Finanzgericht Düsseldorf:
Urteil vom 24. Februar 2010
Aktenzeichen: 4 K 212/10 AO

(FG Düsseldorf: Urteil v. 24.02.2010, Az.: 4 K 212/10 AO)

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Verfügung vom 25.06.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.01.2010 verpflichtet, der Klägerin die mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 festgesetzten Steuern und die darauf entstandenen Zinsen und Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen, soweit sie nicht innerhalb von sechs Jahren in Durchführung des von der Klägerin vorgeschlagenen und ihren übrigen Gläubigern angenommenen Schuldenbereinigungsplans getilgt worden sind.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Vater der Klägerin, ein seit Jahrzehnten in A niedergelassener Gynäkologe, war seit 1993 Geschäftsführer der X GmbH, die in B ein Altenpflegeheim betrieb. 1998 wurde zur Bewirtschaftung des Altenpflegeheims die X GmbH & Co. KG (KG) sowie als deren Komplementärin die X GmbH gegründet. Die KG übernahm 1998 sämtliche Dienstleistungen wie Verwaltung, Reinigung und Catering und vermietete seit 2000 der X GmbH die gesamte Heimausstattung. Bis Oktober 2005 erwirtschaftete die KG regelmäßig Gewinne.

Seit 2001 wohnt und arbeitet die Klägerin in C. Seit ...... 2002 ist die Klägerin als Rechtsanwältin zugelassen. Sie ist seit 2003 verheiratet, ihre Kinder sind 2006 und 2009 geboren. Seit ...... ist sie Fachanwältin für Strafrecht und ganz überwiegend auf diesem Gebiet tätig.

Als die seinerzeitige Geschäftsführerin der Komplementärin, eine Schwägerin des Vaters, im Jahr 2004 aus privaten Gründen ihre Tätigkeit beendete, übernahm die Klägerin von ihr auf Bitten ihres Vaters am 28.06.2004 sämtliche Geschäftsanteile in Höhe von 50.000 EUR an der GmbH und die Kommanditeinlage von 50.000 EUR, da das Altenpflegeheim nach ihrer Kenntnis seit mehr als zehn Jahren komplikationslos und mit Gewinn betrieben worden war. Am gleichen Tag schloss die Klägerin mit ihrem Vater einen Treuhandvertrag, nach dem sie sowohl ihre Geschäftsanteile als auch den Kommanditanteil an ihren Vater abtrat und für ihn nur treuhänderisch verwaltete. Weiter wurde die Klägerin Geschäftsführerin der Komplementärin unter Vereinbarung eines Arbeitsvertrags mit einem Monatsentgelt von 400 EUR, überließ aber die faktische Geschäftsführung ihrem in vollem Umfang bevollmächtigtem Vater. Dessen Tätigkeit beaufsichtigte sie nicht.

Die Erledigung und Überprüfung der steuerlichen Pflichten der KG und der Komplementärin waren einer Steuerberatungsgesellschaft übertragen.

Spätestens ab November 2005 entnahm der Vater unberechtigt Zahlungsmittel aus der KG, so dass die Gesellschaft in finanzielle Schieflage geriet und ab Mai 2006 insolvenzreif war.

Der Klägerin wurde die finanzielle Schieflage der KG und der Komplementärin erst in der zweiten Hälfte des Januar 2007 bekannt, da ihr Vater nach ihren Angaben dafür gesorgt hatte, dass sie über die wirtschaftliche Lage der KG und der Komplementärin nicht informiert wurde. Nach Kenntnis der wirtschaftlichen Lage stellte die Klägerin umgehend Insolvenzantrag. Am .......2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet.

Ihr Vater und die von ihm geführte X GmbH gerieten ebenfalls in Insolvenz. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X GmbH wurde am ...2007 eröffnet.

