Landgericht Braunschweig:
Beschluss vom 6. Januar 2006
Aktenzeichen: 12 T 1214/05, 12 T 1214/05 (099)

(LG Braunschweig: Beschluss v. 06.01.2006, Az.: 12 T 1214/05, 12 T 1214/05 (099))

Wenn im Verfahren nach § 44 WEG von einer mündlichen Verhandlung abgesehen worden ist, steht dem Anwalt gemäß Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG eine Terminsgebühr zu. Einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift bedarf es nicht.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 11.11.2005 abgeändert.

Die aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 28.09.2005 - 12 UR II 27/05 - von den Antragstellern als Gesamtschuldner an die Antragsgegner zu erstattenden Kosten werden auf 1.000,85 Euro nebst Zinsen seit dem 12.10.2005 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB festgesetzt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1. Die Antragsteller begehrten zu acht Beschlüssen der Wohnungseigentümerversammlung vom 25.06.2005 die Feststellung der Unwirksamkeit. Das Amtsgericht bat mit verfahrensleitender Verfügung vom 02.08.2005 um Stellungnahme, ob einer Entscheidung um schriftlichen Verfahren zugestimmt werde. Diese Zustimmung wurde von den Antragsgegnern in der Erwiderung zur Antragsschrift erteilt. Die Antragsteller mahnten am 15.09.2005 eine Entscheidung an, weil die Sache eilig sei, ohne sich ausdrücklich zum Erfordernis einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Das Amtsgericht entschied am 28.09.2005 ohne vorherige mündliche Verhandlung. Es wies die Anträge zurück und legte den Antragstellern auch die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegner auf.

Diese haben mit Schriftsatz vom 11.10.2005 die Festsetzung von 1.000,85 Euro außergerichtlichen Kosten beantragt, nämlich die Vergütungsforderung ihrer Verfahrensbevollmächtigten. Auf den Antrag wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.11.2005, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das Amtsgericht 581,86 Euro nebst Zinsen festgesetzt und den Antrag in Höhe von 418,99 Euro zurückgewiesen. Zu letzteren hat das Amtsgericht ausgeführt, die insoweit beantragte Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV § 13 RVG sei nicht entstanden, weil in WEG-Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei.

Gegen den zurückweisenden Teil des am 23.11.2005 zugestellten Beschlusses wenden sich die Antragsgegner mit ihrem am 29.11.2005 beim Amtsgericht Clausthal-Zellerfeld eingegangenem Erinnerungs-/Beschwerdeschriftsatz vom 25.11.2005. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz verwiesen. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

2. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Die Antragsgegnerinnen haben ihren Verfahrensbevollmächtigten auch eine Terminsgebühr von 361,20 Euro zuzüglich 16 % Umsatzsteuer (57,79 Euro), mithin 418,99 Euro zu vergüten, so dass auch dieser Betrag zugunsten der Antragsgegnerinnen als Kosten zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit (§§ 47 Satz 2 WEG, 13 a Abs. 1 FGG) zu erstatten sind. Eine Terminsgebühr ist gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV zu § 13 RVG entstanden. Es ist zwar ohne mündliche Verhandlung entschieden worden, doch ist in dem Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben, von der mit Einverständnis der Parteien abgesehen worden ist.

6Dass eine mündliche Verhandlung für das erstinstanzliche WEG-Verfahren gem. § 44 Abs. 1 WEG trotz des offeneren Wortlauts der Vorschrift, wonach in der Regel mündlich verhandelt werden soll, im Sinne der hier in Frage stehenden Gebührenvorschrift vorgeschrieben ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu §§ 63 Abs. 1 Nr. 2, 35 BRAGO. In seinem grundlegenden Beschluss zur Verhandlungsgebühr ohne mündliche Verhandlung in WEG-Sachen vom 24.07.2003 - V ZB 12/03 - (NJW 2003, 3133 f.) hat er ausgeführt, aus der in § 44 Abs. 1 WEG aufgestellten Regel folge für die Tatsacheninstanzen regelmäßig die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung. Nur wenn die Verwirklichung der - auf diese Weise vorrangig verfolgten - Ziele einer gütlichen Einigung und einer (weiteren) Sachaufklärung nicht zu erwarten und die Gewährung rechtlichen Gehörs auf andere Weise sichergestellt sei, könne auf eine mündliche Verhandlung ausnahmsweise verzichtet werden. Damit gelte für die Tatsacheninstanzen in Wohnungseigentumssachen im Ergebnis nichts anderes als für das Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses. Für letzteres schreibe zwar § 128 Abs. 1 ZPO die mündliche Verhandlung vor, dieser Grundsatz werde aber mehrfach durchbrochen, insbesondere könne nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien und in Bagatellverfahren nach § 495 a ZPO auch ohne deren Zustimmung der Zivilprozess in einem schriftlichen Verfahren geführt werden. An die hiernach für beide Verfahrensarten gegebene Situation, dass eine mündliche Verhandlung grundsätzlich notwendig und nur in Ausnahmefällen verzichtbar sei, knüpfe § 35 BRAGO an, indem er eine Verhandlungsgebühr auch für solche Verfahren zubillige, in denen ausnahmsweise nicht mündlich verhandelt worden sei.

Vergleichbar sei nicht nur die Gestaltung beider Verfahren, vielmehr passe auch der Zweck, den das Gesetz mit dem Gebührentatbestand des § 35 BRAGO für den Zivilprozess verfolge, in vergleichbarer Weise für die Tatsacheninstanzen in Wohnungseigentumsverfahren. Hierbei gehe es nicht darum, den Rechtsanwalt davon abzuhalten, eine mündliche Verhandlung namentlich durch unzulänglichen Sachvortrag zu €erzwingen€. Vielmehr solle dem Rechtsanwalt durch § 35 BRAGO eine zusätzliche Vergütung für die besonders gründliche und umfassende schriftliche Vorarbeit zugebilligt werden, die regelmäßig erwartet werden dürfe, wenn aufgrund einer Ausnahmevorschrift im Einzelfall ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. Diese Erwägungen träfen auch für das erst- und zweitinstanzliche Wohnungseigentumsverfahren zu. Da die mündliche Verhandlung auch hier - neben anderem, der Sachaufklärung diene, dürfe von ihr nicht abgesehen werden, wenn der Sachverhalt nicht bereits durch die anwaltlichen Schriftsätze soweit geklärt sei, dass zusätzliche Erkenntnisse im Verhandlungstermin nicht zu erwarten seien. Nicht anders als im Zivilprozess sei es nach dem Gesetzeszweck gerechtfertigt, dem Rechtsanwalt auch in Wohnungseigentumssachen eine Vergütung für die größere Mühe zuzubilligen, die mit der entscheidungsreifen Darstellung des Sachverhalts verbunden sei.

Diese Ausführungen gelten unverändert weiter und führen dazu, dass schon nach Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV zu § 13 RVG das erst- und zweitinstanzliche WEG-Verfahren als Verfahren einzustufen ist, für das eine mündliche Verhandlung im Sinne dieser Gebührenvorschrift vorgeschrieben ist, so dass es einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift nicht bedarf (so auch Jungjohann in NJW 2005, 3102; a.A. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Auflage, 2004, VV 3104 RdNr. 32 unter Verweis auf einen engeren Wortlaut der VV).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a Abs. 3 FGG, 97 Abs. 1 ZPO.






LG Braunschweig:
Beschluss v. 06.01.2006
Az: 12 T 1214/05, 12 T 1214/05 (099)


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