Sozialgericht Berlin:
Beschluss vom 24. Februar 2010
Aktenzeichen: S 164 SF 1396/09 E, S 165 SF 1629/09 E, S 164 SF 1512/09 E

(SG Berlin: Beschluss v. 24.02.2010, Az.: S 164 SF 1396/09 E, S 165 SF 1629/09 E, S 164 SF 1512/09 E)

1. "Eine Angelegenheit" im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (vgl. BVerwG vom 09.05.2000 in NJW 2000, 2289; BayVGH vom 05.11.2007 -23 ZB 07.2340).

2. Ein Grundsicherungsträger ist rechtlich nicht gehindert, mehrere Verwaltungsakte, die unterschiedlichen Adressaten gegenüber wirksam werden sollen, in der Form eines Bescheides bekannt zu geben, sofern Bescheidadressaten und Inhaltsadressaten hinreichend bestimmt sind. Die gewählte Form der Bescheiderteilung ist daher kein entscheidungserheblicher Grund zur Klärung der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne des Gebührenrechts vorliegt.

3. Hat ein Rechtsanwalt mehrere Auftraggeber, so sind die Gebührenrahmen für die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr nach Nrn 2400 und 3103 RVG-VV bei Mindest- und Höchstbetrag um 60 v.H. nach Nr 1008 RVG-VV zu erhöhen.

4. Es steht nicht im Beliebten eines Rechtsanwalts bzw. der Beteiligten, durch die Wahl einer bestimmten Verfahrensvariante ein Aufblähen des Verfahrens in kostenrechtlicher Hinsicht zu bewirken. Auch wenn dies vom Auftraggeber ausdrücklich gewünscht sein sollte, dies steht einer Kostenbegrenzung auf das notwendige Maß im Kostenerstattungsverfahren nicht entgegen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 30.10.2009 -6 WF 400/08-).

5. Eine Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV in Form der "fiktiven Terminsgebühr" setzt voraus, dass das Verfahren nach Annahme eines vollständigen Anerkenntnisses ohne mündliche Verhandlung geendet hat; lediglich ein Teilanerkenntnis löst keine Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV aus.

Tenor

Auf die Erinnerungen gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 07.04.2009 (S 107 AS 1€./08), vom 13.05.2009 (S 106 AS 1€./08) und vom 23.04.2009 (S 107 AS 1€./08) werden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse aufgehoben und der Betrag der zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die drei vorgenannten Verfahren wird auf 1.054,34 EUR festgesetzt. Dieser Betrag ist vom 09.02.2009 an mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 247 BGB) zu verzinsen.

Die Kosten der Erinnerungsverfahren trägt der Erinnerungsgegner.

Gründe

I.

Mit drei Bescheiden vom 31.10.2007 verfügte der Erinnerungsführer zulasten der von dem Erinnerungsgegner vertretenen Mandanten die Aufhebung von Leistungsbewilligungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.07.2007 und verlangte die Erstattung vermeintlich zu Unrecht gezahlter Leistungen gegenüber jedem einzelnen Mandanten und zwar in Höhe von zweimal 659,64 EUR (Ehegatten) und einmal 444,79 EUR (Sohn). Die drei Mandanten des Erinnerungsgegners sind eine Familie und bildeten zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Bedarfsgemeinschaft iSd SGB II. Die Aufhebung der Leistungsbewilligungen begründete der Erinnerungsführer mit dem Wegfall der Hilfebedürftigkeit, da die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mit dem eigenen sowie mit dem einzusetzenden Einkommen der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in der Lage seien, ihren Bedarf zu decken.

Gegen die einzelnen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 31.10.2007 erhob der Erinnerungsgegner namens und in Vollmacht jedes einzelnen Mandanten Widerspruch, die der Erinnerungsführer mit (drei) Widerspruchsbescheiden vom 04.03.2008 und 05.03.2008 zurückwies.

Dagegen richteten sich die drei am 10.04.2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen, nahezu wortgleichen Klagen. Die Klagen wurden unter den Verfahrensaktenzeichen S 107 AS 1€../08, S 107 AS 1€../08 und S 106 AS 1€./08 registriert. Die Klagen waren auf Aufhebung der erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gerichtet.

