Sozialgericht Lüneburg:
Beschluss vom 8. Januar 2010
Aktenzeichen: S 12 SF 204/09 E

(SG Lüneburg: Beschluss v. 08.01.2010, Az.: S 12 SF 204/09 E)

Tenor

Die Erinnerung der Erinnerungsführerin und Klägerin vom 05. Oktober 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 28. September 2009 - S 13 R 338/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der der Erinnerungsführerin und Klägerin (im Folgenden nur: Erinnerungsführerin) durch die Erinnerungsgegnerin und Beklagte (im Folgenden nur: Erinnerungsgegnerin) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines rentenrechtlichen Klageverfahrens. In diesem Verfahren stritten die Beteiligten um die Zuerkennung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Das Verfahren endete - ohne Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung oder eines Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage - durch die Erklärung der Annahme eines von der Erinnerungsgegnerin abgegebenen Vergleichsangebotes, mit dem sich die Erinnerungsgegnerin auch verpflichtete, der Erinnerungsführerin die Hälfte der ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Streit des vorliegenden Erinnerungsverfahrens steht nach dem Vorbringen der Beteiligten nur noch die Entstehung einer (fiktiven) Terminsgebühr.

Die Erinnerung bleibt erfolglos; sie war daher zurückzuweisen.

Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 28. September 2009 - S 13 R 338/06 - ist zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung stand. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zutreffend auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 422,27 € festgesetzt. Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle insbesondere die beantragte (fiktive) Terminsgebühr nicht festgesetzt.

1. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.

Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.

Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin ist eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - nicht entstanden.

Für die Bestimmung der Terminsgebühr, auch für das sozialgerichtliche Verfahren, gilt zunächst Nr. 3104 VV-RVG, die einen Gebührensatz von 1,2 der Gebühr nach § 13 RVG bestimmt. Handelt es sich - wie hier - um ein sozialgerichtliches Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, findet die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV-RVG Anwendung, auf die in Nr. 3104 VV-RVG verwiesen wird. Nach Nr. 3106 VV-RVG beträgt die Terminsgebühr 20,00 € bis 380,00 €. Ein Termin hat indes tatsächlich nicht stattgefunden. Aber auch die in Nr. 3106 VV-RVG aufgeführten Verfahrenskonstellationen sind nicht gegeben. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn

1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,

2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird

oder

3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

12Ersichtlich ist vorliegend keine dieser Fallkonstellationen einschlägig, wovon auch die Beteiligten zu Recht ausgehen. Darüber hinaus kommt jedoch auch - entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin - eine entsprechende Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 (3. Variante) VV-RVG auch für den Fall, dass im sozialgerichtlichen Verfahren (in dem Betragsrahmengebühren entstehen) ein Vergleich geschlossen wurde, nicht in Betracht. Wird der Prozess durch einen Vergleich, also durch ein gegenseitiges Zu- und Nachgeben der Beteiligten, oder auf andere Weise beendet, fällt eine Terminsgebühr nur an, wenn dieser Vergleich in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin geschlossen wurde bzw. die gerichtlichen Erörterungen zu einer sonstigen Verfahrensbeendigung geführt haben. Unerheblich ist dabei, ob der dem Anwalt entstandene Aufwand höher ist als bei oder vor der Annahme eines außergerichtlichen Anerkenntnisses.

Richtig ist zwar, dass die im Jahre 2004 eingeführten Regelungen des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes auch die außergerichtliche Erledigung fördern sollten. Dabei ist aber zu bedenken, dass gegenüber früheren Regelungen der Abschluss eines Vergleichs während eines Gerichtsverfahrens nach wie vor mit der Gebühr nach Nr. 1006 VV-RVG abgegolten wird, unabhängig davon, wie und wo er geschlossen wird (vgl. auch § 116 Abs. 4 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO)). Diese, das besondere Bemühen eines Anwaltes honorierende Regelung wurde mit den Neuregelungen nicht ergänzt. Vielmehr wurde sie nur um die katalogmäßig erfassten zusätzlichen Regeln erweitert, wie sie in unterschiedlicher Weise in den Nr. 3104 und 3106 VV-RVG mit Blick auf die Terminsgebühr enthalten sind.

Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses enthält überdies keine weiteren Einzelheiten zum Verständnis der strittigen Normen (vgl. BT-Drs. 15/2487 S. 3 und 98); jedoch ist dem Parlamentsentwurf zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zu entnehmen, dass differenzierte Kosten bei Anerkenntnissen und Vergleichen vorgesehen waren, mit dem Ziel einer allgemeinen Gebührenstruktur (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 99). Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Bestimmungen, der Gesetzbegründung (vgl. BT-Drs. 15/1971 S.212) und systematisch - argumentum e contrario - aus der abweichenden Regelung in den Nrn. 3202, 3104 VV, die den Regelfall der Abrechnung nach einem Gebührenstreitwert (Gegenstandswert) betreffen. Es besteht auch keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (so Bundessozialgericht in: BSGE 39, 143 = SozR 2200, § 1251 Nr. 11; BSGE 60, 176, 178 = SozR 2600, § 57 Nr. 3; vgl. ferner auch BSGE 58, 110, 114 f. = SozR 5755, Art 2 § 1 Nr. 6). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben. Eine andere (€verfassungskonforme") Auslegung oder eine Analogie zu Nrn. 3202, 3104 VV-RVG, die § 3 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. den Nrn. 3205, 3106 VV-RVG mit einem anderen (hier: gegenteiligen) Inhalt versieht, ist deshalb rechtsmethodisch nicht möglich.

