Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 17. November 2005
Aktenzeichen: 1 K 2924/05

(VG Köln: Urteil v. 17.11.2005, Az.: 1 K 2924/05)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene ge-gen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages. Der Klä-gerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleis-tung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beigeladene, die E. U. AG, bietet ihren Wettbewerbern, darunter der Klägerin, seit 1997 Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung (TAL) an. Diese besteht in den weit überwiegenden Fällen aus Kupferadern, in 345 Fällen aber auch aus reinen Glasfaserleitungen. Diese reinen Glasfaser-TAL wurden nach Angaben der Bei- geladenen punktuell bedarfsorientiert verlegt und dienen ausschließlich dem Anschluss großer Geschäftskunden, die ein gegenüber dem durchschnittlichen Endkunden erheblich höheres Verkehrsvolumen und einen deshalb erhöhten Bedarf an Übertragungskapazität haben.

Durch Bescheid vom 29. April 2003 erteilte die damalige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, jetzt Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, (Regulierungsbehörde) der Beigeladenen gemäß § 39 Alt.1 TKG(1996) die bis zum 31. März 2005 befristete Genehmigung der monatlichen Entgelte für die Überlassung des Zugangs zur TAL in 13 Varianten, darunter in zwei reinen Glasfaservarianten.

Mit Ziffer 4 der Regulierungsverfügung vom 20. April 2005 (BK 4-04-075/R) wi- derrief die Regulierungsbehörde die ihres Erachtens gemäß § 150 Abs. 1 TKG(2004) fortbestehende Verpflichtung der Beigeladenen, Zugang zur TAL in Form der reinen Glasfaserleitung zu gewähren, sowie die Genehmigungspflicht der diesbezüglichen Zugangsentgelte. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Nach dem von ihrer Präsidentenkammer festgelegten, als Anlage der Widerrufsverfügung im Amts- blatt der Regulierungsbehörde (2005 S. 600 ff) mit veröffentlichten Ergebnis der Marktanalyse komme ein entbündelter Zugang zur reinen Glasfaser-TAL nicht ge- mäß § 10 Abs. 2 TKG(2004) für eine Marktregulierung in Betracht. Unter diesen Um- ständen sei im Rahmen des § 13 Abs. 1 S. 1 TKG(2004) das Ermessen der Be- schlusskammer in Bezug auf den Widerruf der Zugangsverpflichtung und der Ge- nehmigungspflicht der Zugangsentgelte auf Null reduziert.

Den dagegen gerichteten Aussetzungsantrag der Klägerin hat das erkennende Gericht durch Beschluss vom 24. August 2005 -1 L 803/05- abgelehnt.

Ferner hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht: Die Klage sei zulässig. Die widerrufenen Verpflichtungen seien nicht etwa schon vor und unabhängig vom Erlass der Widerrufsverfügung mit dem Inkrafttreten des TKG(2004) erloschen. Vielmehr hätten sie aufgrund von § 150 Abs. 1 TKG(2004) fortgewirkt. Das gelte unabhängig davon, ob die widerrufenen Verpflichtungen der Beigeladenen unter der Geltung des TKG(1996) durch Verwaltungsakt begründet worden seien. Im Übrigen hätten auch konkretindividuelle Feststellungen über die Zugangsverpflichtung und die Entgeltgenehmigungspflicht vorgelegen, was sich aus den Genehmigungen der TAL-Entgelte ergebe. Die Klage sei ferner begründet, da der Widerruf rechtswidrig sei und sie -die Kläge- rin- in ihren Rechten verletze. Das ergebe sich bereits daraus, dass die Regulie- rungsbehörde über die Festlegungen zur Marktdefinition und -analyse entgegen § 135 Abs. 3 S. 1 TKG(2004) nicht mündlich verhandelt habe. Dieser Verfahrensfeh- ler sei auch nicht gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich. Der unmittelbare Diskurs der Be- teiligten in einer mündlichen Verhandlung eröffne zusätzliche, über die schriftliche Stellungnahme hinausgehende Erkenntnismöglichkeiten. Es könne daher nicht da- von ausgegangen werden, dass die Regulierungsbehörde im Falle mündlicher Ver- handlung über die Marktanalyse offensichtlich zu keiner anderen Entscheidung ge- langt wäre. Auch in der Sache habe die Regulierungsbehörde in Bezug auf den Zugang zur rei- nen Glasfaser-TAL die erforderliche Marktanalyse einschließlich der vorhergehenden notwendigen Marktdefinition nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Die Trennung der bisher einheitlich regulierten Märkte für Metall- und Glasfaser-TAL könne nicht allein mit dem Verweis auf Nr. 11 des Anhangs der Empfehlung der Kommission vom 11. Februar 2003 und das Fehlen nationaler Besonderheiten gerechtfertigt werden. In einer solchen Situation müsse -umgekehrt- belegt werden, dass die in der Vergan- genheit angenommenen nationalen Besonderheiten eines einheitlichen Marktes nunmehr entfallen seien. Dazu bedürfe es einer eigenständigen und eingehenden Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der nationalen Märkte, was nicht erfolgt sei. Möglicherweise bestehe ein Zusammenhang mit dem in Nr. 12 des Anhangs der Empfehlung genannten Markt "Breitbandzugang für Großkunden". Doch selbst wenn man davon ausgehe, dass der Zugang zur reinen Glasfaser-TAL nicht Bestandteil der vorgenannten Kommissionsempfehlung sei, sei der Widerruf rechtswidrig, da die Regulierungsbehörde ein ausreichendes Marktdefinitionsverfahren in Bezug auf reine Glasfaser-TAL als eigenständigen Markt nicht durchgeführt habe. Ob ein Markt für eine Regulierung nach § 10 Abs. 2 TKG(2004) in Betracht komme, lasse sich ohne eine vorherige sachgerechte Marktabgrenzung nicht prüfen. Insbesondere bedürfe es einer detaillierten Untersuchung der Produktmerkmale, Preise sowie der Angebots- und Nachfragesubstituierbarkeit auf der Grundlage des EU-Wettbewerbsrechts. Doch auch wenn für den Zugang zur reinen Glasfaser-TAL kein eigenständiger Markt bestehe, sei möglicherweise ein sachlich weiter gefasster Markt mit zusätzlich einzubeziehenden Marktsegmenten zu prüfen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene in den Ballungszentren hohe Investitionen in Glasfaserleitungen auf den TAL-Teilstrecken zwischen Hauptverteiler und Kabelverzweiger plane, die nicht nur auf Großkunden, sondern auch auf den Massenmarkt abzielten.

