Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 5. November 2013
Aktenzeichen: I-20 U 107/13

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 05.11.2013, Az.: I-20 U 107/13)

Tenor

I.

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 03.05.2013 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Kleve abgeändert.

Dem Antragsgegner wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, im geschäftlichen Verkehr für eine "manuelle Therapie" zu werben:

1. "Wer mit Schreibabys, Vorschulkindern oder Schulanfängern zu tun hat, die als "auffällig", unruhig und schwer zu behandeln sind, sollte nicht auf andere hören. Sondern sich nach seinem Gefühl orientieren.

Geht nach Eurem Gefühl, das ist meistens das Richtige.

Die meisten Eltern merken schon früh, dass mit Ihrem Kind oder ihren Kindern etwas nicht stimmt. Dieses Gefühl hat vielfach Recht.

So, wie bei uns. Meine Frau hat nach 36 Stunden unseren Sohn L. zur Welt gebracht. Die Ärzte waren sich sicher, dass alles in "Ordnung" sei. Innerhalb von zehn Monaten haben wir uns schlau gemacht.

Bereits nach der ersten Behandlung schlief L. durch, konnte von heute auf morgen krabbeln und stehen, mit 12 Monaten laufen, er war sichtlich ruhiger, und beschäftigte sich selbst. Er spuckte und sabberte nicht mehr und schlief durch.";

2. "Was ist das KISS-Syndrom€

Blockaden in der Halswirbelsäule bei Säuglingen und Kleinkindern werden häufig als KISS-Syndrom bezeichnet.

KISS ist die Abkürzung für: "Kopfgelenk-Induzierte-Symmetrie-Störung".

Das heißt so viel wie: Von schmerzhaften Verspannungen des oberen Halses ausgelöste Beschwerden bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern.

Hierbei deutet eine Symmetriestörung auf eine Abweichung von der Haltung in Mittelstellung hin. Alles was nach links und rechts abweicht, ist ziemlich einfach als "Schiefheit" zu erkennen; auch massives Durchstrecken nach hinten gehört dazu.

Die Symptome bzw. Auffälligkeiten sind sehr vielfältig.

...

Über die Häufigkeit von Wirbelsäulen Problematik insbesondere im Halswirbelsäulen Bereich bei Kindern gibt es bisher nur Schätzungen. Ich persönlich glaube, dass fast jedes zweite oder dritte Kind bzw. Säugling behandlungsbedürftig ist.

Ein Säugling hat nach der Geburt einen anstrengenden Weg hinter sich. Erst wurde es enger im Bauch, dann wurde er durch die Wehen nach unten geschoben und schließlich ging es durch das Becken der Mutter nach draußen. Dabei wurde die gesamte Wirbelsäule überstreckt und der Druck so stark, dass die Halswirbelsäule überanstrengt wird und Blockaden entstehen können.

Womöglich wurde bei manchen Geburten eine Zange eingesetzt, wodurch ein zusätzliches Trauma entstehen kann, sowohl an den Schädelplatten als auch im Halswirbel Bereich.

Auch nach einem Kaiserschnitt können Probleme in der Halswirbelsäule, wie Verspannungen und Blockaden, entstehen.";

3. "Auffälligkeiten bei Neugeborene mit einem KISS-Syndrom können vielfältig sein:

 Schiefhaltung des Kopfes bis zur Zwangshaltung

 Kopfhalteschwäche und/oder ausgeprägte Kopfrückbeuge

 Asymmetrie der Bewegungen von Armen und Beinen

 Einseitige Haltung des Rumpfes

 Fehlstellung der Füßchen bis hin zum Sichelfuß

 Schlafstörungen, Schreien im Schlaf

 Haarloser KISS-Fleck am Hinterkopf (Symmetrisch o. Asymmetrisch)

 "Haare-Raufen", hohe Tastempfindlichkeit des Nackens

 Schädelasymmetrie, im Gesicht und/oder am Hinterkopf (seitlich abgeplatteter Hinterkopf)

 Gesäßfaltenasymmetrie

 Ein kleineres Auge bzw. ein größeres Auge

 Schlafhaltung wie ein nach hinten durchgebogenes C, massives durchstrecken nach Hinten z. B. auf dem Arm oder im Bettchen