Aufgrund der Insolvenz nahm der Beklagte die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 als Haftende nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung AO - in Verbindung mit §§ 161, 128 des Handelsgesetzbuchs für von Februar bis November 2006 fällig gewordene Umsatzsteuer der KG zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von zusammen 76.655,74 EUR in Anspruch. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Insgesamt stellen sich die Schulden der Klägerin aus der Insolvenz der KG und der Komplementärin wie folgt dar:

Beklagter mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 76.655,74 EUR FA B mit Haftungsbescheid vom 13.02.2008 36.053,44 EUR FA B mit Haftungsbescheid vom 13.02.2008 5.846,55 EUR Insolvenzverwalter aufgrund von Schuldanerkenntnissen 50.000,00 EUR ...... Krankenkasse 3.487,82 EUR ......."Krankenkasse" 12.828,49 EUR ......."Krankenkasse" 3.615,88 EUR ......."Rentenversicherung" 9.457,31 EUR

Am 10.07.2008 schrieb die Klägerin alle ihre Schuldner an und bot ihnen den Abschluss eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans an, nach dem sie aufgrund eines ihr von ihrem Ehemann in Aussicht gestellten Darlehens von 15.000 EUR in den folgenden fünf Jahren die Abtretung ihrer pfändbaren Gewinne aus ihrer selbständigen Tätigkeit gegen Befreiung von der Restschuld in Aussicht stellte. Darin legte sie ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen und teilte mit, die zuständige Rechtsanwaltskammer habe im Hinblick auf § 14 Abs. 2 Nr. 7 Bundesrechtsanwaltsordnung BRAO bereits ein Verfahren zum Entzug der Zulassung eröffnet und warte nur noch die Entscheidung über den Schuldenbereinigungsplan ab.

Diesem Plan stimmten alle Gläubiger bis auf der Beklagte und das FA B zu. Dazu teilte der Beklagte mit, derartige Verfahren seien für Freiberufler nicht vorgesehen.

Daraufhin führte die Klägerin weiter aus, ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsplan komme auch im Regelinsolvenzverfahren in Betracht. Zudem rechtfertigten die im BMF-Schreiben vom 11.01.2002, BStBl. I, 132, genannten Voraussetzungen auch hier einen Erlass.

Mit Schreiben vom 04.03.2009 lehnte der Beklagte in Abstimmung mit dem FA B die Teilnahme an diesem Verfahren im Hinblick auf § 305 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung InsO ab. Außerdem komme ein Erlass nicht in Betracht.

Sodann führte die Klägerin mit Schreiben vom 18.03.2009 (Bl. 25-28 der Akten 4 V 2922/09 AE (KV) ) aus, aufgrund ihrer strafrechtlichen Spezialisierung sei sie in besonderer Weise auf die Anwaltszulassung angewiesen und könne nicht in ein Angestelltenverhältnis ohne Zulassung wechseln. Zudem würde sie durch ein zeitweiliges Ausscheiden erhebliche Nachteile erleiden und den beruflichen Anschluss verlieren.

Am 25.03.2009 übersandte sie dem Beklagten ein Vermögensverzeichnis.

Mit Schreiben vom 12.06.2009 lehnte der Beklagte die Teilnahme an der außergerichtlichen Schuldenbereinigung ab, da sie als Freiberuflerin nicht unter die insolvenzrechtlichen Vorschriften einer Restschuldbefreiung falle. Sie sei zahlungsunfähig und müsse als Folge von Vollstreckungsverfahren den Arbeitsplatzverlust hinnehmen.

Am 18.06.2009 pfändete der Beklagte Ansprüche der Klägerin aus zwei Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von 3.350,10 EUR. Am 20.07.2009 fand bei der Klägerin im Auftrag des Beklagten ein fruchtloser Pfändungsversuch statt.

Auf das Schreiben des Beklagten vom 12.06.2009 beantragte die Klägerin den Erlass ihrer Steuerschulden, hilfsweise Teilerlass gegen Ratenzahlung und eine einmalige Zahlung im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Werde nach fruchtlosen Vollstreckungsversuchen das Insolvenzverfahren betrieben, werde ihre wirtschaftliche Existenz nachhaltig vernichtet, ohne dass der Beklagte seine Ansprüche verwirklichen könne. Andernfalls sei zumindest eine teilweise Befriedigung zu erwarten, zumal sie grundsätzlich steigende Gewinne habe.

Mit Verfügung vom 25.06.2009 lehnte der Beklagte den Erlassantrag ab, da er sich an der außergerichtlichen Schuldenbereinigung nicht beteiligen könne. Das Verhalten der anderen Gläubiger verstehe er nicht, zumal die Klägerin, wenn sie nicht seine Auffassung teilte, die Ersetzung seiner Zustimmung nach § 309 InsO betreiben könne.