Dass der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Lösung der Frage überlassen wollte, ob bei Verfahrensbeendigung durch schriftlichen Vergleich eine Terminsgebühr anfällt, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls finden sich in den Gesetzesmaterialien keinerlei Hinweise für eine derartige Absicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks 15/1971). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Versehen des Gesetzgebers im Sinne einer planwidrigen Regelungslücke vorliegen könnte. Dem Gesetzgeber war offenbar bekannt, dass bei der Entwicklung der neuen Vergütungsstruktur zu bedenken und entscheiden war, ob bei Beendigung eines sozialgerichtlichen Verfahrens durch schriftlichen Vergleich eine Terminsgebühr anfällt. Dies zeigt die Regelung in Nrn. 3202, 3104 VV-RVG. Vor diesem Hintergrund liegt es fern, bei der unterschiedlichen Regelung für Betragsrahmengebühren einerseits und Wertgebühren andererseits von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu sprechen. Lässt sich aber nicht feststellen, dass eine planwidrige Gesetzeslücke gegeben ist, fehlen die speziellen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Nrn. 3202, 3104 VV-RVG. Eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht ist daher auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen. Überdies hat auch das Bundesverfassungsgericht die erhobenen Bedenken gegen diese Auslegung ausdrücklich nicht geteilt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19. Dezember 2006, 1 BvR 2091/06, zitiert nach juris).

Es mag im Übrigen sein, dass Anwälte unter möglicher Außerachtlassung standesrechtlicher Vorgaben aus diesen Gründen Vergleiche vor Sozialgerichten nur in gerichtlichen Terminen abschließen, um so zu erreichen, auch noch eine Terminsgebühr in Verfahren mit Betragsrahmengebühren (§ 14 RVG, § 183 SGG) zu erhalten. Dieser Vorgehensweise steht aber der tatsächliche, ggf. erhebliche Aufwand für die Terminswahrnehmung gegenüber, so dass es vielfach wirtschaftlicher sein kann, von einer solchen Verfahrensweise abzusehen und es bei dem außergerichtlichen Vergleichsabschluss zu belassen.

Die Kammer wendet sich aus den genannten Gründen auch ausdrücklich gegen die gegenteiligen Entscheidungen des Sozialgerichts Oldenburg, Beschluss vom 11. Juli 2007, - S 10 SF 103/07; des Sozialgerichts Karlsruhe, Beschluss vom 25. Januar 2006, - S 10 SB 3035/05 und des Sozialgerichts Aachen, Beschluss vom 18. Februar 2005, - S 3 SB 178/04 sowie gegen die von der Erinnerungsführerin zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Auffassung des Dr. Mayer.

Die Kammer hält schließlich auch aus den oben genannten Gründen die in der Literatur aufgezeigten Auffassungen für nicht überzeugend (vgl. z. B. Guhl, NZS 2005, S. 193 ff, 194 f und die pauschalen Verweisungen in der Kommentarliteratur bei Nr. 3106 VV-RVG: Geltung der Vorschrift nur, €soweit Nr. 3106 nichts anderes bestimmt" in: Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, Nr. 3106 VV-RVG, S. 1881; Hartmann, Kostengesetze, Nr. 3106 VV-RVG, RdNr. 1). Diese Auffassungen berücksichtigen nämlich die unterschiedlichen Verfahrensformen in Nr. 3104 VV-RVG und Nr. 3106 VV-RVG nicht ausreichend und sehen in unzulässiger Weise darüber hinweg, dass in Nr. 3104 I Nr. 1 VV-RVG schriftliche Vergleichsabschlüsse ausdrücklich erwähnt sind, dagegen in Nr. 3106 VV-RVG nicht; obwohl alle anderen Formulierungen weitgehend - auch in der Systematik - übereinstimmen (offen gelassen bei Baumgärtel-Hergenroder, RVG, Nr. 3104 VV-RVG, RdNr. 4, Nr. 3106 VV-RVG, RdNr. 4).

2. Weil andere Gebührenpositionen nicht im Streit stehen, ergibt sich der im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss - unter Berücksichtigung der Kostenquote - ermittelte Vergütungsbetrag; auf das dortige Rechenwerk wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Weil ein höherer Vergütungsanspruch nicht gegeben ist, bleibt die Erinnerung erfolglos.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus einer analogen Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 2 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 3 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG; vgl. zur Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdn. 10, der eine solche sogar gänzlich für entbehrlich hält).

4. Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 1 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.

5. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig; die angeregte Zulassung der Beschwerde kommt demgemäß auch nicht in Betracht.






SG Lüneburg:
Beschluss v. 08.01.2010
Az: S 12 SF 204/09 E


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