 Das Kind kann nur auf einer Seite gut gestillt werden, da es nicht entspannt bzw. schmerzfrei liegen kann

 "Head Banging", was so viel bedeutet, dass das Kind den Kopf schlägt z. B. gegen die Gitter des Bettchens

 "Dreimonats-Koliken" (Blähungen) und Schreikinder

 Übermäßiges Sabbern

 Schreien beim Autofahren oder im Kinderwagen

 Probleme beim Schlucken

 Stark Fausten von beiden Händen";

4. Mögliche Ursachen für ein KISS-Syndrom können sein:

 Lange und schwere Geburt mit Zange oder Saugglocke

 Notfallkaiserschnitte

 Schieflagen im Mutterleib

 Steißlage / Beckenlage

 Zwillingsgeburten

 Enge im Mutterleib

 Übertragungen ...

Hier werden die noch zarten Kopfgelenke geschädigt (Nackenschlag) und es kommt zur Asymmetrie.

Studien haben gezeigt, dass es sich bei diesen Anpassungsproblemen der ersten Lebensmonate nicht um harmlose Störungen handelt, die sich mit der Zeit auswachsen, sondern dass nicht behandeltes KISS-Syndrom im weiteren Lebensverlauf zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Dies sind zum Beispiel:

 Kopfschmerzen, Migräne

 Haltungsschwächen

 Konzentrationsschwächen

 Koordinationsschwierigkeiten (Fahrradfahren, Balancieren)

 Wahrnehmungsstörungen

 Lese- und Rechtschreibprobleme

 Dyskalkulie (Probleme in Mathematik)

 Motorische Defizite, Probleme in der Feinmotorik

 Gestörte soziale Integration

 Emotionsstörungen (Frustration - Reizbarkeit - Ungeduld - Aggressivität)

 Sprachprobleme (Kind kann z. B. mit 3 Jahren noch nicht sprechen)",

5. "Warum ist ein Kaiserschnitt ein Risiko für eine Halswirbelsäulenblockade€

Bei einem Kaiserschnitt wird das Kind durch eine Öffnung der Bauchdecke geboren. Diese Öffnung ist circa 15 cm groß, d.h. der Umfang der Öffnung beträgt etwa 30 cm. Das entspricht einem Kreisdurchmesser von 30 cm: П = 9,6 cm, also ungefähr dem Durchmesser des vollständig geöffneten Muttermundes bei einer spontanen Geburt.

Aber: der Kopf des Kindes wird vom Operateur mit beiden Händen durch diese Öffnung gezogen. Dadurch wird einerseits der Platz für den Kopf des Kindes kleiner und andererseits die (Hals-)Wirbelsäule auseinander gezogen. Dadurch kann eine Blockade der (Hals-)Wirbelsäule oder auch Becken verursacht werden";

6. "Mögliche Symptome die auf KIDD-Syndrom hindeuten:

 Balancieren, Fahrradfahren, Stelzen laufen werden nur schwer erlernt.

 Bei Kindern die älter als fünf Jahre sind, sollte es keine Schwierigkeiten mehr beim Einbeinstand geben, Kinder die älter als 4 Jahre sind, sollten auf einem Bein mindestens 3 Mals springen können.

 "Hampelmann" nicht oder nur eingeschränkt möglich.

 Durch fehlende Sicherheit haben diese Kinder Höhenangst und fürchten sich vor neuen ungewohnten Situationen.

 Schlechtere Koordination führt dazu, dass sie ungeschickt sind, und oft wie ein "Tollpatsch" auf andere wirken. Die Kinder werden oft von Erwachsenen gescholten und von den Spielkameraden gehänselt.

 Wenn man sich räumlich schlecht orientieren kann, hat man auch mit dem Hören Probleme. Das Ausfiltern von unwichtigen Nebengeräuschen wird erschwert. Diese Kinder wirken unkonzentriert.

 Von der räumlichen Orientierung ist es nur ein kleiner Schritt zum Zahlenraum, dem mathematischen Verständnis.

