nach den Angaben des Antragstellers wurden die im Kopierblatt aufgelisteten Ausdrucke durch das Büropersonal gefertigt und stehen ihm zur fortlaufenden Bearbeitung des Mandats in seinen Kanzleiräumlichkeiten zur Verfügung. Die gegen eine Überprüfung durch Vertreter der Staatskasse angeführten Einwände des Antragstellers vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Zum Einen macht die Besichtigung des erstellten Aktenmaterials zwecks Kontrolle des geltend gemachten Druckvolumens und seiner bloßen Zugehörigkeit zum hier anhängigen Verfahren schon das Lesen einzelner Seiten, erst recht aber die Kenntnisnahme von etwaigen Anmerkungen oder Notizen der Verteidigung nicht erforderlich; zum anderen ist die nur anhand der Verfahrensakte mögliche Überprüfung geltend gemachter Kostenansätze durch Vertreter der Staatskasse auch im Strafprozess jedem Kostenfestsetzungsverfahren immanent, ohne dass dies im Hinblick auf die berufsrechtliche Stellung des Pflichtverteidigers Bedenken begegnen würde. Angesichts der Bedeutung der hier zur Rede stehenden Angelegenheit stellt daher die bislang vorliegende anwaltliche Versicherung der Auslagenentstehung - auch in Verbindung mit den nachgereichten eidesstattlichen Erklärungen der Büroangestellten - für sich allein noch keine hinreichende Glaubhaftmachung dar.

Dem Antragsteller bleibt unbenommen, die behauptete Entstehung seiner Auslagen nachträglich in der erforderlichen Weise glaubhaft zu machen und hierdurch eine erneute Entscheidung über sein diesbezügliches Festsetzungsgesuch auf veränderter Tatsachenbasis zu bewirken.

IV.

Zum Umfang der hier geltend gemachten Dokumentenpauschale weist der Senat bereits jetzt vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Angesichts der Bindungswirkung des Feststellungsbeschlusses unterliegt im Festsetzungsverfahren nur noch die Höhe der Dokumentenpauschale einer Überprüfung. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die landgerichtliche Vorabentscheidung nicht etwa einen "Anspruch" begründet hat, jeden im Verfahrensablauf überreichten Datenträger wahllos auf Kosten der Staatskasse auszudrucken. Ein Feststellungsbeschluss mit derartigem Regelungsgehalt wäre willkürlich, da er in nicht mehr vertretbarer Verkennung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG nur noch darauf hinausliefe, dem Pflichtverteidiger über die Dokumentenpauschale ein in den gesetzlichen Gebühren- und Auslagenregelungen nicht vorgesehenes "Zusatzentgelt" zu verschaffen. Für ein dahingehendes Verständnis der landgerichtlichen Feststellungsentscheidung bestand indes bei einer an Treu und Glauben orientierten Auslegung von vornherein kein Anlass. Vielmehr ist dem zum Verfahren 10 KLs 5/13 (= 50 Js 509/11 StA Düsseldorf) ergangenen Beschluss schon aufgrund seines Wortlauts ("Komplettausdruck der übersandten e-Akte") lediglich die Genehmigung eines kostenpflichtigen Ausdrucks der e-Akte dieses Verfahrens zu entnehmen. Ferner verfolgt die Entscheidung nach ihrem Sinn und Zweck erkennbar das Ziel, dem Pflichtverteidiger in gleicher Weise die Arbeit mit einer Papierakte zu ermöglichen wie der Kammer (Prinzip der Waffengleichheit).

2. Hieraus folgt zum Einen, dass sich der Antragsteller beim Ausdruck der e-Akte nicht auf eine Formatverkleinerung (zwei Seiten auf einem Ausdruck) einlassen musste. Die mit der Feststellungsentscheidung verbundene Intention, insbesondere der in ihr zum Ausdruck gekommene Gedanke der Waffengleichheit (auf den der Antragsteller bei seinen Ausführungen zur Formatverkleinerung selbst ausdrücklich hinweist), beschränkt allerdings zum Anderen auch den abrechenbaren Druckaufwand in mehrfacher Hinsicht:

a) Da die im Ermittlungsverfahren erstellten TKÜ-Mitschriften (Druckvolumen laut Kopierblatt S. 4-6 = Bl. 44-46 Kostenbd.: 256.019 Seiten) selbst der Kammer zu keinem Zeitpunkt in Papierform zur Verfügung gestanden haben, war ihr Ausdruck von dem am Grundsatz der Waffengleichheit orientierten Sinn und Zweck des landgerichtlichen Feststellungsbeschlusses nicht erfasst. Er war auch nicht "zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten" im Sinne der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a). Die seitens der Ermittlungsbehörden als verfahrensrelevant angesehenen TKÜ-Mitschriften sind Bestandteil diverser Sonderbände der eigentlichen Verfahrensakte (e-Akte) geworden, deren Ausdruck vom Feststellungsbeschluss der Kammer erfasst ist. Die unter Verteidigungsgesichtspunkten unter Umständen relevante Suche nach entlastenden Gesprächsmitschnitten kann angesichts der Fülle des hier zur Rede stehenden Materials ohnehin nur mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung sinnvoll erfolgen und erfordert unter keinen Umständen den unbesehenen Ausdruck aller im Ermittlungsverfahren angefallenen TKÜ-Mitschriften.

