Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 6. Juni 2005
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VIII 110/05

(OLG Hamm: Beschluss v. 06.06.2005, Az.: 2 (s) Sbd. VIII 110/05)

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Dem ehemaligen Angeklagten wurden in mehreren Verfahren Straftaten vorgeworfen. Gegenstand des führenden Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn war eine räuberische Erpressung. In diesem Verfahren ist der Antragsteller erstmals als Wahlverteidiger tätig geworden am 1. Juli 2004, seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger erfolgte in der Hauptverhandlung am 3. März 2005.

In diesem Verfahren, in dem die Anklage am 19. November 2004 beim Amtsgericht eingegangen ist, hat der Antragsteller folgende Leistungen für den ehemaligen Angeklagten, der sich seit dem 1. Juli 2004 nach seiner an diesem Tag erfolgten vorläufigen Festnahme bis zum 8. Juli 2004 in Untersuchungshaft befunden hat, erbracht: Der Antragsteller hat am 1. Juli 2004 an einem Hafttermin teilgenommen. In diesem Termin ist der ehemalige Angeklagte ausweislich des Protokolls eingehend zur Sache vernommen worden, der Antragsteller hat zudem die Vernehmung von zwei Zeugen beantragt und beantragt, den Erlass eines Haftbefehls zurückzuweisen. Er hat außerdem am 8. Juli 2004 an einem Haftprüfungstermin teilgenommen, in dem der Haftbefehl vom 1. Juli 2004 außer Vollzug gesetzt worden ist.

Im Hauptverhandlungstermin am 3. März sind weitere Verfahren zu dem führenden Verfahren hinzuverbunden worden. In den beiden Verfahren 441 Js 461/04 StA Paderborn und 221 Js 1114/04 StA Paderborn war der Antragsteller bis dahin nicht tätig gewesen. Im Verfahren 221 Js 288/04 hatte er bereits Akteneinsicht erhalten und Schreiben und Anträge verfasst. In dem Verfahren 221 Js 704/04 hatte er ebenfalls bereits Akteneinsicht erhalten und zudem Schreiben und Anträge verfasst. Der Antragsteller ist nach Verbindung der Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Im Verbindungsbeschluss ist nicht die "Erstreckung" ausgesprochen worden.

Die Hauptverhandlung beim Amtsgericht hat 2 Stunden und 25 Minuten gedauert. Das Urteil des Amtsgerichts ist noch in der Hauptverhandlung rechtskräftig geworden.

Der Antragsteller beantragt eine Pauschgebühr. Er beantragt im Verfahren 221 Js 288/04 die Erhöhung nach seiner Ansicht noch gegebenen Gebühr der §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Satz 3, 97 BRAGO von 100 € um mindestens 25 € auf 125 €, da es in dem Verfahren auch um die Entziehung der Fahrerlaubnis gegangen sei. Der Vertreter der Staatskasse hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, dass das Verfahren nicht besonders umfangreich gewesen sei und der Antragsteller zudem durch die gesetzlichen Gebühren, die er in Höhe von 1.631 € als gegeben ansieht, ausreichend entlohnt werde.

I.

1.

Auf den Antrag des Antragstellers ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar. Der Antragsteller ist am 3. März 2005 beigeordnet worden, so dass gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative RVG das RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist (vgl. dazu eingehend Senat im Beschluss vom 10. Januar 2005 2 (s) Sbd. 268 u.a./04; RVGreport 2005, 68 = StraFo 2005, 130 = NStZ-RR 2005, 127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117; OLG Schleswig RVGreport 2005, 29; KG RVGreport 2005, 100 und 187; OLG Celle RVGreport 2005, 142, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der insoweit herrschenden Literaturmeinung; alle Beschlüsse auch auf www.burhoff.de).

Es ist auch auf das gesamte Verfahren das RVG anwendbar und nicht etwa auf einzelne Teile (noch) die BRAGO. Die hinzu verbundenen Verfahren haben ihre gebührenrechtliche Selbständigkeit durch die Verbindung verloren. Aus den vor der Verbindung vorliegenden fünf Angelegenheiten i.S. des § 15 RVG sind durch die Verbindung eine Angelegenheit geworden, auf die das RVG Anwendung findet. Es stellt sich vorliegend insoweit auch nicht die Problematik der Erstreckung im Sinne des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG. Diese stellt sich nur, wenn der Rechtsanwalt in einem von mehreren Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet ist und zu diesem Verfahren dann weitere Verfahren, in denen er nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet ist, hinzu verbunden werden (vgl. zur Erstreckung Burhoff RVGreport 2004, 411). Vorliegend sind jedoch die Verfahren zunächst verbunden worden und danach ist dann die Beiordnung des Antragstellers in dem (verbundenen) Verfahren erfolgt. Diese Problematik löst sich hinsichtlich der vom Antragsteller in den verbundenen Verfahren erbrachten Tätigkeiten über § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG.

