StGH des Landes Hessen:
Beschluss vom 10. September 1975
Aktenzeichen: P.St. 761

(StGH des Landes Hessen: Beschluss v. 10.09.1975, Az.: P.St. 761)

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Die Gebühr wird auf 1.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin war als Aktionärin an der ... Aktiengesellschaft beteiligt, die durch Beschluß ihrer Hauptversammlung gemäß § 320 des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089) - AktG - in die ... - Aktiengesellschaft eingegliedert worden ist. Eine gegen den Eingliederungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage, der sich die Antragstellerin als streitgenössische Nebenintervenientin angeschlossen hatte, blieb erfolglos; die Revision wies der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 27. Mai 1974 - II ZR 109/72 - zurück.

II.

Mit ihrer Eingabe vom 6. August 1974 hat die Antragstellerin den Staatsgerichtshof angerufen, Sie macht geltend, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1974 und die ihm zugrunde liegenden Vorschriften, insbesondere die §§ 320 ff in Verbindung mit den §§ 132, 247, 304, 305 und 306 AktG, seien mit der Verfassung des Landes Hessen (HV) nicht vereinbar. Der Übergang der ... -Aktien der Antragstellerin auf die Hauptgesellschaft sei trotz der Abfindung mit ... -Aktien eine - mindestens zum Teil - entschädigungslose Enteignung, die entgegen dem Verfassungsgebot auch nicht im öffentlichen Interesse, sondern allein zum Nutzen des ... -Konzerns und der hinter ihm stehenden Großbanken erfolgt sei. Es handele sich um eine Zwangsenteignung zugunsten exklusiver Nutznießer, die mit Hilfe einer von den Kammern für Handelssachen geübten Klassenjustiz praktiziert werde.

Ergänzend nimmt die Antragstellerin auf die von ihr und von ihrem Generalbevollmächtigten, Herrn ..., beim Bundesverfassungsgericht erhobenen Verfassungsbeschwerden vom 5. und 6. August 1974 Bezug. Sie hat ihre Auffassung durch Schriftsatz vom 9. August 1974 weiter begründet. Wegen der Einzelheiten dieses Vorbringens wird auf den Inhalt dieser Schriftsätze verwiesen.

III.

Der Landesanwalt hält den Antrag für unzulässig, weil gegen Entscheidungen von Bundesgerichten keine Grundrechtsklagen vor dem Staatsgerichtshof erhoben werden könnten und weil die Vorschriften des Aktiengesetzes Bundesrecht seien, das nach Artikel 31 GG Landesrecht, auch Landesverfassungsrecht, breche.

IV.

Auf die Stellungnahme des Landesanwaltes hat die Antragstellerin durch ihren Generalbevollmächtigten... erwidert und auf Artikel 142 GG hingewiesen. Sie führt aus, daß sie sich durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1974 und die ihm zugrunde liegenden aktienrechtlichen Vorschriften in ihren von der Verfassung des Landes Hessen gewährten Grundrechten verletzt fühle, soweit sich diese mit den Grundrechten aus Artikel 1 - 3, 14, 17, 19 und 103 GG deckten Ferner beantragt sie, bestimmte Akten der Landgerichte..., ... und ..., des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts beizuziehen und ihre Eingabe vom 6. August 1974 mit den beizuziehenden Unterlagen auch dem Hessischen Landtag zuzuleiten, ihrem Generalbevollmächtigten rechtliches Gehör zu gewähren und persönlichen Vortrag zu gestatten sowie Regierungsdirektor a.D. ... aus ... als sachverständigen Zeugen für den Enteignungscharakter des Eingliederungsverfahrens zu laden.

Vorsorglich beantragt die Antragstellerin, das Verfahren nach Artikel 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, daß die §§ 247, 304 bis 306 und 320 ff. des Aktiengesetzes verfassungswidrig seien. Ferner müsse die Hessische Landesregierung durch den Staatsgerichtshof veranlaßt werden, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 11 GG durch eigene legislative Maßnahmen den Mißbrauch des Aktengesetzes zu großkapitalistischen Enteignungsmethoden sowie die Diskriminierung hessischer Eigentümer an Produktionsmitteln von Aktiengesellschaften zu verhindern und der Auslieferung der Wirtschaft an fremde Mächte entgegenzuwirken. Kosten dürften durch diese Eingabe der Antragstellerin nicht erwachsen.

V.

Die Anträge können keinen Erfolg haben.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin eine Grundrechtsklage erheben oder in Wahrheit ein Normenkontrollverfahren einleiten will. Gegenstand ihrer verfassungsrechtlichen Eugen sind jedenfalls ausnahmslos Vorschriften des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1974. Ihr Antrag ist aber in beiden Verfahrensarten unzulässig.

a) Abgesehen davon, daß die Antragstellerin nicht zu den in Art. 131 Abs. 2 HV und §§ 41 Abs. 2, 17 Abs. 2 StGHG genannten Antragsberechtigten - eine Gruppe von Stimmberechtigten, die mindestens ein Hundertstel aller Stimmberechtigten des Volkes umfaßt, der Landtag, ein Zehntel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder, die Landesregierung sowie der Ministerpräsident und der Landesanwalt - gehört, die, ohne eine persönliche Beeinträchtigung geltend machen zu müssen, ein abstraktes Normenkontrollverfahren einleiten können, ist der Staatsgerichtshof als Landesverfassungsgericht in dieser Verfahrensart nach Art. 131, 132 HV nur dazu berufen, Landesgesetze und Landesverordnungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen.

