Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Mai 2006
Aktenzeichen: 21 W (pat) 309/04

(BPatG: Beschluss v. 09.05.2006, Az.: 21 W (pat) 309/04)

Tenor

Nach Prüfung der Einsprüche wird das Patent widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 16. August 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das nachgesuchte Patent unter der Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz" erteilt worden; die Veröffentlichung der Erteilung ist am 28. August 2003 erfolgt.

Gegen das Patent sind drei Einsprüche erhoben worden.

Die Patentinhaberin verteidigt das Patent im Rahmen der erteilten Patentansprüche 1 bis 16 und hilfsweise im Rahmen von in der mündlichen Verhandlung vorgelegten neuen Patentansprüchen 1 bis 15 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 sowie weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 14 gemäß Hilfsantrag 3.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag (Merkmalsgliederung hinzugefügt) lautet:

M1 Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz, umfassend die Schritte:

M2 a) Bereitstellung eines Rohlings, M3 b) Bearbeiten des Rohlings durch fräsende Verfahren, M4 c) Dichtsintern des Rohlings in einem Temperaturbereich von 1300 bis 1650¡C, M5 wobei der Rohling ein vorgesintertes Material umfasst und M6 eine Rohbruchfestigkeit von 15 bis 30 MPa aufweist.

Der nebengeordnete Patentanspruch 6 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 lautet:

M1 Vorgesinterter Rohling aus Zirkonoxidkeramik, enthaltend:

M2 A) 91 bis 98,45 Gew.-% Zirkonoxid, M3 B) 0 bis 3,5 Gew.-% Hafniumoxid, M4 C) 1,5 bis 6,0 Gew.-% Yttriumoxid, M5 D) 0,05 bis 0,50 Gew.-% mindestens eines der Oxide der Elemente Aluminium, Gallium, Germanium, Indium, Zinn, Blei, der Lanthanide, M6 E) 0 bis 1,9 Gew.-% färbende Zusätze (als Oxide gerechnet), M7 wobei sich die Gew.-% zu 100 ergänzen müssen und M8 der Rohling eine Rohbruchfestigkeit von 15 bis 30 MPa aufweist.

Der nebengeordnete Patentanspruch 6 gemäß Hilfsantrag 3 lautet:

M1 Vorgesinterter Rohling enthaltend:

M2 A) 91 bis 98,35 Gew.-% Zirkonoxid, M3 B) 0 bis 2,5 Gew.-% Hafniumoxid, M4 C) 1,5 bis 6,0 Gew.-% Yttriumoxid, M5 D) 0,15 bis 0,50 Gew.-% mindestens eines der Oxide der Elemente Aluminium, Gallium, Germanium, Indium, Zinn, Blei, der Lanthanide, M6 E) 0 bis 1,9 Gew.-% färbende Zusätze, M7 wobei sich die Gew.-% zu 100 ergänzen müssen und M8 der Rohling eine Rohbruchfestigkeit von 15 bis 30 MPa aufweist.

Bezüglich der weiteren Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Zur Begründung des Einspruchs haben die Einsprechenden u. a. auf folgende Druckschriften verwiesen:

D1 F. Filser et al., "All-Ceramic Dental Bridges by Direct Ceramic Machining (DCM)" in: Materials in Medicine, Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, Editors: M.O. Speidel, P.J. Uggowitzer, 1. Auflage 1988, S. 165-189 D2 Deutsche Norm "Dentalkeramik", DIN EN ISO 6872, März 1999 D3 Datenblatt der Firma Tosoh "Specification of zirkonia powder", Mai 1998 D4 Verkaufsprospekt der Firma Tosoh "New improved zironia powder", Oktober 1997 Hierzu führen die Einsprechenden im Wesentlichen aus, dass bei der Nacharbeitung der Lehre gemäß der Druckschrift D1 die beanspruchte Rohbruchfestigkeit zwangsläufig erhalten würde, wobei die Rohbruchfestigkeit auch lediglich eine intrinsische Eigenschaft oder spezifische Materialkenngröße von Dentalkeramiken darstellen würde. Da dem Fachmann aus dem Stand der Technik auch bekannt sei, dass die Rohlinge nicht zu weich sein dürfen, um beim fräsenden Bearbeiten nicht zu brechen, und nicht zu hart sein dürfen, um noch bearbeitet werden zu können, stelle die beanspruchte Rohbruchfestigkeit eine reine Optimierungsmaßnahme dar, die der Fachmann im Rahmen von normalen Entwicklungsversuchen ohne erfinderische Überlegungen zwangsläufig durchführen würde. Die Gegenstände des angegriffenen Patents seien daher durch den bekannten Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder zumindest durch diesen nahe gelegt.

