Bundesgerichtshof:
Urteil vom 26. September 2003
Aktenzeichen: V ZR 51/03

(BGH: Urteil v. 26.09.2003, Az.: V ZR 51/03)

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. Januar 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin, ein kommunales Wohnungsbauunternehmen, schloß unter dem 9. November 1992/14. Januar 1993 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Gestattungsvertrag. Nach diesem durfte die Rechtsvorgängerin der Beklagten in den in M. , G. straße 13/14/15/16 und W. -R. -Straße 30/31 gelegenen Häusern der Klägerin Breitbandverteileranlagen für Kabelfernsehen und Hörfunk einrichten und die Bewohner auf diesem Weg mit Programmangeboten versorgen. Im wesentlichen inhaltsgleiche Gestattungsverträge wurden im Jahr 1993 für weitere Objekte abgeschlossen, die nach den Behauptungen der Klägerin ebenfalls in ihrem Eigentum stehen. Während in dem Gestattungsvertrag vom 9. November 1992/ 14. Januar 1993 unter Nr. 9.3 lediglich vereinbart ist, daß bei Vertragsende "in Ausnahmefällen" hinsichtlich der Übernahme der Anlage durch die Klägerin verhandelt werden könne, verpflichtete sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten in den 1993 geschlossenen Verträgen auch "zur kostenlosen Demontage der Anlage" sowie -unter Nr. 9.4 der Verträge -dazu, auf ihre Kosten "den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen."

Sämtliche Vertragsverhältnisse sind auf Grund von Kündigungen der Klägerin inzwischen beendet. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin mit dem Klageantrag zu 1 hinsichtlich der Liegenschaften G. straße 13/14/15/16 und W. -R. -Straße 30/31 die Unterlassung des Betriebs des Breitbandkabelnetzes sowie mit dem Klageantrag zu 2 hinsichtlich der übrigen Objekte die Beseitigung der von der Beklagten in den Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen, zu denen insbesondere Linienkabel, Linienverstärker, Hausverteiler, Hausverkabelung und Anschlußdosen zählen, sowie die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Demgegenüber ist die Beklagte der Ansicht, sie schulde weder Unterlassung noch Beseitigung, weil die Klägerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet sei, die Anlagen zu dulden. Das Landgericht hat der Klage -bis auf wenige im Klageantrag zu 2 aufgeführte Objekte -stattgegeben; die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihr Ziel vollständiger Klageabweisung weiter.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht meint, die Beklagte sei zur Unterlassung des Betriebs der Kabelanlage auf den im Klageantrag zu 1 genannten Grundstücken, für die keine Rückbauverpflichtung vereinbart worden sei, nach § 1004 Abs. 1 BGB verpflichtet. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses müsse die Klägerin die mit der Installation verbundene Eigentumsbeeinträchtigung nicht mehr dulden. Eine Duldungspflicht ergebe sich auch nicht aus § 57 Abs. 1 TKG; denn diese Vorschrift beziehe sich allein auf Grund und Boden, also das Grundstück im eigentlichen Sinne. Nicht erfaßt seien hingegen die auf einem Grundstück befindlichen Gebäude, in denen hier die zu beseitigende Anlage installiert sei. Hinsichtlich der weiteren, von dem Klageantrag zu 2 erfaßten Liegenschaften sei die Beklagte zur Beseitigung der Breitbandverteileranlagen und zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes verpflichtet. Da die Beklagte nicht nach § 57 Abs. 1 TKG berechtigt sei, das Breitbandkabelnetz nach dessen Demontage erneut einzurichten, stehe den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen.

Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

II.

1. Hinsichtlich der im Klageantrag zu 1 genannten Liegenschaften, für die das Eigentum der Klägerin auch nach dem berichtigten Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt ist, bejaht das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Allein der dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand begründet den geltend gemachten Abwehranspruch (Senat, BGHZ 66, 37, 39 m.w.N.), wobei das Eigentum als das umfassendste Herrschaftsrecht an einer Sache nicht nur die rechtliche Verfügungsmacht, sondern auch die sich insbesondere im Besitzen und Benutzen äußernde tatsächliche Herrschaft umfaßt (BGH, Urt. v. 9. März 1989, I ZR 54/87, NJW 1989, 2251, 2252). Namentlich die tatsächliche Sachherrschaft ermöglichte es hier der Klägerin, mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Gestattungsvertrag abzuschließen, der zwar mietvertragliche Elemente aufweist, dessen Schwergewicht jedoch darin liegt, daß der Beklagten neben dem Recht zum Einbau der Breitbandkabelanlagen das ausschließliche Recht einräumt wurde, auf den Grundstücken der Klägerin die Anlagen zu betreiben, mit den an einer Kabelversorgung interessierten Mietern Einzelanschlußverträge abzuschließen und hieraus Gewinne zu erzielen (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juli 2002, XII ZR 86/01, NJW 2002, 3322, 3323). Da die Klägerin, solange die Beklagte trotz Beendigung der Gestattungsverhältnisse den Betrieb der Kabelanlagen fortsetzt, gehindert ist, einen entsprechenden Vertrag mit einem anderen Betreiber abzuschließen, wird auf diese Weise in ihre Herrschaftsmacht als Eigentümerin eingegriffen.

