Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Februar 2008
Aktenzeichen: 19 W (pat) 302/05

(BPatG: Beschluss v. 18.02.2008, Az.: 19 W (pat) 302/05)

Tenor

Das Patent 103 06 610 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 8 vom 18. Februar 2008 (überreicht in der mündlichen Verhandlung)

Beschreibung vom 18. Februar 2008 (überreicht in der mündlichen Verhandlung)

Zeichnungen wie Patentschrift

Gründe

I.

Für die am 14. Februar 2003 im Deutschen Patentamt und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 19. August 2004 veröffentlicht worden. Die Bezeichnung lautet:

Kraftfahrzeugtür und Türschloßeinheit sowie Kraftfahrzeug-Schließsystem.

Gegen das Patent hat die H... GmbH & Co. KG mit Schriftsatz vom 15. November 2004, eingegangen am 16. November 2004, Einspruch erhoben.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Streitpatent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Streitpatent mit Patentansprüchen 1 bis 8 sowie Beschreibung entsprechend dem überreichten Hauptantrag - Zeichnungen wie Patentschrift - aufrechtzuerhalten.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet unter Einfügung der Gliederungsziffern 1.1) bis 1.10) entsprechend einer Merkmalsanalyse der Einsprechenden:

"1.1) Kraftfahrzeugtür mit einer randseitig angeordneten Türschloßeinheit (2)

1.2) mit mechanischen Schließelementen wie Schloßfalle und Sperrklinke, 1.3) mit einem vorzugsweise elektrischen Öffnungsantrieb zum Auslösen der Schließelemente, 1.4) der vorzugsweise in die Türschloßeinheit (2) integriert ist, 1.5) mit einem mechanischen Innenbetätigungselement (3) zum notfallbedingten mechanischen Auslösen der Schließelemente, 1.6) das mit der Türschloßeinheit (2) mechanisch verbunden ist und 1.7) mit einem elektrischen Innenbetätigungselement (7) zum normalbetriebsmäßigen Ansteuern des Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente, 1.8) das mit dem Öffnungsantrieb, insbesondere also mit der Türschloßeinheit (2), elektrischsteuerungstechnisch verbunden ist, 1.9) wobei das elektrische Innenbetätigungselement (7) vorzugsweise, jedoch nicht notwendigerweise an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür (1) angeordnet ist, wobei 1.10) das mechanische Innenbetätigungselement (3) an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür (1) in unmittelbarer Nähe zu der Türschloßeinheit (2) angeordnet ist."

Der Kraftfahrzeugtür gemäß Patentanspruch 1 liegt die Aufgabe zugrunde, eine weitere Optimierung der Kraftfahrzeugtür herbeizuführen (Abs. 0008 der geltenden Beschreibung).

Die Einsprechende ist der Auffassung, aus der DE 199 44 968 A1 seien die Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1 (Merkmale 1.1 bis 1.9) bekannt, insbesondere sei aus der Druckschrift ein elektrisches und ein davon getrenntes mechanisches Innenbetätigungselement zu entnehmen. Demgegenüber liege es im Bereich des üblichen handwerklichen Könnens eines Fachmanns, das nur im Notfall benötigte mechanische Innenbetätigungselement in unmittelbarer Nähe zur Türschlosseinheit anzuordnen.

Auch die Hecktür nach der DE 39 07 674 A1 weise neben einem mechanischen Nothebel einen zusätzlichen in der Druckschrift nicht gezeigten Innenhebel auf, sodass auch neben dem mechanischen Innenbetätigungshebel in Form eines Nothebels ein weiteres mechanisches Innenbetätigungselement vorhanden sei.

Weiterhin weist die Einsprechende auf die DE 100 65 582 A1 hin, die einen mittels Aktuator elektrisch verschließbaren Kofferraumdeckel beschreibt, der ein mechanisches Innenbetätigungselement in Form eines Notfallknopfes aufweist.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, bei der aus der DE 199 44 968 A1 bekannten Fahrzeugtür sei das elektrische und das mechanische Innenbetätigungselement durch ein gemeinsames Innenbetätigungselement gebildet.

