Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. August 2009
Aktenzeichen: 29 W (pat) 36/04

(BPatG: Beschluss v. 05.08.2009, Az.: 29 W (pat) 36/04)

Tenor

1. Der Beschluss des Deutschen Patentund Markenamts vom 17. Dezember 2003 wird aufgehoben.

2.

Das Verfahren wird an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

3.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Am 30. April 1997 ist das Wortzeichen Südwest-TV für nachfolgende Dienstleistungen angemeldet worden:

Klasse 9: Bespielte mechanische, magnetische, magnetooptische, optische und elektronische Träger für Ton und/oder Bild und/oder Daten; codierte Telefonkarten; codierte Ausweise; Spielprogramme für Computer; Bildschirmschoner; Brillen und Sonnenbrillen sowie Brillenetuis; Datenbankprogramme; Computer-Software; netzwerkunterstützende Computer-Software (Netware); Firmware;

Klasse 35: Werbung und Marketing für Dritte;

Klasse 38: Veranstaltung von Hörfunkund Fernsehsendungen/-programmen; Verbreitung, Verteilung und Weiterleitung von Fernseh-, Hörfunk-, Telekommunikationsund Informationssignalen über kabelfreie und/oder kabelgebundene digitale und analoge Netze, auch im Onlineund Offline-Betrieb sowie mittels Computer; Veranstaltung und Betrieb von interaktiven elektronischen Mediendiensten; Sammeln und Liefern von Nachrichten; Betrieb von Datendiensten.

Auf die Beanstandung der Markenstelle für Klasse 38 vom 7. Juli 1999 hat die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die Marken 397 17 521 -Südwestrundfunk, 398 35 567 -Radio Nordwest, 398 35 566 -Nordwest-Radio, 398 35 568 -Nordwest-Rundfunk und 398 35 570 -Rundfunk Nordwest vom Deutschen Patentund Markenamt als schutzfähig angesehen worden seien. Des Weiteren sei sie Inhaberin der nationalen Marken 1 016 611 -Südwestfunk, 1 125 950 -SÜDWEST 3, 395 05 574 -SÜDWESTFUNK, 395 28 261 -SÜDWEST 3 nichts liegt näher, 398 33 824 -Südwest Baden Württemberg, 398 33 829 -Südwest Rheinland-Pfalz, 398 33 831 -Südwest und 398 67 643 -SWR Südwest Werbung GmbH. Ihr gehöre auch die Marke 397 25 443 -Südwestfernsehen, die am 14. Mai 1998 für eine Vielzahl von Klassen umfassendes Waren und Dienstleistungsverzeichnis eingetragen worden sei. Des Weiteren verweist die Beschwerdeführerin auf die Eintragungen "Badenradio", "Kurpfalzradio" und "Schwabenradio" sowie die Gemeinschaftsmarken 738 450 -Rheinland-Pfalz Fernsehen, 1 234 798 -Fernsehen Brandenburg, 716 829 -Südwestfernsehen, 714 303 -Südwest-Online, 782 458 -SÜDWEST-TEXT und 899 773 -Südwestwerbung. Darüber hinaus hat die Anmelderin ausgeführt, dass das beanspruchte Zeichen für alle angemeldeten Waren und Dienstleistungen schutzfähig sei, da es keinen beschreibenden Sinngehalt vermittle und der Bestandteil "Südwest" einen großen Schutzumfang aufweise. Auch sei die Buchstabenfolge "SWR" als Abkürzung für Südwestrundfunk den beteiligten Verkehrskreisen hinlänglich bekannt.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2003 hat die Markenstelle für Klasse 38 die Anmeldung teilweise zurückgewiesen, nämlich für die Waren und Dienstleistungen

"Bespielte mechanische, magnetische, magnetooptische, optische und elektronische Träger für Ton und/oder Bild und/oder Daten; Spielprogramme für Computer; Datenprogramme; Computer-Software; netzwerkunterstützende Computer-Software (Netware); Firmware; Werbung und Marketing für Dritte; Veranstaltung von Hörfunkund Fernsehsendungen/-programmen; Verbreitung, Verteilung und Weiterleitung von Fernseh-, Hörfunk-, Telekommunikationsund Informationssignalen über kabelfreie und/oder kabelgebundene digitale und analoge Netze, auch im Onlineund Offline-Betrieb sowie mittels Computer; Veranstaltung und Betrieb von interaktiven elektronischen Mediendiensten; Sammeln und Liefern von Nachrichten; Betrieb von Datendiensten".