Ein Erlass nach § 227 AO komme nicht in Betracht. Die für einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen erforderliche Erlassbedürftigkeit liege nur vor, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der laufende Lebensunterhalt nicht mehr bestritten oder die Erwerbstätigkeit nicht mehr fortgesetzt werden könne. Dies sei aufgrund der gesamten wirtschaftlichen Lage des Schuldners zu beurteilen. Der Schuldner habe zur Begleichung von Steuern alle verfüg- und beschaffbaren Mittel einzusetzen. Tatsächlich habe die Klägerin in den vergangenen 1,5 Jahren keine Tilgungen erbracht.

Zudem fehle es an der Erlasswürdigkeit, da die Klägerin ihre mangelnde Leistungsfähigkeit selbst zu vertreten habe.

Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und wiederholte und vertiefte ihre bisherige Argumentation, dass sie im Falle einer weiteren Zwangsvollstreckung ihren Beruf nicht mehr werde ausüben können.

Sie habe den Beklagten wegen der außergerichtlichen Schuldenbereinigung am 10.07.2008 angeschrieben. Bis zum Schreiben vom 25.06.2009 habe der Beklagte nicht erkennen lassen, dass eine vorherige Ratenzahlung positiven Einfluss auf einen Billigkeitserlass habe.

Auch habe sie ihre Vermögensverhältnisse dargelegt. Diese seien auch durch Vollstreckungsmaßnahmen bestätigt worden.

Der Teilerlass sei auch geeignet, ihre Verhältnisse zu stabilisieren, weil sie bei bestehender Anwaltszulassung ihre Schulden wenigstens teilweise begleichen könne. Bei einer Fortsetzung der Vollstreckung sei das nicht der Fall. Dann wäre eine Befriedigung aller Gläubiger in Frage gestellt, weil sie dann auch kein Einkommen mehr erzielen könne. Bei einem Teilerlass müsse sie mit ihren anderen Gläubigern abweichende Regelungen treffen können.

Mit Schreiben vom 28.07.2009 (Bl. 45, 46 der Akten 4 V 2922/09 AE (KV) ) teilte der Beklagte der Klägerin in seiner Stellungnahme zum Einspruch mit, sie sei nicht erlasswürdig, da sie für ihren Vater als Strohmann aufgetreten sei. Breche das Unternehmen, für das ein Strohmann auftrete, zusammen, sei der Strohmann nicht erlasswürdig. Schon diese Verschleierung stelle eine gegen die Interessen der Allgemeinheit gerichtete Tätigkeit dar.

Die bisherigen Vollstreckungsmaßnahmen hätten ihre Berufsausübung nicht behindert. Auch weitergehende Vollstreckungsmaßnahmen würden sie nicht an einer existenzsichernden Berufstätigkeit hindern. Daher sei sie nicht eines Erlasses bedürftig.

Ein Erlass beseitige auch nicht ihre Existenzgefährdung, da sie neben Steuerschulden weitere Schulden habe.

Auf den Haftungsbescheid habe sie keine Zahlungen geleistet, sondern nur Zahlungen unter Bedingungen angekündigt. Dieses Verhalten lasse keine Bemühungen erkennen, die Steuerschuld auf absehbare Zeit begleichen zu wollen.

Am 14.08.2009 beantragte die Klägerin beim Finanzgericht eine auf § 258 AO gestützte einstweilige Anordnung, der das Gericht nach Erörterung der Sach- und Rechtslage am 23.10.2009 mit Senatsbeschluss vom 02.11.2009, 4 V 2922/09 AE (KV) stattgab. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diesen Beschluss verwiesen.

Mit Schreiben vom 19.11.2009 stellte das FA B eine dem Senatsbeschluss entsprechende Erlass- und Stundungsverfügung in Aussicht. Die weiteren Gläubiger bis auf der Beklagte stimmten einem weiteren Zuwarten zu, der Insolvenzverwalter nur zeitlich begrenzt.

Als die Klägerin nach Erhalt des o.a. Beschlusses eine Abhilfeentscheidung beantragte, teilte der Beklagte mit, er werde die Oberfinanzdirektion einschalten.

Mit Schriftsatz vom 18.01.2010, eingegangen beim Gericht am 20.01.2010, erhob die Klägerin Untätigkeitsklage.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19.01.2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte dazu aus, ein Erlass sei außerhalb der InsO nur nach § 227 AO möglich.

Einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO gebe es nur im - hier nicht möglichen - Verbraucherinsolvenzverfahren. Auf dessen Durchführung habe kein Schuldner einen Anspruch. In Fällen einer Regelinsolvenz sei eine Entschuldung nur durch die gesetzliche Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO vorgesehen.

