Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 29. Januar 2004
Aktenzeichen: 6 U 228/02

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 29.01.2004, Az.: 6 U 228/02)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.10.2002 verkündete Urteil der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Vorstand, für jeden Fall der Zuwiderhandlung, zu unterlassen,

a) ohne Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz geschäftsmäßig für Dritte schadensrechtliche Angelegenheiten dadurch zu besorgen, daß sie aus Verkehrsunfällen resultierende Schadensersatzansprüche für die Dritten geltend macht bzw. einzieht, insbesondere wenn dies geschieht wie mit dem als Anlage K 2 zur Klageschrift vorgelegten Schreiben der Beklagten an die ... vom ...10.2001,

und/oder

b) für die Tätigkeit nach a) zu werben, insbesondere wenn dies geschieht durch das Anbieten einer €...€ und/oder eines €...€, mit dem die Abwicklung von Schadensfällen von Anfang bis Ende geregelt wird, insbesondere wenn dies geschieht wie aus der nachfolgenden Anlage K O ersichtlich:

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<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Im uns vorliegenden Abdruck fehlen die oben erwähnten Abbildungen.>

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 37.000,-- EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Beschwer des Klägers: 35.000,-- EUR

Beschwer der Beklagten: 35.000,-- EUR

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl 103 ff. d.A.) wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Die Beklagte, deren Aktionäre Karosserie-Fachbetriebe sind, bietet gewerbetreibenden Kunden mit einer größeren Kraftfahrzeug-Flotte ein überregionales Schadensmanagement bei Verkehrsunfällen an. Das Landgericht hat die Beklagte gemäß dem Klageantrag verurteilt, es bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu unterlassen,

a) ohne Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz geschäftsmäßig für Dritte schadensrechtliche Angelegenheiten zu besorgen, insbesondere

- für Dritte Ansprüche zu ermitteln, die diese bei Schadensfällen geltend machen können, und/oder

- diese Ansprüche tatsächlich geltend zu machen bzw. einzuziehen

und/oder

b) für die Tätigkeit nach a) zu werben, insbesondere wenn dies geschieht durch das Anbieten einer €...€ und/oder eines €...€, mit dem die Abwicklung von Schadensfällen von Anfang bis Ende geregelt wird, insbesondere wenn dies geschieht wie aus der nachfolgenden Anlage K O (vgl. Bl. 3 f. d.A.) ersichtlich.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Beklagte verstoße durch die beanstandete Tätigkeit gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG und sei daher gemäß § 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, eine, verfassungsrechtlich gebotene, restriktive Auslegung des Rechtsberatungsgesetzes führe dazu, einen Verstoß im vorliegenden Fall zu verneinen. So habe es sich bei dem zum Anlaß des Rechtsstreit gewordenen Schreiben der Beklagten vom ...10.2001 (Anlage K 2/Bl. 19 d.A.) nur um die triviale Geltendmachung einer Forderung gehandelt, bei der es nicht im Wesentlichen um die Klärung rechtlicher Verhältnisse gegangen sei. Im Übrigen seien bei dem Schadensmanagement der Beklagten aufgrund einer hohen Spezialisierung, die normale Rechtsanwaltsbüros nicht aufwiesen, Professionalität und Qualität gewährleistet. Weiter greife der auf den Verbraucherschutz zielende Zweck des Gesetzes nicht, da die Beklagte ihr Angebot nur an größere Unternehmen richte, die ein solches Schadensmanagement auch in eigener Regie durchführen oder aber €outsourcen€ könnten. Die Erlaubnisfreiheit der umstrittenen Tätigkeit ergebe sich auch aus der € extensiv auszulegenden € Vorschrift des Art. 1 § 5 RBerG, da die rechtlichen Aspekte nur ein Annex der wirtschaftlichen Managementtätigkeit seien. Das Schadensmanagement, wie es die Beklagte betreibe, habe sich mittlerweile als eigener hochspezialisierter Beruf etabliert. Schließlich trägt die Beklagte vor, sie beabsichtige in der Zukunft die Einstellung von Syndikusanwälten. Sie behauptet, schon jetzt entspreche es ihrer ständigen Praxis, in Problemfällen ein externes spezialisiertes Anwaltsbüro einzuschalten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage € auch mit dem in zweiter Instanz eingeschränkten Klageantrag € abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Beklagten unter a) untersagt werden soll, ohne Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz geschäftsmäßig für Dritte schadensrechtliche Angelegenheiten dadurch zu besorgen, daß sie aus Verkehrsunfällen resultierende Schadensersatzansprüche beziffert und/oder für die Dritten geltend macht bzw. einzieht, insbesondere wenn dies geschieht wie mit dem als Anlage K 2 zur Klageschrift vorgelegten Schreiben der Beklagten an die ... vom ...10.2001 und/oder €.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des modifizierten Klageantrags und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er ist der Ansicht, bei der Tätigkeit der Beklagten handele es sich um umfassende juristische Beratung und Vertretung. Davon abgesehen betreibe die Beklagte die durch Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG ausdrücklich verbotene Einzelhandlung des Forderungseinzugs; einer Abwägung im Lichte des Art. 12 GG bedürfe es insoweit nicht. Schließlich meint der Kläger, der Beklagten sei auch die der Anspruchsgeltendmachung vorgelagerte Tätigkeit zu untersagen, die darin bestehe, daß die Beklagte (vermeintliche) Ansprüche ihrer Kunden aus Schadensfällen ermittele, indem sie die Sach- und Rechtslage prüfe und etwa festgestellte Ansprüche der Höhe nach beziffere.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur zum Teil Erfolg.