Die Klägerin beantragt,

Ziffer 4 der Verfügung der Regulierungsbehörde vom 20. April 2005 (BK 4-04-075/R) aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und führt zusätzlich aus: Eine mündliche Verhandlung sei im Rahmen des Marktdefinitions- und -analyseverfahrens nicht durchzuführen gewesen, da die §§ 10 ff TKG(2004) die nur für das Regelverfahren der Beschlusskammern geltende Vorschrift des § 135 Abs. 3 Satz 1 TKG(2004) verdrängten.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig. Es fehle die Klagebefugnis, zumindest aber das Rechtsschutzinteresse. Denn vor Erlass der Widerrufsverfügung hätten in Bezug auf reine Glasfaser-TAL keine Verpflichtungen zur Zugangsgewährung und zur Einholung einer Entgeltgenehmigung mehr bestanden. Die Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 1 TKG(2004) sei dahingehend auszulegen, dass bei Inkrafttreten des neuen TKG nur solche Verpflichtungen wirksam blieben, die unter der Geltung des alten TKG konkretindividuell auferlegt worden seien. Daran fehle es hier. Eine solche konkretindividuelle Auferlegung habe im Zeitpunkt des Inkrafttretens des TKG(2004) auch nicht etwa aufgrund der Missbrauchsverfügung der Regulierungsbehörde vom 1. Juli 1997 bestanden. Deren Regelungswirkung habe sich am 13. Oktober 1997 mit der Abgabe des damals von ihr -der Beigeladenen- geforderten Angebots auf entbündelten Zugang zur TAL erledigt. Die Klage sei ferner unbegründet. Eine mündliche Verhandlung vor der Präsidenten- kammer sei nicht erforderlich gewesen, da § 12 TKG(2004) das Marktdefinitions- und -analyseverfahren speziell und abweichend von § 135 TKG(2004) normiere. Falls dies anders zu beurteilen sei, sei der Verfahrensfehler gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG durch die von der Beschlusskammer durchgeführte Anhörung vom 12. Januar 2005 jedenfalls geheilt. Sehe man auch dies anders, sei zumindest von der Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers nach § 46 VwVfG auszugehen. Schließlich sei die dem Widerruf zugrunde liegende Festlegung der Präsidenten- kammer der Regulierungsbehörde in der Sache weder nach den §§ 10 bis 12 TKG(2004) noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verfahrensakte 1 L 803/05 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist ohne Erfolg.

1. Sie ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Widerruf der Genehmigungspflicht der Entgelte für den Zugang zur reinen Glasfaser-TAL richtet.

Der Klägerin fehlt insoweit das allgemeine Rechtsschutzinteresse, da sie mit diesem Teil der Anfechtungsklage eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung nicht erreichen kann.

1.1 Die Genehmigungspflicht der entsprechenden Zugangsentgelte nach § 39 Alt.1 i.V.m. §§ 25 Abs. 1 und 29 des - alten - Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996, BGBl. I 1120, - TKG (1996) - bestand schon vor Erlass der Verfügung vom 20. April 2005 nicht mehr, so dass der Widerruf ins Leere ging und die Klägerin somit davon auch nicht beschwert wurde.