Für einen Erlass nach § 227 AO lägen auch keine persönlichen Billigkeitsgründe vor. Allein daraus, dass die Steueransprüche eine gewisse Bedrohung für die Tätigkeit der Klägerin darstellten, da sie mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse, ergebe sich aber keine Automatik dergestalt, dass die öffentliche Hand zur Sanierung der finanziellen Verhältnisse herangezogen werden müsse. Vielmehr könnten nur nach § 258 AO konkrete unbillige Vollstreckungsmaßnahmen zeitweise abgewendet, nicht aber dauerhaft auf Forderungen zu verzichtet werden.

Dass die Klägerin sich nur gegen die Stellung eines Insolvenzantrags wegen der Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wende, führe zu keiner anderen Beurteilung. Ein unmittelbar bevorstehender Entzug der Zulassung stehe nicht fest, da gegen die Klägerin nach Auskunft der Rechtsanwaltskammer nichts vorliege. Selbst eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden sei nicht ersichtlich, da ihre Schulden mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit nichts zu tun hätten und auch eine Wiederholungsgefahr nicht vorliege. Vielmehr dürfte der Entzug der Zulassung selbst unverhältnismäßig sein.

Selbst wenn aber die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet wären, folge daraus nicht zwingend der Erlass der Forderungen, denn dadurch würden die Angehörigen rechtsberatender Berufe einseitig begünstigt, was dem Sinn und Zweck des Gesetzes widerspreche. Ein Erlass komme nur dann in Betracht, wenn jede denkbare Vollstreckungsmaßnahme unbillig wäre.

Der Klägerin sei auch ein Wandel ihrer beruflichen Betätigung zumutbar. Einen Bestandsschutz für die den eigenen Neigungen entsprechende Betätigung gebe es nicht, zumal von der Klägerin erwartet werden könne, alles zur Verminderung der Steuerforderung Zulässige und Mögliche zu unternehmen. Was die Klägerin insoweit unternommen habe, sei bis auf die angesichts der Einkommensverhältnisse des Ehemanns geringe Einmalzahlung von 15.000 EUR nicht ersichtlich.

Zudem sei der Lebensunterhalt der Familie der Klägerin nicht gefährdet. Der Ehemann der Klägerin habe 2007 über Einkünfte in Höhe von ca. 115.000 EUR verfügt. Selbst ein Teilerlass scheide wegen fehlender Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit aus. Eine Erlassbedürftigkeit sei nämlich nicht erkennbar.

Auch wenn sich die Klägerin nicht selbst am Vermögen der KG bereichert habe, habe ihr grobfahrlässiges Verhalten es ermöglicht, dass ihr Vater den Schaden habe anrichten können. Sie habe ihren Namen hergegeben, den Vater an ihrer Statt handeln lassen und ihn in keiner Weise beaufsichtigt. Daher müsse sie für die Folgen ihres Vertrauens einstehen, wie auch jeder andere, mit dem ihr Vater Geschäfte gemacht habe. Dies hätte der Klägerin auch als Juristin bewusst gewesen sein müssen. Insoweit hätte die unübliche Gestaltung, dass der Vater sie als Treuhänderin vorgeschoben und sie die Proforma-Geschäftsführung übernommen habe, Anlass zu Zweifeln geben müssen. Wer es anderen ermögliche, sich hinter einem fremden Rechtsschein zu verstecken, könne nicht mehr in gutem Glauben handeln.

Ob sich ein solches Handeln zu wiederholen drohe, sei unerheblich, denn es mache die Pflichtverletzung nicht ungeschehen.

Auf ihre treuhänderische Verwaltung der Geschäftsanteile an der KG komme es nicht an, denn ihre Haftung folge aus ihrer Stellung als Geschäftsführerin der Komplementärin.

Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise sei auch kein Erlassgrund. Er sei nämlich zur gleichmäßigen Steuererhebung verpflichtet.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt vor, sie habe Untätigkeitsklage erhoben, weil trotz Eilbedürftigkeit, nämlich dem Drängen weiterer Gläubiger, der Beklagte immer noch keine Entscheidung getroffen habe.