Die Nachprüfung der Bestimmungen des Aktiengesetzes, eines Bundesgesetzes, auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten und sonstigen Vorschriften der Verfassung des Landes Hessen ist dem Staatsgerichtshof deshalb versagt. Auch kann er keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG herbeiführen, weil es bei seiner Entscheidung auf die Gültigkeit des Aktiengesetzes nicht ankommt.

b) Nach Art. 131 Abs. 3 HV, §§ 45 ff. StGHG kann jedermann den Staatsgerichtshof mit der Grundrechtsklage gegen eine Gerichtsentscheidung anrufen, der geltend macht, daß ein ihm von der Verfassung gewährtes Grundrecht verletzt sei. Die Antragstellerin hat zwar mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 1974 die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt und innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung den Staatsgerichtshof angerufen (§ 48 Abs. 3 StGHG); der Staatsgerichtshof kann aber in Verfahren über Grundrechtsklagen Entscheidungen der obersten Bundesgerichte nicht auf eine Grundrechtsverletzung überprüfen (vgl. Zinn-Stein, Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, Stand: Februar 1972, Anmerkung B, IV, 8. zu Artikel 131 - 133 HV und ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs - vgl. u.a. Beschluß vom 4. März 1970 - P.St. 596 -). Solche Entscheidungen können daher nur wegen Verletzung von Grundrechte nach dem Grundgesetz gemäß §§ 90 ff. BVerfGG mit der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. Dies hat die Antragstellerin bereits getan.

Es kommt hinzu, daß der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. Mai 1974 - II ZR 109/72 - (MDR 1974, 998) alle für seine Entscheidung maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte den von ihm bezeichneten Vorschriften des Aktiengesetzes entnommen hat. Bundesrecht geht aber dem Landesrecht, auch dem Landesverfassungsrecht, gemäß Artikel 31 GG im Range vor, so daß seine Auslegung und Anwendung nicht an den Maßstäben einer Landesverfassung gemessen werden können. Der Staatsgerichtshof sieht keine Möglichkeit, von dieser mit dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof übereinstimmenden - ständigen Rechtsprechung (vgl. u.a. Beschluß vom 27. März 1974 - P.St. 743 -) abzugehen. Er kann insbesondere der Auffassung nicht folgen, die als Ausnahme von Artikel 31 GG in Artikel 142 GG ausgesprochene Weitergeltung gewisser Grundrechte der Landesverfassung habe ihre Erhöhung über den Status des Landesrechts hinaus zur Folge. Vielmehr kann Artikel 142 GG nur so verstanden werden, daß die mit dem Grundgesetz übereinstimmenden Grundrechte entgegen Artikel 31 GG zwar als Landes(verfassungs)recht in Kraft geblieben sind, daß sich dadurch aber am Vorrang des Bundesrechts selbst nichts geändert hat.

2. Die Antragstellerin kann im Wege der Grundrechtsklage auch nicht ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers auf dem Gebiet des Aktienrechts erreichen. Die Hessische Verfassung gewährt dem einzelnen Staatsbürger kein Grundrecht und auch keinen grundrechtsähnlichen Anspruch darauf, daß ein zur Gesetzesinitiative befugtes Staatsorgan das Gesetzgebungsverfahren mit einer Vorlage bestimmten Inhalts einleitet. Nach Art. 117 HV werden die Gesetzentwürfe allein von der Landesregierung, aus der Mitte des Landtages oder durch Volksbegehren eingebracht. Der einzelne Grundrechtsträger kann sich also in der Regel mit der Grundrechtsklage erst gegen ein von den Gesetzgebungsorganen beschlossenes Gesetz wenden. Der Staatsgerichtshof sieht sich deshalb auch nicht veranlaßt, die Eingabe der Antragstellerin an den Hessischen Landtag weiterzuleiten.

3. Allerdings ist eine Grundrechtsklage auch gegen das Unterlassen des Gesetzgebers zulässig, wenn sich die Antragstellerin auf einen ausdrücklichen Auftrag der Verfassung des Landes Hessen berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im wesentlichen umgrenzt hat.(vgl. entsprechend dazu BVerfGE 11, 255, 261). Ob ein solcher ausdrücklicher Auftrag der Verfassung des Landes Hessen (vgl. etwa Art. 38, 39 HV) an den Gesetzgeber vorliegt, kann hier jedoch dahinstehen, weil eine Unterlassung des hessischen Gesetzgebers im Hinblick auf Art. 74 Nr. 11 GG nicht feststellbar ist. Danach hat der Bund das konkurrierende Gesetzgebungsrecht für das Recht der Wirtschaft. Der Bund hat davon durch das Aktiengesetz vom 6. September 1965 Gebrauch gemacht, so daß die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG keine Befugnis zur Gesetzgebung mehr haben.

4. Nach allem sind die Anträge unter jedem der aufgezeigten rechtlichen Gesichtspunkte unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.






StGH des Landes Hessen:
Beschluss v. 10.09.1975
Az: P.St. 761


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