Die Patentinhaberin meint auch, dass bei der Hecktür nach der DE 39 07 674 A1 neben dem mechanischen Nothebel kein weiteres mechanisches Innenbetätigungselement vorgesehen sei. Es mache auch keinen Sinn, neben einem mechanischen Nothebel als Innenbetätigungselement noch ein weiteres mechanisches Innenbetätigungselement vorzusehen.

Die DE 100 65 582 A1 betreffe eine Kofferraumklappe; es handle sich hier nicht um Betätigungselemente im Sinne der Streitpatentschrift.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die durch § 147 Abs. 3 Nr. 1 PatG für das vorliegende Einspruchsverfahren (Einspruch eingelegt am 15. November 2004, eingegangen am 16. November 2004) begründete Zuständigkeit des Senats wird durch die in der Zwischenzeit erfolgte Aufhebung dieser Vorschrift nicht berührt (vgl. auch BGH Beschluss vom 27. Juni 2007 (X ZB 6/05) - Informationsübermittlungsverfahren II).

Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zweifelsfrei gegeben.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig und hatte keinen über die beantragte Beschränkung hinausgehenden Erfolg.

Als Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus anzusehen mit besonderen Kenntnissen in der Entwicklung von Kraftfahrzeugtürverschlüssen, sowie mit Kenntnissen der zu deren Betätigung verwendeten Bauteile.

1. Zulässigkeit Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig, denn es handelt sich bei ihm um einen Anspruch, der gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 lediglich einteilig gefasst ist.

2. Neuheit Die Kraftfahrzeugtür des Patentanspruchs 1 ist neu.

Aus der DE 199 44 968 A1 (Fig. 5) ist bekannt eine 1.1) Kraftfahrzeugtür mit einer randseitig angeordneten Türschloßeinheit (3) (vom Fachmann mitlesbar, weil Türschloßeinheiten stets randseitig angeordnet sind)

1.2) mit mechanischen Schließelementen wie Schloßfalle und Sperrklinke (bekannte Bauteile, die in der Türschloßeinheit 3 für ein Kfz üblicherweise enthalten sind), 1.3) mit einem elektrischen Öffnungsantrieb (2) zum Auslösen der Schließelemente (Sp. 4, Z. 37-40), 1.7) mit einem elektrischen Innenbetätigungselement (1b) zum normalbetriebsmäßigen Ansteuern des Öffnungsantriebs (2) zum Auslösen der Schließelemente (in der Türschloßeinheit 3) (Sp. 4 Z. 37 bis 42), 1.8) das mit dem Öffnungsantrieb (2), insbesondere also mit der Türschloßeinheit (3), elektrischsteuerungstechnisch verbunden ist (über die Steuerungseinheit 60), 1.9) wobei das elektrische Innenbetätigungselement (1b) an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür angeordnet ist (Sp. 4 Z. 37 bis 43), Die DE 199 44 968 A1 lehrt weiterhin, dass bei einem Stromausfall, d. h. im Notfall eine Redundanz von mechanischer und elektromotorischer Betätigung vorgesehen ist (Sp. 5 Z. 1 bis 4). Nach Überzeugung des Senats ist hierfür das elektrische Innenbetätigungselement (1b) so ausgestaltet, dass es in teilweiser Übereinstimmung mit Merkmal 1.5) zusätzlichzum notfallbedingten mechanischen Auslösen der Schließelemente (in der Türschloßeinheit 3) geeignet ist, und dabei übereinstimmend mit Merkmal 1.6)

mit der Türschloßeinheit (3) mechanisch verbunden ist.