Mit Bescheiden vom 11.12.2008 ermäßigte der Erinnerungsführer die Erstattungsforderung gegenüber den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft auf zweimal 355,87 EUR (Ehegatten) und einmal 166,56 EUR (Sohn) wegen fehlerhafter Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 2 SGB II. Der Erinnerungsgegner erklärte daraufhin für die Mandanten die €Annahme der Anerkenntnisse€ und beantragte zugleich, die notwendigen außergerichtlichen Kosten nach § 193 SGG dem Beklagten aufzugeben. Der Beklagte erkannte daraufhin die Kostentragungslast in allen drei gerichtlichen Verfahren in voller Höhe an.

Mit Abtretungsvertrag vom 12.02.2009 traten die Mandanten ihre Kostenerstattungsansprüche gegen den Beklagten in dieser Sache in gesetzlicher Höhe an den Erinnerungsgegner ab, der diese Abtretung annahm. Mit seinen drei gleichlautenden Kostenfestsetzungsanträgen begehrte der Erinnerungsgegner die Festsetzung je folgender Gebühren und Beträge:

Vertretung im WiderspruchsverfahrenGeschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,00 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 49,40 zusammen: 309,40 Vertretung im KlageverfahrenVerfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00 Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 74,10 zusammen: 464,10 Gesamtbetrag: 773,50 EUR.Der Erinnerungsführer machte im Kostenfestsetzungsverfahren Unbilligkeit geltend. Er verwies auf die Anwendung der Vorschrift der Nr. 1008 VV RVG und auf die Parallelität der durchgeführten Verfahren.

Mit den oben näher bezeichneten Kostenfestsetzungsbeschlüssen wurden die geltend gemachten Kosten weitestgehend antragsgemäß festgesetzt. Lediglich in einem Kostenfestsetzungsbeschluss nahm die Urkundsbeamtin einen Gebührentausch dahingehend vor, als dass anstatt der beantragten Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von netto 190,00 EUR festgesetzt worden ist.

Dagegen wendet sich der Erinnerungsführer mit seinen drei Erinnerungen. Die Kammer hat die Erinnerungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Erinnerungsführer meint, in den drei Verfahren hätte eine Identität der Sach- und Rechtslage bestanden, weshalb eine kostenseitige Bewertung als drei verschiedene Verfahren nicht in Betracht käme. Nur aus dem Umstand heraus, dass der Erinnerungsführer verpflichtet sei, Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen an jedes Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II gesondert zu verfügen und bekanntzugeben, könne nicht geschlossen werden, dass sich der anwaltliche Arbeitsaufwand potenziere. Der Lebenssachverhalt, nämlich die Einkommenserzielung eines Mitgliedes einer Bedarfsgemeinschaft, sei ein einheitlicher. Der Erinnerungsführer macht geltend, dass vorliegend die Geschäfts- und Verfahrensgebühr nur einmal unter Anwendung des Gebührentatbestandes Nr. 1008 VV RVG für zwei weitere Auftraggeber erstattungsfähig ist.

Der Erinnerungsgegner erwidert, dass die drei getrennt geführten Verfahren der Bedarfsgemeinschaft kostenrechtlich getrennt behandelt werden müssten. Es bestünde zwar zwischen den einzelnen Klagen ein innerer Zusammenhang, jedoch müsse berücksichtigt werden, dass Anlass der Klageverfahren die von dem Erinnerungsführer veranlasste getrennte Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II von jedem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft in unterschiedlicher Höhe gewesen sei. Daher habe auch hinsichtlich jedes einzelnen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft eine getrennte Überprüfung und Berechnung der Rückforderungsbeträge stattfinden müssen, was erheblich Zeit in Anspruch genommen habe. Die Behauptung, es handele sich um sachlich identische Verfahren, sei daher falsch. Hinsichtlich des weiteren Vortrags wird auf den Schriftsatz vom 08.06.2009 verwiesen.

Das Gericht hat im Termin am 16.02.2010 den Sachverhalt mit dem Erinnerungsgegner erörtert sowie die Mandanten des Erinnerungsgegners als Zeugen vernommen. Auf die Niederschrift insoweit wird Bezug genommen.

II.

