Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. April 2007
Aktenzeichen: 10 W (pat) 9/06

(BPatG: Beschluss v. 02.04.2007, Az.: 10 W (pat) 9/06)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 23. August 2005 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin begehrt die Beibehaltung des Anmeldetags für eine Patentanmeldung.

Unter dem 16. April 2003 brachte die Beschwerdeführerin beim Deutschen Patent- und Markenamt einen

"Ventiltrieb für eine Brennkraftmaschine, insbesondere zur selektiven Zylinderzuschaltung", mit dem Aktenzeichen 103 18 493.7 (jetzt 10 2004 055 852.3) zur Anmeldung. Die Patentanmeldung ging am 24. April 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt ein. Unter Punkt "(11) Anlagen" der Anmeldung findet sich in Nr. 6 folgende Eintragung: "5 Blatt Zeichnungen". In der Verfahrensakte befinden sich nach der Zusammenfassung und vor der Beschreibung ein Blatt 1/6 mit Figur 1 als Zusammenfassungszeichnung und nach den Patentansprüchen 5 Blätter Zeichnungen 1/6 bis 5/6 mit den Figuren 1, 2, 3a, 3b und 3c.

Mit Schreiben vom 10. September 2004 teilte das Deutsche Patent- und Markenamt der Anmelderin mit, dass die zum Druck der Offenlegungsschrift eingereichten Unterlagen der Anmeldung von der Bundesdruckerei zurück gekommen seien, weil die im Beschreibungstext erwähnte Figur 4 nicht beigefügt sei. Im Hinblick darauf wurde der Anmelderin im gleichen Schreiben eine Frist von einem Monat gesetzt, um die Zeichnung nachzureichen oder eine Erklärung gemäß § 35 Abs. 1 PatG abzugeben. Die Anmelderin wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass sich im Falle der Nachreichung der Zeichnung der Anmeldetag der gesamten Anmeldung auf den Tag des Eingangs der Zeichnung verschiebe und im Falle der Nichtnachreichung jede Bezugnahme auf die Zeichnung als nicht erfolgt gelte. Das Schreiben wurde von einer Reg.-Angestellten im gehobenen Dienst unterzeichnet.

Mit Schreiben vom 21. September 2004, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 23. September 2004, reichte die Anmelderin eine Druckzeichnung ein, die die Bezeichnung "Fig. 3b" trägt.

Ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 28. September 2004 über ein fernmündliches Gespräch zwischen einem Mitarbeiter des Deutschen Patent- und Markenamts und einer nicht näher bezeichneten Person bei der Anmelderin wurde eine Nachreichung der Figur 4 durch die Anmelderin zugesagt.

Mit Schreiben vom 28. September 2004, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 30. September 2004, übermittelte die Anmelderin eine Druckzeichnung, welche die Bezeichnung "Fig. 4" trägt. Sie entspricht nicht der mit Schreiben vom 21. September 2004 eingereichten Zeichnung mit der Bezeichnung "Fig. 3b".

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 teilte das Deutsche Patent- und Markenamt der Anmelderin mit, dass der Anmeldetag für die gesamte Patentanmeldung auf den 30. September 2004 festgelegt worden sei. Das Schreiben ist unterzeichnet durch eine Reg.-Angestellte im gehobenen Dienst und enthält keine Rechtsmittelbelehrung.

In einem Schreiben vom 19. November 2004 teilte das Deutsche Patent- und Markenamt der Anmelderin mit, dass die Anmeldung mit dem Aktenzeichen 103 18 493.7 gelöscht sei und sämtliche Anmeldeunterlagen dem Aktenzeichen 10 2004 055 852.3 zugeordnet seien. Das neue Aktenzeichen sowie der geänderte Anmeldetag sind auf der Anmeldung vermerkt.