Der Kläger, dessen Klagebefugnis aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG folgt, kann von der Beklagten in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Unterlassung verlangen, da die Beklagte, indem sie unfallbedingte Schadensersatzansprüche ihrer Kunden geltend macht, die Einziehung fremder Forderungen betreibt und dadurch gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG verstößt, worin zugleich ein € wesentlicher € Verstoß gegen § 1 UWG liegt.

Die Beklagte verfügt nicht über eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz. Sie übt die beanstandete Tätigkeit, wie sie selbst nicht in Frage stellt, geschäftsmäßig aus. Des Weiteren besorgt sie fremde Angelegenheiten. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, daß ein Unternehmen die Bearbeitung seiner Schadensfälle €outsourcen€ könnte. Wenn es um ein Outsourcing im eigentlichen Sinne geht, nämlich um die Auslagerung eines Geschäftsbereichs an ein zu diesem Zweck gebildetes verbundenes Unternehmen, so mögen für dieses Unternehmen die Angelegenheiten der im Konzernverbund stehenden Unternehmen nicht €fremd€ sein im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG (vgl. Schönberger, NJW 2003, 249, 256). Im vorliegenden Fall besteht zwischen der Beklagten und ihren Kunden indessen keine konzernmäßige Verbindung; im übrigen ist die Beklagte für mehrere (eigenständige) Auftraggeber tätig. An der Besorgung fremder Angelegenheiten besteht daher kein Zweifel.