Weiter trägt sie vor, am .....2006 sei ihre Tochter durch Kaiserschnitt geboren worden. Kurz vor dem Tod ihrer Mutter am ......2006 habe sie von ihrer Mutter von erheblichen finanziellen Schwierigkeiten der X GmbH erfahren. Ihr darauf angesprochener Vater, dem sie seinerzeit noch vertraut habe, habe aber abgewiegelt und ihr etwas von einer vorübergehenden Finanzschwäche erzählt. Erst Ende Januar 2007 habe ihr Vater ihr von der Insolvenz der X GmbH berichtet. Daraufhin habe sie sich beim Büro des Insolvenzverwalters der X GmbH erkundigt. Ende Januar/ Anfang Februar 2007 habe die Zeugin M sie angerufen und sie über die miserable finanzielle Lage der KG informiert. Daraufhin habe sie am ....2007 Insolvenzantrag gestellt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei er durch die AO nicht an der Teilnahme an einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan gehindert. Maßstab sei nur, dass der Schuldner nicht besser als im Insolvenzverfahren gestellt werde.

Die Rechtsanwaltskammer werde ihr auch die Zulassung entziehen, wenn ein Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet werde.

Sie wolle nur eine Schuldenbereinigung mit dem Ziel eines wirtschaftlichen Neuanfangs erreichen, wobei sie nicht besser stehen wolle als in einem Insolvenzverfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seiner ablehnenden Verfügung vom 25.06.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.01.2010 zu verpflichten, die mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 festgesetzten Steuern und die darauf entstandenen Zinsen und Säumiszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen, soweit sie nicht innerhalb von sechs Jahren in Durchführung des von ihr vorgeschlagenen und ihren übrigen Gläubigern angenommenen Schuldenbereinigungsplans getilgt worden sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Das Gericht hat zur Frage, wann die Klägerin Kenntnis von der Insolvenzreife der KG hatte, Beweis erhoben durch Vernehmung der M als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Gemäß § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Haftungsansprüche gehören (§ 37 Abs. 1 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Nach § 102 Satz 1 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Nur wenn der der Finanzbehörde verbleibende Ermessensspielraum derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, § 101 Satz 1 FGO (BFH Urteil vom 11. Juli 1996, V R 18/95 BStBl II 1997, 259).

Danach hat die Klägerin Anspruch darauf, dass der Beklagte dem von der Klägerin vorgeschlagenen und von ihren übrigen Gläubigern - bis auf das noch abwartende Finanzamt B - angenommenen Schuldenbereinigungsplan zustimmt und einen insoweit bedingten Erlass ausspricht. Darin ist der Klägerin, nachdem sie innerhalb einer sechsjährigen Tilgungsphase den pfändbaren Teil ihrer Einkünfte an ihre Gläubiger im Verhältnis der Höhe der Hauptschulden zueinander ausgezahlt hat, der Erlass der sich aus der Haftungsinanspruchnahme ergebenden weiteren Schulden einschließlich entstandener Zinsen (Säumniszuschläge) verbindlich auszusprechen.

Dazu können Einzelheiten wie im Senatsbeschluss vom 02.11.2009 und im Schreiben des FA B vom 19.11.2009 vorgeschlagen geregelt werden.

Persönliche Unbilligkeit nur diese kommt im Streitfall in Betracht ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Dabei muss sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken. Genauso wie in Fällen, in denen die Steuerrückstände den jeweiligen Steuerpflichtigen hindern, eine neue selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen (BFH Urteil v. 27.09.2001 X R 134/98, BStBl. II 2002, 176), ist ein Erlass jedenfalls dann geboten, wenn er die Beibehaltung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage erlaubt und wenn die Steuerrückstände unabhängig von der bisherigen Tätigkeit entstanden sind. Insoweit kann nämlich nur derjenige in den Genuss eines Erlasses kommen, der die mit seiner beruflichen, ihm die Existenz sichernden Tätigkeit zusammenhängenden Steuern entrichtet.

Ohne den bedingten Teilerlass unter Annahme des Schuldenbereinigungsplans wird die bisherige eigene wirtschaftliche Existenz der Klägerin als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht vernichtet. Dass ihr Lebensunterhalt nicht gefährdet ist, weil sie derzeit gegenüber ihrem Ehemann einen Unterhaltsanspruch (§§ 1360 - 1360b BGB) hat, ist insoweit unerheblich. Ihr Unterhaltsanspruch ist zudem nach § 1569 BGB grundsätzlich nur auf die Dauer der Ehe beschränkt, so dass der Klägerin trotz der Ehe der Erhalt einer eigenen wirtschaftlichen Existenz nicht versagt werden kann.