Mit Schreiben vom 26. November 2004, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 27. November 2004, wandte sich die Anmelderin gegen die Verlegung des Anmeldetags auf den 30. September 2004. Sie bestritt in diesem Schreiben die mehrfache Aufforderung zur Nachreichung der Figur 4 durch das Patentamt und verwies auf die Überprüfungsverpflichtung hinsichtlich der Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen durch die Dokumentenannahme. Im Erteilungsantrag sei die korrekte Anzahl der Zeichnungen angegeben, so dass schon bei Einreichung ein einfacher Abgleich dazugeführt hätte, das vermeintliche Fehlen eines Blattes zu bemerken. Offensichtlich sei ein solcher Abgleich jedoch nicht erfolgt. Da bei der Bibliographie-Mitteilung vom 6. März 2003 und wohl auch bei der Recherche offenbar die vollständigen Unterlagen vorgelegen hätten, dränge sich der Verdacht auf, dass die Figur 4 während des Verfahrens seitens des Patentamts abhanden gekommen sein müsse.

Aus diesen Gründen handele es sich auch um einen groben Verfahrensfehler, wenn eine Aufforderung, eine vermeintlich fehlende Zeichnung nachzureichen, erst 17 Monate nach dem Anmeldetag erfolge, zumal zu diesem Zeitpunkt eine nationale Nachanmeldung mit Inanspruchnahme innerer Priorität oder eine internationale Nachanmeldung bereits seit 5 Monaten unmöglich gewesen seien. Darüber hinaus hätte auch der ursprüngliche Recherchebericht bei Verschiebung des Anmeldetags keine Relevanz mehr, da er den Stand der Technik der letzten 17 Monate nicht berücksichtige.

Die Anmelderin beantragte daher im gleichen Schreiben - festzustellen, dass die Patentanmeldung zum Zeitpunkt des Eingangs beim Deutschen Patent- und Markenamts vollständig war,

- der Patentanmeldung den ursprünglichen Anmeldetag wieder zuzuerkennen und - die Patentanmeldung unverzüglich 18 Monate nach dem ursprünglichen Anmeldtag, d. h. incl. Fig. 4, zu veröffentlichen.

Für den Fall der Nichtstattgabe beantragte die Anmelderin eine beschwerdefähige Entscheidung.

Mit Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 23. August 2005, unterzeichnet durch einen Reg.-Oberamtsrat, nach einem Vermerk auf dem Aktenexemplar des Beschlusses abgesandt am 24. August 2005, nach eigenem Vortrag der Beschwerdeführerin zugegangen am 29. August 2005, wurde der Anmeldetag, "wie bereits mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 mitgeteilt", auf den 30. September 2004 verschoben.

Zur Begründung wird in dem Beschluss ausgeführt, die Überprüfung der Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen durch die Dokumentenannahme sei ordnungsgemäß erfolgt. Im Erteilungsantrag seien unter dem Punkt "(11) Anlagen" 5 Blatt Zeichnungen aufgeführt. Eingereicht worden seien die Zeichnungsblätter 1/6 bis 5/6 mit den Figuren 1 bis 3c. Es werde insoweit auf die - dem Aktenexemplar des Beschlusses nicht beiliegende - Anlage 1 verwiesen. Da der einfache Abgleich keine Abweichung ergeben habe, sei keine Rüge erfolgt. Eine weitergehende Prüfung finde nicht statt. Es sei damit zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Figur 4 am Anmeldetag nicht eingereicht worden sei. Die Anmeldeunterlagen seien daher nicht vollständig gewesen.

Im Hinblick auf die Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG müsse daher der Anmeldetag auf den 30. September 2004 verschoben werden, da erst zu diesem Zeitpunkt die Figur 4 nachgereicht worden sei.

Bedauerlicherweise sei bei der formellen Prüfung der Patentanmeldung das Fehlen der Figur 4 nicht bemerkt und daher auch nicht beanstandet worden. Es könne aber insoweit nicht von einem groben Verfahrensfehler gesprochen werden, da bei der formellen Prüfung von ca. 60 000 Patentanmeldungen jährlich Fehler nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden könnten, die Recherche grundsätzlich anhand der vorgelegten Ansprüche erfolge und eine Prüfung der Anmeldeunterlagen auf Vollständigkeit im Rechercheverfahren nicht vorgenommen werde.