b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Klägerin nach Beendigung der Gestattungsverhältnisse nicht verpflichtet, den weiteren Betrieb der Kabelanlagen zu dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB). Eine solche Verpflichtung der Beklagten folgt insbesondere nicht aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG. Zwar ermöglicht diese Bestimmung auch den Betrieb von Telekommunikationslinien, sie erfaßt aber nicht die hier im Streit befindlichen Kabelanlagen, die in den Gebäuden auf den Grundstücken der Klägerin installiert sind und allein der Versorgung der dortigen Bewohner mit Programmangeboten dienen. Selbst wenn der Wortlaut des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG ein Verständnis in dem von der Revision erstrebten Sinne zulassen sollte (vgl. Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2002, Teil 6 Rdn. 45 -46; anders zum früheren Recht dagegen BVerwG, NJW 1976, 906, 907), folgt doch die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung aus (aa) der Entstehungsgeschichte der Norm, ferner aus (bb) dem mit ihr verfolgten Zweck sowie schließlich aus (cc) der Systematik des Gesetzes (a.A. wohl Heun, aaO, Teil 6 Rdn. 336, jedoch in Rdn. 338 mit einer Ausnahme für Kabelanlagen im Hausinnern).

aa) Der Sache nach enthält § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG gegenüber dem früheren Rechtszustand keine grundlegend neue Regelung (BVerfG, NJW 2000, 798, 799). Bereits das -mit Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes außer Kraft getretene (§ 100 Abs. 3 TKG) -Telegrafenwegegesetz (TWG) gab in § 10 Abs. 1 zuletzt der Deutschen Telekom AG die Befugnis, Fernmeldelinien durch den Luftraum über -nicht als Verkehrswege zu qualifizierende -Grundstücke zu führen. Durch die Nachfolgevorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG soll -neben der Beseitigung des Monopols der Deutschen Telekom AG eine Erweiterung der Duldungspflicht nur insofern erfolgen, als nun auch unterirdische Telekommunikationslinien von den Grundstückseigentümern hinzunehmen sind (Nienhaus, Wegerechte für Telekommunikationslinien auf Privatgrundstücken, 2000, S. 162 ff; Haidinger/Rädler, MMR 1999, 330, 331). Für den zunächst in § 10 Abs. 1 TWG geregelten Fall der Kreuzung des Luftraums liegt auf der Hand, daß damit nur das Überqueren eines Grundstücks mit -nach aktueller Terminologie (vgl. Fangmann, Telekommunikationsund Postrecht, 2. Aufl., S. 297) -Telekommunikationslinien geduldet werden mußte. Nachdem die durch die Vorgängerregelung bereits ermöglichte oberirdische Leitungsführung lediglich um die Alternative einer unterirdischen Leitungsführung ergänzt wurde, erstreckt sich die Duldungspflicht nun zusätzlich auch auf das Durchqueren eines Grundstücks. Hingegen findet sich im Zusammenhang mit der Entstehung der Vorschrift kein Anhaltspunkt dafür, daß die Neuregelung auch für Anschlußleitungen nebst Zubehör, namentlich in Form von Kabelanlagen in Gebäuden, gelten soll.

