Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. März 2011
Aktenzeichen: 12 W (pat) 306/06

(BPatG: Beschluss v. 22.03.2011, Az.: 12 W (pat) 306/06)

Tenor

Das Patent 198 14 247 wird widerrufen.

BPatG 152

Gründe

l.

Gegen die am 28. Juli 2005 veröffentlichte Erteilung des deutschen Patents 198 14 247 (angegriffenes Patent) mit der Bezeichnung "Fahrzeugaufnahme für Hebebühnen" ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig und widerrechtlich entnommen sei. Die Einsprechende beruft sich unter anderem auf den Stand der Technik nach der Druckschrift:

DE 9300989U (D1)

Sie macht unter anderem geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents sei durch die D1 nahegelegt. Weder in der Beschreibung noch in den Ansprüchen der D1 finde sich ein Hinweis darauf, dass das dort als Zwischenteil bezeichnete Aufnahmeteil ein tragendes Bodenelement oberhalb der quer verschiebbaren Schiebeplatte aufweisen solle. Außerdem sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents widerrechtlich entnommen.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Streitpatent zu widerrufen.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2005 hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen (GA S. 25).

Dem Patentinhaber wurde mit Bescheid vom 11. April 2006, S. 2, unter anderem mitgeteilt, dass mit der Rücknahme des Einspruchs lediglich die Verfahrensbeteiligung der Einsprechenden beendet sei (GA S. 31, 31a).

Der Patentinhaber hat sich sachlich nicht zum o. g. Einspruchsschriftsatz geäußert.

Der erteilte Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Aufnahmeteil zum Aufschieben auf einen Flachträger einer Hebebühne, an dem eine quer verschiebbare Schiebeplatte gelagert ist, dadurch gekennzeichnet, dass in dem Bereich (5), in dem die quer verschiebbare Schiebeplatte (3) sich oberhalb des Flachträgers befindet, kein tragendes Bodenelement an dem Aufnahmeteil (2) vorgesehen ist."

Zum Wortlaut der dem Anspruch 1 nachgeordneten Ansprüche 2 bis 14, die weitere Ausgestaltungen des Patentgegenstands nach dem Hauptanspruch beinhalten, wird auf die Patentschrift DE 198 14 247 B4 verwiesen.

II.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG noch auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG analog zuständig (im Anschluss an den Beschluss des 23. Senats vom 19. Oktober 2006 -Az.: 23 W (pat) 327/04).

III.

Der fristund formgerecht erhobene Einspruch war zulässig. Er ist auch begründet eingelegt worden, denn der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 mag neu sein, er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als die dem angefochtenen Patent zugrunde liegende Aufgabe ist in der Patentschrift angegeben, eine Vorrichtung vorzuschlagen, die leichter und flacher ausgestaltet werden kann als der Stand der Technik gemäß der Schrift DE 93 00 989 U (D1) (s. PS Absatz [0006]).

Als hier zuständiger Fachmann ist aufgrund der auftretenden Kräfte und Momente sowie der zugehörigen Sicherheitsüberlegungen beim Arbeiten unter Last ein Dipl.-Ing. (FH) des Maschinenbaus mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Hebebühnen anzusehen.

Der veröffentlichte Schutzanspruch 1 lässt sich folgendermaßen gliedern:

-a Aufnahmeteil zum Aufschieben auf einen Flachträger einer Hebebühne, -b an dem Aufnahmeteil ist eine quer verschiebbare Schiebe platte gelagert,

-c in dem Bereich, in dem die quer verschiebbare Schiebeplatte sich oberhalb des Flachträgers befindet, ist kein tragendes Bodenelement am Aufnahmeteil vorgesehen.

Bei dem im Merkmal c genannten "Bereich, in dem die quer verschiebbare Schiebeplatte sich oberhalb des Flachträgers befindet," handelt es sich nach dem Verständnis des Fachmanns um den Bereich des Aufnahmeteils, dessen Projektionsfläche begrenzt ist in einer Richtung durch die Längsseiten des Flachträgers und in der anderen Richtung durch die in dem Aufnahmeteil geführten Seiten der Schiebeplatte.

