Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. März 2001
Aktenzeichen: 14 W (pat) 33/00

(BPatG: Beschluss v. 27.03.2001, Az.: 14 W (pat) 33/00)

Tenor

1. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

2. Das Patent wird aufrechterhalten.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 20. Mai 1999 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 44 02 606 mit der Bezeichnung

"Hochkonvektions-Gasstrahldüsenstrecke zum thermischen Vorspannen flächenhaften Gutes, insbesondere Glasscheiben"

widerrufen.

Dem Beschluß liegen die erteilten Ansprüche 1 bis 15 zugrunde, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet:

Hochkonvektions-Gasstrahldüsenstrecke zum thermischen Vorspannen flächenhaften Gutes, insbesondere Glasscheiben (16), a) mit einem oberen Düsensystem mita1) einem oberen Düsenkasten (1), a2) oberen Düsenrippen (3), a3) oberen Düsenkappen (5), a4) oberen Düsenöffnungen (70), unda5) oberen Rückströmspalten (80) zwischen den oberen Düsenkappen (5)

b) mit einem unteren Düsensystem mitb1) einem unteren Düsenkasten (2), b2) unteren Düsenrippen (4), b3) unteren Düsenkappen (6), b4) unteren Düsenöffnungen (7u), undb5) unteren Rückströmspalten (8u) zwischen den unteren Düsenkappen (6); undc) mit einem dem unteren Düsensystem zugeordneten Transportsystem mitc1) zwischen den unteren Düsenkappen angeordneten Transport- und Stützrollen (10), undc2) einer Antriebsvorrichtung für die Transport- und Stützrollen (10), gekennzeichnet durch die folgenden Merkmale:

d) die die unteren Düsenöffnungen (7u) enthaltenden unteren Düsenkappen (6) bilden den überwiegenden Anteil der oberen Oberfläche des unteren Düsensystems;

e) die Transport- und Stützrollen (10) sind vom unteren Düsensystem getrennt und ragen durch gegenüber der oberen Oberfläche des unteren Düsensystems flächenmäßig sehr kleine Aussparungen (9) von unten nach oben teilweise zwischen den unteren Düsenrippen (4) durch die obere Oberfläche des unteren Düsensystems;

f) das untere Düsensystem weist eine Stützvorrichtung (22) zum vertikalen Anheben gegenüber den bei dieser Anhebung in ihrer Position verbleibenden Transport und Stützrollen (10) auf; undg) das obere Düsensystem weist eine Aufhängevorrichtung (21) zum vertikalen Anheben auf.

Der Widerruf ist im wesentlichen damit begründet, daß der Gegenstand nach Anspruch 1 gegenüber

(1) Diplomarbeit von Herrn T..., Fachhochschule A..., November 1992 und

(2) DE 40 02 546 A1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. In der gattungsgemäßen Druckschrift (1) werde die Entwicklung einer Hochkonvektionsanlage für das Vorspannen von Gläsern niedriger Wärmeausdehnung beschrieben, die in Verbindung mit Druckschrift (2) alle Merkmale der patentgemäßen Anlage nach Anspruch 1 nahelege. Die Patentabteilung 45 ist der Auffassung, daß die Entgegenhaltung (1) als Stand der Technik zu berücksichtigen sei, weil durch die Weitergabe dieser Diplomarbeit im Dezember 1992 durch einen der Betreuer des Herrn T... an die G... Anlagenbau GmbH die objektive und nicht entfernt liegende Möglichkeit bestanden habe, daß Dritte von (1) Kenntnis hätten nehmen können. Die Mitarbeiter der G... Anlagenbau GmbH wären bezüglich der technischen Lehre der Diplomarbeit gegenüber Dritten nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen. Der Einspruch sei auch zulässig, weil nicht erkennbar sei, daß die G... Anlagenbau GmbH treuewidrig handle. Sie sei somit einspruchsberechtigt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaber. Sie tragen im wesentlichen vor, daß der Einspruch nicht zulässig sei, weil sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben auf der Grundlage früherer vertraglicher Beziehungen zwischen den Patentinhabern und der Einsprechenden eine Nichtangriffspflicht ergeben würde. Sie verweisen hierzu ua auf die