Die beantragte Offenlegung könne schon wegen der Verschiebung des Anmeldetags nicht erfolgen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die - von einem im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens bevollmächtigten Mitarbeiter der Beschwerdeführerin eingelegte - Beschwerde der Anmelderin vom 22. September 2005, die am 24. September 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt einging.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

- festzustellen, dass die ursprünglich eingereichten Unterlagen beim Deutschen Patent- und Markenamt vollständig eingegangen sind,

- die Löschung der Anmeldung mit dem amtlichen Aktenzeichen 103 18 493.7 aufzuheben und dieser Patentanmeldung den ursprünglichen Anmeldetag wieder zuzuerkennen,

- festzustellen, dass die Patentanmeldung unverzüglich in der ursprünglich eingereichten Fassung incl. Figur 4 zu veröffentlichen ist.

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Beschwerdeführerin unter teilweiser Schilderung des oben dargestellten Sachstandes vor, es sei davon auszugehen, dass die ursprünglich beim Patentamt eingereichten Unterlagen vollständig gewesen seien, denn die Eingangsstelle habe die Patentanmeldung an die Prüfungsstelle übergeben und die Offensichtlichkeitsprüfung sei ohne Beanstandung abgeschlossen worden.

In einem ähnlichen Fall sei ein Mangel bei der Anmeldung bereits mit der Bibliographie-Mitteilung gerügt worden.

Auch ein Recherchebericht vom 2. April 2004 enthalte keinerlei Hinweise auf das Fehlen eines Blattes. Es sei deshalb auch diesbezüglich davon auszugehen, dass die ursprünglich eingereichten Unterlagen vollständig gewesen seien.

Die Beschwerdeführerin trägt weiterhin vor, dass sie bei rechtzeitiger Mitteilung des Fehlens von Figur 4 während der Recherche die Möglichkeit gehabt hätte, eine nationale Nachanmeldung mit Inanspruchnahme innerer Priorität oder eine internationale Nachanmeldung vorzunehmen.

Erst mit Schreiben vom 10. September 2004 sei die Beschwerdeführerin zur Nachreichung der Figur 4 aufgefordert worden. Eine Streichung der Figur 4 sei nach Sachlage für die Beschwerdeführerin nicht Betracht gekommen. Aus diesem Grund sei diese nachgereicht worden.

Zwar sei der Beschwerdeführerin möglicherweise bei der Anmeldung ein Fehler bei der Angabe "5 Blatt Zeichnungen" unterlaufen, dies habe jedoch bei der Offensichtlichkeitsprüfung auffallen müssen. Auch eine Rückfrage bei ihr sei nicht erfolgt.

Die ursprünglichen Unterlagen seien daher eindeutig vollständig gewesen, d. h., die Figur 4 habe nicht gefehlt. Es dränge sich somit der Verdacht des Verlustes der Figur 4 auf den Weg zur oder bei der Bundesdruckerei auf.

Ein Fehler des Deutschen Patent- und Markenamtes dürfe jedenfalls nicht zu einem Rechtsnachteil der Anmelderin führen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Die angefochtene Entscheidung ist formell rechtsfehlerhaft ergangen. Sie ist daher aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurück zu verweisen.

A Die Beschwerde ist zulässig.

1. Beschwerdegegenstand ist der Beschluss vom 23. August 2005.

Die Beschwerdeführerin hat drei unterschiedliche Anträge im Beschwerdeverfahren gestellt, die inzident alle das Ziel verfolgen, die mit der Verlegung des Anmeldetags verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Folgen zu beseitigen.

Im Übrigen ist auch ein Feststellungsinteresse für die als Feststellungsbegehren formulierten Anträge in den Spiegelstrichen 1 und 3 nicht fraglich.