II.

Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr war indes abzulehnen. Hinsichtlich der vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht gegeben. Das Verfahren war weder "besonders schwierig" noch "besonders umfangreich" im Sinn des § 51 RVG. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller nur für einen einzelnen Verfahrensabschnitt oder für das gesamte Verfahren eine Pauschgebühr beantragt hat.

1.

Das Verfahren war nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. Der Senat hat bereits in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass er zur Frage, wann ein Verfahren "besonders schwierig" ist, an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO festhält, da das RVG insoweit keine Änderungen gebracht hat (vgl. dazu u.a. Beschluss des Senats vom 10. 1. 2005, a.a.O.; Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 18). Auf diesen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kommt es maßgeblich auf die Einschätzung des Vorsitzenden an (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 10. Januar 2005 m.w.N.). Dieser hat aber das Verfahren, das verhältnismäßig einfache Sachverhalte zum Gegenstand hatte, als nicht "besonders schwierig" angesehen. Von dieser Einschätzung abzuweichen, besteht für den Senat kein Anlass. Dieser folgt auch nicht aus dem Umstand, dass insgesamt fünf Verfahren miteinander verbunden worden sind. Das hat das Verfahren noch nicht so unübersichtlich gemacht, dass es deshalb als "besonders schwierig" anzusehen wäre.

2.

Das Verfahren war für den Antragsteller auch nicht "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG. Die Hauptverhandlung beim Schöffengericht hat 2 Stunden 25 Minuten gedauert und war damit für eine Hauptverhandlung beim Schöffengericht allenfalls durchschnittlich. Es ist nur ein Zeuge vernommen worden. Das ergangene Urteil ist sofort rechtskräftig geworden. Auch die Tätigkeiten in den übrigen Verfahrensabschnitten machen das Verfahren nicht zu einem "besonders umfangreichen", wobei nicht übersehen werden darf, dass dem Antragsteller für seine Tätigkeit in den Haftprüfungsterminen eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG zusteht. Soweit der Antragsteller - allerdings bezogen auf die von ihm noch nach der BRAGO berechneten gesetzlichen Gebühren - allein eine Erhöhung geltend macht wegen der von ihm erbrachten Tätigkeiten im Hinblick auf die (drohende) Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn, ist nicht ersichtlich, welche besonderen Tätigkeiten er erbracht hat, die die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen würden bzw. könnten.

Selbst wenn das Verfahren aber "besonders umfangreich" sein sollte, stünde der Gewährung einer Pauschgebühr entgegen, dass die dem Antragsteller zustehende gesetzliche Vergütung im Hinblick auf die von ihm erbrachten Tätigkeiten nicht "unzumutbar" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ist. Unabhängig davon, ob die gesetzlichen Gebühren vom Vertreter der Staatskasse mit 1.631,00 € zutreffend berechnet worden sind (vgl. dazu unten unter III) stehen dem Antragsteller Gebühren in einer Höhe zu, die die "Unzumutbarkeit" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ausschließen (vgl. auch dazu Senat im o.a. Beschluss vom 10. Januar 2005). Nach allem war damit der Antrag abzulehnen.

III.

Die Berechnung der gesetzlichen Gebühren durch den Vertreter der Staatskasse gibt dem Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:

a) Zutreffend ist, dass der Vertreter der Staatskasse bei der Berechnung der gesetzlichen Gebühren nur die Tätigkeiten des Antragstellers im (führenden) Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn und in den Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn berücksichtigt hat. Nur in diesen Verfahren war der Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten vor der Verbindung tätig. Nur insoweit kann über die Regelung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG die Berücksichtigung von vor der Verbindung erbrachten Tätigkeiten in Betracht kommen. § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG führt nicht dazu, dass nicht erbrachte Tätigkeiten vergütet werden (Burhoff RVGreport 2004, 411 ff.).

b) Zutreffend ist es auch, dass der Vertreter der Staatskasse hinsichtlich der Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn nicht auch auf § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG und damit auf eine (vorliegend nicht erfolgte) Erstreckung abgestellt hat. Es ist bereits darauf hingewiesen, dass hier die Grundsätze der Erstreckung nicht zum Tragen kommen, da die Verbindung der Verfahren vor Beiordnung des Antragstellers erfolgt ist.

