Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 29. Mai 2006
Aktenzeichen: VII-Verg 79/04

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 29.05.2006, Az.: VII-Verg 79/04)

1. Die anwaltliche Verfahrensgebühr für das Verfahren über einen Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB (Nr. 3300 VV zum RVG) und die Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren (Nr. 3200 VV) sind nicht aufeinander anzurechnen (Abweichung von KG, Beschl. v. 14.2.2005 - 2 Verg 13/04, VergabeR 2005, 402 und des BayObLG, Beschl. v. 19.1.2006 - Verg 22/04).

2. Bündeln mehrere Auftraggeber ihren Beschaffungsbedarf und schließen sie sich für die Dauer und die Durchführung des Vergabeverfahrens zu einer Auftraggebergemeinschaft zusammen, sind sie kostenrechtlich wie ein Auftraggeber zu behandeln. Eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV zum RVG ist in solchen Fällen ausgeschlossen.

OLG Düsseldorf, Vergabesenat, Beschl. v. 29.5.2006 - VII-Verg 79/04 (rechtskräftig)

Tenor

Die Erinnerungen der Antragstellerin gegen die Kostenfestset-zungsbeschlüsse des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. Januar 2006, 30. Januar 2006 und 14. Februar 2006 sowie die Erinnerung der Antragsgegner gegen den Kostenfestsetzungsbe-schluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 2006 werden zurückgewiesen.

Die Entscheidungen ergehen gerichtsgebührenfrei. Außergerichtli-che Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die von den Verfahrensbeteiligten gegen die im Ausspruch benannten Kostenfestsetzungsbeschlüsse wechselseitig eingelegten Erinnerungen, denen der Rechtspfleger des Oberlandesgerichts nicht abgeholfen hat, sind zwar statthaft und zulässig (vgl. § 11 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 RPflG, § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 104 Abs. 3 ZPO), aber unbegründet.

I. Die Antragstellerin hat gegen die zu Gunsten der Beigeladenen zu 1. und zu 2. erlassenen Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 24.1.2006 und 30.1.2006 Erinnerungen mit der Begründung erhoben, die nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde durch Senatsbeschluss vom 28.11.2005 entsprechend § 516 Abs. 3, § 101 Abs. 1, 1. Hs. ZPO ergangene Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB lasse für die Beigeladenen eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht zu. Für die Beigeladenen zu 1. und zu 2. sei im Senatsbeschluss die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter nicht für notwendig erklärt worden. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen, unter denen außergerichtliche Kosten von Beigeladenen aus Gründen der Billigkeit erstattungsfähig sein könnten, nicht vor. Unabhängig davon sei der Ansatz einer 2,3-fachen Anwaltsgebühr für das Verfahren über den Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ungerechtfertigt. Mit der zuletzt wiedergegebenen Begründung greift die Antragstellerin auch die zu Gunsten der Antragsgegner ergangene Kostenfestsetzung vom 14.2.2006 an.

Soweit sie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. als von der Kostengrundentscheidung vom 28.11.2005 nicht erfasst ansieht, interpretiert die Antragstellerin den Beschluss unrichtig. Darauf haben in ihren Erwiderungen ausführlich und zutreffend schon die Beigeladene zu 1. (Schriftsatz vom 8.3.2006, GA 569 f.) und die Beigeladene zu 2. (Schriftsatz vom 17.3.2006, GA 590 ff.) hingewiesen, so dass sich bloße Wiederholungen erübrigen. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen:

Die Entscheidung des Senats vom 20.7.2000 (Verg 2/99, NZBau 2001, 265), in der die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen analog § 162 Abs. 3 VwGO von Billigkeitserwägungen abhängig gemacht wurde, ist infolge des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 9.2.2004 (X ZB 44/03 - Wassernebellöschanlage II, VergabeR 2004, 201, 208), dem sich der Senat aus Gründen der Rechtseinheit und -sicherheit in seiner Entscheidungspraxis angeschlossen hat, überholt. Hiernach ist über die Kosten des Beschwerdeverfahrens in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung zu entscheiden, da das vergaberechtliche Beschwerdeverfahren - anders als das Verfahren vor der Vergabekammer - ein streitiges Verfahren vor einem ordentlichen Gericht ist (vgl. BGHZ 146, 202, 216). Dies hat zur Folge, dass auch der Beigeladene, der beim Beschwerdegericht Schriftsätze einreicht, an einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht teilnimmt oder sich sonstwie in außergerichtliche Kosten verursachender Weise am Beschwerdeverfahren beteiligt, die Grundsätze der Kostentragung in Prozessverfahren vor den ordentlichen Gerichten in Anspruch nehmen kann. Eine Billigkeitsentscheidung ist dabei nicht zu treffen. Da sich gemäß § 120 Abs. 1 GWB mit Ausnahme der Beteiligten, die juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, die Beteiligten vor dem Beschwerdegericht durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, gehören zu den zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Beschwerdeverfahren notwendigen Kosten die Gebühren des vom Beigeladenen zugezogenen Rechtsanwalts, ohne dass dies eines besonderen Ausspruchs bedarf (vgl. BGH VergabeR 2004, 201, 208).