Die Klägerin ist aufgrund ihrer Verpflichtungen aus der Insolvenz der KG und der Komplementär- GmbH überschuldet. Sie ist auch zahlungsunfähig, denn sie kann die sie aus der Insolvenz der KG und der Komplementär- GmbH treffenden, nunmehr fälligen Verpflichtungen nicht erfüllen.

Da die Vermögensverhältnisse der Klägerin, bekannt aufgrund vorgelegter Vermögensverzeichnisse und die Ihr gegenüber bisher vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg dahingehend versprechen, dass der Beklagte oder einer der anderen Gläubiger noch nennenswerte weitere Beträge zur Tilgung der Schulden erzielen können, ist - ohne Abschluss des von allen anderen Gläubigern bis auf den Beklagten angenommenen Schuldenbereinigungsplans - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass einer ihrer Gläubiger einschließlich des Beklagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt.

Diese im Streitfall allein noch in Betracht kommenden Vollstreckungsmaßnahmen führen zum Widerruf der Anwaltszulassung und vernichten damit die wirtschaftliche Existenz der Klägerin.

§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO sieht wie § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes in der jetzt geltenden Fassung vor, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen ist, wenn ein Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, wobei ein Vermögensverfall vermutet wird, wenn über das Vermögen des Rechtsanwalts das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder wenn - nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - gemäß § 284 Abs. 7 AO eine Eintragung in das Schuldnerverzeichnis erfolgt.

Zwar ist eine Widerlegung der Vermutung möglich, aber im Streitfall schlechthin ausgeschlossen. Die vom Gesetzgeber unterstellte Gefahr, dass beim Vermögensverfall eines Rechtsanwalts Mandanteninteressen verletzt werden können, kann durch bestimmte Ausgestaltungen einer Sozietät und eine damit einhergehende enge Kontrolle des jeweiligen Rechtsanwalts ausgeschlossen werden (s. BFH Beschluss v. 04.03.2004, VII R 21/02, BStBl. II 2004, 1016; BGH, Senat für Anwaltssachen Beschluss v. 18.10.2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.). Dazu muss der betroffene Rechtsanwalt seine einzelanwaltliche Tätigkeit vollständig und nachhaltig aufgeben, seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausüben und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabreden, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Nur so lässt sich die Einhaltung der verabredeten Maßnahmen zum Schutz der Mandanten dauerhaft und nachhaltig sicherstellen (s. BGH, Senat für Anwaltssachen Beschluss v. 15.09.2008, AnwZ (B) 67/07, Anwaltsblatt 2009, 64 f. mwN.). Diese Möglichkeit steht der Klägerin aber als Einzelanwältin nicht offen. Zudem kann nicht erwartet werden, dass sie in eine Sozietät unter diesen einschränkenden Bedingungen aufgenommen wird.

Eine andere Entscheidung folgt auch nicht aus den vom Beklagten zitierten BFH-Beschluss vom 18.05.1982, VII B 9/82, juris, dem noch eine völlig andere Rechtslage beim Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt zu Grunde lag. Der seinerzeit geltende § 15 Nr. 1 BRAO stellte den Widerruf der Zulassung ins Ermessen der Behörde, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten war und dadurch die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet waren. Anders als der heutige § 14 Abs. 2 BRAO, der kein Ermessen mehr einräumt, war weder der Vermögensverfall definiert noch wurde die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden unterstellt.

Mit dem Entzug der Anwaltszulassung verliert die Klägerin die Möglichkeit, in ihrem erlernten Beruf tätig zu werden und entsprechende Einkünfte zu erzielen. Ohne Zulassung ist der Klägerin insbesondere im Gebiet ihrer Fachanwaltstätigkeit als Fachanwältin für Strafrecht effektiv keine Berufsausübung möglich. Ihre Darstellung insoweit verdeutlicht nur den gerichtsbekannten Umstand, dass eine anwaltliche Strafverteidigung nur durch zugelassene Rechtsanwälte möglich ist und keinen Raum für volljuristische Mitarbeiter ohne Anwaltszulassung bietet.