Die allein aufgrund von § 39 Alt.1 TKG(1996) bestehende Genehmigungspflicht ist nicht nach § 150 Abs. 1 Satz 1 und 2 des - neuen - Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004, BGBl. I 1190, - TKG(2004) nach dem 26. Juni 2005 wirksam geblieben. Nach diesen Übergangsvorschriften bleiben -lediglich- die "von der Regulierungsbehörde vor Inkrafttreten dieses Gesetzes getroffenen Feststellungen marktbeherrschender Stellungen sowie die daran anknüpfenden Verpflichtungen" (Satz 1) sowie die Feststellungen marktbeherrschender Stellungen, die "lediglich Bestandteil der Begründung eines Verwaltungsaktes sind" (Satz 2), wirksam, nicht jedoch die vorher geltende Rechtslage,

vgl.: Scherer/Mögelin und Tschentscher/Bosch, K&R 2004, Beilage 4, S. 3 ff und 14 ff; jeweils mit ausführlicher Begründung; VG Köln in ständiger Rechtsprechung, u.a. Urteile vom 15. September 2005 -1 K 4556/04- und -1 K 8432/04- sowie vom 29. September 2005 -1 K 765/05-.

Der Vortrag der Klägerin bietet keinen hinreichenden Anlass, von dieser Auslegung abzurücken. Dies insbesondere deshalb nicht, weil andernfalls die eindeutige Regelung des § 152 Abs. 2 TKG(2004) über das vorbehaltlose Außerkrafttreten des TKG(1996) unterlaufen würde und die Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für Zugangsentgelte gemeinschaftsrechtlich nicht geboten war. Zu den nach den Übergangsbestimmungen des Art. 27 Satz 1 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und - dienste, ABl. EG Nr. L 108 S. 33 (Rahmenrichtlinie), i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, ABl. EG Nr. L 108 S. 7 (Zugangsrichtlinie) von den Mitgliedstaaten aufrechtzuerhaltenden Verpflichtungen zählt zwar auch die Verpflichtung gemäß -dem hier allenfalls in Betracht zu ziehenden- Art. 7 der Richtlinie 97/33/EG vom 30. Juni 1997, ABl. EG Nr. L 199 S. 32. Diese mit "Grundsätzen für Zusammenschaltungsentgelte und Kostenrechnungssysteme" überschriebene Regelung enthielt indes keine Bestimmung darüber, ob die Einhaltung des darin u.a. niedergelegten Grundsatzes der Kostenorientierung exante, noch dazu im Wege einer Genehmigung, oder nur expost kontrolliert werden sollte. Unter diesen Umständen bestand für den europäischen Normgeber kein Grund, aus Anlass des neuen Richtlinienpakets vom 7. März 2002 die Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung ihres jeweiligen formellen Regulierungsregimes zu verpflichten.

1.2 Eine Fortgeltung der Genehmigungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem Bescheid der Regulierungsbehörde vom 29. April 2003, mit dem u.a. monatliche Überlassungsentgelte für reine Glasfaser-TAL genehmigt wurden.

Zwar wurde die in der Begründung dieses Bescheides festgestellte marktbeherrschende Stellung der Beigeladenen nach § 150 Abs. 1 Satz 2 TKG (2004) übergeleitet, und zwar über den Zeitpunkt der Geltung der Entgeltgenehmigung (31. März 2005) hinaus,

vgl.: VG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2005 -1 L 3263/04- .

Doch gilt dies nicht für die ebenfalls lediglich in der Verwaltungsakts-Begründung bejahte Entgeltgenehmigungspflicht. Denn daraus, dass § 150 Abs. 1 Satz 2 TKG(2004) die Begründung eines Verwaltungsakts allein in Bezug auf Feststellungen marktbeherrschender Stellungen ausreichen lässt, folgt, dass für die in § 150 Abs. 1 Satz 1 TKG (2004) zusätzlich erwähnten "anknüpfenden Verpflichtungen" eine bloße Verwaltungsakts-Begründung nicht genügt. Als "Verpflichtungen" im Sinne dieser Vorschrift können vielmehr nur solche angesehen werden, die durch die Regulierungsbehörde konkretindividuell auferlegt oder angeordnet wurden. Andernfalls würde § 150 Abs. 1 Satz 1 TKG(2004) letztlich doch ein die alte Rechtslage tradierender Inhalt zugeschrieben, was nach den obigen Ausführungen unter 1.1 aber nicht in Betracht kommt.

2. Soweit sich der Widerruf auf die Verpflichtung zur Zugangsgewährung bezieht, spricht indes Überwiegendes für die Zulässigkeit der Klage.