Sie hat ihre Entscheidung damit begründet, dass das angemeldete Zeichen "Südwest-TV" freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig sei. Der Bestandteil "TV" sei die gängige, auch in der deutschen Sprache verwendete Abkürzung für "Television" und bedeute "Fernsehen". Bei "Südwest" handele es sich um eine Himmelsrichtungsangabe, die ein räumlich beschreibender Begriff der Umgangssprache sei und auf Südwestdeutschland hinweise. In seiner Gesamtheit beschreibe das angemeldete Zeichen unmittelbar die Waren und Dienstleistungen, die von einem Fernsehprogramm aus dem Südwesten Deutschlands stammten oder für dieses bestimmt seien. So könnten die Waren entsprechende Programminhalte aufweisen oder die Nutzung eines solchen Programms ermöglichen. Die Dienstleistungen würden typischerweise von einem Fernsehsender erbracht oder sich thematisch mit den Belangen Südwestdeutschlands auseinandersetzen. Fernsehsendern, die in dem großflächigen, mehrere Bundesländer umfassenden Gebiet Südwestdeutschlands tätig seien bzw. dort ausstrahlten, müsse die Verwendung des beschreibenden Hinweises auf ihr Sendegebiet und ihrer Inhalte möglich bleiben. Ein Bezug zu dem bekannten Sender "Südwestrundfunk" dränge sich bei dem angemeldeten Zeichen darüber hinaus nicht auf. Auch sei nicht ersichtlich, dass sich die Bezeichnung "Südwest" zu einem ausschließlichen Hinweis auf die Anmelderin entwickelt habe. Die von ihr geltend gemachten Voreintragungen, insbesondere die jeweiligen Begriffskombinationen, seien nicht vergleichbar. Zudem begründeten sie auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes und des Vertrauensschutzes keinen Anspruch auf Eintragung. Schließlich sei die Verkehrsdurchsetzung der Begriffe "Südwest" oder "Südwest-TV" weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie beantragt, den Beschluss vom 17. Dezember 2003 aufzuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist.

Hilfsweise regt sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG an.