Der in Spiegelstrich 2 enthaltene Leistungsantrag hat im Ergebnis die - nicht ausdrücklich beantragte - Aufhebung des angefochten Beschlusses und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands - Anmeldetag 24. April 2003 - zum Ziel.

2. Die Beschwerdefrist des § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG ist gewahrt.

Entgegen der Tenorierung im angefochtenen Beschluss ist für die Beurteilung der Fristwahrung allein auf den Beschluss vom 23. August 2005 abzustellen.

Der im Tenor zitierte Bescheid vom 14. Oktober 2004 ist schon im Hinblick auf seine rechtliche Qualität als endgültiger Bescheid fraglich, denn er erweckt eher den Eindruck einer Ankündigung.

Selbst wenn man jedoch bereits dieses Schreiben als rechtlich verbindliche Entscheidung ansehen wollte, ist sie mit der Beschwerde zumindest mit angefochten und es liegt keine Verfristung vor, denn sie enthält keine Rechtsmittelbelehrung gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 PatG. Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 3 PatG ist noch nicht abgelaufen.

Im Hinblick auf den Beschluss von 23. August 2005 ist die Monatsfrist zweifelsfrei gewahrt.

B Die Beschwerde ist auch begründet.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem wesentlichen Verfahrensfehler. Sie ist deshalb aufzuheben und die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung des Senats kommt nicht in Betracht.

I. Die angefochtene Entscheidung ist formell fehlerhaft ergangen.

1. Die Entscheidung über die Verschiebung des Anmeldetags durfte nicht isoliert von der Entscheidung über die Anmeldung als Ganzes ergehen.

Der erkennende Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass eine isolierte Vorabentscheidung über die Verschiebung des Anmeldetags unzulässig ist (vgl. zuletzt 10 W (pat) 12/06, 10 W (pat) 5/02).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat weiterhin anschließt, kann ein Patent nur so erteilt werden, wie es beantragt wird (BGH GRUR 66, 488 - Ferrit; 79, 221 - b-Wollastonit; Benkard-Schäfers, PatG, Kommentar, 10. Auflage, § 35 Rd. 34). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch unter der Prämisse der Neuregelung des § 35 PatG in Art. 2 Nr. 10 des 2. PatGÄndG vom 16. Juli 1998 (BGBl I S. 1827) fest, denn der Anmeldetag ist zwingender Bestandteil des Erteilungsantrags und damit der Erteilung selbst. Da im konkreten Fall nach dem Schreiben des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 14. Oktober 2004 zwischen der Anmelderin und dem Amt ein Dissens über den Anmeldetag bestand, hätte das Amt die Anmeldung vollständig zurückweisen müssen und keine isolierte Entscheidung zum Anmeldetag treffen dürfen.

2. Es liegt somit ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG vor, der eine eigene Sachentscheidung durch den Senat als nicht sachdienlich erscheinen lässt und auch sonst nicht gebietet.

Eine eigene Sachentscheidung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die getroffene Entscheidung, auch wenn sie im Ergebnis zutreffend war (siehe hierzu unten II.), als solche isoliert nicht hätte ergehen dürfen. Eine eigene Sachentscheidung des Senats müsste sich - seine Rechtsprechung zu Grunde gelegt - zwangsläufig auch mit dem Bestand der Anmeldung als solcher auseinander setzen. Der Bestand der Anmeldung ist jedoch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden, denn das Patentamt hat über die Anmeldung selbst noch keine Sachentscheidung getroffen. Aus Sicht des Senats war die isolierte Entscheidung über den Anmeldetag generell nicht zulässig, sondern nur zusammen mit der Entscheidung über die Anmeldung als Ganzes.

