Kammergericht:
Beschluss vom 16. Juli 2010
Aktenzeichen: 5 U 145/08

(KG: Beschluss v. 16.07.2010, Az.: 5 U 145/08)

Bestätigt der unzulässig werbend angerufene Verbraucher in seiner Zeugenvernehmung glaubhaft den (eingangs unter Nennung der Firma der Beklagten geführten) Telefonanruf, kann das Gericht - in einer Gesamtschau des Ergebnisses dieser Aussage, der nach der Lebenserfahrung und den Fallumständen sehr unwahrscheinlichen Möglichkeit eines Anrufs eines böswilligen Konkurrenten oder sonstigen Dritten und des nur völlig substanzlosen und pauschalen Vortrags der Beklagten zu Art und Organisation ihrer Kundenwerbung - die Verantwortlichkeit der Beklagten im Einzelfall als erwiesen ansehen, ohne gegenbeweislich von der Beklagten benannte einzelne im Vertrieb beschäftigte Mitarbeiter der Beklagten zu hören.

(Anschließend Rücknahme der Berufung durch die Beklagte)

Tenor

In der Sache € weist der Senat nach Vorberatung gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hin, dass eine einstimmige Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO beabsichtigt ist:

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

I.

Zu Recht hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung einen Unterlassungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten aus §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG alter Fassung/neuer Fassung und einen Zahlungsanspruch aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG i.V.m. §§ 291, 288 BGB, § 287 Abs. 2 ZPO bejaht.

Das Landgericht durfte vorliegend seiner Entscheidung zu Grunde legen, dass eine der Beklagten zuzurechnende männliche Person den Zeugen S. unaufgefordert angerufen und für von der Beklagten angebotene Steuerersparnismöglichkeiten geworben hat. Erhebliche Zweifel zeigt die Berufung vorliegend nicht auf, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

1.

Das Landgericht durfte sich aufgrund der Angaben des Zeugen S. die Überzeugung verschaffen, dass eine männliche Person (am Sonntag Vormittag, den 4.2.2007) unaufgefordert bei dem Zeugen S. angerufen, dabei eingangs die Firma der Beklagten genannt und für angebotene Steuerersparnismöglichkeiten geworben habe.

Hinreichende Zweifel zeigt die Berufung nicht auf. Die Beklagte erhebt insoweit auch keine konkreten Einwendungen.

2.

Zutreffend hat das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt erkannt, dass die Aussage des Zeugen S. für sich allein noch keinen Vollbeweis dafür geben kann, dass der von ihm geschilderte Telefonanruf tatsächlich aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten stammte. Die weiteren besonderen Umstände des vorliegenden Falles deuten allerdings auf eine solche Verantwortlichkeit der Beklagten hin. Angesichts des deshalb unzureichenden Bestreitens der Beklagten durfte das Landgericht von einer Verantwortlichkeit der Beklagten ausgehen.

a)

Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Das Gesetz setzt dabei eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, NJW 1993, 935 m.w.N.).

b)

Das Landgericht durfte schon aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung (vgl. hierzu Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 286 Rn. 11) annehmen, dass als gedankliche Alternative zu Telefonanrufen aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten allenfalls fingierte und manipulierte Telefonanrufe eines böswilligen (an einer Diskreditierung der Beklagten interessierten) Dritten in Betracht kommen könnten und dass dies nach den vorliegenden Fallumständen als sehr unwahrscheinlich erscheint. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen S. ist die Firma der Beklagten schon eingangs des Telefongesprächs vom Werbeanrufer genannt worden. Damit scheidet die Möglichkeit aus, ein Konkurrent der Beklagten könne mit der Benennung der eigenen Firma oder der der Beklagten so lange gewartet haben, bis er erkannt habe, ob der Angerufene Interesse habe oder nicht.

Es ist zu berücksichtigen, dass sich ein böswilliger Dritter nicht auf einzelne fingierte und manipulierte Telefonanrufe beschränken könnte, sondern dass er eine Vielzahl derartiger Telefonanrufe vornehmen müsste um hinreichend sicherzustellen, dass wenigstens einer der angerufenen Verbraucher den Vorgang zur Anzeige bei verfolgungsbereiten Organisationen bringt. Angesichts einer solchen Vielzahl von Telefonanrufen müsste ein solcher böswilliger Dritter aber auch damit rechnen, dass einzelne angerufene Verbraucher Interesse an den angebotenen Leistungen bekunden könnten. Würde ein böswilliger Dritter dann einem solchen Interesse nicht weiter nachgehen, müsste er mit Irritationen und Nachfragen der interessierten Dritten bei der Beklagten rechnen. Gäbe der böswillige Dritte gegenüber interessierten Verbraucher selber ein eigenes Angebot ab, könnte auch dies wegen der unterschiedlichen Firmenangaben Irritationen und Nachfragen auslösen. Unter diesen Umständen liegenden Aufwand und Risiken eines böswilligen Dritten kaum noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem böswillig beabsichtigten Ziel einer Diskreditierung der Beklagten. Es ist vorliegend nicht der geringste Anhaltspunkt für die Tätigkeit eines böswilligen Konkurrenten oder sonstigen Dritten vorgetragen oder sonst erkennbar. Auch der Inhalt des von dem Zeugen S. glaubhaft bekundeten Telefongesprächs deutet zwanglos auf ein übliches Werbeverhalten eines geübten Telefonwerbers hin.

c)

Vorliegend durfte das Landgericht zudem berücksichtigen, dass sich die Beklagte zu dem streitgegenständlichen Telefonanruf nicht hinreichend erklärt hat.

