Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 13. Februar 2009
Aktenzeichen: 1 AGH 104/08

(AGH des Landes Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 13.02.2009, Az.: 1 AGH 104/08)

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin trägt die Antragsstellerin.

3. Der Gegenstandswert wird auf 50.000,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am 29.07.1973 geborene Antragstellerin ist am 11.04.2005 nach Bestehen des zweiten juristischen Staatsexamens zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden. Nachdem sie im Mai 2006 einen befristeten Arbeitsvertrag mit der Bundesagentur für Arbeit abgeschlossen hat (Bl. 19 f GA) hat die Antragsgegnerin am 16.11.2006 unter dem Vorbehalt des Widerrufs gestattet, während der Tätigkeit bei der Agentur für Arbeit in C2 ihren Beruf als Rechtsanwältin auszuüben (Bl. 7 GA). Dabei ging die Antragsgegnerin von einem "Tätigkeits- und Kompetenzprofil" aus, wonach die Antragstellerin im Bereich des Privatrechts die Bearbeitung von Unterhaltsangele-

genheiten und Klagen vor den Familiengerichten übernehmen und sonstige rechtliche Fragestellungen im privatrechtlichen Bereich bearbeiten sollte. Nachdem die Antragsgegnerin davon Kenntnis erhalten hatte, dass am 08.04.2008 der Arbeitsvertrag entfristet wurde, hat sie mit Schreiben vom 07.09. und 09.10.2008 die Antragstellerin gebeten, eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung sowie eine unwider-

rufliche Erklärung ihres Dienstherrn über sein Einverständnis zur anwaltlichen Berufstätigkeit und zur freien Disposition über die Wahrnehmung von Terminen während der Arbeitszeit zu übermitteln. Dem kam die Antragstellerin unstreitig nicht nach (Bl. 5, 16 GA).

Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27.10.2008 die Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO widerrufen (Bl. 5 f GA). Hiergegen hat die An-

tragstellerin mit Telefax vom 25.11., am 27.11.2008 eingegangen, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Sie behauptet, in der Rechtsstelle der ARGE als Sachbearbeiterin im Bereich Unterhalt zu arbeiten. Sie legt ein Tätigkeits- und Kompetenzprofil "Sachbearbeiterin Unterhaltsheranziehung im Bereich SGB II" (Bl. 2 GA) vor und behauptet, sie berechne die Höhe der Unterhaltsverpflichtung nach einem Computerprogramm, um dann den Übergangsanspruch auf die ARGE gem. § 33 Abs. 2 SGB ermitteln zu können. In dem Tätigkeitsprofil werden die Kernaufgaben als

- unterhaltsrechtliche Beratung der Hilfeempfänger einschließlich der Prüfung von Selbsthilfemöglichkeiten,

- Ermittlung und Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Personenkreises unter Berücksichtigung laufender Unterhaltsverfahren und bestehender Unterhaltsansprüche,

- Festsetzung und Einforderung von Unterhaltsansprüchen (ggf. Einschaltung der Gerichte),

- Durchführung von Zwangsvollstreckungen,

- Zusammenarbeit mit Dritten (z.B. Jugendämter)"

umschrieben.

Die Antragstellerin legt schließlich ein Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 10.11.2008 vor. Dort heißt es:

"Sollte Frau B einen Antrag auf Genehmigung der Ausübung einer Nebentätigkeit als Rechtsanwältin stellen, würde ich ergänzend zum Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mein Einverständnis erklären, dass Frau B im Rahmen ihrer Nebentätigkeitsgenehmigung

- neben ihrer Tätigkeit als Arbeitnehmerin den Beruf als Rechtsanwältin ausüben darf und

- nicht gehalten ist, Belegschaftsmitglieder nach der Gebührenordnung oder unentgeltlich zu beraten oder zu vertreten.

Darüber hinaus ist es Frau B gestattet, sich im Rahmen des für die Agentur für Arbeit C2 geltenden Regelungen zur flexiblen Arbeitszeit auch während der Dienststunden zur Wahrnehmung etwaiger anwaltlicher Termine und Besprechungen von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen (Bl. 18 GA)."

Die Antragstellerin beantragt,

den Bescheid vom 27.10.2008 aufzuheben und festzustellen, dass ihre Tätigkeit bei der ARGE C2 mit der Tätigkeit als Rechtsanwältin vereinbar ist;

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr die Genehmigung nach § 47 Abs. 1

Satz 2 BRAO unter Berücksichtigung des neuen Arbeitsvertrages zu erteilen; hilfsweise, den Bescheid vom 27.10.2008 aufzuheben und das Ruhen der Zulassung gestatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

II.

1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere rechtzeitig gestellt.

2. Der Antrag ist allerdings nicht begründet.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann.

a) Die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl umfasst grundsätzlich auch das Recht, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben. Allerdings kann der ausgeübte Erstberuf mit dem Anwaltsberuf unvereinbar sein. Insbesondere eine Anstellung im Öffentlichen Dienst und die damit verbundene Staatsnähe kann mit dem Berufsbild der freien Anwaltschaft in erheblicher Weise kollidieren. Für derartige Fälle sehen die §§ 7 Nr. 8, 14

Nr. 8 BRAO eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Zulassungsschranke zum Beruf vor (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, z.B. Beschluss vom 26.11.2007 — AnwZ (B) 99/06 m.w.N.).

b) Die Antragstellerin ist im Öffentlichen Dienst tätig. Aufgrund des Dienstvertrages mit der Bundesagentur für Arbeit übt sie ihren Erstberuf in der ARGE C2 aus. Nach § 44 b SGB II errichten die Leistungsträger Arbeitsgemeinschaften in den einzurichtenden Job-Centern. Die Arbeitsgemeinschaft nimmt die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Sie ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerrufsbescheide zu erlassen und unterliegt der Aufsicht der obersten Landesbehörde im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.