Weiter handelt es sich bei der Geltendmachung fremder Forderungen um die Besorgung von Rechtsangelegenheiten im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. WRP 2003, 1103, 1105 f. m.w.N. € Erbenermittler), die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt, ist zu berücksichtigen, daß die Erlaubnispflicht nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG grundsätzlich für alle geschäftsmäßigen Tätigkeiten gilt, die darauf gerichtet und geeignet sind, konkrete fremde Rechte zu verwirklichen oder konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten. Es ist daher zu fragen, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezweckt oder ob die rechtliche Seite der Angelegenheit im Vordergrund steht und es wesentlich um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht. Für die Einstufung als erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung kann angesichts dessen, daß nahezu alle Lebensbereiche rechtlich durchdrungen sind und daher eine wirtschaftliche Betätigung kaum ohne rechtsgeschäftliches Handeln möglich ist oder ohne rechtliche Wirkung bleibt, nicht allein auf die rechtlichen Formen und Auswirkungen des Verhaltens abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr eine abwägende Beurteilung des jeweils beanstandeten Verhaltens danach, ob es sich bei ihm um Rechtsbesorgung oder um eine Tätigkeit handelt, die ohne Beeinträchtigung ihrer Qualität oder der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der zu ihrer Aufrechterhaltung benötigten Rechtsberater auch von anderen Dienstleistern erfüllt werden kann. Dabei sind die öffentlichen Belange, die den Erlaubnisvorbehalt des Rechtsberatungsgesetzes rechtfertigen, gegen die Berufsfreiheit desjenigen abzuwägen, dem wegen des Fehlens einer entsprechenden Erlaubnis die Vornahme bestimmter Handlungen untersagt werden soll. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, ob der Auftraggeber im Rahmen der Geschäftsbesorgung eine besondere rechtliche Prüfung des Inhalts des Geschäfts oder der mit diesem verbundenen Risiken ausdrücklich wünscht oder zumindest erkennbar erwartet. Die dementsprechende Erwartung richtet sich im Zweifel nach der Person und der Qualifikation des Geschäftsbesorgers, nach den verkehrstypischen Gepflogenheiten und nach den objektiven Maßstäben des jeweiligen Geschäfts. Eine nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung liegt vor, wenn die ordnungsgemäße Erfüllung der Tätigkeit eine umfassende Beratung auf mindestens einem Teilgebiet des Rechts auf der Grundlage von Kenntnissen und Fertigkeiten erfordert, die durch ein Studium oder durch langjährige Berufserfahrung vermittelt werden. Dem stehen solche Tätigkeiten wirtschaftlicher Art gegenüber, bei denen eine besondere rechtliche Prüfung weder verkehrsüblich noch im Einzelfall offensichtlich geboten noch auch vom Auftraggeber ausdrücklich gewünscht ist, sondern die notwendige rechtliche Betätigung in für die angesprochenen Verkehrskreise so geläufigen Bahnen verläuft, daß sie nicht mehr als ein Handeln auf dem Gebiet des Rechts empfunden wird. Entsprechende kaufmännische Hilfstätigkeiten sind dadurch gekennzeichnet, daß sie typischerweise keine individuelle Beratung über rechtliche Sachverhalte unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfordern, daß sie nicht darauf gerichtet sind, dem Auftraggeber im Einzelfall bei auf dem Gebiet des Rechts liegenden Entscheidungsprozessen Hilfestellung zu leisten, daß die Aufgabenwahrnehmung keine maßgebliche rechtliche Vorbildung erfordert und daß sie sich auf eindeutige rechtliche Grundlagen stützen kann. Allerdings ist bei kaufmännischen Hilfstätigkeiten ebenfalls zu fragen, ob die konkrete Tätigkeit im Einzelfall im Hinblick auf die das Rechtsberatungsgesetz tragenden Gemeinwohlbelange des Schutzes der Rechtssuchenden und des Schutzes der Rechtspflege nicht doch als "Hilfstätigkeit zur Rechtsberatung" in den Erlaubnisvorbehalt einzubeziehen ist. Andererseits ist auch zu prüfen, ob ein sich danach ergebendes etwaiges Betätigungsverbot dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Die danach grundsätzlich gebotene Abwägung unter Berücksichtigung der nach der Art der Tätigkeit notwendigen bzw. der von dem Auftraggeber erkennbar erwarteten rechtskundlichen Qualifikation des Geschäftsbesorgers ist indes in der eben dargestellten Form dann nicht erforderlich, wenn die in Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG ausdrücklich verbotene Einzelhandlung des Forderungseinzugs betroffen ist (vgl. BVerfGE 97, 12, 28; siehe auch BGH, BGH-Report 2002, 703 und das Urteil des Senat vom 23.10.2003 € 6 U 194/02).

Eine Einziehung fremder Forderungen liegt hier vor. Der Begriff der Einziehung erfaßt alle Maßnahmen, die auf die Geltendmachung der Forderung gerichtet sind (vgl. Henssler/Prütting € Weth, BRAO, 2. Auflage, Art. 1 § 1 RBerG, Rdnr. 27; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Auflage, Art. 1 § 1, Rdnr. 46). Danach handelte es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom ...10.2001 an die ... (Anlage K 2/Bl. 19 d.A.), in dem die Beklagte unter Hinweis auf die mit der Geschädigten bestehende Vereinbarung die Ersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall bezifferte und um Regulierung bat, um eine Maßnahme der Forderungseinziehung. Daran konnte der in dem Schreiben enthaltene Klammerzusatz €jedoch keine Rechtsberatung€ nichts ändern.