b) Abzusetzen wäre ferner das auf den Ausdruck der e-Akten anderer Verfahren gegen Mitangeklagte entfallende Druckvolumen (Kopierblatt S. 1-2 = Bl. 41-42 Kostenbd.: 3.326 Seiten). In Bezug auf diese Datenträger ist ein Ausdruck vom Regelungsgehalt der im hiesigen Verfahren ergangenen landgerichtlichen Feststellungsentscheidung schon aufgrund ihres Wortlauts nicht erfasst (s. o. zu IV 1) und im Übrigen auch zur sachgemäßen Verteidigung nicht geboten. Dies gilt auch und insbesondere für die elektronischen Akten der zum hiesigen Aktenzeichen hinzuverbundenen Verfahren gegen den Mitangeklagten M. B. T.: Die für den Gesamtkomplex der hier zur Rede stehenden Tatvorwürfe mitrelevanten Ermittlungserkenntnisse des Verfahrens 50 Js 492/11 StA Düsseldorf ("EK Lobo") sind bereits Bestandteil der hiesigen e-Akte geworden. Der Gegenstand des aus hiesigem Ermittlungskomplex zunächst abgetrennten und im weiteren Verlauf beim Landgericht wieder hinzuverbundenen Verfahrens 50 Js 14/13 ist sogar mit dem hier zur Rede stehenden Verfahrensstoff identisch.

c) Darüber hinaus wären bei der Berechnung der Dokumentenpauschale erkennbar erfolgte "Doppelausdrucke" abzusetzen (Kopierblatt S. 2 = Bl. 42 Kostenbd.: Zweifache Auflistung von 860 Seiten für zwei Bände "SB_FE_Auskunftsersuchen"). Die im Feststellungsbeschluss der Kammer enthaltene "Genehmigung" eines "Komplettausdrucks der e-Akte" hat den beigeordneten Anwalt als Organ der Rechtspflege nämlich nicht der nach allgemeinen Kostengrundsätzen bestehenden Verpflichtung sparsamer Mandatsausübung enthoben (vgl. hierzu Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage [2014], § 46 RVG Rdnr. 14; Mayer/Kroiß-Ebert, aaO, § 46 Rdnr. 119), die es im hier zur Rede stehenden Fall - schon angesichts des Umfangs der zu erwartenden Kostenbelastung für die Staatskasse - erforderlich und zumutbar erscheinen ließ, vor dem Ausdruck eine zumindest grobe Sichtung der e-Akte auf mehrfach eingestellte Inhalte vorzunehmen und deren mehrfachen Ausdruck zu vermeiden.

V.

Der vorliegende Sachverhalt gibt ferner Anlass zu folgenden Hinweisen grundsätzlicher Art:

1. Mit den im hier anhängigen Verfahren ergangenen Feststellungsbeschlüssen hat die Kammer zu erkennen gegeben, dass sie den vollständigen Ausdruck der dem Verteidiger überlassenen e-Akte schon aus Gründen der Waffengleichheit als eine zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache grundsätzlich erforderliche Aufwendung ansieht. Diese Ansicht vertritt der Senat nicht, denn das in § 147 Abs. 1 StPO vorgesehene Akteneinsichtsrecht lässt sich nicht in jedem Fall mit einem Anspruch auf Erhalt eines vollständigen Exemplars der Papierakte gleichsetzen. Zwar mag die (nahezu) vollständige Ablichtung der Verfahrensakte im Rahmen sachgemäßer Mandatsausübung erforderlich sein für einen Verteidiger, der die ausschließlich in Papierform existente Verfahrensakte nur vorübergehend erhält und der demzufolge darauf angewiesen ist, sich mittels Erstellung von Kopien binnen kurzer Frist erstmals eine alleinige Arbeitsgrundlage für die weitere Verteidigung zu verschaffen (vgl. hierzu Senat JurBüro 2000, 359 und III-1 Ws 12/07 vom 5. März 2007 ; OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, JurBüro 1984, 713 und 4. Strafsenat, JurBüro 2002, 307). Eine derartige Fallkonstellation liegt jedoch gerade nicht vor, wenn dem Verteidiger die kompletten Akten dauerhaft in digitalisierter Form als Arbeitsgrundlage zur Verfügung stehen. Angesichts der Tatsache, dass die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile in weiten Teilen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung - auch der Gerichte - zum Alltag gehört und den gezielten Zugriff auf bestimmte Informationen - gerade bei umfangreichem Verfahrensstoff - erheblich erleichtert, ist es auch dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der e-Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf dieser Grundlage zu entscheiden, welche (zentralen) Aktenbestandteile für die weitere Verteidigung auch in Papierform benötigt werden. Ein grundsätzlicher "Anspruch" auf Ausdruck der kompletten e-Akte zum Zwecke der sachgerechten Verteidigung ist daher nicht anzuerkennen (OLG Rostock 20 Ws 193/14 vom 4. August 2014 ; ebenso im Grundsatz auch OLG Köln 2 Ws 496/09 vom 11. Dezember 2009 ; vgl. ferner OLG Düsseldorf - 2. Strafsenat - III-2 Ws 343/14 vom 15. August 2014; a. A. OLG Celle NJW 2012, 1671).