Die Einsprechenden stellen übereinstimmend den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrecht zu erhalten, hilfsweise mit den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüchen 1 - 15 gemäß Hilfsantrag 1, den Patentansprüchen 1 - 15 gemäß Hilfsantrag 2, den Patentansprüchen 1 -14 gemäß Hilfsantrag 3.

Die Patentinhaberin hält die Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche für neu und erfinderisch. Sie führt im Wesentlichen aus, dass die beanspruchte Rohbruchfestigkeit nicht mit dem Parameter "Härte" gleichgesetzt werden könne und von vielen Parametern abhängen würde. Darüber hinaus sei aus dem Stand der Technik weder der Hinweis zu entnehmen, bei vorgesinterten Rohlingen unter einer Vielzahl von möglichen Materialeigenschaften die Rohbruchfestigkeit zur Charakterisierung auszuwählen noch den dazugehörigen beanspruchten engen Wertebereich von 15 bis 30 MPa. Es sei der Verdienst der Patentinhaberin, für die komplexen Probleme bei der Bearbeitung von Dentalkeramiken eine praktikable Lösung zur Herstellung von Dentalkeramiken durch die Berücksichtigung einer bestimmten Materialeigenschaft, nämlich der Rohbruchfestigkeit, gefunden zu haben.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegten Einsprüche sind zulässig, denn es sind innerhalb der Einspruchsfrist die den geltendgemachten Einspruchsgrund mangelnder Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. PatG) rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt, so dass die Patentinhaberin und insbesondere der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des behaupteten Widerrufsgrundes ziehen können.

Die Einsprüche haben Erfolg, denn die Gegenstände des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und der nebengeordneten Patentansprüche 6 gemäß Hilfsantrag 1, 2 und 3 beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§§ 1, 4 PatG), so dass das Patent zu widerrufen war (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 61 Abs. 1 PatG).

Der Streitpatentgegenstand betrifft u. a. ein Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz.

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung von passgenauen, hochpräzisen Zahnersatz bei gleichzeitig kürzeren Bearbeitungszeiten und geringerer Werkzeugabnutzung zur Verfügung zu stellen (siehe Patentschrift, Absatz [0014]).

Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Verfahrenstechnik, der Erfahrungen bei der Herstellung von Zahnersatz und insbesondere bei der Verarbeitung von Keramikmaterialien hat.

1. Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag Das im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beanspruchte Verfahren ist angesichts des aus der D1 bekannten Stand der Technik nicht neu.

Aus der Druckschrift D1 (siehe insbesondere die Fig. 1 und 3 mit zugehöriger Beschreibung Seite 167, 1. Absatz - Seite 170, Mitte) ist ein M1= Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz bekannt (siehe Titel), umfassend die Schritte:

M2= a) Bereitstellung eines Rohlings (siehe Fig. 1 "blank"), M3= b) Bearbeiten des Rohlings durch fräsende Verfahren (siehe Fig. 1 "machining"), M4= c) Dichtsintern des Rohlings in einem Temperaturbereich von 1500¡ C, M5= wobei der Rohling ein vorgesintertes Material umfasst (siehe Seite 169, letzter Absatz).