Anders als die Entgeltgenehmigungspflicht, bestand nämlich die Zugangsverpflichtung der Beigeladenen nicht allein aufgrund Gesetzes (§ 35 Abs. 1 TKG), vielmehr wurde sie der Beigeladenen durch die Missbrauchsverfügung der Regulierungsbehörde vom 1. Juli 1997 konkretindividuell auferlegt. Sie richtete gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 TKG(1996) die Aufforderung an die Beigeladene, gegenüber der Klägerin ein Angebot auf entbündelten Zugang zur TAL abzugeben. Wie sich aus der darin in Bezug genommenen Beanstandungsverfügung vom 28. Mai 1997 ergibt, bezog sich die Aufforderung nicht nur auf Kupfer-, sondern auch auf Glasfaser-Leitungen. Zwar ist im Tenor der Missbrauchsverfügung nicht ausdrücklich von einer Zugangsverpflichtung die Rede. Doch ist diese in der Angebotsaufforderung notwendigerweise enthalten. Bei der verlangten Abgabe eines Angebots auf entbündelten TAL-Zugang handelt es sich nämlich um die lediglich missbrauchsaufsichtlich "umformulierte" Aufforderung zur Zugangsgewährung. Das wird zudem durch die Ausführungen in der vorangegangenen Beanstandungsverfügung vom 28. Mai 1997 belegt.

Dagegen lässt sich nicht einwenden, es handele sich lediglich um ein nach den obigen Ausführungen für eine Überleitung von Verpflichtungen im Rahmen des § 150 Abs. 1 TKG (2004) nicht ausreichendes -bloßes- Begründungselement der Missbrauchsverfügung. Vielmehr ist die Verpflichtung zur Zugangsgewährung bei lebensnaher Betrachtung selbstverständlicher Regelungsbestandteil dieser Verfü- gung.

Diese Verpflichtung hat sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht vor Inkrafttreten des neuen TKG (26. Juni 2004) durch Fristablauf erledigt. Zwar musste die Beigeladene das geforderte Zugangsangebot bis zum 14. Juli 1997 abgeben. Doch galt diese Angebotspflicht, erst recht die damit verknüpfte Verpflichtung zur Zugangsgewährung, über den 14. Juli 1997 hinaus. Es machte keinen Sinn, den Verwaltungsakt so auszulegen, dass seine Regelungswirkung durch Hinauszögern des Erfüllungszeitpunkts unterlaufen werden könnte.

Ferner hat sich die Missbrauchsverfügung entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht durch Abgabe des geforderten Angebots am 13. Oktober 1997 insgesamt erledigt. Zwar ist damit Erledigung in Bezug auf die Pflicht zur Angebotsabgabe eingetreten, nicht jedoch hinsichtlich der gleichzeitig geregelten Pflicht zur Zugangsgewährung. Soweit das Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 25. April 2001, BVerwGE 114, 160 (167)

der Missbrauchsverfügung den Charakter eines Dauerverwaltungsakts abgespro- chen hat, beziehen sich seine Ausführungen auf das einmalige Handlungsgebot, d.h. auf die Pflicht zur Angebotsabgabe. Nur insoweit hat die Verfügung infolge ihrer Be- folgung den vollstreckbaren Inhalt verloren. Ein sachlich einleuchtender Grund, warum auch die damit verbundene, konkretindividuell geregelte Pflicht zur Zugangsgewährung entfallen sein sollte, ist aber nicht zu erkennen, zumal selbst die Beigeladene dieser Verpflichtung in der Folgezeit ohne missbrauchsaufsichtliche Aktualisierungen nachgekommen ist.

3. Die insoweit zulässige Klage ist jedoch unbegründet, da der Widerruf der Verpflichtung zur Zugangsgewährung zur reinen Glasfaser-TAL die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

3.1 Als Rechtsgrundlage des Widerrufs kommt allein die von der Regulierungsbehörde herangezogene Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG(2004) in Betracht. Darin heißt es: Soweit die Regulierungsbehörde auf Grund einer Marktanalyse nach § 11 Verpflichtungen nach den §§ 19, 20, 21, 24, 30, 39, 40 oder 41 Abs. 1 auferlegt, ändert, beibehält oder widerruft (Regulierungsverfügung), gilt das Verfahren nach § 12 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2 und 4 entsprechend, sofern die Maßnahme Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten hat.

Allerdings ist diese Bestimmung vorliegend nicht unmittelbar anwendbar, da es nicht um den Widerruf von Verpflichtungen "nach den §§ 19, 20, 21, 24, 30, 39, 40 oder 41 Abs. 1" geht, sondern um den Widerruf einer Altverpflichtung nach §§ 33 und 35 Abs. 1 TKG(1996) i.V.m. § 150 Abs. 1 TKG (2004) geht.

Die allgemeine Widerrufsregelung des § 49 VwVfG, die in der Begründung des TKG-Entwurfs der Bundesregierung

vgl. BR-Drs. 755/03, S. 86 zu § 13

genannt wird, ist jedenfalls bei der Aufhebung übergeleiteter Altverpflichtungen nicht sachgerecht. Denn da es sich bei der Verpflichtung zur Zugangsgewährung zur reinen Glasfaser-TAL für die Klägerin als Drittbetroffene um eine Begünstigung handelt,

vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., § 48 Rn. 59 und § 49 Rn. 1; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., § 48 Rn. 130,

wäre § 49 Abs. 2 VwVfG einschlägig. Dann käme der Widerruf nur unter den dort genannten engen Voraussetzungen in Betracht, was sich jedoch nicht mit der Rege- lung des § 9 Abs. 1 TKG (2004) vereinbaren ließe. Danach unterliegen nämlich nur solche Märkte der Marktregulierung nach Teil 2 des TKG(2004), auf denen die Voraussetzungen des § 10 vorliegen, und für die eine Marktanalyse nach § 11 erge- ben hat, dass kein wirksamer Wettbewerb vorliegt. Daraus folgt, dass der Widerruf einer Altverpflichtung allein vom Ergebnis des Marktdefinitions- und/oder - analyseverfahrens abhängen kann.