2. Die in Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) vorgesehene Dokumentenpauschale entspricht bei Ausdrucken des hier zur Rede stehenden Volumens mehr als dem Dreifachen des Durchschnittspreises, der an kommerzielle Anbieter für Massenkopien ab 1.000 Blatt einschließlich Gewinnanteil gezahlt werden muss (0,05 € brutto/Blatt nach eigener Recherche des Senats). Dieses Missverhältnis ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung jedoch im Grundsatz hinzunehmen: Der Gesetzgeber war sich bereits 1986 - bei Einführung der Dokumentenpauschale in ihrer noch heute geltenden Abstufung und Höhe - der schon damals deutlich niedrigeren Preise für gewerblich erstellte Kopien ausdrücklich bewusst (BT-Drucks. 10/5113 S. 48-49); er hat die auf einer "Mischkalkulation" beruhenden Pauschalsätze für Kopien in der Folgezeit - trotz der mit steigender Anzahl von Umfangsverfahren häufiger werdenden Fälle einer "Massenproduktion" von Ablichtungen aus Gerichtsakten - unverändert gelassen und durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22. März 2005 (vgl. hierzu bereits die obigen Ausführungen zu II 1) sogar noch die Ausdrucke aus elektronisch gespeicherten Dateien in den Anwendungsbereich der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) einbezogen, obwohl der tatsächliche Kostenaufwand für Ausdrucke die Dokumentenpauschale schon im Hinblick auf den geringeren Personaleinsatz noch deutlicher unterschreitet, als es bei Ablichtungen aus Papierakten der Fall ist.

Das OLG Stuttgart hat bereits im Jahr 2000 festgestellt, dass die Diskrepanz zwischen dem geltenden Vergütungssatz und den tatsächlichen Sachkosten - insbesondere bei "massenhafter" Produktion von Ablichtungen - eine zusätzliche "Verdienstmöglichkeit" eröffne, die vom ursprünglichen Gesichtspunkt der Aufwandsentschädigung nicht mehr gedeckt werde (8 W 236/00 vom 23. Mai 2000 ). In welchem Ausmaß diese Überlegungen mittlerweile Geltung beanspruchen, zeigt der Umstand, dass im vorliegenden Verfahrenskomplex nach Kenntnis des Senats bislang fünf der insgesamt siebzehn Verteidiger aufgrund der landgerichtlichen Feststellungsbeschlüsse Dokumentenpauschalen in Höhe von bis zu 67.000 € brutto (für den in Bezug auf Lager- und Bearbeitungskapazitäten nicht mehr sinnvollen Ausdruck eines Papiervolumens von knapp 380.000 Seiten aus der e-Akte und den TKÜ-Mitschnitten) geltend gemacht haben (wobei die auf geringere Beträge lautenden Festsetzungsanträge ausdrücklich als vorläufig bezeichnet sind). Ob "Aufwandsentschädigungen" in dieser Höhe vom gesetzgeberischen Willen bei der Einführung und weiteren Ausgestaltung der Dokumentenpauschale - insbesondere für Ausdrucke - erfasst waren und in welcher Weise eine diesbezüglich unter Umständen bestehende Gesetzeslücke seitens der Gerichte zu behandeln wäre, hat der Senat im hier vorliegenden Einzelfall (noch) nicht zu entscheiden.

VI.

Die Kosten- und Auslagenentscheidungen folgen aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG. Dies gilt auch in Bezug auf die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den landgerichtlichen Feststellungsbeschluss, der ebenfalls die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts betrifft (vgl. hierzu OLG München 2 Ws 1090/88 vom 25. November 1988 ).






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 22.09.2014
Az: III-1 Ws 246+272/14


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