Dass der vorgesinterte Rohling gemäß der Merkmalsgruppe M6 eine Rohbruchfestigkeit von 15 bis 30 MPa aufweist, ist in der Druckschrift D1 explizit nicht erwähnt. Gemäß der Streitpatentschrift führen Rohlinge, deren Rohbruchfestigkeit außerhalb dieses Intervalls liegt, nicht zu brauchbaren Ergebnissen. Im Falle von kleineren Rohbruchfestigkeiten resultieren zu weiche Rohlinge, im Falle von höheren Rohbruchfestigkeiten erhält man zu harte Rohlinge, die jeweils mit den üblichen Bearbeitungsverfahren nicht bearbeitet werden können (siehe Patentschrift, Absatz [0018]). Dieser Sachverhalt ist ebenfalls in der Druckschrift D1 offenbart (siehe Seite 168, Absatz 1). Zur Erzielung der beanspruchten Rohbruchfestigkeit wird im Streitpatent jedoch lediglich offenbart, die Rohlinge bei einer Temperatur zwischen 850 und 1000 Grad mit einer Haltezeit zwischen 0,5 bis 4 Stunden vorzusintern (siehe Absatz [0039, 0049] und Anspruch 11). Gemäß der Druckschrift D1 werden die Rohlinge ebenfalls bei einer Temperatur von 850 Grad 2 Stunden lang vorgesintert (siehe Seite 168, Absatz nach "DCM for zirconia bridges" und Fig. 3), wobei es sich bei dem verwendeten Material um tetragonal stabilisiertes Zirkonoxid TZ-3YB der Firma Tosoh handelt, welches gemäß dem Datenblatt D3 ebenfalls die in der Streitpatentschrift beanspruchte (siehe z. B. Anspruch 7) Zusammensetzung aufweist. Da somit gemäß der Druckschrift D1 das gleiche Material unter gleichen Parametern wie in der Streitpatentschrift gesintert wird, entstehen auch vorgesinterte Rohlinge mit gleichen Eigenschaften. Weitere Parameter wie z. B. der Pressdruck des Zirkonoxid-Pulvers werden in der Streitpatentschrift nicht erwähnt, gemäß der Druckschrift D1 jedoch bei der Herstellung der Rohlinge über einen großen Bereich von 53 bis 300 MPa variiert (siehe Fig. 3), so dass bei einem möglichen Einfluss dieses Parameters auf die Eigenschaften des hergestellten Rohlings mögliche Variationen der Eigenschaften auch aus der D1 bekannt sind. Die gemäß der Druckschrift D1 vorgesinterten Rohlinge weisen demnach im Wesentlichen die gleichen Eigenschaften auf, wie die gemäß der Lehre des Streitpatents hergestellten Rohlinge.

Entgegen der Argumentation der Patentinhaberin stellt die Erkenntnis, dass die gemäß dem Stand der Technik bisher hergestellten vorgesinterten Rohlinge für Dentalkeramiken eine bestimmte vorteilhafte Eigenschaft aufweisen, lediglich eine Entdeckung dar. Der Fachmann wird nämlich beim Nacharbeiten der bekannten Lehre gemäß der Druckschrift D1 vielleicht unbewusst, jedoch regelmäßig Rohlinge mit der von der Anmelderin für sich reklamierten Rohbruchfestigkeit erzeugen. Das Auffinden dieser Rohbruchfestigkeit an sich stellt jedoch lediglich eine Entdeckung von bereits vorhandenen Materialeigenschaften dar.

Die Druckschrift D2 legt Anforderungen und Prüfverfahren für Dentalkeramiken fest, die zur Herstellung von festsitzenden keramischen Restaurationen (d. h. Zahnersatz) verwendet werden (siehe Absatz 1). Zur Bestimmung der Bruchfestigkeit wird dazu eine Biegeprüfung beschrieben (siehe Absatz 8.3.2), mit der die Bruchkraft der Dentalkeramiken bestimmt wird (siehe Absatz 8.3.1.3). Der Vorteil von Zirkonoxid als Keramikmaterial für Zahnersatz aufgrund seiner großen Biegefestigkeit und Härte ist dem Fachmann allgemein bekannt. Die Tabelle 1 in Druckschrift D1 listet diese mechanischen Eigenschaften des Zirkonoxids im Vergleich zu anderen Materialien für dentale Anwendungen auf. Daraus ist ersichtlich, dass die Biegefestigkeit (Bend Strength) und die Härte (Toughness) miteinander korreliert sind, indem die Materialien mit höherer Biegefestigkeit auch eine höhere Härte aufweisen.

