Verwaltungsgericht Gießen:
Urteil vom 11. April 2013
Aktenzeichen: 21 K 4521/11.GI.B

(VG Gießen: Urteil v. 11.04.2013, Az.: 21 K 4521/11.GI.B)

Verstöße bei Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente gegen die Preisbindung im Arzneimittelrecht sind immer berufsrechtlich relevant. Eine sogenannte Spürbarkeitsschwelle in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht ist insoweit nicht zu beachten.

Tenor

Der Beschuldigten wird wegen Verstoßes gegen ihre Berufspflichten als Apothekerin ein Verweis erteilt.

Die Beschuldigte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Gebühr wird auf 1.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die im Jahre 1955 geborene Beschuldigte leitet seit dem Jahre 1991 die E-Apotheke in A-Stadt. Am 14.12.2010 löste eine Frau F.auf Veranlassung des Inhabers einer konkurierenden Apotheke ein Privatrezept über Diclofenac Al 50 20 Tabletten N3 in ihrer Apotheke ein. Ohne entsprechende Nachfrage wurde der Käuferin ein Wertgutschein in Höhe von 0,50 Euro ausgehändigt. Dieser Wertgutschein trägt am linken Rand die Bezeichnung €Wertgutschein€, am unteren Rand den Aufdruck €50cent€. Im Übrigen trägt der Wertgutschein in der Mitte folgenden Aufdruck: €50 Cent€, darunter €keine Barauszahlung€. Im oberen Bereich ist € neben einem €wasserzeichenartig€ erscheinenden Aufdruck der Zahl €50€ folgender Text aufgedruckt: €Gegen Abgabe des Gutscheins werden Ihnen beim nächsten Einkauf vergütet:€.Es folgt der schon angegebene Aufdruck €50 Cent keine Barauszahlung€, darunter das Emblem der Apotheke und darunter die Namen folgender Apotheken: E-Apotheke, G-Apotheke und H-Apotheke mit jeweils Adressenangabe. Mit Schreiben vom 14.12.2010 übermittelte der Inhaber einer anderen Apotheke in A-Stadt die schriftliche Bestätigung von Frau F. über das Ergebnis ihres Testkaufs am 14.12.2010 in der Apotheke der Beschuldigten an die Landesapothekerkammer Hessen und forderte sie gleichzeitig zum Einschreiten gegen die Beschuldigte wegen Rechtsverstoßes auf. Das quittierte Privatrezept fügte er im Original bei, ferner den Kassenbon und den mitgegebenen Wertgutschein über 0,50 Euro.

Die Landesapothekerkammer Hessen forderte die Beschuldigte mit Schreiben vom 27. Januar 2011 auf, bis spätestens 18. Februar 2011eine Unterlassungserklärung abzugeben, in welcher sie versichern sollte, in der Zukunft keine Boni, Rabatte oder Gutscheine bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten durch eine ihrer Apotheken zu gewähren. Gleichzeitig legte die Kammer dar, dass derartige Verhaltensweisen einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung darstellten, welcher berufsrechtlich zu verfolgen sei. Der Umstand, dass es sich vorliegend um einen Gutschein im Wert von 1,00 Euro handele, und dies wettbewerbsrechtlich einen Bagatellwert darstelle, sei für das berufsrechtliche Vorgehen nicht relevant. Mit Schreiben ihres Verteidigers vom 18. Februar 2011 trat die Beschuldigte dieser Rechtsauffassung der Kammer entgegen. Nach weiteren Ermittlungen leitete die Landesapothekerkammer Hessen am 15. Juni 2011 ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte ein,nach dessen Abschluss der Kammervorstand am 28. September 2011beschloss, das vorliegende berufsgerichtliche Verfahren einzuleiten.

II.

Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht folgender Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts fest:

Bei Einlösung eines Privatrezepts am 14.12.2010 über das Medikament Diclofenac zum Abgabepreis von 9,81 Euro wurde der Kundin F. ohne Nachfrage ein Wertgutschein über den Betrag von 0,50Euro in der Apotheke der Beschuldigten ausgehändigt. Auf diesem €Wertgutschein€ war folgender Text aufgedruckt:

€Gegen Abgabe des Gutscheins werden Ihnen beim nächsten Einkauf vergütet: 50 Cent keine Barauszahlung.€ Darunter sind die E-Apotheke, die G-Apotheke und die H-Apotheke mit Adressen in A-Stadt, I-Stadt und J-Stadt angegeben. Die Kundin fertigte eine schriftliche €Bestätigung eines Testkaufs€ mit den entsprechenden Angaben aus und übergab diese einschließlich des Wertgutscheins, des Originalrezepts und des Kassenbons dem anzeigeerstattenden Apotheker, welcher mit Schreiben vom 14.12.2010 die Landesapothekerkammer Hessen entsprechend informierte und um Einschreiten bat.

III.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den in der Ermittlungsakte der Landesapothekerkammer Hessen (1 Band) und der vorliegenden Gerichtsakte (2 Bände) vorhandenen Urkunden und Unterlagen, sowie der über ihren Verteidiger erfolgten Einlassung der Beschuldigten, soweit ihr zu folgen ist.

IV.

Das angeschuldigte Verhalten der Kammerangehörigen stellt einen Verstoß gegen § 22 Hessisches Heilberufsgesetz (HeilBG) i. V. m. §§1 Abs. 4 und 6 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 16. September 1993 (PZ 1993, 3420 ff.) i. V. m. § 78 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz € AMG -) sowie § 1Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4, § 3 AMPreisV vom 14. November 1980(BGBl. I S. 2147) dar. Gemäß § 22 HeilBG sind die Kammerangehörigen € vorliegend die Apothekerinnen und Apotheker €verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Zur gewissenhaften Berufsausübung zählt auch die Pflicht zur Einhaltung der für diese Berufsausübung geltenden Gesetze einschließlich der auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnungen, die Einhaltung des Satzungsrechts der Landesapothekerkammer sowie der darauf gegründeten Anordnungen und Richtlinien.

Durch die Abgabe des verschreibungspflichtigen Arzneimittels und die damit in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang stehende Überreichung des €Wertgutscheins€ über 50 Cent hat die Beschuldigte gegen § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG verstoßen.

Danach ist für die verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten. Die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung setzt in § 2 die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken und in § 3die Preisspannen der Apotheken bei der Abgabe im Wiederverkauf jeweils zwingend fest. Ausnahmen hiervon sieht die Arzneimittelpreisverordnung nicht vor (vgl. auch Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 03.05.2012 € 9 U192/11, Rdnrn. 38 bis 43 € juris).