Unter einem "tragenden Bodenelement" im technischen Sinn wird hier ein Bodenelement, das eine tragende Funktion hat -an dem sich etwas abstützt verstanden. Soll nun gemäß Merkmal c "kein tragendes Bodenelement" vorgesehen sein, so heißt das deshalb nicht, dass überhaupt kein Bodenelement vorhanden sein darf, sondern lediglich, dass ein eventuell vorhandenes Bodenelement nicht zur Aufnahme von Kräften ausgelegt ist. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem untergeordneten Patentanspruch 5, gemäß dem der fragliche Bereich des Aufnahmeteils mit Hilfe einer nicht tragenden Abdeckung zum Schutz vor Schmutz versehen ist (Beschr. Abs. [0045]). Die DE 93 00 989 U (D1) beschreibt eine Hebebühne mit einem Flachträger 4. Über diesen Flachträger 4 ist ein Aufnahmeteil (Zwischenteil 7) aufgeschoben (Merkmal a). An dem Zwischenteil ist eine quer verschiebbare Schiebeplatte (Auflageteil 6) gelagert (Merkmal b). Aus den Fig. 2 und 3 des dargestellten Ausführungsbeispiels der Schrift D1 ist ein im Bereich des Flachträgers 4 plan auf diesem aufliegendes Zwischenteil 7 ersichtlich, dessen unterhalb des quer verschiebbaren Auflageteils 6 vorhandener Teil als "Bodenelement" bezeichnet werden kann und in dessen Bereich das quer verschiebbare Auflageteil 6 sich oberhalb des Flachträgers 4 befindet. Eine tragende Funktion dieses Bodenelements ist jedoch an keiner Stelle der Schrift erwähnt. Eine eventuell erforderliche Aufnahme eines Kippmoments, wenn die Schiebeplatte seitlich über das Ende des Flachträgers vorsteht, wird der Fachmann schon aufgrund seiner grundlegenden Kenntnisse der technischen Mechanik hier durch die im Materialquerschnitt größeren "Brücken" oder "Träger" rechts und links der Schiebeplatte und ihrer Führungen (Ziff. 8, 9 in Fig. 3), für die aus den abstrahierten Figuren der Patentschrift zumindest eine Anregung gegeben wird, sicherstellen. Durch diese entsprechend dimensionierten Querträger vor und hinter der Schiebeplatte, die beim Auffahren als Auffahrrampe und Anschlag dienen können (D1, S. 5, Abs. 3) wird zwangsläufig auch bewirkt, dass hier das "Bodenelement" keine Kräfte oder Momente aufnehmen muss (Merkmal c). Darüber hinaus wird in der Schrift D1 beispielhaft die Führung des Zwischenteils am Flachträger über Rippen, die in Nuten eingreifen (siehe Seite 4, Abs 2, Sätze 2 und 3 der D2) aufgezeigt, so dass das Kippmoment über die Rippen/Nuten aufgenommen werden kann. Ein vorhandenes Bodenelement muss somit auch hier keine tragende Funktion (Merkmal c) beim Zusammenwirken von Schiebeplatte, Zwischenteil und Flachträger haben.

Der Fachmann wird im Rahmen seines fachgemäßen Handelns durch ein gezieltes und abgestimmtes Konzipieren der vorhandenen Komponenten versuchen, die Bauhöhe und auch das Gewicht zu minimieren. Dabei gehört das Dimensionieren von Bauteilen in Abhängigkeit von den erwarteten Beanspruchungen zu seinen handwerklichen Maßnahmen (so wenig Material wie möglich, so viel wie unbedingt erforderlich). Da, wie oben zu den Ausführungsbeispielen der D1 näher beschrieben, das Zwischenteil am Flachträger über Rippen bzw. Nuten geführt wird, hat das Bodenelement auch keine tragende Funktion (Vertikalkräfte werden ausschließlich über Rippen/Nuten vom Zwischenteil auf den Flachträger übertragen), so dass der Fachmann in diesem Bereich Materialeinsparungen zur Gewichtsund auch Preisersparnis vornehmen kann und wird. Eine tragende Funktion des Bodenelements ist auch nicht daraus ableitbar, dass gemäß der Darstellung in der Fig. 3 der D1 das Auflageteil 6 flächig auf dem Boden des Zwischenteils 7 aufliegt. Das Zwischenteil 7 ist ersichtlich ein Gussteil. An solchen Teilen müssen Gleitführungsflächen durch entsprechend aufwendige Oberflächenbearbeitung nach dem Gießen erst geschaffen werden. Diese Bearbeitung wird üblicherweise auf ein Minimum beschränkt, weshalb der Fachmann nicht die gesamte, dem Auflageteil 6 zugekehrte Oberfläche des Zwischenteils 7 als Gleitfläche ausgebildet ansieht, sondern lediglich die beiden äußeren Randstreifen (bei Pos. 8). Der zwischen den beiden randseitigen Gleitflächen angeordnete "gussrauhe" Bereich hat aus diesem Grund auch keine tragende Funktion für das Auflageteil. Derartige herstellungsabhängige fachmännische Überlegungen müssen aber in einer Abbildung der Patentschrift, die lediglich Grundprinzipien darstellen soll und keine Fertigungszeichnung ist, nicht dargestellt werden. Auch der Einwand, dass durch das vollständige Weglassen der Bodenplatte der Vorteil der geringen Bauhöhe der Vorrichtung erreicht wird, ist hier nicht zutreffend. Zum Einen lässt der Wortlaut des Patentanspruchs 1 ein (nicht tragendes) Bodenelement zu, ein vollständiges Weglassen ist nicht beansprucht. Zum Anderen wird dieser Vorteil durch eine Abdeckung gemäß Patentanspruch 5 wieder aufgegeben, da diese Abdeckung zwischen der Oberseite des Flachträgers und der Unterseite der Schiebeplatte angeordnet ist und somit die Bauhöhe zumindest mit beeinflusst. Weiterhin kann mit den Herstellungsverfahren vom Anmeldetag des angegriffenen Patents für das Aufnahmeteil auch eine nichttragende Bodenplatte so dünn hergestellt werden, dass sie nicht dicker als übliche und hier aufgrund der Anwendung in Kfz-Betrieben robuste Abdeckungen sind.

Dafür, dass die oben angestellten fachspezifischen Abwägungen den Bereich der fachlichen Routine des Fachmannes überschreiten und mithin erfinderische Tätigkeit begründen, konnte der Senat im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte finden.

Da der Patentanspruch 1 danach mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig ist, können auch die auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 14 keinen Bestand haben.

Dass in den Patentansprüchen 2 bis 14 noch Merkmale von Patent begründender Bedeutung enthalten wären, hat die Patentinhaberin im Übrigen nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.

Da der Einspruch zurückgenommen worden ist musste auf die von der Einsprechenden behauptete widerrechtliche Entnahme nicht mehr eingegangen werden.

Dr. Ipfelkofer Bayer Schlenk Dr. Krüger Me






BPatG:
Beschluss v. 22.03.2011
Az: 12 W (pat) 306/06


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