Unter diesen Umständen geht das Gericht davon aus, dass mangels anderweitiger Ermächtigungsgrundlage § 13 Abs. 1 TKG(2004) analog anwendbar ist. Der darauf gestützte Widerruf entspricht in seiner Wirkung dem, was § 150 Abs. 1 Satz 1 TKG (2004) mit der Formulierung: " bis sie durch neue Entscheidungen nach Teil 2 ersetzt werden", ohne Nennung weiterer materieller Aufhebungsvoraussetzun- gen meint. Ferner zeigt sich die für eine Analogie erforderliche Sachangemessenheit dieser Widerrufsnorm an der Verfahrensvorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 2 TKG (2004). Danach ist der Widerruf dem betroffenen Unternehmen innerhalb einer angemessenen Frist vorher anzukündigen. Dieses Erfordernis beruht auf der speziell für die Aufhebung von Altverpflichtungen geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorga- be durch Art. 27 Satz 1 i.V.m. Art. 16 Abs. 3 Satz 3 Rahmenrichtlinie.

3.2 Der Widerruf ist nicht wegen Verstoßes gegen § 135 Abs. 3 Satz 1 TKG(2004) verfahrensfehlerhaft ergangen. Nach dieser Vorschrift muss die Beschlusskammer aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung entscheiden, wenn -wie hier- die Beteiligten nicht mit einer Entschei- dung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind.

3.2.1 Was das Verfahren vor der Beschlusskammer 4 angeht, so kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass diese durch die "Anhörung" vom 12. Januar 2005 auch in Bezug auf die hier umstrittene Marktdefinition mündlich verhandelt ha- be. Zwar hat die Klägerin bei dieser Anhörung geltend gemacht, "die Glasfaserleitun- gen müssten sehr wohl berücksichtigt werden". Doch ergibt sich aus der entsprechenden Niederschrift, dass die Beschlusskammer die Anhörung auf den Entwurf der Regulierungsverfügung beschränkt hat, während die Ergebnisse des Verfahrens der Präsidentenkammer als "identisch übernommen" behandelt wurden.

Das entsprach auch der eingeschränkten Aufgabenstellung dieser Beschlusskammer. Denn nach § 132 Abs. 4 Satz 2 TKG(2004) werden die Ergebnisse der Marktdefinition und -analyse nach §§ 10 und 11 TKG(2004) innerhalb der Regulierungsbehörde durch die Präsidentenkammer als eine besondere Beschlusskammer festgelegt. Zwar sieht der Wortlaut dieser Vorschrift die Festlegungs-Zuständigkeit der Präsiden- tenkammer nur dann vor, wenn Entscheidungen "nach den §§ 18, 19, 20, 21, 30, 39, 40 und 41 Abs.1 betroffen sind". Doch muss dies entsprechend gelten, wenn sich das Ergebnis der Festlegung auf eine Widerrufsentscheidung analog § 13 Abs. 1 TKG(2004) auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr unterschiedlicher Spruchpraxis in Marktdefinitions- und Marktanalyseverfahren, was mit § 132 Abs. 4 TKG(2004) gerade vermieden werden soll. Die Zuständigkeitskonzentration auf die Präsidentenkammer und die Bezeichnung deren Verfahrensergebnisses als Festlegung haben zur Konsequenz, dass die für die eigentliche Regulierungsverfügung zuständige -reguläre- Beschlusskammer an die Marktbeurteilung durch die Präsidentenkammer gebunden ist. Unter diesen Um- ständen wäre eine nachträgliche mündliche Verhandlung mangels Abweichungsbefugnis der regulären Beschlusskammer zwecklos.

3.2.2 Was das Verfahren vor der Präsidentenkammer betrifft, war eine mündliche Verhandlung ebenfalls nicht erforderlich.

Insoweit sieht § 12 TKG(2004) ein besonderes Anhörungs- und Konsultationsverfahren vor. Dieses weicht von den üblichen Anhörungsbestimmun- gen des § 135 Abs. 1 und 2 TKG(2004) ab. Da die Spezialvorschrift des § 12 TKG(2004) aber keine mündliche Verhandlung vorschreibt, ist auch § 135 Abs. 3 TKG(2004) auf Festlegungen nach den §§ 10 und 11 TKG(2004) nicht anwendbar.

