Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. März 2011
Aktenzeichen: 19 W (pat) 20/07

(BPatG: Beschluss v. 16.03.2011, Az.: 19 W (pat) 20/07)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G05B des Deutschen Patentund Markenamts vom 2. Februar 2007 aufgehoben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibungsseite 2a vom 15. Februar 2011, Beschreibungsseite 2 vom 12. August 2005, Beschreibungsseiten 5 und 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Beschreibungsseiten 1, 3 bis 4 und 6 sowie 1 Blatt Zeichnung mit 1 Figur vom Anmeldetag.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G05B -hat die am 20. März 2001 eingereichte Patentanmeldung mit Beschluss vom 2. Februar 2007 zurückgewiesen mit der Begründung, dass der Fachmann ausgehend von den Druckschriften US 5 625 552 und DE 199 13 126 A1 in nahe liegender Weise zum jeweiligen Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptund Hilfsantrag gelangen könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G05B des Deutschen Patentund Markenamts vom 2. Februar 2007 aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibungsseite 2a vom 15. Februar 2011, Beschreibungsseite 2 vom 12. August 2005, Beschreibungsseiten 5 und 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Beschreibungsseiten 1, 3 bis 4 und 6 sowie 1 Blatt Zeichnung mit 1 Figur vom Anmeldetag, hilfsweise, Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag vom 15. Februar 2011, übrige Unterlagen wie Hauptantrag.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet unter Einfügung von Gliederungsziffern 1) bis 9) entsprechend einer von der Anmelderin vorgenommenen Gliederung im Schriftsatz vom 15. Februar 2011:

"1) Regelvorrichtung umfassend 2) einen Regler (R), der zumindest eine Eingangsgröße (E) erhält und aus dieser zumindest eine Stellgröße (U) bestimmt, welche einem Steller einer Regelstrecke (S) zugeführt wird, 3) wobei ein neuronaler Korrekturgeber (NAM) vorgesehen ist, der 3.1) zumindest eine Prozessgröße (P2) aus der Regelstrecke, 4) zumindest einen Teil der Reglereingangsgrößen

(E=V1(MSOLL, MIST, P1)) und 5) zumindest einen Teil der vom Regler bestimmten Stellgrö

ßen (U) erhält und 6) derart ausgebildet ist, um aufgrund dieser Eingangsgrößenein Korrektursignal (K) zu erzeugen, 7) wobei der Korrekturgeber (NAM) derart ausgebildet ist, zum einen mindestens ein Korrektursignal (K) zu erzeugen, welches mit der oder den Stellgrößen (U) zu einer korrigierten Stellgröße (UK) algebraisch verkettet wird, 8) und zum anderen eine Adaption von den, den neuronalen Korrekturgeber (NAM) in seiner Wirkungsweise beeinflussenden internen Parametern herbeizuführen, 9) wobei die Adaption des Korrekturgebers (NAM) mit einem Online-Lernalgorithmus in Echtzeit durchgeführt wird."

Der nebengeordnete Patentanspruch 6 lautet unter Berichtigung der offensichtlich fehlerhaften Bezugszeichen E und U durch das zutreffende Bezugszeichen R im dritten Spiegelstrichmerkmal (Berichtigungen kursiv):

"Regelverfahren mit den Schritten, -dass einem Regler (R) zumindest eine Eingangsgröße (E) zugeführt wird, -dass der Regler (R) aus der zumindest einen Eingangsgröße (E) zumindest eine Stellgröße (U) bestimmt,

-dass einem neuronalen Korrekturgeber (NAM) zumindest ein Teil der Eingangsgrößen des Reglers (R), zumindest ein Teil der Stellgrößen (U) vom Regler (R) und zumindest eine Prozessgröße (P2) zugeführt werden,

-dass der neuronale Korrekturgeber (NAM) aufgrund der ihm zugeführten Signale zumindest eine Korrekturgröße (K) erzeugt,

-dass die zumindest eine Korrekturgröße (K) algebraisch mit zumindest einer Stellgröße (U) verknüpft wird und -dass eine Adaption von den neuronalen Korrekturgeber (NAM)

in seiner Wirkungsweise beeinflussenden internen Parameternmit seinen Eingangsparametern herbeigeführt wird, wobei derneuronale Korrekturgeber (NAM) mit einem bestimmten Lernalgorithmus online in Echtzeit belernt wird."

Die Anmelderin erläutert zunächst den Hintergrund der Erfindung, indem sie darauf hinweist, dass sich bei verschiedenen Fahrzeugen, bei denen die Erfindung zum Einsatz kommen solle, je Fahrzeug unterschiedliche Abhängigkeiten bezüglich der jeweils darauf vorgesehenen Regelvorrichtungen ergeben würden. Um dies auszugleichen müsse jede Regelvorrichtung individuell an jedes Fahrzeug angepasst werden. Durch die Erfindung werde solches jedoch vermieden, indem ein online zu belernender neuronaler Korrekturgeber zum Einsatz komme, der zum Regler parallel wirke und der es ermögliche, dass bei jedem Fahrzeug ein Nachlernen bewirkt werde.