Soweit der Beklagte meint, der Klägerin sei eine andere juristische Berufstätigkeit zuzumuten, für die es einer Anwaltszulassung nicht bedarf, ist dem nicht zu folgen. Der auch vom Beklagten im Rahmen seiner Maßnahmen zu beachtende Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG schützt die konkret gewählte Berufstätigkeit, so dass ein Verlangen, auf diese zu verzichten, um in den Genuss eines jedenfalls teilweisen Erlasses zu kommen, und zwar durch Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, schlechthin sachwidrig ist.

Bei diesen beruflichen Aussichten der Klägerin erscheint es auch ausgeschlossen, dass es ihr gelingen könnte, ein über einen langen Zeitraum ratenweise zu tilgendes Darlehen zur Umschuldung aufzunehmen.

Der Entzug der Anwaltszulassung kann nur durch Zustimmung des Beklagten zu dem Schuldenbereinigungsplan verhindert werden, und nicht durch bloßes Nichtstellen des Insolvenzantrags. Findet nämlich keine Schuldenbereinigung statt, beseitigt - auch bei Untätigkeit des Beklagten - jeder dann mögliche Insolvenzantrag mit der Folge einer Insolvenzeröffnung die wirtschaftliche Existenz der Klägerin. Erst mit dem Abschluss von Vereinbarungen mit den Gläubigern, aufgrund derer zu erwarten ist, dass es nicht mehr zu Vollstreckungsmaßnahmen kommen wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, eine Gefährdung der Mandanteninteressen ausgeschlossen ist und ein Widerruf der Anwaltszulassung nicht in Betracht kommt (s. BFH Urteil v. 30.03.2004, VII R 56/03, BFH/NV 2004, 1426 f.).

Im Weiteren kann offen bleiben, ob die Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan nicht schon deshalb ohne wirkliche Alternative ist, da eine nicht unerhebliche Teilbefriedigung zu erwarten, andernfalls aber nicht mit einem Erfolg der Einziehung der Steuer und der Befriedigung der Forderungen der übrigen öffentlichen Gläubigern zu rechnen ist.

Eine den Erlass hindernde Erlassunwürdigkeit der Klägerin ist nicht erkennbar.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt ein Billigkeitserlass aus persönlichen Gründen grundsätzlich die Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen voraus, die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (BFH Beschluss v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621 f.) Sie ist nicht gegeben, wenn dieser seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat (s. BFH Beschluss v. 30.09.1996, X B 131/96, BFH/NV 1997, 326; Beschluss v. 28.01.1991, V B 164/90, BFH/NV 1991, 571; Urteil v. 29.04.1981, IV R 23/78; Urteil v. 14.11.1957, IV 418/56 U, BStBl. III 1958, 153). Ihre mangelnde Leistungsfähigkeit hat die Klägerin nicht selbst herbeigeführt, indem sie untätig geblieben ist und sich nicht um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat. Vielmehr geht es ihr mit den von ihr betriebenen Verfahren gerade darum, tätig bleiben zu können.

Mit ihrem Verhalten hat sie auch nicht eindeutig gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen.

Allein die Übernahme des Amtes eines Geschäftsführers und die treuhänderische Übernahme von Geschäftsanteilen mit gleichzeitiger umfassender Bevollmächtigung des Treugebers, hier des Vaters, verstößt nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn die Klägerin hätte annehmen müssen, der Treugeber werde selbst gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen. Hiervon kann im Streitfall aber keine Rede sein, denn nach Kenntnis der Klägerin betrieb ihr Vater seit 1993 ein Altenpflegeheim ohne Probleme.

Durch die Stellung des eigenen Insolvenzantrags am ......2007 hatte die Klägerin auch nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen. Vielmehr waren der Klägerin die wirtschaftlichen Verhältnisse der KG und ihrer Komplementärin unbekannt, weil ihr Vater den Mitarbeitern der KG eine diesbezügliche Unterrichtung der Klägerin ausdrücklich untersagt hatte und der Klägerin die Insolvenzreife der KG und ihrer Komplementärin erst kurz vor Stellung ihres Insolvenzantrags bekannt wurde. Dies ergibt sich aus den glaubhaften Bekundungen der Zeugin M. Sie gab an, am 17.01.2007 habe ein Gespräch mit dem Insolvenzverwalter der X GmbH stattgefunden, an dem sie neben dem Vater der Klägerin teilgenommen habe. In diesem Gespräch habe der Insolvenzverwalter dem Vater empfohlen, auch für die KG Insolvenz anzumelden, was der Vater aber in der Folgezeit nicht getan habe, so dass sie später die Klägerin angerufen habe. Dabei sei die Klägerin "aus allen Wolken" gefallen. Auch sei es ihr verboten gewesen, mit der Klägerin Kontakt wegen der Firmen aufzunehmen.