Die Erinnerungen sind begründet und führen zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und Festsetzung eines Betrages von 1.054,34 EUR gemäß nachstehender Berechnung:

Vertretung im WiderspruchsverfahrenGeschäftsgebühr Nrn. 2400, 1008 VV RVG 384,00 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 76,76 zusammen: 480,76 EUR Vertretung im KlageverfahrenVerfahrensgebühr Nr. 3103, 1008 VV RVG 272,00 Erledigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190,00 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 91,58 zusammen: 573,58 EURGesamtsumme: 1.054,34 EUR. In der Sache hätte eine Festsetzung höherer Gebühren und Auslagen nicht erfolgen können, weil die von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger eingeleiteten drei Vor- und Hauptsacheverfahren dieselbe Angelegenheit im Sinn des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG darstellen, für die der Rechtsanwalt die Gebühren nur ein Mal fordern kann.

Eine Angelegenheit iSd des Vergütungsrechts ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes aufgrund des Auftrages bezieht (BVerwG vom 9.5.2000 NJW 2000, 2289; BayVGH vom 5.11.2007 Az. 23 ZB 07.2340). Eine Angelegenheit im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (vgl. BVerwG vom 9.5.2000 und BayVGH vom 5.11.2007 jeweils a.a.O. zu § 7 Abs. 2 BRAGO; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., § 15 RVG RdNrn. 9 bis 12, 20 und 28; Gerold/Schmidt, RVG, 17. Aufl., § 15 RdNrn. 6 ff., RdNrn. 16 ff.).

Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das dem RVG (früher BRAGO) zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammen zu fassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 f.; OVG NRW, Beschl. v. 27.03.2001 - 10 E 84/01 -, BauR 2001, 1402). Dabei wird die Durchführung verschiedener gerichtlicher Verfahren regelmäßig dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; ferner von Eiken, in: Gerold/Schmidt/von Eiken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 7 RdNr. 12). Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheiten in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Ob ein Ausnahmefall von dem Grundsatz der Identität von Verfahren und Angelegenheit vorliegt, ist in Anwendung der dargelegten allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden, also danach, ob die Tätigkeiten in den verschiedenen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (BVerwG, a.a.O.).

Dies kann die Kammer vorliegend bejahen. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt war für alle drei Kläger bereits in den Vorverfahren tätig und wurde sodann für die Klageerhebung mandatiert. Die Aufklärung des Sachverhalts im Termin zur Erörterung hat darüber hinaus ergeben, dass der Kontakt und die Besprechungen mit dem Erinnerungsgegner durch die Mandantschaft ausschließlich über die Zeugin R D bestanden haben, wobei diese die anderen Familienmitglieder € wie auch üblich € über die Vorgehensweise und das Ergebnis der Besprechungen informiert hat. Insoweit kann die Kammer dem Vorbringen des Zeugen O D keine entscheidungserhebliche Beachtung schenken, denn soweit dieser im Rahmen seiner Vernehmung ausgesagt hat, ihm sei es in einem schützenswerten Ausmaß auf die getrennte und gesonderte Vertretung durch den Erinnerungsgegner € getrennt von der Vertretung seiner Eltern - angekommen, da seinerzeit das Verhältnis zu seinen Eltern €schwierig€ gewesen sei, kann die Kammer dem nur entgegenhalten, dass er sich um die anwaltliche Vertretung mitnichten gekümmert hat. Er hat den Erinnerungsgegner weder persönlich aufgesucht noch fernmündlich kontaktiert. Stattdessen hat er sich auch dabei von seiner Mutter vertreten lassen, wobei die Kammer Zweifel hat, dass dies mit dem so €schwierigen€ Verhältnis zu seinen Eltern in Einklang gebracht werden kann. Grundsätzlich muss die Kammer vorliegend nicht der Frage nachgehen, wie die Sache zu entscheiden wäre, wenn alle drei Familienmitglieder unterschiedliche Rechtsanwälte mit der Vertretung beauftragt hätten. Unter Hinweis auf die Regelung des § 193 Abs. 2 SGG, nach der nur die notwendigen Aufwendungen zu erstatten sind, würde die Kammer bei einer entsprechenden Entscheidung jedoch die Frage, ob eine Vertretung in diesem Umfang notwendig ist, problematisieren und beantworten müssen. Die Kammer zieht das Recht des einzelnen, sich von einem Anwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen, nicht in Zweifel. Die Frage der Kostenerstattung durch den Gegner ist damit jedoch nicht untrennbar verknüpft.