(3) Kopie eines Anwaltsvergleichs vom 2. Juni 1995 Die Patentinhaber machen auch geltend, daß zumindest bis zum 2. Juni 1995, also mehr als ein Jahr nach dem Anmeldetag des Streitpatents, sowohl die G1...-F... GmbH als auch die G... Anlagenbau GmbH zur Geheimhaltung von Informationen verpflichtet gewesen wären, die ihr im Rahmen der Zusammenarbeit mit der W...-Gruppe zugänglich gemacht worden seien. Eine Offenkundigkeit könne somit durch die angebliche Weitergabe der Diplomarbeit (1) durch Herrn Dipl.-Ing. B... an die Einsprechende nicht entstanden sein, da die G... Anlagenbau GmbH zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen sei. Die Patentinhaber legen hierfür ua folgende Dokumente vor:

(4) Kopie einer Vereinbarung zwischen dem Institut für Industrieearodynamik GmbH (IFI) vertreten durch Herrn Prof. Dr.-Ing. K... und der Firma G1...-F... GmbH vom 19./20. Dezember 1991,

(5) Kopie einer Vereinbarung zwischen G1...- F... GmbH und W... Ingenieurgesellschaft mbH vom 5. April 1989,

(6) Kopie einer Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen den Firmen G... Anlagenbau GmbH, G...-F... GmbH und der W... Ingenieurgesellschaft mbH vom 12. Dezember 1991,

(7) Kopie einer Vereinbarung zwischen Herrn F..., zugleich in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und beherrschender Gesellschafter der Firma G1...-F... GmbH und G... Anlagenbau GmbH, und Herrn Prof. Dr.-Ing. K... vom 12. Dezember 1991.

Insoweit als die G... Anlagenbau GmbH ihren Einspruch mit der Begründung erhebe, daß sie unter Bruch der entsprechenden Geheimhaltungsverpflichtungen die Diplomarbeit (1) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, stelle dies eine Rechtsausübung dar, die gegen das eigene frühere Verhalten, insbesondere gegen abgeschlossene Verträge und damit schließlich gegen Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des "venire contra factum proprium" verstoße. Damit müsse der Einspruch aber schon aus diesem Grunde als unzulässig verworfen werden.

Die Einsprechende habe darüber hinaus weder belegt noch behauptet, daß die Diplomarbeit (1) tatsächlich an "beliebige Dritte" weitergegeben worden sei, daß sie also aus der zur Geheimhaltung verpflichteten F...-Gruppe hinaus an die Öf- fentlichkeit gelangt sei. Durch die behauptete Verteilung innerhalb der F...-Gruppe sei jedoch die Diplomarbeit von Herrn T... auf Grund der abgeschlossenen Geheimhaltungsverpflichtungen nicht der Öffentlichkeit zugänglich gewesen. Somit stelle (1) keinen patentrechtlich relevanten, der Öffentlichkeit zugänglichen Stand der Technik dar. Der Einspruch sei daher nicht begründet.

Die Patentinhaber beantragen sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das angegriffene Patent 44 02 604 in unveränderter Form aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende (G... Anlagenbau GmbH) hat mit Schriftsatz vom 22. März 2001 den Einspruch zurückgenommen. Im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt hatte sie zum Beleg einer offenkundig vorbenutzten "Glasbiege- und Vorspannanlage" folgende Dokumente vorgelegt:

(8) Kopie Schreiben G1... F... vom 11. Mai 1993,

(9) Kopie Schreiben G1... F... vom 3. Juni 1993,

(10) Kopie Lieferschein W... vom 3. Dezember 1993.

Wegen weiterer Einzelheiten ist auf den Akteninhalt hinzuweisen.

II.

Gegen die formale Zulässigkeit der erteilten Ansprüche 1 bis 15 bestehen keine Bedenken, da sie sich aus den ursprünglichen Unterlagen ableiten lassen. Die technische Lehre des Streitpatents ist auch so ausreichend und deutlich offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

III.

Die Beschwerde der Patentinhaber ist zulässig (§ 73 PatG); sie ist auch begründet.