In der Kostenentscheidung vom 28.11.2005 hat der Senat zur Begründung der die Antragstellerin in Bezug auf die von den Beigeladenen zu 1. und zu 2. aufzuwendenden Anwaltsvergütungen treffenden Kostenlast lediglich ergänzend auf die analog anzuwendende Bestimmung des § 101 Abs. 1 ZPO - Kosten einer Nebenintervention - verwiesen. Aus dem in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 9.2.2004 (X ZB 44/03, VergabeR 2004, 201, 208) ergangenen Kostenausspruch geht danach klar hervor, dass die Beigeladenen wegen ihrer außergerichtlichen Kosten einen Erstattungsanspruch gegen die Antragstellerin haben. Eine Feststellung, dass die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter für die Beigeladenen erforderlich war, war - wie oben nachgewiesen worden ist - prozessual unnötig und unangebracht. Hiervon abgesehen wäre nicht verständlich, weshalb der Senat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren auferlegt hat, wenn hiervon nicht gerade auch die ihnen entstandenen Rechtsanwaltskosten umfasst sein und den Beigeladenen insoweit Kostenerstattungsansprüche zuerkannt werden sollten. Was im vorstehenden Zusammenhang zu den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens ausgeführt worden ist, hat im Übrigen gleichermaßen für die Kostenentscheidung im Verfahren über den Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB, welches eine selbständige Angelegenheit bildet, zu gelten.

Eine 2,3-fache Anwaltsgebühr (VV Nr. 3300 zum RVG) für die Vertretung im Verfahren über den Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ist in den die Beigeladenen zu 1 und zu 2. sowie die Antragsgegner betreffenden Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 24.1.2006, 30.1.2006 und 14.2.2006 im Einklang mit der Kostenrechtsprechung des Senats festgesetzt worden. In den Beschlüssen vom 20.4.2005 (VII-Verg 42/05) und vom 20.10.2005 (VII-Verg 16/05) hat der Senat dazu grundsätzlich ausgeführt:

Die Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3300 ist nicht auf die Gebühr nach VV Nr. 3200 anzurechnen. Eine Verrechnung ist im Vergütungsverzeichnis zum RVG nicht angeordnet. Gleiches gilt für den textlichen Teil des RVG. Sachnah erscheint eine analoge Anwendung des § 17 Nr. 4 lit. c) RVG, wonach das Verfahren in der Hauptsache und ein Verfahren über einen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, auf Aufhebung der Vollziehung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts "verschiedene Angelegenheiten" sind. Indes unterstreicht dann die Einordnung als "verschiedene Angelegenheiten" nur noch die gebührenrechtliche Unabhängigkeit der Verfahrensgebühren gemäß Nr. 3200 und 3300 VV.

Aus den Gesetzesmaterialien zum RVG ergibt sich nichts anderes. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1971, S. 215) soll Nr. 3300 VV die Regelung des § 65 a S. 2 und 3 BRAGO übernehmen, wonach sich die Prozessgebühr "in diesen Verfahren" (u.a.: § 121 GWB) von 10/10 auf 15/10 erhöhte und sodann nach § 11 Abs. 1 S. 4 BRAGO richtete, was eine weitere Erhöhung auf 19,5/10 ergab. Nach dem RVG soll die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3300 VV grundsätzlich um 0,3 über der bisherigen 19,5/10-Prozessgebühr liegen und einen auf das 2,3-fache gerundeten Gebührensatz ergeben. Von einer Verrechnung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3300 VV mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV, die sich im Vergleich zur geltenden Regelung um 0,3 auf 1,6 erhöhen soll (vgl. S. 214 der Reg-Begr.), ist auch in der Gesetzesbegründung keine Rede (Ende der Wiedergabe).

Hieran hält der Senat fest. Die Abweichung von den Entscheidungen des Kammergerichts vom 14.2.2005 (2 Verg 13/04, VergabeR 2005, 402) und des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 19.1.2006 (Verg 22/04) erfordert gemäß § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB keine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof. Die Vorlagepflicht ist auf Entscheidungsdivergenzen in vergaberechtlichen Fragen beschränkt. Sie erstreckt sich nicht auf abweichende Beurteilungen kostenrechtlicher Fragen.