Die Klagen sind wortgleich, bis auf die Bezeichnung der Rückforderungsbeträge und die Parteibezeichnung, ohne dass es auf die Darstellung individueller Besonderheiten bei den einzelnen Klägern angekommen wäre. Der Gegenstand der Klagen war zwar nicht identisch, denn nach § 95 SGG ist Gegenstand der Klage der Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Allerdings bestand der innere Zusammenhang zwischen den Gegenständen, denn einerseits beruht die Aufhebung der Leistungsbewilligung auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der Einkommenserzielung nur eines Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft und andererseits kann eine Überprüfung und Berechnung des Leistungsanspruches nach dem SGB II wegen der gesetzlichen Konstruktion der horizontalen Einkommensverteilung in § 9 Abs. 2 SGB II zwischen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft gar nicht getrennt und einzeln für die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erfolgen, sondern muss zwangsläufig zusammen für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zusammen errechnet werden. Genauso verhält es sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung. Auch hier muss zunächst berechnet werden, welche Beträge an Leistungen den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft unter Anrechnung des erzielten Einkommens zugestanden hätten, um diese dann vom den Beträgen der tatsächlich gewährten Leistungen in Abzug zu bringen.

Den einheitlichen Tätigkeitsrahmen hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger auch dadurch gewahrt, dass er in allen aufgeführten Verfahren unter dem gleichen Datum inhaltlich gleich lautende Schriftsätze vorgelegt hat.

Dem Erinnerungsgegner ist zwar insofern Recht zu geben, als dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als Individualrechtsansprüche ausgestaltet sind, was jedoch das gefundene Ergebnis nicht beeinflusst, denn durch die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft und der horizontalen Einkommensverteilung kann die Höhe der Leistungen nicht ohne Berechnungen zur Höhe der Leistungsansprüche anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfolgen.

In diesem Zusammenhang muss die Kammer darauf hinweisen, dass der Erinnerungsführer rechtlich nicht gehindert ist, mehrere Verwaltungsakte, die unterschiedlichen Adressaten gegenüber wirksam werden sollen, in der Form eines Bescheides bekannt zu geben, sofern Bescheidadressaten und Inhaltsadressaten hinreichend bestimmt sind. Die gewählte Form der Bescheiderteilung ist daher kein entscheidungserheblicher Grund zur Klärung der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne des Gebührenrechts vorliegt.

Allerdings kann bei der Vertretung einer Bedarfsgemeinschaft nichts stets davon ausgegangen, dass mehrere Gegenstände eine Angelegenheit bilden, denn dass eine Identität von Verfahren und Gegenstand nicht gegeben sein kann, ist ein Ausnahme- und nicht der Regelfall. Von daher stellt die Kammer fest, dass grundsätzlich nur dann, wenn von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgegangen werden kann, der Erlass der Verwaltungsakte in einem engen zeitlichen Zusammenhang steht, keine Besonderheiten bei der anwaltlichen Bearbeitung erforderlich sind und der Rechtsgrund identisch ist, von der Annahme eines Ausnahmefalles ausgegangen werden kann, was bedeutet, dass die Führung mehrerer Verfahren nicht zwingend die Bearbeitung mehrerer Angelegenheiten darstellt.

Im Übrigen entspricht dies der breiten anwaltlichen Praxis bei der Geltendmachung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, beispielsweise höherer Leistungen für die Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II. Auch hier existieren hinsichtlich mehrerer Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft Regelungen zur Höhe der Kosten für die Unterkunft, da diese nach § 22 Abs. 1 SGB II kopfteilig gewährt werden. Auch wenn bezüglich der Höhe der Kosten für die Unterkunft durch den Rechtsanwalt für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ein eigenständiges Vor- und Klageverfahren durchgeführt werden würde, so handelte es sich doch um eine Angelegenheit im Sinne des Gebührenrechts. Für die Kammer gibt es keinen Grund, die Fälle der Leistungsaufhebung und €rückforderung anders zu behandeln, jedenfalls dann nicht, wenn ein innerer Zusammenhang besteht und ein einheitlicher (Tätigkeits-)Rahmen gewahrt bleibt.