Die Auffassung der Beklagten, der Erlaubnisvorbehalt für das Inkasso sei verfassungsrechtlich kaum haltbar (vgl. auch Kleine-Cosack, NJW 2000, 1593, 1600; EWiR 2002, 449, 450), teilt der Senat nicht. Zwar kann das Inkasso auch eine schlichte Mahn- und Beitreibungstätigkeit beinhalten, die einer kaufmännischen Hilfstätigkeit gleichkommt und bei isolierter Betrachtung nicht als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten anzusehen wäre. Da aber Inkassounternehmer die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung fremder Rechte oder Vermögensinteressen übernehmen, kann typisierend unterstellt werden, daß beim Forderungseinzug in allen seinen Formen auch Rechtsberatung zu leisten ist (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1190, 1191). Stellt somit das Gesetz in verfassungsrechtlich zulässiger Weise aufgrund einer typisierenden Betrachtungsweise den Forderungseinzug in allen seinen Formen unter Erlaubnisvorbehalt, so kommt es nicht mehr darauf an, ob und in welchem Umfang anläßlich einer Forderungseinziehung im Einzelfall auch rechtliche Zweifelsfragen zu klären sind.

Abgesehen davon, daß hier die ausdrücklich verbotene Einzelhandlung des Forderungseinzugs betroffen ist, führt aber auch eine abwägende Beurteilung nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts zu dem Ergebnis, daß eine erlaubnispflichtige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vorliegt.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit schon des öfteren mit Fallgestaltungen befaßt, bei denen Dritte € vornehmlich Mietwagenunternehmer, aber auch Reparaturwerkstätten € die Aufgabe übernahmen, die Ersatzansprüche Verkehrsunfallgeschädigter (oftmals nach Abtretung) gegen den Schädiger bzw. dessen Versicherung geltend zu machen. Darin wurde regelmäßig ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz gesehen, sofern € in Grenzfällen € nicht klargestellt war, daß der Geschädigte für die Regulierung des Schadens und die Durchsetzung seiner Ansprüche doch selbst tätig werden mußte (vgl. BGH, VersR 1994, 950, 951 f.; BGH-Report 2003, 712 f. € jeweils m.w.N.; s.a. Henssler/Prütting € Weth, BRAO, 2. Auflage, Art. 1 § 1 RBerG, Rdnr. 31; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Auflage, Art. 1 § 1, Rdnr. 50).

Der vorliegende Fall ist € vorbehaltlich der Ausnahmeregelung des Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG, auf die sogleich zurückzukommen ist € nicht anders zu beurteilen. Die Tätigkeit, die die Beklagte zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach Verkehrsunfällen anbietet, ist in rechtlicher Hinsicht nicht weniger problemträchtig als die in früheren Fällen von Mietwagenunternehmern und Reparaturwerkstätten geleistete Unterstützung, und sie kann ebensowenig wie diese als bloße kaufmännische Hilfstätigkeit eingestuft werden.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Schutz der Rechtsuchenden sei deshalb gewahrt, weil die Beklagte aufgrund einer hohen Spezialisierung Professionalität und Qualität gewährleiste. Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz hängt nicht davon, ob der Berater im konkreten Fall aufgrund besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lage ist, die Beratungsaufgabe adäquat zu erfüllen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit auf rechtlichem oder wirtschaftlichem Gebiet liegt. In diesem Zusammenhang ist wiederum die Erwartungshaltung des Kunden von Bedeutung, die sich unter anderem nach der Person und Qualifikation des Geschäftsbesorgers richtet. Die von der Beklagten für ihr Dienstleistungsangebot in Abgrenzung zu €normalen€ Anwaltsbüros in Anspruch genommene Professionalität und Qualität ist daher, soweit sie auf die Erwartungshaltung der Kunden zurückwirkt, eher ein weiterer Beleg dafür, daß die auf den Forderungseinzug gerichtete Tätigkeit der Beklagten dem Anwendungsbereich des Rechtsberatungsgesetzes unterfällt. Tatsächlich geht es bei der Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Verkehrsunfällen um eine nicht schematisch trennbare Mischung einfacher und anspruchsvoller Tätigkeiten. Es handelt sich insgesamt um eine typische Anwaltstätigkeit, die der entsprechend beauftragte Rechtsanwalt selbst erledigt und nicht etwa wie eine einfache Hilfstätigkeit üblicherweise durch Angestellte oder Beauftragte besorgen läßt (vgl. BVerfG, BVerfGE 97, 12, 29 f.).