Der Fachmann ist immer bemüht, seine Produkte bei der Herstellung im Rahmen der Qualitätskontrolle zu überwachen und zu vermessen. Für den Fachmann ist es daher nahe liegend, das ihm gemäß der DIN-Norm (Druckschrift D2) allgemein bekannte Mess- und Prüfverfahren zur Bruchfestigkeit auch zur Bestimmung der Härte bei den vorgesinterten Rohlingen gemäß der Druckschrift D1 einzusetzen. Er wird damit die geeignete Härte - nicht zu weich und nicht zu hart - der vorgesinterten Rohlinge festlegen und zwangsläufig durch einfache Messreihen auch zu dem beanspruchten Bereich für die Rohbruchfestigkeit gelangen.

Nach alledem wird das im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag beanspruchte Verfahren durch die Entgegenhaltung D1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

2. Patentanspruch 6 gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 Aus dem Datenblatt D3 (siehe Spalte TZ-3YB) ist ein Zirkonoxid-Pulver bekannt, welches beispielsweise 5,15% Yttriumoxid und 0,1% Aluminiumoxid aufweist, woraus sich ein Anteil von 94,75% für Zirkonoxid ergibt. Dieses Pulver entspricht somit der Zusammensetzung, die gemäß den Merkmalsgruppen M2 bis M7 des Patentanspruchs 6 beansprucht wird. Da aus der Druckschrift D1 bekannt ist, dieses Material (siehe Fußnote 1 auf Seite 168) für vorgesinterte Rohlinge zu verwenden (= M1) und es für den Fachmann nahe liegend ist, dass diese Rohlinge auch die beanspruchte Rohbruchfestigkeit aufweisen (=M8, siehe Ausführungen zu: 1. Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag), gelangt er ohne erfinderisch tätig zu werden zu dem Gegenstand des Patentanspruchs 6 gemäß Hilfsantrag 1 und 2.

Die Argumentation der Patentinhaberin, dass die Mengenangabe von ² 0,1% für den Anteil von Aluminiumoxid auf dem Datenblatt D3 lediglich eine gemessene Verunreinigung darstelle, ist unbeachtlich, da es für die beanspruchte Zusammensetzung des Pulvers nicht darauf ankommt, ob eine Komponente absichtlich oder unabsichtlich in diesem Pulver enthalten ist.

Der Patentanspruch 6 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Patentanspruch 6 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 lediglich dadurch, dass in Merkmalsgruppe M5 die Untergrenze auf 0,15 Gew.-% angehoben ist und entsprechend in Merkmalsgruppe M2 die Obergrenze auf 98,35 Gew.-% gesenkt ist. Aus dem Datenblatt D4 ist dem Fachmann ebenfalls von der Firma Tosoh ein Zirkonoxid-Pulver TZ-3YB-E mit verbesserten Sinter- und Alterungseigenschaften gegenüber dem gemäß Druckschrift D1 verwendeten Pulver TZ-3YB bekannt. Das verbesserte Pulver weist einen Anteil von 0,25 Gew.-% an Aluminiumoxid gemäß der Merkmalsgruppe M5 auf. Da es für den Fachmann nahe liegend ist, dieses verbesserte Pulver ebenfalls für die vorgesintereten Rohlinge gemäß der Druckschrift D1 zu verwenden, gelangt er ohne erfinderisch tätig zu werden auch zum Gegenstand des Patentanspruchs 6 gemäß Hilfsantrag 3.

Damit sind die Patentansprüche 6 gemäß den Hilfanträgen 1 bis 3 nicht rechtsbeständig.

Die weiteren Ansprüche der Haupt- und der Hilfsanträge fallen mit den abgehandelten unabhängigen Ansprüchen dieser Anträge. Im Übrigen hat eine Überprüfung des Senats ergeben, dass auch diese Ansprüche nicht patentfähig sind.






BPatG:
Beschluss v. 09.05.2006
Az: 21 W (pat) 309/04


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