Die Anmelderin ist weiterhin der Auffassung, dass in keinem der aus den Druckschriften US 5 625 552 A und DE 199 13 126 A1 bekannten Verfahren eine Online-Belernung stattfinde. Die Anmelderin weist außerdem darauf hin, dass bei einem Offline-Belernen ein Nachlernen nicht möglich sei.

Darüber hinaus sei beim Verfahren nach der US 5 625 552 A vorgesehen, dass das neuronale Netzwerk direkt Einfluss auf Regelparameter des Reglers nehme und nicht auf die Stellgröße des Reglers wirke, wie dies erfindungsgemäß vorgesehen sei. Auch das Verfahren nach der DE 199 13 126 A1 zeige solches nicht, da hierbei die Ausgangsgröße, entsprechend einer Regelgröße bei einem Regelkreis, beeinflusst werde; die Beeinflussung der Stellgröße gehe aus der DE 199 13 126 A1 nicht hervor.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die fristund formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Patenterteilung mit geänderten Unterlagen führt.

1.

Als Fachmann legt der Senat einen Diplomingenieur des Maschinenbaus mit Universitätsabschluss zugrunde, der besondere Erfahrung auf dem Gebiet der Regelungstechnik hat. Einem solchen Fachmann sind neuronale Netze in Theorie und Praxis und deren Erstellung im Zusammenhang mit Regelkreisen bekannt. Er kennt zudem die Möglichkeiten und Arten des Trainings bzw. der Belernung neuronaler Netze.

2.

Die vorgenommenen Änderungen in den Patentansprüchen 1 und 6 nach Hauptantrag, sowie in der Beschreibung sind zulässig.

Die Merkmale 1) bis 8) entsprechen dem Wortlaut des ursprünglich eingereichten Patentanspruchs 1 und die Merkmale 3.1) und 9) entsprechen den ursprünglichen Patentansprüchen 2 und 4.

Die Änderung in Patentanspruch 5 (ursprünglicher Patentanspruch 7) ergibt sich aus dem hierzu analogen Anspruch 8 (ursprünglicher Anspruch 12).

Die im nebengeordneten Patentanspruch 6 gegenüber dem ursprünglichen Patentanspruch 8 ergänzten Merkmale entsprechen den Merkmalen 3.1) und 9) des Hauptanspruchs; sie entstammen den ursprünglichen Patentansprüchen 9 und 11.

In der Beschreibung wurde die Erläuterung des Standes der Technik ergänzt, sowie offensichtliche Schreibfehler berichtigt.

3. Die im Patentanspruch 1 angegebene Einrichtung ist neu (§ 3 PatG).

Aus der US 5 625 552 A (Fig. 4) ist -mit den Worten des Patentanspruchs 1 -bekannt eine 1) Regelvorrichtung umfassend 2) einen Regler (42), der zumindest eine Eingangsgröße (Regelabweichung 47) erhält und aus dieser zumindest eine Stellgröße (u) bestimmt, welche einem Steller (in der Regelstrecke PROCESS 41 enthalten) einer Regelstrecke (41) zugeführt wird, 3) wobei ein neuronaler Korrekturgeber (neuronal network autotuner 43) vorgesehen ist, der 3.1)zumindest eine Prozessgröße (y) aus der Regelstrecke (41), 4) zumindest einen Teil der Reglereingangsgrößen (hier ebenfalls die Regelabweichung 47) und 5) zumindest einen Teil der vom Regler bestimmten Stellgrößen

(u) erhält und 6) derart ausgebildet ist, um aufgrund dieser Eingangsgrößen ein Korrektursignal (44) zu erzeugen (Sp. 5 Z. 50 bis 56).

Im Gegensatz zu Merkmal 7) wird das Korrektursignal (44) hier nicht mit der Stellgröße (u) algebraisch verkettet, sondern in Form von Reglerparametern (controller parameter: proportional, integral, derivate gain KC, KI, KD) dem Regler (42) zugeführt (Sp. 5 Z. 53, 54). Weiterhin ist entgegen Merkmal 9) keine Online-Belernung, sondern eine Offline-Belernung (Sp. 6 Z. 22 bis 25) vorgesehen.

Auch die Figur 1 der US 5 625 552 A zeigt dieses Prinzip, denn auch hier wird -entgegen Merkmal 7) -das Korrektursignal (18a) nicht mit der Stellgröße (u) algebraisch verkettet, sondern in Form von Reglerparametern (KC, KI, KD) dem Regler (5) zugeführt (Sp. 6 Z. 44 bis 46). Auch das Merkmal 9) ist bei diesem Ausführungsbeispiel nicht realisiert.

Die DE 199 13 126 A1 beschreibt anders als Merkmal 1) schon keine Regelvorrichtung umfassend einen Regler, sondern ein analytisches Walzkraftmodell (1), dem ein neuronales Netz als neuronaler Korrekturgeber (2) zugeordnet ist (Sp. 3 Z. 28 bis 31). Der am Ausgang des Walzkraftmodells (1) anstehende Grobwert FM wird mit einem vom neuronalen Korrekturgeber (2) ausgegebenen Korrektursignal K zu einem Wert FH für die Walzkraft algebraisch verkettet (Sp. 2 Z. 42 bis 46 i.