Die Voraussetzungen für eine Erlaubnisfreiheit gemäß Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift bleibt für einen gewerblichen Unternehmer die Erledigung solcher Rechtsangelegenheiten zulässig, die mit einem Geschäft des Gewerbebetriebs in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Diese Regelung soll sicherstellen, daß Berufe, die ohne gleichzeitige Rechtsberatung nicht ausgeübt werden können, nicht am Rechtsberatungsgesetz scheitern. Sie betrifft nicht nur solche Fälle, in denen die Haupttätigkeit des Unternehmers ohne die Erledigung rechtlicher Angelegenheiten für seine Kunden überhaupt unmöglich wäre, sondern gilt auch dann, wenn die Haupttätigkeit sonst nicht sachgemäß erledigt werden könnte (BGH, WRP 2003, 1103, 1106 € Erbenermittler). Es soll eine Aufspaltung einheitlicher Lebensvorgänge verhindert werden (vgl. Henssler/Prütting € Weth, BRAO, 2. Auflage, Art. 1 § 5 RBerG, Rdnr. 3). Die Vorschrift ist nach herrschender Meinung, die der Senat teilt, eng auszulegen, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt (vgl. BGH, VersR 1994, 950, 952; Henssler/Prütting € Weth, a.a.O., Rdnr. 2). Bei der gemäß Art. 1 § 5 RBerG erlaubten €Annextätigkeit€ darf es sich nicht um einen Teil der eigentlichen Beratungsaufgabe handeln, sondern nur um eine Hilfs- oder Nebentätigkeit, die im Rahmen der Haupttätigkeit anfällt (Henssler/Prütting € Weth, a.a.O., Rdnr. 20; Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Auflage, Art. 1 § 5 Rdnr. 5; Henssler, NJW 2003, 241, 244 € jeweils m.w.N.). Mit subjektiven Kundenerwartungen, einem praktischen Bedürfnis oder mit Branchenüblichkeit kann der nach dem Gesetz erforderliche unmittelbare Zusammenhang nicht begründet werden (vgl. BGH, VersR 1994, 950, 952; Henssler/Prütting € Weth, a.a.O., Rdnr. 19; großzügiger allerdings Rennen/Caliebe, a.a.O., Rdnr. 8).

Ein unter Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG fallender Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Zunächst ist festzuhalten, daß die Beklagte die Rechtsbesorgung im Rahmen eines Leistungskataloges anbietet, der in dieser Form keinem geläufigen Berufsbild entspricht. Zwar schützt Art. 12 GG auch neue Berufe, die durch eine Weiterentwicklung des Dienstleistungsmarkts hervorgebracht werden (vgl. BVerfG, BVerfGE 97, 12, 25 f.). Das bedeutet aber nicht, daß das Rechtsberatungsgesetz durch eine beliebige Zusammenfassung wirtschaftlicher und rechtsbesorgender Tätigkeiten im Rahmen eines €Komplettangebots€ unterlaufen werden kann. Der gemäß Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG erforderliche unmittelbare Zusammenhang kann auf diese Weise nicht hergestellt werden.