 Wenn man immer wieder an den kleinen Aufgaben des Alltags scheitert, ist schon ein Erwachsener frustriert und reizbar, Kinder umso mehr. Sie reagieren ungeduldig, aggressiv und fühlen sich nicht anerkannt und ausgestoßen, was wohl das Schlimmste für ein Kind ist.

 Die Wahrnehmungsstörungen behindern das Erlernen des emotionalen Kodes, also die Fähigkeit, die Signale von anderen Mitmenschen wahrzunehmen und richtig zu deuten. Dadurch wird die emotionale Intelligenz herabgesetzt und die soziale Integration leidet darunter. Die Kinder können ihren Emotionen schlecht umgehen, sie benutzen alle nur möglichen "Fettnäpfchen". Sie sind unbeliebt.

 Zu langsam, zu ängstlich, zu tolpatschig: solche Kinder ziehen sich zurück, vermeiden Situationen, in denen sie ein Scheitern fürchten. Sie werden zu Einsiedlern, Eigenbrötlern.

Einzelne dieser Auffälligkeiten hat fast jedes Kind einmal, erst eine Kombination der Symptome weist auf KIDD hin!";

7. "Muskuläres KISS

Dies ist eine KISS-Form ohne Blockaden des Atlas. Dadurch dass die Muskulatur, die ihre Ansätze im BWS Bereich hat nach oben zum Schädel (zum ersten und zweiten Halswirbel) führt, kommt es durch die Lage im Mutterleib zu einer einseitigen Verspannung der Muskulatur. Hierbei entsteht eine Rotationsblockade, im Bereich der BWS, wodurch der Säugling gleich wie beim KISS-Syndrom nicht in der Lage ist, das Köpfchen zu drehen oder richtig zur Seite zu drehen. Es entstehen die gleichen Symptome wie beim KISS-Syndrom. Oft sehen wir bei dieser Form gleichzeitig vermehrt Blockaden im Becken Bereich, wodurch sich der Säugling / das Baby nicht über beide Seiten drehen kann.

Es ist nicht alles KISS, was die Symptome vermeintlich andeuten. Vielmehr sind die Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei Kindern als bei Erwachsenen, durch die verschiedenen Entwicklungsphasen der Biomechanik in den Gelenken zurück zu finden in Kraftverhältnissen der Muskulatur im Beckenbereich, die dann nicht gleich sondern unterschiedlich ist.

Das Becke ist die Basis und Stütze für unsere Wirbelsäule, wenn sie Funktionell durch einen Beckenschiefstand nicht belastbar ist, werden sowohl in den Wirbelgelenken sowie in der Muskulatur gravierende Symmetrie Störungen entstehen, welche bei Kindern zu einer Skoliose, Hohlkreuz, Konzentrationsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Motorische Symmetrie Störungen und Rückenschmerzen im Allgemeinen, führen kann. Im Erwachsenenalter entstehen hierdurch Bandscheibenvorfälle, Hexenschüsse, Kopfschmerzen/Migräne, Tinnitus/Ohrgeräusche, Haltungsschäden, Schulterschmerzen und andere Bewegungseinschränkungen";

jeweils sofern dies geschieht wie in der dem Urteil beigefügten Anlage A 3 (Anm. Beifügung technisch nicht möglich) wiedergegeben.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Durch dieses hat das Landgericht das Begehren des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, die im Tenor wiedergegebenen Aussagen zu den Themen "KISS-Syndrom" und "KIDD-Syndrom" zu unterlassen, zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner nach Abgabe einer Unterlassungserklärung im Februar 2012 weiter entsprechende Aussagen getätigt habe.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der Berufung und macht geltend, das Landgericht habe die von ihm vorgelegten Mittel zur Glaubhaftmachung, die er nunmehr ergänzt, unzutreffend gewürdigt.

Der Antragsteller beantragt,

wie erkannt.