V. m. z. B. Fig. 1, wobei in Figur 1 und 2 die Werte FH und FM vertauscht sind, nicht aber in der Figur der Zusammenfassung). Entgegen Merkmal 9) findet hier ebenfalls keine Online-Belernung, sondern eine Offline-Belernung statt (Sp. 5 Z.

58bis 62und Sp.5Z. 64bis Sp. 6 Z. 1).

Die weder vom Senat noch von der Anmelderin angesprochene US 5 877 954 A und die in der Recherche nach § 43 PatG genannten Druckschriften bringen gegenüber dem vorstehend abgehandelten Stand der Technik keine neuen Gesichtspunkte, so dass auf sie nicht eingegangen werden muss.

Somit ist die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 gegenüber dem jeweils durch die Druckschriften US 5 625 552 A und DE 199 13 126 A1 repräsentierten Stand der Technik neu.

4.

Auch das Verfahren nach Patentanspruch 6, der die zu den gegenständlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 analogen Verfahrensmerkmale aufweist, ist aus den zum Patentanspruch 1 genannten Gründen neu.

5.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

Ausgehend von einer Regelvorrichtung, wie sie in der US 5 625 552 A beschrieben ist, mag sich zwar die anmeldungsgemäße Aufgabe stellen, eine Regelvorrichtung und ein Regelverfahren anzugeben, welche bzw. welches eine Online-Adaption an nichtlineare Streuungen bei den genannten Reglern (gemeint ist Regelvorrichtungen) bzw. Regelverfahren ermöglicht (mit Eingabe vom 15. Februar 2011 eingereichte Beschreibungsseite 2a le. Abs. und S. 3 Abs. 1 deru. U.), weil der Fachmann stets darauf aus ist, durch Toleranzen und Alterungserscheinungen hervorgerufene Streuungen im Streckenverhalten ohne zusätzlichen Justieroder Fertigungsaufwand in Griff zu bekommen.

Unter diesen Gesichtspunkten mag der Fachmann zwar prinzipiell an eine Online-Belernung eines neuronalen Korrekturgebers denken. Die US 5 625 552 A gibt ihm jedoch keinen Hinweis, von der direkten Beeinflussung des Reglers (Fig. 4: 42 bzw. Fig. 1: 5) durch den neuronalen Korrekturgeber (Fig. 4: 43 bzw. Fig. 1: 6) vermöge Reglerparameter (KC, KI, KD) abzugehen und stattdessen das Korrektursignal (Fig. 4: 44 bzw. Fig. 1: 18a) mit der Stellgröße (Fig. 4, 1: u) zu verketten. Ein Verlassen -einhergehend mit einer Umgestaltung -des in dieser Druckschrift gelehrten Reglerkonzeptes, würde vom Fachmann ohne konkreten Anlass nicht in Erwägung gezogen.

Auch die DE 199 13 126 A1 führt ihn nicht in die Richtung, das Korrektursignal mit der Stellgröße algebraisch zu verketten. Selbst wenn angenommen würde, dass der Fachmann das analytische Walzkraftmodell (1) als Regelkreis ansehen würde, der als Ausgangsgröße, d. h. als Regelgröße die Walzkraft FH zur Verfügung stellt, dann wirkte das Korrektursignal (K) des neuronalen Korrekturgebers (2) auf ebendiese Regelgröße aber nicht auf die im Innern des angenommenen Regelkreises (1) befindliche Stellgröße.

Die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

6.

Auch das Verfahren nach Patentanspruch 6, der die zu den gegenständlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 analogen Verfahrensmerkmale aufweist, beruht aus den zum Patentanspruch 1 genannten Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

7.

Die auf die Patentansprüche 1 und 6 jeweils rückbezogenen Unteransprüche sind mit den sie tragenden Ansprüchen gewährbar.

Die Beschreibung und die Zeichnung genügen den an sie zu stellenden Anforderungen. Die einzige Figur ist im Übrigen als Prinzipschaltbild zu sehen, nicht als elektrischer Stromlaufplan. Mithin stellt die darin gezeigte Verbindung des schrägen Pfeiles durch den neuronalen Korrekturgeber NAM mit dessen Eingangsparametern durch Punkte keinen elektrischen Kurzschluss dar, sondern besagt, dass zur Belernung interner Parameter des Korrekturgebers, die an diesem anstehenden Sollwerte herangezogen werden (S. 5 vorle. Abs. der u. U.).

8.

Da dem Patentbegehren gemäß Hauptantrag stattgegeben wurde, ist die Bedingung für die Stellung des Hilfsantrages nicht eingetreten. Auf diesen ist demzufolge nicht mehr einzugehen.

Bertl Kirschneck Groß J. Müller Pü






BPatG:
Beschluss v. 16.03.2011
Az: 19 W (pat) 20/07


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