Der somit festgelegte €centgenaue€ einheitliche und verbindliche Apothekenabgabepreis an die Endverbraucher von rezeptpflichtigen Medikamenten soll gewährleisten, dass die im öffentlichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines insoweit dem entgegenwirkenden ruinösen Wettbewerbs sichergestellt wird (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,BT-Drucksache 11/5373 Seite 27).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beschuldigte den über den sogenannten €Wertgutschein€ erlangten Preisvorteil erst für den Kauf eines weiteren Artikels in ihrer E-städter Apotheke oder einer der anderen aufgedruckten Apotheken in Aussicht gestellt hat. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass die Einlösung €beim nächsten Einkauf€ nicht auf nichtapotheken- bzw. nichtrezeptpflichtige Artikel beschränkt ist.Ein Apotheker bzw. eine Apothekerin verstößt grundsätzlich bereits dann gegen die Arzneimittelpreisbindung, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar zunächst der korrekte Preis verlangt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (so auch OVG Lüneburg,Beschluss vom 08.07.2011, Az.: 13 ME 111/11 € juris €unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 09.09.2010 € I ZR 193/07, I ZR 37/08, I ZR98/08, I ZR 125/08, I ZR 26/09; ebenso Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Koblenz, Urteil vom 08.10.2012, Az.:LBG-HA 10353/12; juris -). Bei dem Apothekenabgabepreis handelt es sich nämlich um eine allein aufgrund öffentlichen Rechts vom Apotheker/der Apothekerin zu beachtende Größe, welche dessen wirtschaftlicher Disposition entzogen ist. Der Zweck der Preisbindung, nämlich die Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines, gegebenenfalls in den Ruin einzelner Apotheken führenden Wettbewerbes, wird nämlich bereits dann beeinträchtigt,wenn dem potenziellen Kunden Vorteile gewährt werden, welche an die Abgabe eines Arzneimittels geknüpft sind, welche den Erwerb dieses Arzneimittels gerade in dieser Apotheker für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen als in einer anderen Apotheke (vgl. OVGLüneburg, a.a.O., m. w. N.). Der Anreiz für Kunden, durch die Einlösung des Wertgutscheins beim nächsten Einkauf gerade die Apotheke der Beschuldigten bzw. eine der drei auf dem Wertgutschein genannten Apotheken aufzusuchen, um sodann den Wertgutschein einzulösen, ist offensichtlich gegeben. Dabei ist im Hinblick auf das konkret von der Beschuldigten angewandte Kundenbindungssystem davon auszugehen, dass eine Nähe zu dem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 Heilmittelwerbegesetz im Zusammenhang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei produktbezogener Werbung stets unzulässigen Barrabatt festzustellen ist (vgl.insoweit auch die Ausführungen des OVG Lüneburg im vorzitierten Beschluss vom 08.07.2011, Rdnr. 19).

Unerheblich für die Bewertung des von der Beschuldigten praktizierten €Rezeptbonussystems€ ist die von der Verteidigung erörterte Frage, ob dieses Verhalten wettbewerbsrechtlich zulässig sein könnte, weil etwa die sogenannte Spürbarkeitsschwelle des § 3 Abs. 1 UWG im Hinblick auf die Höhe des Bonus (0,50 Euro) nicht überschritten sein könnte. Die öffentlich-rechtlichen Preisbindungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes bzw. der Arzneimittelpreisverordnung gelten nämlich neben den Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes (so auch OVG Koblenz, Urteil des Landesberufsgerichts für Heilberufe vom 08.10.2012, a.a.O., sowie VG Osnabrück, Beschluss vom 14.03.2011€ 6 B 94/10 -, juris, Rdnr. 14). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen bzw. Gesetzeszwecke der Vorschriften über die Arzneimittelpreisbindung einerseits und der Wettbewerbsregelungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) andererseits, ist auch unter dem Gesichtspunkt der €Einheit der Rechtsordnung" eine Übertragung der Ausführungen des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 09.09.2010(Az.: I ZR 37/08 und I ZR 98/08) zur Spürbarkeitsschwelle im Wettbewerbsrecht auf öffentlich-rechtlich zu bewertender Verstöße gegen die Arzneimittelpreisbindung nicht angezeigt. Der Bundesgerichtshof hat, worauf das Verwaltungsgericht Osnabrück (a.a.O.) zutreffend hinweist, deutlich zwischen den unterschiedlichen Regelungsbereichen unterschieden und seine Ausführungen zur Frage der €Spürbarkeitsgrenze€ auf die Regelungen im UWG bezogen.

Europarechtliche Vorgaben stehen der Anwendung der arzneimittelrechtlichen Regelungen des nationalen Rechts nicht entgegen, wie sich aus Artikel 94 Abs. 4 der Richtlinie 201/83/EGdes Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001eindeutig ergibt. Von daher erübrigt sich auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, wie von der Verteidigung angeregt.