Sie hält das angemeldete Zeichen für unterscheidungskräftig und verweist in diesem Zusammenhang auf die nationalen Marken 396 08 292 -NORDOST FLATLINE, 303 15 929 -NORDOST Research, 399 67 183 -südost, 396 02 795 -Südwest Presse, 301 47 409 -Nordwest-Medien, 301 47 407 -Nordwest-Zeitung, 303 28 449 -Nordwest-Direkt, 305 69 191 -Nordwest TV, 101 66 11 -Südwestfunk, 395 05 574 -SÜDWESTFUNK, 398 33 831 -SÜD-WEST, 397 25 443 -Südwestfernsehen, 398 35 566 -Nordwest-Radio, 398 35 567 -Radio Nordwest, 398 35 568 -Nordwest-Rundfunk, 398 35 570 -Rundfunk Nordwest, 398 35 881 -Nordwestfunk, 398 46 082 -WEST net sowie 398 23 614 -Media West und die Gemeinschaftsmarken 714 303 -Südwest Online, 716 829 -Südwestfernsehen, 891 333 -Nordwest-Radio, 782 458 -SÜDWEST-TEXT, 891 416 -Rundfunk Nordwest, 891 382 -Radio Nordwest, 891 358 -Nordwest-Rundfunk sowie 908 061 -WEST Music. Das Deutsche Patentund Markenamt sei wegen des Gebots der Gleichbehandlung an allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze und an eine einheitliche Spruchpraxis gebunden. Auch der Beschluss des BPatG 29 W (pat) 377/99 -Nordwestfunk vom 25. April 2001 und das Ergebnis der unter dem Begriff "Südwest TV" durchgeführten Google-Recherche sprächen für die Eintragbarkeit des angemeldeten Zeichens. Des Weiteren macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die vom Senat ermittelten Recherchebelege nicht die Gesamtbezeichnung "Südwest TV" beträfen. Selbst wenn das Bundesland Baden-Württemberg als Südwesten bezeichnet werden sollte, so sei doch zu berücksichtigen, dass das Programm der Beschwerdeführerin nicht nur in diesem Bundesland, sondern auch in Rheinland-Pfalz angeboten werde. Insofern sei eine eindeutige Zuordnung nicht möglich. Die Kombination der Bezeichnung einer Himmelsrichtung mit einer beschreibenden Angabe wie "Rundfunk", "TV", "Fernsehen", "Radio" oder "Funk" werde auf Grund der Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem hier maßgeblichen Warenund Dienstleistungsgebiet vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis angesehen. Dies werde auch durch die Urteile des Landgerichts Hamburg in den Verfahren 315 O 488/99 und 315 O 655/98, des Oberandesgerichts Hamburg in dem Verfahren 3 U 237/99 und des OLG Karlsruhe in dem Verfahren 6 U 8/98 bestätigt. Sie würden darüber hinaus für die hilfsweise geltend gemachte Verkehrsdurchsetzung der Bezeichnung "Südwest" und damit auch des Zeichens "Südwest-TV" sprechen. Der Grad der Bekanntheit der Beschwerdeführerin habe sich ausweislich einer Verbrauchsund Medienanalyse aus dem Jahr 2007 durch das Hinzutreten neuer privater Sender nicht geändert. Zudem würden private Fernsehanbieter Himmelsrichtungsangaben nicht als Bezeichnung verwenden. Schließlich bestehe an dem angemeldeten Zeichen weder ein gegenwärtiges noch ein zukünftiges Freihaltebedürfnis.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 ist dem Präsidenten des Deutschen Patentund Markenamts anheimgegeben worden, dem Beschwerdeverfahren beizutreten. Der Senat hat die Entscheidung damit begründet, dass geprüft werden müsse, nach welchen allgemeinen Vorgaben die Eintragung vergleichbarer Marken erfolge und aus welchen sachlichen Gründen die Markenstelle bei der beschwerdegegenständlichen Anmeldung von der durch zahlreiche Voreintragungen begründeten Eintragungspraxis abgewichen sei. Sie erscheine somit nicht als einheitlich. Die Gründe für ein Abweichen müssten sich zudem aus dem Zurückweisungbeschluss ergeben.

Der Präsident hat den Beitritt zum Verfahren erklärt und sowohl schriftlich als auch mündlich in der Verhandlung am 20. Juni 2007 dargelegt, dass Voreintragungen identischer oder ähnlicher Marken nach ständiger nationaler und europäischer Rechtsprechung auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Grundrechtsverletzung und des Vertrauensschutzes keine Bindungswirkung entfalten könnten. Die Entscheidung über die Eintragungsfähigkeit einer Marke sei keine Ermessens-, sondern eine im Einzelfall zu treffende gebundene Entscheidung. Anträge wurden seitens des Präsidenten des Deutschen Patentund Markenamts nicht gestellt.

Der Senat hat die Verfahren 29 W (pat) 36/04, 29 W (pat) 125/05, 29 W (pat) 5/06, 29 W (pat) 13/06 und 29 W (pat) 65/06 gemäß § 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 147 ZPO miteinander verbunden, da sie in rechtlichem Zusammenhang stehen.

II.