Das Deutsche Patent- und Markenamt muss daher durch das zuständige Entscheidungsorgan über die gesamte Anmeldung einheitlich entscheiden und in dem Fall, dass eine Einigung mit der Anmelderin über den Anmeldetag nicht erzielt werden kann, die Anmeldung, gegebenenfalls nach nochmaliger Gelegenheit zur Stellungnahme, zurückweisen.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

II. Beim weiteren Fortgang des Erteilungsverfahrens wird das Deutsche Patent- und Markenamt von folgenden Überlegungen ausgehen müssen:

Rechtliche Grundlage für die Prüfung der Verschiebung des Anmeldetags ist § 35 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 PatG.

1. Das Deutsche Patent- und Markenamt kommt zutreffend zum Ergebnis, dass die von der Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen unvollständig waren.

a. Die Unvollständigkeit hinsichtlich der hier maßgeblichen Figur 4 ergibt sich bereits daraus, dass im Erteilungsantrag vom 16. April 2003 unter Punkt "11 Anlagen" bei dessen Nr. 6 auf "5 Blatt Zeichnungen" Bezug genommen wird.

Tatsächlich sind den Anmeldeunterlagen im Anschluss an die Patentansprüche 5 Blatt Zeichnungen beigefügt, nämlich die Figuren 1, 2, 3a, 3b und 3c. Die nach der Zusammenfassung als Zusammenfassungszeichnung beigefügte Zeichnung der Figur 1 mit der Bezifferung 1/6 entspricht der Figur 1 im Anschluss an die Patentansprüche. Sie wurde von der Anmelderin daher von vorneherein offensichtlich nicht als eigene Anlage angesehen.

Im Rahmen der nach § 42 PatG durchzuführenden Offensichtlichkeitsprüfung war es geboten, aber auch ausreichend, die tatsächliche Blattanzahl im Anschluss an die Patentansprüche mit der im Erteilungsantrag angegebenen Blattanzahl zu vergleichen.

Somit steht fest, dass die in der Beschreibung auf Seite 7 genannte Figur 4 den Anmeldeunterlagen nicht beigefügt war, denn die Figuren 1 bis 3c nehmen ebenso wie die nachgereichte Figur 4 jeweils ein gesamtes Blatt ein, so dass tatsächlich die Angabe "6 Blatt Zeichnungen" hätte erfolgen müssen, wenn die Figur 4 beigefügt gewesen wäre. Bei einer solchen Angabe wäre das Fehlen sodann bei einem einfachen Abgleich bemerkt worden.

Damit fehlte am Anmeldetag die Figur 4.

b. Die Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG ist nach Ansicht des Senats auch in den Fällen anwendbar, in denen die Zeichnungen nicht gänzlich fehlen, sondern nur einzelne Teile der Zeichnungen nicht vorliegen.

Zwar spricht das Gesetz von "Zeichnungen", dieser Plural begrenzt die Regelung jedoch nicht auf ein vollständiges Fehlen aller Zeichnungen, denn dieser Fall würde schon von der Offensichtlichkeitsprüfung ohne weiteres erfasst. Zu Recht behandelt daher das Deutsche Patent- und Markenamt die Vervollständigung von Zeichnungen wie eine Nachreichung (Busse-Keukenschrijver, PatG, Kommentar, 6. Auflage, § 35 Rd. 8, Benkard-Schäfers, PatG, Kommentar, 10. Auflage, § 35 Rd. 20).

2. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die Anmelderin zur Nachreichung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG auch wirksam aufgefordert.

a. Diese Aufforderung erfolgte am 10. September 2004 durch eine Reg.-Angestellte im gehobenen Dienst unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG.

Diese Aufforderung ist wirksam, denn gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 a WahrnV konnte diese Aufforderung durch einen Beamten des gehobenen Dienstes erfolgen. Dabei ist nach Ansicht des Senats unter einem formellen Mangel auch das Fehlen einer Zeichnung im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG zu verstehen, da § 1 Abs. 1 Nr. 7a WahrnV nicht ausdrücklich auf § 45 Abs. 1 PatG und die dort genannten Mängel Bezug nimmt und damit einen formellen Mangel nach § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG nicht ausschließt.

b. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Aufforderung mit der Nachreichung der Figur 4 reagiert.