Entsprechendes gilt für die Frage der Vereinbarkeit der arzneimittelrechtlichen Regelungen über die Preisbindung mit Artikel 12 Abs. 1 GG. Nach der €Stufentheorie€ des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in die Berufsausübung zulässig, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.06.2011 € 1 BvR 233/10 -, juris). Die oben dargestellte Zielsetzung der hier in den Blick zu nehmenden Vorschriften, nämlich die Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, welche abstrakt durch das Zulassen eines Preiswettbewerbs unter Apotheken gefährdet wird,stellt solche die Einschränkung rechtfertigende Gründe dar. Durch das Verbot derartiger Kundenbindungsversuche wird auch die Freiheit der Berufsausübung von Apothekerinnen und Apothekern nur marginal eingeschränkt. Demgegenüber ist die Zielsetzung der Arzneimittelpreisbindung auch im Hinblick darauf höher zu gewichten, dass den flächendeckend, und damit auch außerhalb der Ballungsräume, vorhandenen Apothekerinnen und Apothekern ein wirtschaftliches Auskommen gesichert werden soll, so dass sich ihnen einen Standortwechsel nicht €aufdrängt€.

Soweit die Beschuldigte Ausführungen zur Auslegung des § 12€ insbesondere § 12 Ziffer 8 € der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 16. September 1993, welche bei Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens noch in Geltung war,macht, bedarf dies keiner vertiefenden Erörterung, weil ein entsprechender Vorwurf in der Anschuldigungsschrift vom 16.11.2011nicht enthalten ist. Darauf hat das Gericht bereits in der Hauptverhandlung hingewiesen. Der in der vorbezeichneten Anschuldigungsschrift noch erhobene Vorwurf des Verstoßes gegen § 4Abs. 1 der vorbezeichneten Berufsordnung wurde von der Landesapothekerkammer Hessen im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens fallen gelassen, in der Hauptverhandlung bestand Übereinstimmung, dass dieser Vorwurf nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Auffassung der Beschuldigten, die Landesapothekerkammer Hessen habe €zu Unrecht ein Verfahren eingeleitet€, unzutreffend ist. Der aus dem Bereich verwaltungsrechtlicher Eingriffsverfügungen abgeleitete Begriff des €Eingriffs- oder Einschreitensermessens€ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der vorliegend einschlägigen Regelung des § 57 Hessisches Heilberufsgesetz. Nach dieser Vorschrift stellt der Kammervorstand Ermittlungen an, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Berufsvergehens rechtfertigen und teilt dies €dem Beschuldigten€ mit.Bei der Durchführung von Ermittlungen sind gemäß Absatz 2 der Vorschrift nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden und die für die Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahmen bedeutsamen Umstände zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass es sich selbst bei - nach Auffassung des Berufsgerichts € unverhältnismäßigem Einschreiten im Einzelfall € was hier nicht vorliegt - um ein Verfahrenshindernis im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 2 HeilBG handeln könnte. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 HeilBG kann €der Vorsitzende des Berufsgerichts€ die Eröffnung des Verfahrens vor dem Berufsgericht nur dann ablehnen, wenn er entweder den Verdacht eines Verstoßes gegen Berufspflichten für offensichtlich unbegründet oder das Verfahren für unzulässig hält. Eine fehlerhafte Gewichtung eines von einer berufsständischen Kammer ermittelten Verstoßes gegen Berufspflichten führt jedoch offensichtlich nicht zu einem so schwerwiegenden Verfahrensverstoß,dass die Durchführung des Hauptverfahrens vor dem Berufsgericht unzulässig wäre. Vielmehr ist die sich als Ergebnis des Hauptverfahrens bzw. der Hauptverhandlung herausstellende Schwere der Tat bei der Bemessung der Sanktion €angemessen€oder € mit anderen Worten €€verhältnismäßig€ zu gewichten.