1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 vom 17. Dezember 2003 war unter Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patentund Markenamt aufzuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist. Er entspricht nicht den Vorgaben des Beschlusses des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Februar 2009 betreffend die verbundenen Rechtssachen C-39/08 (Wort-/Bildmarken Volks-Handy, Volks-Camcorder und Volks-Kredit) und C-43/08 (Wortmarke SCHWABENPOST). Darin hat er in Rdnr. 17 festgestellt, dass zwar keine Bindungswirkung von Vorentscheidungen besteht. Jedoch muss eine nationale Behörde bei der Prüfung einer Anmeldung die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen früheren Entscheidungen berücksichtigen und dabei besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht. Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung des allgemeinen rechtsstaatlichen, in jeder Verfahrensordnung -gleich ob Gerichtsoder Verwaltungsverfahren -geltenden Gebots, dem jeweiligen Adressaten einer ihn belastenden Entscheidung auch die wesentlichen Gründe, die die Entscheidung tragen und für sie kausal sind, mitzuteilen sind. Dieser Grundsatz gilt gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 MarkenG auch für das Markeneintragungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt. Es besteht also nicht nur die Verpflichtung zur Einbeziehung von Vorentscheidungen in die Entscheidungsfindung als solche, sondern diese Überlegungen müssen für den Adressaten auch erkennbar sein. Dazu bedarf es entsprechender Ausführungen zu allen geltend gemachten Voreintragungen in der die Anmeldung zurückweisenden Entscheidung.

Dies bedingt eine Pflicht zum Vergleich des angemeldeten mit den eingetragenen vergleichbaren Zeichen. Diesen vom Gerichtshof geforderten Vergleich muss das Deutsche Patentund Markenamt als zuständige nationale Behörde anstellen und gegebenenfalls die Gründe für eine differenzierte Beurteilung angeben oder aber, wenn es die Voreintragungen für rechtswidrig hält, dies zum Ausdruck bringen. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist der Forderung des Gerichtshofs in Rdnr. 18 der oben genannten Entscheidung, dass "der Gleichbehandlungsgrundsatz in Einklang gebracht werden [muss] mit dem Gebot rechtmäßigen Handelns", Genüge getan. Dies entspricht im Übrigen auch der von der Europäischen Kommission in ihrer Stellungnahme von 13. Juni 2008 in Rdnr. 21 vertretenen Ansicht, dass das Gericht "unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht und nicht unter demjenigen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes dazu verpflichtet ist, konkreten Hinweisen auf eine wettbewerbsverzerrende Ungleichbehandlung nachzugehen und dabei Vorentscheidungen der Behörde in gleich gelagerten Fällen in die Prüfung einzubeziehen oder gegebenenfalls das Verbot einer festgestellten wettbewerbsverzerrenden Diskriminierung zu berücksichtigen" hat.

a) Der hier angefochtene Beschluss vom 17. Dezember 2003 enthält keine derartige Begründung. Er geht auf die von der Beschwerdeführerin schon vor dem Deutschen Patentund Markenamt geltend gemachten Voreintragungen -insbesondere diejenien für sie selbst -nicht konkret ein, sondern beschränkt sich auf allgemeine Ausführungen zur fehlenden Vergleichbarkeit und Bindungswirkung der genannten Voreintragungen. Diese treffen im Prinzip zwar zu, sind jedoch nicht losgelöst davon zu sehen, dass die Exekutive -insbesondere unter dem Aspekt gleicher Wettbewerbschancen für Konkurrenten und dem Aspekt der Rechtssicherheit im Hinblick auf den Aufbau einer Markenfamilie derselben Markeninhaberin -bei der Abwägung grundsätzlich auch das Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten hat. Insoweit liegt ein wesentlicher erfahrensfehler vor. Zudem hat die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren weitere Voreintragungen geltend gemacht, die das Deutsche Patentund Markenamt in seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, jedoch für die Ermittlung der aktuellen Wahrnehmungsgewohnheiten in der beanspruchten Branche von Bedeutung sein können. Dementsprechend übt der Senat sein ihm nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 und 3 MarkenG eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er das Verfahren zur vergleichenden Würdigung der Vorentscheidungen in materiellrechtlicher Hinsicht entsprechend Rdnr. 17 der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Februar 2009 und zur Nachholung der Begründung gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 MarkenG zurückverweist. Dies gilt vor allem unter dem Aspekt, dass das Amt als zuständige Behörde die Frage der Vergleichbarkeit der Voreintragungen bislang noch nicht geprüft hat, ihm aber als gesetzesvollziehende Gewalt hier das erste Prüfungsrecht zukommt. Dabei spielt der Gedanke des Instanzgewinns bzw. -verlusts keine Rolle, da es sich im Verhältnis zwischen Deutschem Patentund Markenamt und Bundespatentgericht nicht um Instanzen, sondern um Exekutive und Judikative als grundsätzlich verschiedene Gewalten im Sinne der Gewaltenteilung handelt.