Der Antragsgegner beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er behauptet, die Löschung der vom Antragsteller Anfang 2012 beanstandeten Internetseite am 02.02.2012 veranlasst zu haben, und vertritt die Ansicht, der Antragsteller habe eine erneute Veröffentlichung nach Abgabe der Unterlassungserklärung, die er bestreitet, nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Neues Vorbringen des Antragstellers hält er für verspätet. Darüber hinaus ist er der Auffassung, die vom Antragsteller in Bezug genommenen Erklärungen wiesen mit dem Zusatz "Diese Behandlungsmethode ist nicht schulmedizinisch erwiesen, doch sie zeigte sich bei unserem Sohn mit Erfolg!!!" einen ausreichenden Hinweis auf, so dass kein Verstoß gegen § 3 HWG vorliege.

Der Antragsteller hält demgegenüber den genannten Zusatz für ungeeignet, eine Irreführung der Verbraucher auszuschließen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das Begehren des Antragstellers ist begründet. Es liegen sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund vor.

Der Antragsteller ist aktivlegitimiert im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Da auch der Antragsgegner dies nicht in Frage stellt, bedarf es hierzu keiner vertiefenden Ausführungen.

Gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG, § 3 Nr. 1 HWG ist der Antragsgegner verpflichtet, die tenorierten Aussagen zu unterlassen.

Soweit er bestreitet, nach dem 02.02.2012 Aussagen entsprechend der Anlage A 3 verbreitet zu haben, ist das unerheblich. Denn es steht in Widerspruch zu seinem weiteren Vorbringen, "die unmissverständlich vorgenommene Relativierung der zur manuellen Therapie getroffenen Aussagen sei durch ihn noch dadurch verstärkt worden, dass zusätzlich angeführt wurde, ein Erfolg sei im Einzelfall seines Sohnes gegeben" (Seite 3 des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 10.04.2013, Bl. 90 GA). Damit hat er - was ohnehin schon mehr als nahe lag - eingeräumt, selber den streitgegenständlichen Zusatz eingefügt zu haben. Wie der Antragsteller in den Besitz der Aussage mit Zusatz gekommen sein soll, wenn sie nicht vom Antragsgegner veröffentlich worden ist, ist nicht ersichtlich. Eine Erklärung hierfür bietet auch der Antragsgegner nicht an. Dass er den Zusatz vor dem 02.02.2012 eingefügt hat, liegt fern und wird auch nicht behauptet. Lediglich ergänzend sei angefügt, dass der Antragsteller inzwischen auch glaubhaft gemacht hat, die Aussagen gemäß Anlage A 3 nach dem 02.02.2013 im Internet vorgefunden zu haben. Die Wiederholungen des Antragsgegners zu seiner Rechtsmeinung über Präklusion im Verfügungsverfahren, die der Schriftsatz vom 04.11.2013 bringt, betreffen damit nicht einmal einen streitentscheidenden Punkt.

Die in der Anlage A 3 wiedergegebenen Erklärungen des Antragsgegners das "KISS-/KIDD-Syndrom" betreffend stellen geschäftliche Handlungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar, da sie zugunsten des eigenen Unternehmens des Antragsgegners als Physiotherapeut erfolgt sind. Die Tätigkeit als Physiotherapeut ist vom Unternehmensbegriff umfasst, der Ausübung eines Gewerbes im Rechtssinne bedarf es nicht. Der Antragsgegner verbindet in den bezeichneten Internetauftritt unmittelbar die Vorstellung des sog. KISS-Syndroms und des sog. KIDD-Syndroms sowie seines diesbezüglichen Therapieangebots. Die umfassende Aufklärung über mögliche Leiden ist zwingende Voraussetzung für die Entscheidung über eine Therapie. Der Auftritt enthält eine Auflistung der vermeintlichen Symptome und entsprechender Therapiemethoden. Diese Darstellung ist geeignet, die Inanspruchnahme des Antragsgegners zu fördern.