Ohne Erfolg trägt der Erinnerungsgegner dagegen vor, dass der einheitliche Rahmen schon deshalb nicht gewahrt sei, weil der Erinnerungsführer die Erstattungsforderung nur hinsichtlich zweier seiner Mandanten ruhend gestellt habe und damit die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage beachtet hat, denn das nach § 86b Abs. 1 SGG für den Mandanten geführte Verfahren auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung stellte unzweifelhaft eine gesonderte Angelegenheit dar, für die nach Aktenlage eine Erstattung der Aufwendungen iSd § 193 SGG auch bereits erfolgt ist.

Etwas anderes ergibt auch nicht aus den Vorschriften der §§ 16, 17 RVG. In § 16 RVG und § 17 RVG werden die Fälle aufgeführt, in denen es ohne diese Regelungen zweifelhaft wäre, ob sie eine gemeinsame Angelegenheit bilden oder verschiedene Angelegenheiten darstellen. Die vorliegende Frage, ob mehrere Klageverfahren mit unterschiedlichen Gegenständen dieselbe Angelegenheit sind, regeln sie nicht. Hierfür bleibt es bei den Vorschriften der §§ 22 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG.

Da der Erinnerungsgegner insoweit mehrere Auftraggeber hatte, waren die Gebührenrahmen für die Geschäftsgebühr und die Verfahrensgebühr nach Nrn. 2400 und 3103 VV RVG bei Mindest- und Höchstbetrag um 60% nach Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen.

Darüber hinaus muss die Kammer darauf hinweisen, dass im Rahmen von § 193 Abs. 2 SGG nur die €notwendigen€ außergerichtlichen Kosten erstattungsfähig sind. Notwendig zur Rechtsverfolgung sind die von der Kammer oben dargestellten Gebühren und Auslagen. Der Rechtsanwalt ist daher grundsätzlich gehalten, bei der Auswahl zwischen verschiedenen verfahrensrechtlich statthaften Varianten, z. B. Erhebung einer Klage mit mehreren Gegenständen (objektive Klagenhäufung) bzw. Rechtsverfolgung für mehrere Beteiligte in einer Klage (subjektive Klagehäufung) etc. auch Kostengesichtspunkte zu berücksichtigen. Tut er dies nicht, verletzt er u. U. seine Pflichten aus dem Mandatsvertrag und macht sich schadensersatzpflichtig. Im Rahmen der Kostenerstattung durch einen Dritten kann ihm der Vorhalt der Kostenbegrenzung auf die €notwendigen€ Kosten gemacht werden. Es steht nicht im Belieben des Rechtsanwalts bzw. der Beteiligten, durch die Wahl einer bestimmten Verfahrensvariante ein Aufblähen des Verfahrens in kostenrechtlicher Hinsicht zu bewirken. Soweit dies vom Auftraggeber ausdrücklich gewünscht sein sollte, steht dies einer Kostenbegrenzung auf das notwendige Maß im Kostenerstattungsverfahren nicht entgegen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 30.10.2008, 6 WF 400/08 € juris-).

Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Form der €fiktiven Terminsgebühr ist nicht angefallen, da dies voraussetzen würde, dass das Verfahren nach Annahme eines Anerkenntnisses ohne mündliche Verhandlung geendet hat. Dem war vorliegend nicht so, denn mit der Ermäßigung der Erstattungsforderung wegen Neuberechnung unter Anwendung des § 40 Abs. 2 SGB II hat der Beklagte und Erinnerungsführer lediglich ein Teilanerkenntnis abgegeben, was der Erinnerungsgegner für die Kläger zwar angenommen hat, dies jedoch den Rechtsstreit nur insoweit beendet hat, § 101 Abs. 2 SGG. Auch das Kostengrundanerkenntnis des Beklagten in allen drei Verfahren führt nicht etwa zu der Annahme, dass vorliegend ein vollständiges Anerkenntnis abgegeben worden sei, denn nach § 101 Abs. 2 SGG ist auf den Rechtsstreit in der Hauptsache und nicht im Hinblick auf die Nebenentscheidungen abzustellen. Weshalb der Beklagte hier in allen drei Verfahren ein vollumfängliches Kostengrundanerkenntnis abgegeben hat, erschließt sich der Kammer bei dem Verlauf der Verfahren allerdings nicht.