Lediglich zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass die Kammer auch durchaus fallangemessen verhältnismäßig eingeschritten ist, denn sie hat der Beschuldigten mit Schreiben vom 27.01.2011 ihre Rechtsauffassung mitgeteilt und ihr die Möglichkeit eröffnet, ohne Durchführung eines berufsgerichtlichen Verfahrens das beanstandete Verhalten in Zukunft zu unterlassen.

Der festgestellte Verstoß gegen ihre Berufspflichten erfolgte im Falle der Beschuldigten auch vorsätzlich. Die Anwendung von Kundenbindungssystemen der vorliegenden oder vergleichbarer Art war im angeschuldigten Zeitpunkt rechtlich umstritten und € wie die von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten und erörterten verwaltungsgerichtlichen bzw. oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen aus mehreren Bundesländern zeigen - Gegenstand zahlreicher Eingriffsverfügungen der zuständigen Behörden zur Sicherung der Einhaltung der Preisbindung im Apothekenwesen. Soweit sich die Beschuldigte auf einen Verbotsirrtum beruft, ist dem daher entgegenzuhalten, dass sie im Hinblick auf § 1 Abs. 6 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 16. September 1993 gehalten war, vor Ausgabe von Wertgutscheinen der inkriminierten Art die Auffassung ihrer berufsständischen Kammer einzuholen und sich an deren Rechtsauffassung zu halten. Indem sie von dieser Vorgehensweise absah, nahm sie billigend in Kauf, einen berufsrechtlichen Verstoß zu begehen.Schuldausschließungs- oder -minderungsgründe liegen nicht vor.

V.

Bei der Auswahl und Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahmen auf der Grundlage des § 50 HeilBG ist grundsätzlich das Gewicht der Verfehlung der Beschuldigten, ihre Persönlichkeit, das Ausmaß ihrer Schuld, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen der Heilberufe zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Berufsangehörigen, hier des Apothekerstandes, zu sichern (vgl. § 50Abs. 3 HeilBG), um so die Funktionsfähigkeit des Berufsstandes zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung; vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27.08.2008, Az.: 25 A 141/08.B m. w. N.).

Das kammerständige Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts - anders als das Strafrecht € nicht repressiv und damit nicht tatbezogen. Daher ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit zu würdigen im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Kammermitglieds im Rahmen ihrer Berufsausübung. Im Vordergrund steht dabei die individuelle Pflichtenmahnung. Die Prognose des künftigen Verhaltens der Beschuldigten ist neben dem Gewicht des Berufsvergehens entscheidend für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang es einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen (vgl.Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen,Urteil vom 17. Mai 2010 € Az.: 21 K 1334/09.GI.B-).

In Anwendung dieser Grundsätze hielt es das Gericht für geboten,durch Ausspruch eines Verweises die berufsrechtliche Missbilligung der Vorgehensweise der Beschuldigten zum Ausdruck zu bringen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte im Verlaufe des gesamten berufsrechtlichen wie auch berufsgerichtlichen Verfahrens nicht erkennen ließ, dass eine Bereitschaft zur Einsicht in ihr Fehlverhalten vorliegt. Andererseits hielt das Gericht diese Sanktion auch für ausreichend, um die vorbezeichneten Ziele des berufsgerichtlichen Verfahrens zu erreichen. Im Hinblick darauf,dass die Beschuldigte bisher berufsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und auch der im €Wertgutschein€ liegende geldwerte Vorteil mit 50 Cent noch als geringwertig einzustufen ist, bedurfte es bei dieser erstmaligen Sanktion nicht zusätzlich der Auferlegung einer Geldbuße.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 HeilBG. Danach hat die Beschuldigte die Kosten zu tragen, weil sie verurteilt worden ist (§ 74 Abs. 4 Satz 1 HeilBG).

Die Festsetzung der Gebühr beruht auf § 78 Abs. 2 Satz 2HeilBG.






VG Gießen:
Urteil v. 11.04.2013
Az: 21 K 4521/11.GI.B


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