Einem Beklagten können im besonderen Umfang Darlegungen obliegen, wenn - wie vorliegend - dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Kläger eine genaue Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen fehlt, der Beklagte dagegen die erforderliche Aufklärung leicht geben kann und ihm dies zumutbar ist (vgl. BGH, GRUR 1961, 356, 359 - Pressedienst; GRUR 1963, 270, 271 - Bärenfang; NJW 2004, 3623, juris Rn. 36; Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Auflage, § 12 Rn. 2.91). Vorliegend hat der Kläger alle ihm zugänglichen Informationsquellen genutzt und die Ergebnisse vollständig vorgetragen. Ein etwaiges treuwidriges Zurückhalten von Informationen ist nicht erkennbar. Ein näherer Vortrag des Beklagten war vorliegend jedenfalls angesichts des weit gehend erdrückenden Ergebnisses der Beweisaufnahme geboten und ohne weiteres zumutbar. Insbesondere hätte die Beklagte einen lückenlosen Vortrag dazu halten müssen, dass der streitgegenständliche Telefonanruf nicht aus ihrem Verantwortungsbereich stammen konnte.

Der Hinweis der Beklagten auf fehlende männliche Mitarbeiter war schon erstinstanzlich unzureichend, denn die Beklagte wusste um die Person ihres Organs. In diesem Zusammenhang ist es zudem ohne weiteres vorstellbar, dass außenstehende Dritte zu Werbeanrufen für die Beklagte herangezogen wurden, ohne dass dies den von der Beklagten als Zeugen benannten Mitarbeiterinnen und Steuerberatern der Beklagten notwendig bekannt geworden sein müsste.

Im Übrigen ist unter den vorliegenden Umständen der Vortrag der Beklagten zu Art und Organisation ihrer Kundenwerbung unzureichend. Völlig pauschal und substanzlos weist sie nur daraufhin, sie erhalte ihre Daten und Mandanten "von Firmen und Wirtschaftskanzleien, die bereits einen konkreten Kaufinteressenten für eine Immobilie an die Beklagte gegen Entgelt übermittelt." Mit der sprachlich wenig geglückten Formulierung soll wohl zum Ausdruck gebracht werden, die Beklagte erhalte gegen Provision von Unternehmen und Wirtschaftskanzleien Adressen und Telefondaten von Verbrauchern, die ihr Interesse an einer Anlageberatung bekundet hätten. Es bleibt schon offen, auf welchem Wege die Firmen und Wirtschaftskanzleien dafür interessiert wurden, derartige - häufig vertrauliche - Daten ihrer Kunden bzw. Mandanten an Dritte weiterzugeben. Auch ist nicht erkennbar, dass diese Verbraucher konkret ihr Einverständnis mit der Telefonwerbung eines fremden Unternehmens erklärt hätten. Substantielle, einer Überprüfung zugängliche Angaben hat die Beklagte schon erstinstanzlich nicht gemacht.

d)

In einer Gesamtschau des Ergebnisses der Aussage des Zeugen S., der nach der Lebenserfahrung sehr unwahrscheinlichen Möglichkeit des Anrufs eines böswilligen Konkurrenten oder sonstigen Dritten und des nur pauschalen Vortrags der Beklagten durfte das Landgericht nach den vorliegenden besonderen Fallumständen von der Verantwortlichkeit der Beklagten ausgehen, und zwar auch ohne den vorgenannten Beweisangeboten der Beklagten nachzugehen.

3.

Ohne Rechtsfehler durfte das Landgericht die der Klägerin zustehende Abmahnpauschale i.H.v. 189 € gemäß § 287 Abs. 2 ZPO schätzen. Es kommt dabei allerdings nicht darauf an, ob der vom Landgericht geschätzte Zeitaufwand von 6 Arbeitsstunden zu 30 Euro zuzüglich einer Portopauschale von 9 Euro gerade für die vorliegende Abmahnung angemessen erscheint. Denn die den Verbänden zugestandene Abmahnpauschale berechnet sich nach einem durchschnittlichen Aufwand für die von ihnen ausgesprochenen Abmahnungen. Auf dieser Grundlage sprechen zahlreiche Gerichte der hiesigen Klägerin den hier in Rede stehenden Betrag zu (vgl. die Nachweise bei Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Auflage, § 12 Rn. 38; vgl. ferner Büscher in: Fezer, UWG, 2. Auflage, § 12 Rn. 71 a.E. m.w.N.).

II.

Gelegenheit zur Stellungnahme: drei Wochen. Wird die Berufung - jedenfalls im Kosteninteresse - zurückgenommen€






KG:
Beschluss v. 16.07.2010
Az: 5 U 145/08


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