1. Der Einspruch ist zulässig, obwohl die Parteien (G... Anlagenbau GmbH, G1...-F... GmbH und F... einerseits und die W... Ingenieurgesellschaft für Wärmetechnik Strömungstechnik und Prozeßtechnik mbH sowie Prof. Dr.-Ing. K... andererseits) in einem Anwaltsvergleich einen Nichtangriffspakt geschlossen haben. Dieser Nichtangriffspakt ist jedoch auf die in § 1 des Anwaltsvergleichs (3) abschließend aufgeführten Patente beschränkt. Das angegriffene Patent fehlt in dieser Auflistung und wird daher von dem Nichtangriffspakt nicht erfaßt. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt daher nicht vor.

2. Es konnte nach Auffassung des Senats nicht nachgewiesen werden, daß die Diplomarbeit (1) vor dem Anmeldetag der Streitpatentschrift der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Es ist unbestritten, daß Herr Dipl.-Ing. T... im Jahr 1992 für die Erlangung des Titels "Diplom-Ingenieur" eine Diplomarbeit angefertigt hat, von der es insgesamt vier offizielle Exemplare gibt. Je ein Exemplar ist im Besitz von Herrn Dipl.-Ing. T... ..., von Herrn Prof. Dr. K... und von Herrn Dr. G2.... Das vierte Exemplar wird im Prüfungsamt der Fachhochschule A... aufbewahrt. Es wurde dort unter Verschluß genommen und bis zum 14. November 1996 nicht herausgegeben. Es wurde nicht geltend gemacht, daß eines dieser vier Exemplare vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit zugänglich gewesen ist.

Die Einsprechende stützt ihren Einspruch aber auf ein weiteres inoffizielles Exemplar der Diplomarbeit, das Herr T... an den Mitbetreuer seiner Diplomarbeit Herrn Dipl.-Ing. B... ... übergeben hat.

Gemäß § 1 einer Vereinbarung zwischen dem Institut für Industrieaerodynamik GmbH, Institut an der Fachhochschule A... (IFI) vertreten durch Herrn Prof. Dr.-Ing.K ... und der Firma G1...-F... GmbH vom 19. bzw 20. De- zember 1991 war Herr Dipl.-Ing. B...für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1994 für 20 Wochenstunden an das IFI abgestellt (siehe (4)). Diese Vereinbarung regelt in § 5 die Geheimhaltung vertraulicher Angelegenheiten, die durch die Abstellung des Mitarbeiters zugänglich werden. Nach § 5 soll diese Geheimhaltungsverpflichtung auch noch nach Beendigung der Vereinbarung weiter bestehen bleiben. Durch diese vertragliche Regelung war also zumindest die Firma G1...-F... sowie deren Mitarbeiter Herr Dipl.-Ing. B... daran gehindert, das Exemplar der Diplomarbeit an Dritte weiterzugeben.

Ob Herr Dipl.-Ing. Guido Becker vor dem Anmeldetag des Streitpatents bei der Firma G1...-F... GmbH oder der Firma G... Anlagenbau GmbH beschäftigt war, kann dahingestellt bleiben, da beide Firmen auf Grund verschiedener Vereinbarungen zumindest stillschweigend solange zur Verschwiegenheit verpflichtet waren, wie das "Knowhow" nicht offenkundig war (siehe (4), (5), (6) und (7)). Somit ist durch die behauptete Weitergabe der Diplomarbeit im Dezember 1992 durch Herrn Dipl.-Ing. B... an die Firma G... Anlagenbau GmbH ihr Inhalt der Öffentlichkeit nicht zugänglich geworden. Daß die Diplomarbeit (1) von der F...-Gruppe, die zur Geheimhaltung verpflichtet war, an beliebige Dritte weitergegeben wurde, ist von der Einsprechenden nicht geltend gemacht worden.