Nach der zur Akte gereichten Tätigkeitsbeschreibung wird die Antragstellerin schwerpunktmäßig in der unterhaltsrechtlichen Beratung von Hilfeempfängern einerseits sowie der Ermittlung und Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Unterhaltspflichtiger andererseits eingesetzt. Wie ihr Hinweis auf § 33 SGB II zeigt, erlässt sie Verwaltungsakte (Überleitung von Unterhaltsansprüchen), wird also spezifisch hoheitlich tätig.

Beim rechtsuchenden Publikum kann der Eindruck entstehen, die Unabhängigkeit des Anwalts sei durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt, wenn ein Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird oder wenn gar bei dem Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt

könne wegen seiner Staatsnähe mehr als andere Rechtsanwälte für ihn

bewirken (Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 7 Rn 107; Senat, Beschluss

vom 26.09.2008 — 1 ZU 130/06). Der Umstand, dass die Antragstellerin in der

unterhaltsrechtlichen Beratung schwerpunktmäßig eingesetzt wird, kann bei

dem Publikum den Eindruck erwecken, sie könne wegen ihrer hohen

Spezialisierung und ihrer Staatsnähe besonders effektiv Ansprüche gegen die

Sozialverwaltung durchsetzen. Sie könne also in derartigen Fällen mehr für ihre

Mandanten bewirken als ein anderer Rechtsanwalt, weil sie die internen Vor-

gänge der ARGE kenne und sogar für die Zusammenarbeit mit anderen

Leistungsträgern zuständig sei.

c) Es kommt hinzu, dass nach dem Arbeitsvertrag auch eine Verwendung der

Antragstellerin an anderer Stelle in der ARGE möglich ist. Nach dessen § 5

begründet der Vertrag keinen Anspruch auf Verwendung auf einem bestimmten

Arbeitsplatz oder in einem bestimmten Aufgabengebiet. Das Recht des Arbeit-

gebers, der Antragstellerin eine andere Tätigkeit zu übertragen, wird selbst

durch eine lang währende Verwendung auf dem selben Arbeitsplatz nicht

eingeschränkt. Es ist der Antragsgegnerin nicht zuzumuten, gewissermaßen

ständig das Aufgabengebiet der Antragstellerin zu überwachen.

d) Ohne dass es darauf noch ankäme, ist die vorgelegte "Bescheinigung"

zumindest problematisch. Dabei neigt der Senat dazu, zugunsten der

Antragstellerin anzunehmen, diese Bescheinigung sei unwiderruflich. Allerdings

ist sie nicht hinreichend klar ausgestaltet, um dem Senat die Gewissheit zu

geben, dass die anwaltliche Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt werden kann,

insbesondere auch während der Dienstzeit. Der Anwalt muss während seiner

Dienststunden nicht nur in Ausnahmefällen zur Erledigung von Anwaltsauf-

gaben erreichbar sein. Dazu ist es erforderlich, in dringenden und eilbedüftigen

Fällen mit seiner Anwaltstätigkeit den Arbeitsplatz ohne Einholung einer zusätz-

lichen Erlaubnis zu verlassen. Die Bescheinigung gestattet dies lediglich "im

Rahmen der für die Agentur für Arbeit C2 geltenden Regelung zur flexiblen

Arbeitszeit", ohne dass die Antragstellerin diese näher dargelegt hätte.

4. Der Widerruf stellt für die Antragstellerin keine unzumutbare Härte dar. Insbesondere der Umstand, dass sie bisher als Anwältin zugelassen war, begründet eine solche Härte nicht. Es kann dahinstehen, ob die Entscheidung, neben der früheren Tätigkeit der Antragstellerin bei der ARGE auch noch den Beruf als Rechtsanwältin auszuüben, rechtmäßig war. Jedenfalls ging sie von einem anderen Tätigkeitsprofil aus und stand unter dem "Vorbehalt des Widerrufs". Sie war auch lediglich wegen der befristeten Tätigkeit der Antragstellerin ausgesprochen worden. Da der Widerruf vorbehalten war, konnte die Antragstellerin kein berechtigtes Vertrauen in eine unbeschränkte Geltung der Gestattung entwickeln. Mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben hat sich ihr Kompetenzgebiet geändert. Darüber hinaus hat sie durch ihre dauerhafte Anstellung bei der Bundesagentur für Arbeit die Voraussetzung der Gestattung geändert.

5. Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1

BRAO liegen nicht vor. Schon vom Wortlaut ist die Vorschrift nicht einschlägig.

Auch Sinn und Zweck rechtfertigen nicht eine entsprechende Anwendung. Nach

dem Wortlaut bezieht sich die Vorschrift auf eine vorübergehende Anstellung

im Öffentlichen Dienst. Gerade diese vorübergehende Anstellung ist beendet.

Die Antragstellerin hat eine unbefristete Anstellung erreicht. Bezweckt werden

soll damit, dass der Betroffene nicht bei einer vorübergehenden Anstellung

seine Zulassung als Anwalt zurückgeben muss, um sie dann nach deren

demnächstiger Beendigung wieder zu beantragen. Mit der Entfristung des

Arbeitsverhältnisses ist die Antragstellerin dauerhaft im Öffentlichen Dienst

beschäftigt.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 40 Abs. 4 BRAO in Verbindung mit § 13 a

FGG.

Der Streitwert entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.






AGH des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 13.02.2009
Az: 1 AGH 104/08


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