Diese geschäftlichen Handlungen sind gemäß § 3 Abs. 1 und 2 UWG unzulässig. Sie sind unlauter, da ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 3 Nr. 1 HWG vorliegt. Nach der zuletzt genannten Norm liegt eine unzulässige irreführende Werbung vor, wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Damit stellt § 3 Nr. 1 HWG eine gesetzliche Vorschrift dar, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, § 4 Nr. 11 UWG. Eine Irreführung im Sinne von § 3 Nr. 1 HWG ist dabei bereits dann anzunehmen, wenn einem Produkt eine therapeutische Wirksamkeit als objektiv richtig beigemessen wird, diese Wirksamkeit fachlich aber (noch) umstritten ist. Dass sowohl der Schluss von den vom Antragsgegner unter den Bezeichnungen "KISS-Syndrom" und "KIDD-Syndrom" benannten Auffälligkeiten auf einen therapiebedürftigen pathologischen Zustand als auch die Wirksamkeit des hierauf vom Antragsgegner angewandten manualmedizinischen Verfahrens fachlich umstritten sind, ist unstreitig. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem vom Antragsgegner in der Sitzung am 08.10.2013 vorgelegten Artikel, wonach die X. die Kosten einer "KISS-Therapie" nunmehr übernimmt. Letzteres ist nicht geeignet, auf eine zwischenzeitliche Änderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu schließen. Wann und weshalb Krankenkassen bestimmte Kosten übernehmen, ist nicht allein eine Frage des wissenschaftlichen Beweises einer Wirksamkeit der entsprechenden Behandlung, sondern hängt von diversen, zum Teil auch betriebswirtschaftlichen Erwägungen der Kassen ab. Die Erstattung bestimmter Kosten dient allein ihrem Bestreben, bestimmte Bevölkerungsteile an sich zu binden. Auf die in Fachkreisen herrschenden Unstimmigkeiten die Wirksamkeit einer "KISS-/KIDD-Therapie" betreffend hat der Antragsgegner in der Veröffentlichung gemäß Anlage A 3 nicht hingewiesen. Jedenfalls fehlt es dort an einem Hinweis in ernsthafter Form. Der Zusatz "Diese Behandlungsmethode ist schulmedizinisch nicht erwiesen, doch sie zeigte sich bei unserem Sohn mit Erfolg." ist aus der Sicht des angesprochenen Verkehrskreises, bei dem es sich um eine unbestimmte Vielzahl von Personen, mithin den Durchschnittsverbraucher handelt, nicht so zu verstehen, dass damit die objektive Richtigkeit der zuvor ausführlich getätigten Aussagen über Ursache, Wirkung und Behandlungsbedürftigkeit in Frage gestellt wird. Vielmehr wird, wie der Antragsteller zutreffend ausgeführt hat, ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Durchschnittsverbraucher diesen Zusatz als bloße Kritik an der "uneinsichtigen" Schulmedizin verstehen, die, ohne objektive Veranlassung hierzu zu haben, sich aufdrängenden Erkenntnissen verschließt.

Das Verbot ist auch in dem beantragten Umfang auszusprechen. Nach der Aussage Nr. 1 können Schreibabys und auffällige Vorschulkinder sowie Schulanfänger mit der "manuellen Therapie" ebenso erfolgreich behandelt werden wie es beim Sohn des Antragsgegners geschehen ist. Eine Wirksamkeitsaussage trifft der Antragsgegner auch im Übrigen. Die Beschreibung des Geburtsvorgangs in Nr. 2, 4 und 5 mit seiner vermeintlichen Auswirkung auf die Wirbelsäule des Säuglings und die Aufzählung der breit gefächerten Symptome in Nr. 3 für den durch den Geburtsvorgang vermeintlich hervorgerufenen pathologischen Zustand soll eine manualmedizinische Behandlung indizieren, die - so die Aussage des Gesamtkontextes - erfolgversprechend sein soll. Gleiches gilt für die Beschreibung des KIDD-Syndroms (Nr. 6) "und des muskulären KISS" (Nr. 7).

Ein Bagatellverstoß liegt bei der Verwirklichung eines Tatbestandes des HWG regelmäßig nicht vor und wird auch vom Antragsgegner nicht reklamiert.

Der Verfügungsgrund wird gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Die Vermutung widerlegende Umstände sind nicht dargelegt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, da dieses Urteil kraft Gesetzes nicht revisibel ist (§ 542 Abs. 2 ZPO).

Streitwert für die Berufungsinstanz: 30.000,- € (entsprechend der erstinstanzlichen, von keiner Partei angegriffenen Festsetzung)






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 05.11.2013
Az: I-20 U 107/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/58254099bc32/OLG-Duesseldorf_Urteil_vom_5-November-2013_Az_I-20-U-107-13




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