Die gegenteiligen Angaben im Liquiditätsprüfungsbericht des Beklagten vom 26.04.2007, wonach die Zeugin die Klägerin mehrfach telefonisch unterrichtet haben soll, dass die KG insolvent wäre und dass die Insolvenzeröffnung zu beantragen sei, konnte die Zeugin nicht bestätigen. Sie konnte sich nur an ein einziges Telefonat mit der Klägerin erinnern, nämlich an das von ihr bereits Angegebene.

Aufgrund der von der Klägerin unterlassenen Kontrolle nahm sie jedenfalls nicht billigend in Kauf, ihr Vater, der Treugeber, werde gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen. Weiter brauchte sie aufgrund eines bislang ungetrübten Verhältnisses zu ihrem Vater und in Kenntnis des langjährig erfolgreichen Betriebs des Pflegeheims auch keinen Grund zum Misstrauen zu haben. Zudem hielt die Klägerin die Geschäftsanteile nur treuhänderisch für den Vater, so dass diesem grundsätzlich die wirtschaftliche Entscheidungsbefugnis zustand. Der spätere Missbrauch ihres Vertrauens musste sich ihr nicht aufdrängen.

Im übrigen hat der Beklagte unbeachtet gelassen, dass selbst bei fehlender Erlasswürdigkeit ein Erlass ausnahmsweise geboten sein kann, wenn die Durchsetzung der Haftungsforderung existenzvernichtend ist. Insoweit ist das Allgemeininteresse, festgesetzte Abgaben einzuziehen, gegen die Pflichtverletzung abzuwägen (BFH Beschluss vom 15.10.1992, X B 152/92, BFH/NV 1993, 80 f.). Eine Abwägung insoweit hat der Beklagte aber nicht vorgenommen, obwohl diese gerade hier geboten gewesen wäre. Selbst wenn nämlich grob fahrlässiges Verhalten wie das Unterlassen einer Kontrolle eine Erlassunwürdigkeit begründen könnte (s. BFH Beschluss v. 04.07.1986, VII B 56/86, BFH/NV 1987, 20 ff., 23; Beschluss v. 22.03.1983, IV B 41/82, juris), ist die Erlasswürdigkeit nicht von vornherein zu verneinen (BFH Urteil v. 09.03.1983, I R 93/81, juris). Insbesondere wäre zu erwägen gewesen, ob die unterlassene Kontrolle durch die Klägerin für den eingetretenen Steuerschaden ursächlich war. Angesichts der tatsächlichen Gesellschafterstellung des Vaters hätte ein ernsthafter Versuch der Klägerin, die Tätigkeit ihres Vaters in Bezug auf die KG zu kontrollieren, auch nur ihre Abberufung als Geschäftsführerin zur Folge haben können, ohne dass aber der Steuerschaden vermieden worden wäre.

Im Hinblick auf die vorgenannten Ausführungen kann offen bleiben, ob die Anforderungen an die Erlasswürdigkeit angesichts der wesentlich großzügigeren Regelungen des § 290 Abs. 1 InsO für die Versagung einer Restschuldbefreiung nicht überdacht werden sollten.

Die Sache ist auch spruchreif. Eine Aufhebung des Bescheids des Beklagten mit bloßer Verpflichtung zur Neubescheidung kam im Streitfall nicht in Betracht. Das Ermessen des Beklagten ist nämlich derart eingeschränkt, dass wegen des mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drohenden Widerrufs der Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht, wenn die Haftungsforderung beigetrieben wird. Bei sachgerechter Abwägung zwischen dem hohen öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Haftungsforderung und dem nicht minder gewichtigen Interesse der Klägerin an der Erhaltung ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Existenz gebührt diesem Interesse jedenfalls im Streitfall wegen des verfassungsrechtlichen Gewichts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Vorrang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO nicht erkennbar ist. Zu entscheiden war ein in vielfältiger Hinsicht besonders gelagerter Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung.






FG Düsseldorf:
Urteil v. 24.02.2010
Az: 4 K 212/10 AO


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5136e8e4cb07/FG-Duesseldorf_Urteil_vom_24-Februar-2010_Az_4-K-212-10-AO




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