Dem Einwand der Einsprechenden, Herr T... sei nicht Angestellter des IFI gewesen, so daß Herr Dipl.-Ing. B... ... ihm gegenüber nicht zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen wäre, kann nicht gefolgt werden. Herr Dipl.-Ing. B... ... war nämlich im Rahmen seiner Tätigkeit am IFI mit der Betreuung dieser Diplomarbeit, die am IFI durchgeführt wurde, betraut gewesen. Alle Informationen, die er in diesem Zusammenhang von Herrn T... bekommen hatte, unterlagen damit der Geheimhaltungsverpflichtung nach § 5 der Vereinbarung (4). Herr Dipl.-Ing. B... sowie die G1...- F... GmbH bzw die G... Anlagenbau GmbH hatten deshalb diese Kenntnisse von erkennbar vertraulichen Angelegenheiten geheim zu halten.

Gegen die Annahme einer konkludenten Geheimhaltungsverabredung spricht auch nicht, daß diese mit der W... GmbH bzw dem IFI und nicht mit den Patentinhabern geschlossen wurde. Im Ergebnis ist lediglich entscheidend, ob mit der Weitergabe der Diplomarbeit an die Einsprechende diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Wem gegenüber sich die Einsprechende verpflichtet hatte, die in Rede stehenden Informationen geheim zu halten, ist nicht von entscheidungsrelevanter Bedeutung. Ebenso muß hier nicht näher untersucht werden, wie die Anmelder in den Besitz der Erfindung gelangt sind.

Die Diplomarbeit (1) darf somit im vorliegenden Fall nicht zum Stand der Technik gerechnet werden.

3. Die Einsprechende macht offenkundige Vorbenutzung geltend. Sie legt Dokumente vor, die die Lieferung einer "Glasbiege- und Vorspannanlage" von der Firma W... ngenieurgesellschaft für Wärmetechnik, Strömungstechnik und Prozeßtechnik mbH (W...) an die Firma G1...-F... GmbH belegen (siehe (8), (9) und (10)). Die fertiggestellte Vorspannanlage wurde gemäß Lieferschein (10) von der Firma W... am 3. Dezember 1993 an die Firma G1...-F... GmbH ausgeliefert. Wie bereits oben mehrfach ausgeführt wurde, bestand aber eine enge technische und auch persönliche Zusammenarbeit zwischen der F...-Gruppe einerseits und der W...-Gruppe andererseits. Während dieser Zusammenarbeit wurde auf strikte Vertraulichkeit und Geheimhaltung großen Wert gelegt. Die von der W...-Gruppe an die F...-Gruppe gelieferte "Glasbiege- und Vorspannanlage" stand ebenfalls unter dieser Geheimhaltungsverpflichtung. Auch hat die Firma G1...-F... GmbH kein Interesse daran gehabt, das in dieser Anlage realisierte Knowhow an Dritte weiterzugeben. Da die Einsprechende nicht konkret vorgetragen hat, daß irgendwelche Kenntnisse über die Anlage an Dritte tatsächlich weitergegeben wurden, handelt es sich bei der gelieferten "Glasbiege- und Vorspannanlage" nicht um einen patentrechtlich relevanten Stand der Technik.

4. Auch durch keine der dem Senat vorliegenden Druckschriften, nämlich weder die (1), die wie oben ausgeführt, nicht zum Stand der Technik gerechnet werden darf, noch die von der Einsprechenden entgegengehaltenen, jedoch im angefochtenen Beschluß nicht berücksichtigten Literaturstellen WO 90/15781 A1, WO 91/17963 A1, noch die im Verfahren vor der Patenterteilung zusätzlich in Betracht gezogene Druckschrift (2) und schließlich auch nicht die in der Beschreibung gewürdigten Dokumente, wird die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit der patentgemäßen Vorrichtung in Frage gestellt. Somit ist im Hinblick auf den patentrechtlich maßgeblichen Stand der Technik für den Patentgegenstand sowohl Neuheit als auch erfinderische Tätigkeit anzuerkennen. Der geltende Anspruch 1 ist daher rechtsbeständig. Die Ansprüche 2 bis 15 betreffen besondere Ausgestaltungen der Vorrichtung nach dem Hauptanspruch und haben daher ebenfalls Bestand.

Bei dieser klaren Sach- und Rechtslage konnte von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Der angefochtene Beschluß war aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten.

Moser Vogel Harrer Feuerlein Pü






BPatG:
Beschluss v. 27.03.2001
Az: 14 W (pat) 33/00


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