Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 13. Februar 2012
Aktenzeichen: L 16 AL 328/11 NZB

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 13.02.2012, Az.: L 16 AL 328/11 NZB)

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 19.10.2011 wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg gegen den Bescheid vom 17.05.2010 (Widerspruchsbescheid vom 03.09.2010) hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.05.2010, mit dem der Eintritt einer 12wöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 01.06.2009 bis 23.08.2009 festgestellt worden war, eine zusätzliche Erledigungsgebühr in Höhe von 333,20 Euro zu. Die Erledigung im Widerspruchsverfahren sei durch die besondere Art und Weise der Mitwirkung seines Bevollmächtigten erreicht worden. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht sei nicht lediglich im Gütetermin ein Vergleich geschlossen worden, vielmehr sei die Angelegenheit ausführlich dargestellt und letztlich ein Vergleich geschlossen worden. Darüber hinaus sei die vom Arbeitgeber ausgefüllte Arbeitsbescheinigung vom 08.02.2010 eingereicht worden. Hierbei handelt sich um ein neues Beweismittel im Sinne der Rechtsprechung des BSG welches geeignet sei, eine Erledigungsgebühr auszulösen. Insoweit sei hier ein anderer Sachverhalt gegeben als in der Entscheidung des BSG vom 05.05.2010 (B 11 AL 14/09 R).

Die Beklagte hat die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig gehalten und darüber hinaus auf die Rechtsprechung des BSG verwiesen. Der Bevollmächtigte des Klägers sei vorliegend im Arbeitsgerichtsverfahren für seinen Mandanten tätig geworden. Ihm sei hieraus ein entsprechender Vergütungsanspruch erwachsen. Im vorliegenden Verfahren könne die bereits vergütete Tätigkeit im Arbeitsgerichtsverfahren keine erneute Berücksichtigung finden. Vielmehr könne ein besonderes Bemühen, eine unstreitige Erledigung herbeizuführen, jedenfalls im sozialgerichtlichen Verfahren nicht festgestellt werden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.10.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die vom Kläger geltend gemachte Erledigungsgebühr nach Ziffer 1005 i. V. m. 1002 VV RVG sei nicht angefallen. Gemäß Ziffer 1005 VV RVG entstehe eine solche Gebühr bei Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen. Gemäß Ziffer 1002 W RVG, auf den Ziffer 1005 VV RVG für seinen Anwendungsbereich Bezug nehme, entstehe die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mithilfe erledigt (Satz 1). Für die Entstehung der Gebühr sei eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung erforderlich, die über das Maß hinausgehe, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im Widerspruchsverfahren abgegolten werde (Hinweis auf: BSG, Urteil v. 05.05.2010, B 11 AL 14/09 R; Landessozialgericht (LSG) NRW, Urteil v. 16.03.2006, L 5 KR 79/05 m.w.N sowie vom 29.09.2005, L 2 KR 43/05). Eine solche qualifizierte, eine Erledigungsgebühr begründende Tätigkeit liege beispielsweise vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue Beweismittel beibringe (Hinweis auf BSG, a.a.O., ebenso: BSG, SozR 4-1935 W Nr. 1002 Nr. 1 Rn. 15). Dagegen bewege sich die Vorlage präsenter Beweismittel noch im Rahmen der dem Widerspruchsführer obliegenden Mitwirkung und sei bereits mit der Geschäftsgebühr bzw. der Auslagenpauschale abgegolten (Hinweis auf BSG, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sei vorliegend keine Erledigungsgebühr entstanden. Die Einlegung und Begründung des Widerspruchs, sowie die Mitteilung des arbeitsgerichtlichen Aktenzeichens und die Übersendung einer Kopie des Arbeitsvertrages genügten nicht, die Erledigungsgebühr entstehen zu lassen. Es handele sich hierbei vielmehr um Tätigkeiten, die mit der Geschäftsgebühr und der Auslagenpauschale abgegolten werden.