Dem Deutschen Patentund Markenamt ist die Vergleichsüberprüfung im Hinblick auf die von ihm selbst eingetragenen Marken auch möglich, da es "in dieser Hinsicht über Informationen verfügt" (vgl. EuGH, a. a. O., Rdnr. 17). Denn das neue, im Mai 2006 in Betrieb genommene Datenverarbeitungssystem des Amtes dient u. a. der "Harmonisierung der Prüfungsund Entscheidungspraxis" (vgl. Jahresbericht DPMA 2006, S. 20).

b) Es darf hierbei jedoch nicht die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin übersehen werden, handelt es sich doch bei der Entscheidung über die Registrierbarkeit eines Zeichens um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt. Die für das Verfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt geltende Amtsermittlungspflicht hat ihre Grenze im Maß des Zumutbaren. Das Amt muss nicht jeder noch so geringfügigen Ähnlichkeit nachgehen. Die immanente Einschränkung der Amtsermittlung liegt nämlich in der materiellen Mitwirkungslast der Beschwerdeführerin in Bezug auf Tatsachen, die für ihren Anspruch auf Eintragung sprechen (vgl. Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, Band 1 Markenverfahrensrecht, Rdnr. 232; Kopp/Ramsauer, VerwVerfG, 9. Auflage, § 24, Rdnr. 42). Auch sie muss in ihrem Vortrag auf entsprechende Vorentscheidungen hinweisen und diese unter Nennung der entsprechenden Waren und Dienstleistungen belegen. Die Beschwerdeführerin hat dabei zu berücksichtigen, dass nicht jede irgendwie geartete Vorentscheidung heranzuziehen ist, sondern der Vergleich mit Vorentscheidungen nur dann vernünftigerweise vom Amt angestellt werden kann, wenn sich nicht ohne weiteres und sofort die Unterschiedlichkeit der Zeichen ergibt, und zwar -dies sei hervorgehoben unter Zugrundelegung der jeweils eingetragenen Waren und Dienstleistungen sowie des Zeitpunkts der Eintragung. Die Beschwerdeführerin hat daher bei der Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich der Existenz vergleichbarer Voreintragungen und Zurückweisungen einschließlich gerichtlicher Vorentscheidungen, mitzuwirken und ihren diesbezüglichen Sachvortrag entsprechend zu substantiieren (vgl. BPatG 29 W (pat) 49/07 -Traunsteiner Anzeigen-Kurier).

Dieser Mitwirkungspflicht muss in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens vor der Markenstelle nachgekommen werden. In der Regel ist folglich bereits in der Erwiderung auf das Schreiben, mit dem erstmals die mangelnde Schutzfähigkeit des Zeichens beanstandet wird, auf Voreintragungen und Zurückweisungen hinzuweisen. Wird von dem Anmelder nichts vorgetragen und sind für das Amt auch keine einschlägigen Vorentscheidungen ersichtlich, so ist der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geforderten Begründungspflicht Genüge getan, wenn es diesen Umstand darlegt.