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, § 12 TKG(2004) könne nicht als Spezialvorschrift angesehen werden, da sie über die Verweisung in § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG(2004) auch für den Erlass von Regulierungsverfügungen gelte und die Einstu- fung als Spezialvorschrift somit zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis führte, dass § 135 Abs. 3 Satz 1 TKG(2004) selbst für die Verfahren vor den regulären Beschluss- kammern weitgehend unanwendbar bliebe. Mit dieser Erwägung wird indes verkannt, dass § 135 Abs. 3 Satz 1 TKG (2004) für "Entscheidungen" der Beschlusskammer gilt, wohingegen das Gesetz den Abschluss des Marktdefinitions- und - analyseverfahrens als "Ergebnis der Verfahren nach den §§ 10 und 11" (so § 13 Abs. 3 TKG ) bzw. als "Festlegungen" (so § 132 Abs. 4 Satz 2 TKG ; siehe auch § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2) bezeichnet.

Eine mündliche Verhandlung über Festlegungen mit EU-Bezug (§§ 10 Abs. 3 und 11 Abs. 3 TKG) wäre auch praktisch sinnlos, da sie nicht ergebnisoffen durchgeführt werden könnte. In ihr wäre von einem Entwurf auszugehen, der nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 TKG (2004) bereits mit der Kommission und den anderen nationalen Regulierungsbehörden eng abgestimmt wäre und dessen Inhalt somit bei realistischer Betrachtung kaum noch durch zusätzliche mündliche Stellungnahmen der sonstigen Beteiligten beeinflussbar sein dürfte. Andernfalls wäre das Verfahren auch nicht mehr praktikabel, da sich an eine etwa aufgrund mündlicher Verhandlung erfolgte Entwurfsänderung weitere aufwändige Konsultations- und Konsolidierungsrunden anschließen müssten.

3.2.3 Selbst wenn man jedoch einen Verstoß gegen § 135 Abs. 3 Satz 1 TKG(2004) annähme, führte dies nicht zum Erfolg der vorliegenden Klage.

Diese Vorschrift begründete für die Klägerin nur ein relatives Verfahrensrecht, dessen Beeinträchtigung nicht zur Rechtswidrigkeit der Sachentscheidung führte. Denn es ist nicht erkennbar, dass mit dem -hier unterstellten- Erfordernis einer mündlichen Verhandlung der Klägerin in spezifischer Weise und unabhängig von einem materiellen Recht eine eigene, selbstständig durchsetzbare Rechtsposition gewährt wird

vgl. zur Anhörungsvorschrift des § 75 Abs. 1 TKG(1996): BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002, BVerwGE 117 (115,116).

3.3 Die getroffene Festlegung, wonach der Zugang zur reinen Glasfaser-TAL nicht Bestandteil des Marktes Nr. 11 des Anhangs der Kommissions-Empfehlung (Festlegung S. 21) ist und er auch bei eigenständiger Anwendung des sog. Drei- Kriterien-Tests nicht der Regulierung bedarf (Festlegung S. 31,32), beruht auf einer nach § 9 Abs. 1 und 13 Abs. 3 TKG(2004) erforderlichen und inhaltlich nicht zu beanstandenden Marktdefinition nach § 10 TKG(2004).

3.3.1 Nach § 10 Abs. 1 TKG(2004) legt die Regulierungsbehörde die sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine Regulierung nach den Vorschriften des Teils 2 des TKG(2004) in Betracht kommen.

Zwar hat die Regulierungsbehörde hier nicht ausdrücklich festgelegt, zu welchem sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmarkt Zugänge zur reinen Glasfaser-TAL gehören. Doch lassen sich die Ausführungen auf Seite 18 bis 21 und 31/32 der Festlegungen vom 20. April 2005 bei verständiger Auslegung dahin ver- stehen, dass die Regulierungsbehörde das Vorleistungsangebot für reine Glasfaser- TAL als sachlich eigenständigen Markt eingestuft hat. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen der Beklagten im vorangegangenen Aussetzungsverfahren 1 L 803/05 (Schriftsatz vom 10. Juni 2005, S.4).

3.3.2 Die Festlegung, dass auf dem so abgegrenzten Telekommunikationsmarkt eine Regulierung nach Teil 2 des TKG(2004) nicht in Betracht kommt, verstößt nicht gegen § 10 Abs. 2 TKG(2004).

Nach dieser Vorschrift kommen für eine Regulierung Märkte in Betracht, die (1) durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, (2) längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen (3) die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken. Diese Märkte werden von der Regulierungsbehörde im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt. Sie berücksichtigt dabei weitestgehend die Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte, die die Kommission nach Artikel 15 Abs. 1 Rahmenrichtlinie veröffentlicht hat.

3.3.2.1 Es ist nicht zu beanstanden, dass die Regulierungsbehörde - so ihre Hauptbegründung - zunächst ohne aufwändige, selbständige Anwendung des sog. Drei-Kriterien-Tests zu der Feststellung gelangt ist, dass der TAL-Zugang zur reinen Glasfaserleitung nicht Bestandteil des Marktes Nr. 11 des Anhangs zur Empfehlung der Kommission vom 11. Februar 2003, ABl. EG Nr. L 114 S. 45, (Empfehlung) ist. Dort heißt es: " Entbündelter Großkunden-Zugang (einschließlich des gemeinsamen Zu- gangs) zu Drahtleitungen und Teilleitungen für die Erbringung von Breitband- und Sprachdiensten.