c) Unzutreffend ist allerdings die Berechnung der gesetzlichen Gebühren. Soweit der Vertreter der Staatskasse dem Antragsteller entsprechend seinem Antrag im Festsetzungsantrag vom 18. März 2005 zwei Terminsgebühren nach Nr. 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG gewähren will, ist offensichtlich die Beschränkung des Satzes der Anmerkung zu Nr. 4102 VV RVG übersehen worden. Danach entsteht die Gebühr im vorbereitenden Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen (nur) einmal (vgl. dazu eingehend, Burhoff, a.a.O., Nr. 4102 VV RVG Rn. 43 ff.; Burhoff RVGreport 2004, 245). Daher ist für die Teilnahme an den beiden Haftprüfungsterminen am 1. und 8. Juli 2004 nur eine Terminsgebühr nach Nr. 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG entstanden.

In dem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass es allerdings zutreffend ist, wenn der Vertreter der Staatskasse auch hinsichtlich des Termins vom 1. Juli 2004 von einem Hafttermin im Sinne der Nr. 4102 Ziffer 3 VV RVG ausgegangen ist. Denn auch in diesem ist durch die Benennung der beiden Zeugen zu dem dem ehemaligen Angeklagten gemachten Vorwurf und dessen umfangreiche Einlassung zur Tat im Sinne des Nr. 4102 Ziffer 3 VV RVG "über die Anordnung der ..... Untersuchungshaft .... verhandelt worden" (vgl. dazu Burhoff, a.a.O., Nr. 4102 VV RVG Rn. 23 ff.). Es hat sich nicht um einen reinen Haftbefehlsverkündungstermin gehandelt, für den die Gebühr nicht angefallen wäre (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 223; Burhoff, a.a.O., Nr. 4102 VV RVG Rn. 25 f.).

d) Unzutreffend ist es auch, wenn der Vertreter der Staatskasse dem Antragsteller in den Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn für das gerichtliche Verfahren eine Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV RVG zubilligen will.

Zu Recht geht der Vertreter der Staatskasse allerdings davon ausgeht, dass in beiden Verfahren eine gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden ist, da in beiden Verfahren bereits Anklage erhoben und somit das vorbereitende Verfahren beendet war (vgl. Anmerkung zu Nr. 4104 VV RVG). Der Antragsteller ist auch im gerichtlichen Verfahren tätig geworden, da ihm die Anklageschrift vom Gericht zugestellt worden ist.

Die dem Antragsteller zustehende Verfahrensgebühr ist jedoch nicht mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV RVG entstanden, sondern nur als Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG. Zwar hat sich der ehemalige Anklagte nach den Zeitpunkten der Erhebung der Anklagen am 20. April 2004 und am 5. Juli 2004 noch ab 1. Juli 2004 in Untersuchungshaft befunden, bis der Haftbefehl gegen ihn am 8. Juli 2004 außer Vollzug gesetzt worden ist. Damit wären grundsätzlich die Voraussetzungen für die Gewährung einer gerichtlichen Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach der Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG in Verbindung mit Nr. 4104 VV RVG erfüllt. Der Vertreter der Staatskasse übersieht jedoch, dass sich der ehemalige Angeklagte nicht in den Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn in Untersuchungshaft befunden hat, sondern nur in dem (führenden) Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn. Daher kann auch nur in dem Verfahren eine Gebühr mit Zuschlag entstehen. Aus der Verbindung der Verfahren und aus § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG folgt nichts anderes. Diese führt nicht dazu, dass nicht erbrachte Leistungen vergütet werden. Die durch die Untersuchungshaft entstehenden Erschwernisse, die durch die Gewährung des Zuschlags nach Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG abgegolten werden sollen, sind nur im Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn entstanden.

Demgemäss hat der Antragsteller nur folgende gesetzliche Gebühren verdient:

Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn, in dem der ehemaligen Angeklagte inhaftiert war:

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 162,00 €

Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104, 4105 VV RVG 137,00 €

Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Ziff. 2, 4103 VV RVG 137,00 €

Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 €

Terminsgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4108 VV RVG 184,00 €

insgesamt also 732,00 €

Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,00 €

Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG 112,00 €

Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 €

insgesamt also 356,00 €

Verfahren 221 Js 704/04 StA Paderborn

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,00 €

Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG 112,00 €

Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 €

insgesamt also 356,00 €

damit also insgesamt 1.444,00 €






OLG Hamm:
Beschluss v. 06.06.2005
Az: 2 (s) Sbd. VIII 110/05


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