Der Einwand des Klägers, eine zusätzliche Mitwirkungshandlung seines Prozessbevollmächtigten sei in dessen Tätigwerden im vorangegangenen arbeitsgerichtlichen Verfahren und insbesondere darin zu sehen, dass er den Arbeitgeber veranlasst habe, die Vorwürfe nicht mehr aufrecht zu erhalten und dies gegenüber der Beklagten zum Ausdruck zu bringen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Nach Ansicht des Gerichts sei die Rechtsprechung des BSG, insbesondere im Urteil vom 05.05.2010 (B 11 AL 14/09 R), eindeutig. Unter Randzimmer 23 des Urteils lege das BSG dar, dass die Erledigungsgebühr dann nicht entstehe, wenn die ausschlaggebende Tätigkeit nicht im Widerspruchs-, sondern im arbeitsgerichtlichen Verfahren entfaltet worden ist. Dieser Ansicht schließe sich das Gericht nach eigener Prüfung umfassend an. Die anwaltliche Tätigkeit, die zu der Erklärung des Arbeitgebers führte, habe ausschließlich im arbeitsgerichtlichen Verfahren stattgefunden und sei dort entsprechend honoriert worden. Darüber hinaus habe der Arbeitgeber der Beklagten zwar mitgeteilt, dass er an dem Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens nicht weiter festhalte. Dies führe jedoch nicht zwangsläufig zu einer Aufhebung der Sperrzeit, weil der Vergleich im arbeitsgerichtlichen Verfahren für die Beklagte keine Bindungswirkung entfalte. Für den Eintritt einer Sperrzeit sei vielmehr der tatsächliche Sachverhalt maßgeblich. Soweit der Kläger einwende, dass in der Vorlage der Arbeitsbescheinigung ein neues Beweismittel zu sehen sei, welches geeignet sei, die Erledigungsgebühr auszulösen, folge dem das Gericht nicht. Die Arbeitsbescheinigung dokumentiere lediglich das bereits im arbeitsgerichtlichen Verfahren erzielte Ergebnis. Es könne keinen Unterschied bedeuten, ob - wie im Fall des BSG - der Vergleichstext aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren übersandt oder ob die vom Arbeitgeber ausgefüllte Arbeitsbescheinigung eingereicht werde. In beiden Fällen werde lediglich das im arbeitsgerichtlichen Verfahren erreichte Ergebnis schriftlich mitgeteilt. Darüber hinaus sei der Arbeitgeber ohnehin verpflichtet, nachdem die Angaben in der ursprünglichen Arbeitsbescheinigung überholt waren, dies der Beklagten mitzuteilen bzw. eine neue Arbeitsbescheinigung auszufüllen. Eine Erledigungsgebühr könne jedenfalls nicht deshalb begründet werden, weil der Arbeitgeber die Bescheinigung nicht direkt der Beklagten übersandt, sondern sie erst dem Kläger übergeben habe, der sie dann an die Beklagte weitergeleitet habe.

Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung im am 26.10.2011 zugestellten Urteil hat der Kläger am 24.11.2011 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus: Die Berufung sei wegen Divergenz zuzulassen. Das SG weiche von dem Urteil des BSG vom 02.10.2008 (B 9/9a SB 5/07 R) ab. Darin habe das BSG eine Erledigungsgebühr angenommen, wenn ein Beweismittel, welches neu beschafft worden ist, ins Verfahren durch den Rechtsanwalt eingeführt werde. Hier sei die korrigierte Arbeitgeberbescheinigung als neues Beweismittel vorgelegt worden. Auch wegen grundsätzlicher Bedeutung sei die Berufung zuzulassen. Die Voraussetzungen, wann eine Erledigungsgebühr gemäß 1005 VV anfalle, sei im sozialgerichtlichen Verfahren nicht abschließend geklärt. Auf die frühere Kommentierung zur BRAGO könne nicht zurückgegriffen werde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 19.10.2011 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, eine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits sei nicht zu erkennen. Eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage, deren Klärung im Allgemeininteresse liege, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, sei nicht aufgeworfen worden. Auch eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts oder des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes sei nicht zu erkennen. Ein Verfahrensmangel sei nicht geltend gemacht und auch nicht zu erkennen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft.