Dieser Markt entspricht Anhang I Punkt 2 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit den Richtlinien 97/33/EG und 98/10/EG (Zugang zum öffentlichen Festtelefonnetz einschließlich des entbündelten Zugangs zum Teilnehmeranschluss) sowie Anhang I Punkt 3 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 2887/2000. "

Dass reine Glasfaserleitungen etwas anderes sind als "Drahtleitungen", wird auf Seite 20 und 21 der Festlegungen mit überzeugender, von der Klägerin nicht substantiiert angegriffener Begründung dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Es ist auch nichts dafür vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, dass reine Glasfaserleitungen etwa als "Teilleitungen" aufzufassen wären. Denn darunter fallen nach dem Wortsinn nur Streckenabschnitte von Drahtleitungen, was sich noch deutlicher aus der englischen Textfassung (metallic loops and subloops) ergibt.

Entgegen der erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Klägerin kommt auch keine Zuordnung zum Markt Nr. 12 des Anhangs der Empfehlungen ("Breitbandzugang für Großkunden") in Betracht. Dabei handelt es sich nämlich um etwas anderes als den in Rede stehenden TAL-Zugang. Soweit sich die Klägerin demgegenüber auf den Notifizierungsentwurf der Bundesnetzagentur zum Markt Nr. 12 (Stand: 28.09.2005) beruft, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn in diesem Entwurf (S. 38 bis 40) geht die Bundesnetzagentur gerade umgekehrt davon aus, dass der Großkundenzugang zur reinen Glasfaser-TAL zu keinem der in der Empfehlung genannten Märkte gehört.

Da die Empfehlung von der Regulierungsbehörde gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG (2004) weitestgehend zu berücksichtigen und somit deren Beurteilungsspielraum entsprechend eingeschränkt ist, käme eine Zuordnung des Großkunden-Zugangs zur reinen Glasfaser-TAL zu einem in der Empfehlung nicht genannten anderen Großkundenmarkt nur dann in Betracht, wenn dies ausnahmsweise gerechtfertigt wäre.

Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis kommt außerdem in den gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 2 Rahmenrichtlinie ebenfalls weitestgehend zu berücksichtigenden Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und - dienste, ABl. EG Nr. C 165 S. 6, (Leitlinien) zum Ausdruck.

In Nr. 18 der Leitlinien heißt es: "Die Produkt- und Dienstmärkte, die Merkmale aufweisen, welche eine bereichspezifische Regulierung rechtfertigen können, sind von der Kommission in ihrer Empfehlung definiert worden. Sofern aufgrund nationaler Gegebenheiten die Festlegung anderer relevanter Märkte gerechtfertigt ist, werden diese von den Nationalen Regulierungsbehörden (NRB) entsprechend den Verfahren gemäß den Art. 6 und 7 Rahmenrichtlinie ermittelt."

Ähnlich bestimmt Nr. 29 der Leitlinien : "Es wird davon ausgegangen, dass Märkte, die nicht in der Empfehlung ge- nannt werden, keiner bereichsspezifischen Exante-Regulierung bedürfen, es sei denn, die NRB ist in der Lage, die Regulierung eines weiteren oder ande- ren relevanten Markts nach dem in Art. 7 Rahmenrichtlinie festgelegten Verfahren zu begründen."

Aus diesen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben folgt, dass Produkte und Dienste, die - wie hier- nicht zu den in der Empfehlung definierten Märkten gehören, nur dann einer bereichsspezifischen Regulierung nach dem TKG(2004) bedürfen, wenn die Regulierungsbehörde in der Lage ist, diese Produkte oder Dienste über die Empfehlung hinaus aufgrund nationaler Gegebenheiten einem anderen relevanten Markt zuzuordnen.

Dieser -gleichsam umgedrehten- Prüfungsaufgabe entspricht die Vorgehens- weise der Regulierungsbehörde. Sie hat in der Hauptbegründung ihrer Festlegungen (S. 20 bis 23) überzeugend ausgeführt, dass nationale Besonderheiten, die ein Abweichen von der Empfehlung möglich erscheinen ließen, nicht ersichtlich seien. Darauf wird verwiesen.

Der Einwand der Klägerin, bei der Marktdefinition im Zusammenhang mit der Aufhebung von Altverpflichtungen müsse die Regulierungsbehörde -umgekehrt- den Fortfall der Regulierungsbedürftigkeit belegen, verkennt die oben wiedergegebene Rechtslage.

Soweit die Klägerin für möglich hält, dass Zugänge zur reinen Glasfaser-TAL zusammen mit sonstigen Zugangsvarianten einen weiter gefassten, in den Empfehlungen nicht genannten anderen Markt bilden könnten, wird dafür nichts Konkretes vorgetragen. Auch die Stellungnahmen der Kommission vom 22. Dezem- ber 2004 und 23. März 2005 bieten dafür keinen hinreichenden Anhalt.