Bei dem Dienstleistungsangebot der Beklagten fehlt es an der erforderlichen Verknüpfung zwischen einem Hauptgeschäft und einem notwendigen (rechtsbesorgenden) Hilfsgeschäft. Sofern man nicht ohnehin, wie es das Landgericht mit beachtlichen Gründen getan hat, das Kern- und Hauptgeschäft der Beklagten in dem Rechtsbesorgungsangebot sieht, ist zumindest die notwendige Zuordnung der Rechtsbesorgung im Sinne eines Hilfsgeschäfts zu verneinen. Denn die Rechtsbesorgung (konkret gesagt: die Geltendmachung von Ersatzansprüchen) steht eigenständig neben den anderen Aufgaben. Dementsprechend sieht die von der Beklagten formularmäßig verwendete Rahmenvereinbarung (Anlage B 2/Bl. 81 ff. d.A.) in Ziff. 1 als Grundleistungen neben dem Unfallnotruf und Vermittlungsaufgaben lediglich die €Führung und Verwaltung einer zentralen Schadenakte€ und damit noch keine Rechtsbesorgung vor, während der konkrete (weitergehende) Dienstleistungsumfang von der Vereinbarung mit dem Kunden und dessen Anforderungen abhängen soll. Eine sachgerechte Aufgabentrennung zwischen der wirtschaftlichen, auf Vermittlung, Aktenführung und das eigentliche €Management€ ausgerichteten Tätigkeit der Beklagten einerseits und der Geltendmachung etwaiger Ansprüche andererseits, die dem Kunden selbst oder einem Rechtsanwalt vorbehalten bleibt, erscheint ohne weiteres möglich. Unerheblich ist hingegen, daß das die Besorgung von Rechtsangelegenheiten mitumfassende €...€ der Beklagten dem Interesse der Kunden entgegenkommen mag, Anwaltskosten zu sparen. Der Zweck des Art. 1 § 5 RBerG besteht nicht darin, eine Ergänzung wirtschaftlicher Tätigkeiten durch rechtsbesorgende Tätigkeiten zu ermöglichen, um letztere kostengünstig anbieten zu können.

Auch eine nochmalige Abwägung im Lichte des Art. 12 GG führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte ist nicht in der Freiheit der Berufswahl, sondern (lediglich) in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffen. Zu berücksichtigen ist auch, daß die der Beklagten zu untersagende Inkassotätigkeit zu denjenigen Sachbereichen gehört, für die gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG eine Erlaubnis grundsätzlich möglich ist. Eine solche Erlaubnis würde im Übrigen in gewissem Maße auch die Befugnis zu begleitender Rechtsberatung beinhalten (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1190 f.).

Ein Verstoß gegen Art. 12 GG kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Beklagte (nach ihrem Vortrag) ihr Angebot nur an gewerbliche Unternehmer mit einer Fahrzeugflotte von mindestens 300 Wagen, nicht aber an private Endverbraucher richtet. Es ist zwar richtig, daß das Rechtsberatungsgesetz neben dem Schutz der geordneten Rechtspflege insbesondere dem Schutz der Rechtssuchenden dient, während der Anwaltsstand nur insofern geschützt werden soll, als eine existenzfähige Anwaltschaft für eine funktionierende Rechtspflege benötigt wird (vgl. BVerfG, BVerfGE 97, 12, 28; Henssler/Prütting € Weth, BRAO, 2. Auflage, Einl. RBerG, Rdnr .7 ff.). Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, die Anwendbarkeit des Rechtsberatungsgesetzes sei von der Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Rechtsuchenden abhängig. Für eine dahingehende Differenzierung und die Entwicklung tragfähiger Abgrenzungskriterien ergeben sich aus dem Rechtsberatungsgesetz keine Anhaltspunkte. Es erscheint im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege auch nicht sachgerecht, etwa größere Unternehmen von der Anwendung des Rechtsberatungsgesetzes auszunehmen und ihnen damit die für Andere nicht bestehende Möglichkeit einzuräumen, externe Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen, die an keine (Kosten-) Regelungen gebunden ist.

Soweit die Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Ratgebersendungen im Rundfunk verweist, ergeben sich daraus keine für den hier zu beurteilenden Sachverhalt relevanten Folgerungen. Die betreffenden Entscheidungen (WRP 2002, 952 ff. € WISO, Wir Schuldenmacher, Bürgeranwalt, Wie bitte€!) beinhalten Bewertungen, die medientypischen Besonderheiten Rechnung tragen, und weichen von der hier zugrunde gelegten und bereits mehrfach zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ansonsten nicht ab.