Da der Beschwerdewert unter 750.- Euro liegt, bedarf die Berufung der Zulassung durch das Sozialgericht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), das diese abgelehnt hat. Gemäß § 145 Abs. 1 SGG kann allerdings die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht mittels Beschwerde angefochten werden. Über sie entscheidet das Landessozialgericht durch Beschluss, dem im Falle der Ablehnung der Beschwerde eine kurze Begründung beigefügt werden soll (§ 145 Abs. 4 SGG).

Die Beschwerde ist aber unbegründet, weil keiner der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem Entscheidung beruhen kann.

Die Entscheidung des SG beruht nicht auf Abweichung von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts. Das Urteil weicht insbesondere nicht vom Urteil des BSG vom 02.10.2008 (9/9a SB 5/07 R - SozR 4-1935 VV Nr. 1002 Nr. 1) ab.

Eine Divergenz liegt dann vor, wenn die tragfähigen abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, nicht übereinstimmen. Der mit der Nichtzulassungs- beschwerde angegriffenen Entscheidung muss also ein Rechtssatz zugrunde liegen, der mit der Rechtsprechung des (hier: ) BSG nicht übereinstimmt (vgl. Frehse, in: Jansen, SGG, 3. Aufl. 2008, § 144 Rn. 18 m.w.N.).

Das SG hat hier indes die Entscheidung des BSG vom 02.10.2008 bei der Darlegung der es leitenden Grundsätze zur Auslegung der Ziffer 1005 VV RVG ausdrücklich zitiert. Einen davon abweichenden Rechtssatz hat es im Urteil vom 19.10.2011 weder ausdrücklich noch unbeabsichtigt aufgestellt. Es hat sich vielmehr bei der Frage, ob eine zusätzliche Mitwirkungshandlung, die auch in der Entscheidung des BSG vom 02.10.2008 verlangt wird, an dem Urteil des BSG vom 05.05.2010 orientiert, welches speziell die Frage der Mitwirklung in einem parallel geführten arbeitsgerichtlichen Verfahren betrifft. Wenn das SG, gestützt auf das Urteil des BSG vom 05.05.2010, der Übermittlung des Ergebnisses des arbeitsgerichtlichen Verfahrens nicht den Stellenwert beimisst, wie das BSG im Urteil vom 02.10.2008 der Vorlage vom Rechtsanwalt veranlasster ärztlicher Befundberichte, ist damit kein von dem Urteil des BSG vom 02.10.2008 abweichender Rechtssatz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG aufgestellt.

Auch die vom Kläger geltende gemachte grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits liegt nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist und zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheitlichkeit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Frehse, a.a.O., § 144 Rn. 17 m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung liegt ferner vor, wenn die Klärung einer Zweifelsfrage mit Rücksicht auf Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht ist oder wenn von der derzeitigen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist oder wenn tatsächliche Auswirkungen Interessen der Allgemeinheit eng berühren (LSG NRW, Beschluss v. 22.11.2006 - L 12 B 62/06 KR NZB). Die grundsätzliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.

Ob durch die Rechtsprechung des BSG die vom Kläger so allgemein formulierte Frage, wann eine Erledigungsgebühr gemäß 1005 VV anfällt, noch nicht abschließend geklärt ist, wie der Kläger meint, kann hier letztlich dahinstehen. Denn die Klärung dieser Frage wäre auch in diesem Verfahren möglicherweise nicht abschließend und alle denkbaren Fallgestaltungen umfassend möglich, sondern nur für Konstellationen, die der hier gegebenen entsprechen oder vergleichbar sind. Soweit Klärungsfähigkeit gegeben wäre besteht hier aber keine Klärungsbedürftigkeit. Denn die hier gegebene Konstellation wird bei der gebotenen Abstraktion trotz unwesentlicher Abweichungen im Sachverhalt bereits von der Entscheidung des BSG vom 05.05.2010 - B 11 AL 14/09 R - erfasst und zutreffend geregelt. Das hat das SG im Urteil vom 19.10.2011 mit richtiger Begründung näher dargelegt, sodass der Senat insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug nimmt.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
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Az: L 16 AL 328/11 NZB


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