3.3.2.2 Selbst wenn man jedoch trotz der vorstehenden Erwägungen eine eigenständige, von der Empfehlung unabhängige Marktdefinition in Bezug auf reine Glasfaser-TAL verlangte, wäre auch diese Anforderung im Hinblick auf die Hilfsbegründung auf Seite 31, 32 der Festlegung in ausreichendem Maße erfüllt. Denn dort hat die Regulierungsbehörde in Anwendung des sog. Drei-Kriterien-Tests nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG (2004) und unter Hinweis auf die konkrete Situation in Deutschland dargelegt, dass jedenfalls das dritte Kriterium (Märkte auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken) nicht erfüllt sei. Vielmehr sei die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts als ausreichend anzusehen, da die Wettbewerber der Beigeladenen um ein Vielfaches mehr Endkunden über eigene Glasfaserleitungen als über von der Beigeladenen angemietete Glasfaserleitungen anbänden und somit der TAL-Zugang nicht essentiell für wirksamen Wettbewerb auf Endkundenebene sei. Es könne daher nicht davon die Rede sein, dass es der Beigeladenen ein Leichtes wäre, ihre Marktmacht auf die Endkundenebene auszudehnen bzw. dort zu bewahren, indem sie Wettbewerbern den Zugang zur reinen Glasfaser-TAL verweigere oder nur zu unangemessenen Bedingungen gewähre. Für eine über die allgemeine Wettbewerbsaufsicht -nach dem GWB- hinausgehende regulatorische, d.h. präventiv wettbewerbsfördernde Intervention bestehe daher keine zwingende Notwendigkeit.

Dass die Regulierungsbehörde damit den ihr gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG (2004) zustehenden Beurteilungsspielraum in unzulässiger Weise überschritten hätte, ist nicht erkennbar. Ob und in welchem Maße die Beigeladene eine Ausweitung des reinen Glasfaseranteils ihrer Großkunden-Zugänge plant, ist dagegen unerheblich, da es im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Regulierungsverfügung ( 20. April 2005 ) ankommt.

Soweit die Kommission in ihrer Stellungnahme von 23. März 2005 gegenüber der Regulierungsbehörde rügt, die auf dem Drei-Kriterien-Test beruhende Marktanalyse könne erst nach einer sachgerechten Abgrenzung des Marktes vorgenommen wer- den, und soweit sie für die Marktabgrenzung eine detaillierte Untersuchung der Produktmerkmale, Preise sowie Angebots- und Nachfragesubstituierbarkeiten auf Grundlage des EU-Wettbewerbsrechts für erforderlich hält, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Wie oben ausgeführt, ist nach § 10 Abs. 1 und 2 TKG (2004) entscheidend, ob eine Regulierung in Betracht kommt. Sind dafür nach 10 Abs. 2 Satz 1 TKG (2004) drei Voraussetzungen kumulativ erforderlich und ist davon eine eindeutig nicht gegeben, so kommt Marktregulierung nach Teil 2 des TKG(2004) selbst dann nicht in Betracht, wenn die konkludent vorgenommene sachliche Marktabgrenzung, hier in der Gestalt eines -mangels realistischer Alternativen- eigenständigen Marktes für Großkundenzugang zur reinen Glasfaser-TAL, nicht bis in alle Einzelheiten der in Nrn. 44 bis 69 der Leitlinien vorgeschlagenen Vorge- hensweise entspricht.

3.4 Schließlich ist der Widerruf nicht etwa deshalb zu beanstanden, weil der Wortlaut der analog anzuwendende Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG(2004) als Grundlage der Maßnahme eine "Marktanalyse nach § 11" fordert, hier aber lediglich eine Marktdefinition nach § 10 TKG(2004) vorliegt. Vielmehr muss in derartigen Konstellationen eine Widerrufsverfügung erst recht möglich sein.

Die Regelungen der §§ 9 bis 11 TKG(2004) zeigen, dass Marktdefinition und Marktanalyse zwei kumulativ erforderliche Voraussetzungen für die Marktregulierung bilden, wobei die Marktdefinition den Rahmen für die daran anschließende Marktanalyse festlegt. Führt bereits die Marktdefinition nach § 10 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 TKG(2004) zu dem Ergebnis, dass der sachlich und räumlich jeweils relevante Telekommunikationsmarkt für eine Regulierung nicht einmal in Betracht kommt, so ist eine Marktanalyse -wenn überhaupt möglich, so jedenfalls- überflüssig. Auch in diesen Fällen fehlt es an der nötigen Grundlage für die Aufrechterhaltung regulatorischer Altverpflichtungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 709 und § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 135 S. 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.






VG Köln:
Urteil v. 17.11.2005
Az: 1 K 2924/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5fdc5d9b5b5d/VG-Koeln_Urteil_vom_17-November-2005_Az_1-K-2924-05




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