Schließlich ändert auch die von der Beklagten (nach ihrem Vortrag) beabsichtigte Einschaltung hauseigener Syndikusanwälte nichts daran, daß eine Forderungseinziehung weiterhin gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt (vgl. BGH, WRP 2003, 374, 376 € Anwalts-Hotline). Im Übrigen kann die durch den bereits begangenen Verstoß begründete Wiederholungsgefahr nicht durch eine schlichte Änderung der bisherigen Praxis oder eine darauf gerichtete Absichtserklärung beseitigt werden. Die Behauptung der Beklagten, sie schalte in Problemfällen ein externes Anwaltsbüro ein, ist im Berufungsverfahren neu und nicht zu berücksichtigen, da keiner der in § 531 Abs. 2 ZPO aufgeführten Zulassungsgründe vorliegt. Davon abgesehen wäre auch dieser Einwand unerheblich, da die in Art. 1 § 3 Nr. 2 RBerG normierten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, und eine Beschränkung auf €Problemfälle€ zudem den Verbotsbereich des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG nicht hinreichend beachtet.

Der Verstoß gegen Art. 1 § 1 RBerG, begründet zugleich einen Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG (vgl. BGH, WRP 2003, 1103, 1107 € Erbenermittler). Auch die Eignung zur wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG (vgl. hierzu BGH, a.a.O. und WRP 2004, 487, 489 f.) ist gegeben, da das allgemeine Interesse an einer zuverlässigen Rechtspflege betroffen ist und das Verhalten der Beklagten eine nicht unerhebliche Nachahmungsgefahr begründet hat.

Das auszusprechende Verbot bezieht sich auf die Geltendmachung bzw. Einziehung von Schadensersatzansprüchen und auf die hierfür betriebene Werbung. Die Voraussetzungen, unter denen eine Geltendmachung bzw. Einziehung von Schadensersatzansprüchen vorliegt, haben zwischen den Parteien nicht im Streit gestanden.

Dem weitergehenden Unterlassungsantrag war hingegen nicht zu entsprechen.

Der Kläger hat seinen ursprünglichen € teilweise nicht hinreichend bestimmten und teilweise zu weiten € Klageantrag im Verhandlungstermin vor dem Senat bereits eingeschränkt. Der darin liegenden teilweisen Klagerücknahme hat die Beklagte zugestimmt. Der Kläger hat allerdings daran festgehalten, daß der Beklagten neben der Geltendmachung bzw. Einziehung von Ansprüchen auch deren Bezifferung zu untersagen sei. Insoweit ist der Klageantrag nicht ausreichend bestimmt, so daß die Klage teilweise abzuweisen war.

Durch den Begriff der Anspruchsbezifferung hat der Kläger den ursprünglich verwendeten Begriff der Anspruchsermittlung ersetzt, wobei ersichtlich jeweils eine Vorstufe der Anspruchsgeltendmachung bzw. -einziehung gemeint ist. Welche Handlungen damit erfaßt werden sollen, läßt sich aber nicht mit der gebotenen Klarheit feststellen. Die Gewinnung tatsächlicher Erkenntnisse, die für eine spätere Anspruchsgeltendmachung von Bedeutung sein können, kann nicht einbezogen werden, ohne den Anwendungsbereich des Rechtsberatungsgesetzes zu verlassen. Ein einschlägiges Verletzungsbeispiel, das Aufschluß über den Inhalt des angestrebten Verbots geben könnte, führt der Kläger nicht an. Der Begriff der €Bezifferung€ führt € sofern er einen von der Anspruchsgeltendmachung zu unterscheidenden Vorgang beschreiben soll € nicht weiter. Es ist zwar möglich, daß die Beklagte gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen könnte, indem sie sich gegenüber ihren Kunden zur Höhe möglicher Schadensersatzansprüche äußert. Derartige Äußerungen, die auch in der Mitteilung von Reparaturkosten und ähnlichen Schadenspositionen nebst einer schlichten Addition gesehen werden könnten, lassen sich aber nicht schlechthin untersagen. Für die damit notwendig bleibende Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Bearbeitungsschritten gibt der Unterlassungsantrag nicht die erforderliche Handhabe.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß der Kläger dem angestrebten Verbot der Anspruchsbezifferung eine erhebliche Bedeutung beigemessen hat, wie aus der Erörterung im Verhandlungstermin vor dem Senat deutlich geworden ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO). Maßgebend für die getroffene Entscheidung waren die Umstände des vorliegenden Einzelfalles, die der Senat auf der Grundlage der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bewertet hat.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 29.01.2004
Az: 6 U 228/02


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