Zur gänzlichen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache war dann noch die Erledigungs-Erklärung bzw. Rücknahme der Klage im Übrigen erforderlich, wobei allgemein unterstellt werden kann, dass der Rechtsanwalt seinem Mandanten von der Fortführung des Rechtsstreits abrät bzw. auf ihn einwirkt, das Verfahren nicht fortzuführen, wobei dies die Anwendung des Gebührentatbestandes der Nrn. 1002, 1005, 1006 VV RVG rechtfertigt. Die Kammer verweist insoweit sowie in Bezug auf den vorgenommenen Gebührentausch auf die insofern zutreffenden Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.04.2009 zum Verfahren S 107 AS 1€../08.

Die Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren beruht auf analoger Anwendung der §§ 197a SGG iVm 154 Abs. 1 VwGO. Der Erinnerungsgegner macht die Erstattungsforderung in eigenem Namen und auf eigene Rechnung geltend. Er gehört nicht zu dem Personenkreis, der in § 183 SGG in kostenrechtlicher Hinsicht privilegiert ist. Der Erinnerungsführer gehört ebenfalls nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen, so dass nach § 197a SGG die zwingende Kostentragungsfolge des § 154 Abs. 1 VwGO auszusprechen war. Die Erhebung einer Gebühr nach § 34 GKG iVm Teil 7, Nrn. 7110 bis 7601 der Anlage 1 zum GKG € Kostenverzeichnis € ist nicht vorgesehen.

Die Kammer hält eine gesonderte Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren für erforderlich, da das Erinnerungsverfahren im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit i.S.d § 18 Nr. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) darstellt (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005 - L 2 B 40/04, AnwBl 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 - L 6 B 221/06 SB, jeweils für das Beschwerdeverfahren; vgl. zur Verfahrensgebühr für sozialgerichtliche Verfahren über die Beschwerde und die Erinnerung, wenn in dem Verfahren Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen: Nr. 3501 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG; überdies Rohwer-Kahlmann, SGG, 4. Auflage, 42. Lieferung 2004, § 197 RdNr. 18; Schneider, KostRsp., Nr. 1 § 18 Nr. 5 RVG, Lieferung 264, Februar 2007; Schneider/Wolf, RVG, 3. Auflage 2006, § 16 RdNr. 108 ff.).

Die Kammer folgt ausdrücklich nicht dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg (VG Regensburg, 11. Kammer, Beschluss vom 01.07.2005, Az.: RN 11 S 03.2905), wonach nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, eine besondere Angelegenheit nach § 18 Nr. 5 RVG a. F. darstellen sollen. Das SGG kennt den Rechtspfleger nicht. Aus dem Gebührentatbestand Nr. 3501 VV RVG ergibt sich eindeutig, dass eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, umfasst ist. Dass der Gesetzgeber in § 18 Nr. 5 RVG (aF) vom €Rechtspfleger€ spricht, darf als glattes (redaktionelles) Versehen des Gesetzgebers gewertet werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 18.06.2007 (Az.: 4 KSt 1002/07) und am 21.06.2007 (Az.: 4 KSt 1001/07) entschieden, dass § 18 Nr. 5 RVG (aF) auch Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Verwaltungsgerichtsbarkeit umfasst (entgegen VG Regensburg, a. a. O.).

Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG), vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 09.11.2007, L 6 B 139/07 SF € www.sozialgerichtsbarkeit.de.






SG Berlin:
Beschluss v. 24.02.2010
Az: S 164 SF 1396/09 E, S 165 SF 1629/09 E, S 164 SF 1512/09 E


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/646afd337c72/SG-Berlin_Beschluss_vom_24-Februar-2010_Az_S-164-SF-1396-09-E-S-165-SF-1629-09-E-S-164-SF-1512-09-E




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share