Die Beschwerdeführerin ist vorliegend zwar ihrer Mitwirkungspflicht, frühzeitig für ihren Anspruch auf Eintragung sprechende Tatsachen zu nennen und auf Vorentscheidungen hinzuweisen, nachgekommen. Jedoch hat sie zu fast allen vor dem Deutschen Patentund Markenamt und dem Bundespatentgericht geltend gemachten Voreintragungen die jeweils geschützten Waren bzw. Dienstleistungen und die einzelnen Eintragungszeitpunkte nicht genannt, so dass eine umfassende Vergleichsüberprüfung nicht möglich ist, zumal keine Registerauszüge eingereicht worden sind. Im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht hat die Beschwerdeführerin eingehend zu prüfen, ob die von ihr angeführten Voreintragungen, insbesondere im Hinblick auf die Marken als solche, dem beanspruchten Zeichen entsprechen. Vorliegend hat sie nicht in ausreichendem Umfang die Zeichen und die Waren bzw. Dienstleistungen miteinander verglichen. So handelt es sich beispielsweise bei den Marken 395 28 261 -SÜDWEST 3 nichts liegt näher, 398 33 824 -SÜD-WEST BADEN-WÜRTTEMBERG, 398 33 829 -SÜDWEST RHEIN-LAND-PFALZ oder 398 33 831 -SÜDWEST um Wort-/Bildmarken, die bereits auf Grund ihrer graphischen Ausgestaltung schutzfähig sein können. Nur wenn es sich um identische oder sehr ähnliche Zeichen handelt und dementsprechend genügend Gemeinsamkeiten festzustellen sind, können Voreintragungen jedoch zur Begründung des Anspruchs auf Eintragung gemäß § 33 Abs. 2 MarkenG herangezogen werden. Es ist nicht allein Aufgabe der Markenstelle oder des Gerichts, aus einer Vielzahl geltend gemachter Voreintragungen die passenden auszusuchen. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin selbst eine strenge Vorauswahl zu treffen und lediglich die ernsthaft in Betracht kommenden nationalen Voreintragungen in ihren Vortrag einzubeziehen.

Darüber hinaus sind die von der Beschwerdeführerin genannten nationalen Eintragungen 398 35 567 -Radio Nordwest, 398 35 566 -Nordwest-Radio, 398 35 568 -Nordwest-Rundfunk, 398 35 570 -Rundfunk Nordwest, 1 125 950 -SÜDWEST 3, 398 67 643 -SWR Südwest Werbung GmbH, 398 35 881 -Nordwestfunk, 398 46 082 -WEST net und 398 23 614 -Media West im Markenregister gelöscht. Insofern können sie zur Vergleichsüberprüfung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr herangezogen werden.

Schließlich sind die weiterhin von ihr geltend gemachten Eintragungen des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt nicht in die Überlegungen mit einzubeziehen, da sich der Vergleich auf die vom Deutschen Patentund Markenamt vorgenommenen Eintragungen und Zurückweisungen beschränkt. Im Übrigen hat sie auf die Gemeinschaftsmarken 738 450 -Rheinland-Pfalz Fernsehen, 782 458 -SÜDWEST-TEXT, 899 773 -Südwestwerbung, 891 416 -Rundfunk Nordwest, 891 382 -Radio Nordwest, 891 358 -Nordwest-Rundfunk und 908 061 -WEST Music; Bezug genommen, die ebenfalls bereits gelöscht sind.

c) Die Begründungspflicht des Deutschen Patentund Markenamts liegt darin, die Differenzierung darzulegen und ggf. rechtswidrige Eintragungen als solche erkennbar zu machen. Dabei sind allerdings Veränderungen der Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums über einen länger zusammenhängenden Zeitraum mit einzubeziehen, die zu einer anderen Beurteilung der Unterscheidungskraft eines Zeichens führen können (vgl. BGH I ZB 48/08, Beschluss vom 4. Dezember 2008 -Willkommen im Leben). Insbesondere erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Privatisierung von Rundfunkund Fernsehsendern und die damit einhergehenden Kennzeichnungsgewohnheiten die Sichtweise der Verbraucher beeinflusst haben. Eine neue Beurteilung kann demzufolge zu einer Änderung der Rechtsprechung und der generellen Eintragungspraxis des Deutschen Patentund Markenamts, die etwa in Richtlinien oder allgemeinen Mitteilungen niedergelegt und damit für die Prüfer des Amtes verbindlich ist, führen.

Ob die Beschwerdeführerin ein Löschungsverfahren nach §§ 50, 54 MarkenG im Hinblick auf rechtswidrig eingetragene Marken einleitet, bleibt ihr überlassen. Dem Amt ist es gesetzlich verwehrt, entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG vorgenommene Eintragungen von Amts wegen der Löschung zuzuführen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zwecks Fortbildung des Rechts gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zugelassen.

Grabrucker Kopacek Dr. Kortbein Hu






BPatG:
Beschluss v. 05.08.2009
Az: 29 W (pat) 36/04


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