II. Die Antragsgegner begehren mit der Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.2.2006 eine Erhöhung der von ihnen im Verfahren vor der Vergabekammer aufzuwendenden anwaltlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG auf das 2,5-fache. Im angegriffenen Beschluss ist eine 2-fache Gebühr festgesetzt worden. Außerdem streben die Antragsgegner eine Erhöhung der Verfahrensgebühr wegen mehrerer Auftraggeber an (VV Nr. 1008).

Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr auf den 2,5-fachen Satz ist abzulehnen, weil die entsprechende Bestimmung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner infolge Unbilligkeit nicht verbindlich ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Unter Berücksichtigung der bei Rahmengebühren der vorliegenden Art gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG für die Bemessung der Gebühr heranzuziehenden Umstände trägt die in Höhe des 2,0-fachen festgesetzte Gebühr sowohl dem Umfang als auch dem Schwierigkeitsgrad der Sache angemessen und ausreichend Rechnung, wobei zu bedenken ist, dass die vom Rechtspfleger vorgenommene Festsetzung - über die Kappungsgrenze hinaus - schon eine bedeutsame Erhöhung der Gebühr beinhaltet. Umstände, die - gemessen an der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 24.5.2005 - VII-Verg 98/04, NZBau 2006, 72) - gemäß dem Begehren der Antragsgegner eine volle Ausschöpfung des durch Nr. 2400 VV eröffneten Gebührenrahmens vertretbar erscheinen lassen, sind weder durch den Vortrag der Antragsgegner noch durch den Akteninhalt nahegelegt. Die vorliegende Sache war nicht so schwierig und/oder umfangreich, dass die Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner nur mit einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr vertretbar abzugelten wäre.

Der Tatbestand einer unter dem in Nr. 2400 VV angesprochenen Gesichtspunkt (Tätigkeit im Vorverfahren) gebotenen Herabsetzung der Geschäftsgebühr ist von der Antragstellerin im Übrigen nicht vorgetragen und vor allem nicht zum Gegenstand ihrer Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.2.2006 gemacht worden. Der Schriftsatz der Antragstellerin vom 31.3.2006 (GA 612 ff.), mit dem eine "gebührenmindernde" Berücksichtigung von Tätigkeiten im Vorverfahren gefordert worden ist, stellt gemäß seiner Einleitung ausschließlich eine Erwiderung auf die von den Antragsgegnern eingelegte Erinnerung dar.

Eine Gebührenerhöhung wegen mehrerer Auftraggeber (Nr. 1008 VV zum RVG) ist auf Seiten der Antragsgegner nicht gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall haben die vier Antragsgegner ihren Beschaffungsbedarf zu einer einheitlichen Ausschreibung von SPNV-Leistungen im "Teutoburger Wald-Netz" gebündelt. Zur Durchführung des Vergabeverfahrens haben sie sich unter einer gemeinsamen Federführung zusammengeschlossen. Es sollten nur die nach Maßgabe der einheitlichen Vergabeentscheidung einzugehenden Verkehrsverträge mit den Antragsgegnern einzeln und in ihrer jeweiligen Eigenschaft als Verkehrsträger für einen bestimmten Geschäftsbereich abgeschlossen werden. Diese Fallgestaltung gleicht so weitgehend der Beteiligung einer Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren, dass kostenrechtlich eine Gleichbehandlung angezeigt ist. Die Antragsgegner bildeten für die Dauer und die Durchführung des Vergabeverfahrens eine Auftraggebergemeinschaft mit gesellschaftsähnlichen Zügen. Ihre Interessen waren auf dasselbe Ziel, nämlich die Durchführung und den Abschluss eines einheitlichen Vergabeverfahrens ausgerichtet. Von einer Bietergemeinschaft unterschied sich der von ihnen eingegangene Zusammenschluss nur dadurch, dass er auf der Auftraggeberseite stattfand und der gemeinsame Leistungszweck sich auf die Durchführung des Vergabeverfahrens beschränkte. Schon dies rechtfertigt es aber, die Antragsgegner im Vergabeverfahren und im Nachprüfungsverfahren - genauso wie die Bietergemeinschaft - kostenrechtlich wie einen einzigen Auftraggeber zu behandeln. Der Hinweis der Antragsgegner auf eine hiervon abweichende Sachbehandlung in Wohnungseigentumssachen überzeugt nicht. Er lässt das Faktum der im Streitfall mit vergaberechtlichem Einschlag gebildeten Interessengemeinschaft unberücksichtigt.

D. W. D.-B.






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Beschluss v. 29.05.2006
Az: VII-Verg 79/04


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