bb) Auch der mit der Norm verfolgte Zweck steht ihrer Anwendung auf Kabelanlagen entgegen, die in Gebäuden zur Versorgung der dort lebenden Bewohner installiert sind. Ziel der gegenüber § 10 Abs. 1 TWG erweiterten Duldungspflicht ist es, den Aufund Ausbau eines Telekommunikationsnetzes auch in solchen Fällen zu ermöglichen, in denen eine Realisierung durch unterirdisch geführte Leitungswege in Betracht kommt. Auf diese Weise sollen im volkswirtschaftlichen Interesse sowie zur Förderung des Wettbewerbs vorhandene Telekommunikationsstrukturen nutzbar gemacht und der Aufbau neuer Netze erleichtert werden (Begründung zu § 56 des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 13/3609, S. 50). Im Hinblick auf den unmittelbaren Gesetzeszweck der Erleichterung des Aufund Ausbaus von Telekommunikationsnetzen kann der durch § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG erweiterte sachliche Anwendungsbereich lediglich dazu führen, daß der Eigentümer nun auch das Durchqueren eines Grundstücks mit Telekommunikationslinien dulden muß. Hingegen erfordert es der Gesetzeszweck nicht, daß sich die Duldungspflicht auch auf solche Leitungen und Anlagen erstreckt, die auf einem Grundstück bzw. den hierauf errichteten Gebäuden mit Abschlußeinrichtungen (vgl. § 3 Nr. 3 TKG) enden. Da der Betreiber keine Abnahme von Telekommunikationsdienstleistungen über solche Kabelanlagen von dem Grundstückseigentümer erzwingen kann, handelt es sich bei fehlendem Nutzungsrecht -etwa auf Grund eines vertraglichen Gestattungsverhältnisses (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juli 2002, XII ZR 86/01, NJW 2002, 3322) -lediglich um ungenutzte Anschlußleitungen (nebst Zubehör), deren es zum Betrieb eines wettbewerbsfähigen Telekommunikationsnetzes nicht bedarf. Die Versorgung Dritter, insbesondere von Mietern, mit Telekommunikationsdienstleistungen erlangt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, weil der Netzbetreiber hierdurch keine unmittelbaren Rechte gegenüber dem Grundstückseigentümer erlangt (vgl. Heun, aaO, Teil 6 Rdn. 341). Letztlich geht es in solcher Situation, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in erster Linie darum, dem Betreiber die Kosten für die Deinstallation einer nutzlos gewordenen Kabelanlage zum Nachteil des Grundstückseigentümers zu ersparen. Dies ist indessen nicht der Zweck, den das Gesetz mit der in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG geregelten Duldungspflicht verfolgt.

cc) Zudem folgt aus der -auf Grund der Ermächtigung in § 41 TKG erlassenen -Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV), daß für Anschlußleitungen eine Regelung nicht in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG, sondern an anderer Stelle getroffen ist (Piepenbrock, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., § 10 TKV Rdn. 2; vgl. auch Schuster, MMR 1999, 137, 140). Insbesondere mit Blick auf den Kontrahierungszwang der Universaldienstverpflichteten (§ 9 Abs. 1 TKV) macht nämlich § 10 Abs. 1 TKV die Verpflichtung zum Vertragsschluß davon abhängig, daß dem Netzbetreiber für die Inanspruchnahme des Grundstücks eine Einwilligungserklärung des dinglich Berechtigten ("Grundstückseigentümererklärung") vorgelegt wird (Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, S. 30). Der Bestimmung liegt mithin die Erwägung zugrunde, daß sich aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG für einen Netzbetreiber kein Recht ergibt, Anschlußleitungen auf fremden Grundstücken zu verlegen (so auch die Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, S. 30). Könnte ein Netzbetreiber ohnehin über § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG die Installation von Anschlußleitungen und -einrichtungen erzwingen, wäre eine derart umfassende Ausnahme von dem Kontrahierungszwang nicht gerechtfertigt, sondern lediglich für die Fälle angezeigt, in denen die Voraussetzungen einer Duldungspflicht des Eigentümers nicht erfüllt sind. Überdies enthalten sowohl die Grundstückseigentümererklärung als auch die Gegenerklärung des Netzbetreibers -die jeweils als Anlage zu § 10 Abs. 1 TKV formuliert sind -die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Deinstallation der "Vorrichtungen", die er auf dem fremden Grundstück und in darauf befindlichen Gebäuden "errichtet" hat. Da sich der Netzbetreiber dieser Verpflichtung nach dem Inhalt der genannten Erklärungen nur im Fall entgegenstehender schutzwürdiger Belange Dritter entziehen kann, sprechen die Anlagen zu § 10 Abs. 1 TKV ebenfalls dafür, daß eine Duldungspflicht aus § 57 Abs. 1 TKG in solcher Konstellation nicht einschlägig sein kann.

2. Das Berufungsgericht geht ferner zutreffend davon aus, daß die Beklagte auf Grund der Vereinbarungen in den übrigen Gestattungsverträgen verpflichtet ist, nach der wirksamen Beendigung der Vertragsverhältnisse die in den weiteren Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen zu beseitigen und den Zustand vor Installation dieser Einrichtungen wiederherzustellen. Auf Grund der gegenüber der Klägerin übernommenen vertraglichen Verpflichtungen ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin auch Eigentümerin der betreffenden Objekte ist. Auch insoweit beruft sich die Beklagte ohne Erfolg auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG. Da diese Vorschrift -wie ausgeführt -im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, kann sie die vertraglichen Ansprüche der Klägerin weder ausschließen noch deren Geltendmachung als rechtsmißbräuchlich erscheinen lassen.

III.

Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Wenzel Krüger Klein Gaier Stresemann






BGH:
Urteil v. 26.09.2003
Az: V ZR 51/03


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