Sie hat mit Schreiben vom 21. September 2004 - zunächst erneut fehlerhaft - die Figur 3b eingereicht und nach fernmündlichem Hinweis durch das Amt mit Schreiben vom 28. September 2004, eingegangen am 30. September 2004, die Figur 4 nachgereicht.

Sie hat sich damit, nachdem sie über die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG vorab durch das Schreiben vom 10. September 2004 aufgeklärt worden war, für die 1. Alternative des § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG entschieden, nämlich die durch Gesetz bestimmte Verschiebung des Anmeldetags auf den Tag der Nachreichung der Figur 4.

3. Als Rechtsfolge dieser Nachreichung hat sich der Anmeldetag auf den 30. September 2004 verschoben.

Da die Anmelderin durch Nachreichung der Figur 4 die Alternative der Anmeldetagsverschiebung gewählt hat, war die Rechtsauffassung des Deutschen Patent- und Markenamtes zur Verschiebung des Anmeldetags im Ergebnis zutreffend, allerdings formell fehlerhaft verbeschieden, da die Entscheidung - isoliert - nicht hätte ergehen dürfen.

4. Der Hinweis erst am 10. September 2004 führt zu keiner anderen Beurteilung.

Die Rüge der Beschwerdeführerin, der Hinweis auf das Fehlen der Figur 4 sei vom Deutschen Patent- und Markenamt erst erhebliche Zeit nach der Anmeldung erfolgt und ihr dürften hieraus deshalb keine Nachteile entstehen, führt zu keiner Änderung des vom Patentamt angenommenen neuen Anmeldetags.

Das Deutsche Patent- und Markenamt kann bis zur Patenterteilung die Aufforderung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG jederzeit vornehmen (Busse-Keukenschrijver, a. a. O., § 35 Rd. 9, Schulte, a. a. O., § 35 Rd. 38).

Zwar ist es grundsätzlich für den Anmelder wünschenswert und vorteilhaft, diese Aufforderung in einem möglichst frühen Stadium des Erteilungsverfahrens zu erhalten, wenn diese Aufforderung aber - aus welchen Gründen auch immer - erst in einem sehr späten Stadium des Erteilungsverfahrens ergeht, ändert dies nichts an der gesetzlich bestimmten Rechtsfolge, dass die Wirkungen des § 35 Abs. 2 Satz 3 PatG auch erst in diesem Stadium eintreten.

Die Bestimmung eines fiktiven Zeitpunkts zur Aufforderung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 PatG und ein damit verbundener früherer Eintritt der Rechtsfolge des § 35 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 PatG sind mit dem Gang des Erteilungsverfahrens nicht vereinbar. Dies hat zur Folge, dass auch dann, wenn dem Patentamt der Vorwurf gemacht werden könnte, das Fehlen einer Zeichnung hätte früher bemerkt werden müssen und daher mitgeteilt werden können, dieser Umstand nichts daran ändert, dass der Gesetzesautomatismus der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 PatG erst mit der tatsächlichen Aufforderung in Gang gesetzt wird.

Ein allfälliger Fehler des Patentamts würde daher an der Verschiebung des Anmeldetags nichts ändern.

Insoweit kann daher offenbleiben, ob die Rüge einer verspäteten Mitteilung im konkreten Fall auch berechtigt wäre.

C Von der Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr hat der Senat abgesehen.

Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 80 Abs. 3 PatG von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes ist jedenfalls materiell im Ergebnis zutreffend. Die Beschwerdeeinlegung ist nicht kausal durch den formellen Fehler des Deutschen Patent- und Markenamtes verursacht - die formellen Fehler wurden daher auch nicht gerügt -, sondern ist Folge der unterschiedlichen Auffassungen von Anmelderin und Patentamt zur Verschiebung des Anmeldetags.






BPatG:
Beschluss v. 02.04.2007
Az: 10 W (pat) 9/06


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