Einen Hinweis darauf, dass neben einem elektrischen Innenbetätigungselement noch ein zusätzliches mechanisches Innenbetätigungselement vorgesehen sein könnte, wie dies in der Erläuterung der DE 199 44 968 A1 in der Streitpatentschrift (Abs. 0005) ausgeführt ist, vermag der Senat der DE 199 44 968 A1 nicht zu entnehmen. Denn in der DE 199 44 968 A1 ist ausschließlich von einem Innenbetätigungselement 1b die Rede und auch die von der Einsprechenden angezogene Textstelle (Sp. 2 Z. 13 bis 19) besagt nur, dass ergänzend zu der (elektro)motorischen Ausführung des Schließsystems ein mechanisches Schließsystem vorgesehen ist; sie besagt aber nicht, dass für das elektrische und das mechanische Schließsystem jeweils ein eigenes Innenbetätigungselement vorgesehen sein muss.

Damit unterscheidet sich die patentgemäße Tür von der bekannten durch das separate Innenbetätigungselement, das nach Merkmal 1.10 in unmittelbarer Nähe der Türschlosseinheit angeordnet ist.

Die DE 39 07 674 A1 zeigt nach Überzeugung des Senats eine Kraftfahrzeugtür (12) mit einem mechanischen Innenbetätigungselement in Form eines Nothebels (23), das entsprechend Merkmal 1.10) an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür (12) in unmittelbarer Nähe zu der Türschlosseinheit (2) angeordnet ist (Fig. 2, 3 und 4). Im Zusammenhang mit dem in der DE 39 07 674 A1 beschriebenen Stand der Technik (Fig. 22) ist zwar ein nicht gezeigter Innenhebel erwähnt (Sp. 1 Z. 16 bis 30), der mit einem Innenbetätigungselement verbunden sein könnte. Jedoch konnte diese von der Einsprechenden erwähnte Textstelle den Senat nicht davon überzeugen, dass - würde die Türschlosskonstruktion gemäß dem anhand Figur 22 beschriebenen Stand der Technik auch beim Ausführungsbeispiel nach Figur 4 oder 6 eingesetzt werden - neben dem mechanischen Innenbetätigungselement in Form des Nothebels 23 noch ein zusätzliches mechanisches Innenbetätigungselement vorgesehen sein könnte. Der Senat schließt sich hier der Auffassung der Patentinhaberin an, dass es keinen Sinn habe, neben einem mechanischen Nothebel noch ein mechanisches Innenbetätigungselement vorzusehen.

Aus der DE 100 65 582 A1 ist ein Kofferraumdeckel bekannt, der ein mechanisches Innenbetätigungselement in Form eines Notfallknopfes 17 aufweist, der in teilweiser Übereinstimmung mit dem Merkmal 1.10) in unmittelbarer Nähe zu der Türschlosseinheit 1 (Fig. 2 und 4) angeordnet ist. Weiterhin kann der Kofferraumdeckel mittels eines außerhalb des Kofferraums angeordneten elektrischen Betätigungselementes verschlossen bzw. geöffnet werden (Sp. 2 Z. 22 bis 33 und Sp. 3 Z. 10 bis 12 i. V. m. Sp. 1 Z. 30 bis 32).

Die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften wurden in der mündlichen Verhandlung weder vom Senat noch von den Beteiligten aufgegriffen. Sie bringen auch keine neuen Gesichtspunkte, so dass auf sie nicht eingegangen werden muss.

3. Erfinderische Tätigkeit Die Kraftfahrzeugtür des Patentanspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von einer Kraftfahrzeugtür, wie sie die DE 199 44 868 A1 zeigt, müsste der Fachmann, um zum Anspruchsgegenstand zu gelangen, zunächst darauf kommen, das sowohl eine elektrische als auch eine mechanische Betätigung bewirkende - üblicherweise in einem bequem zu erreichenden Griffbereich an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür gelegene - Innenbetätigungselement (1b) in ein elektrisches und in ein mechanisches Innenbetätigungselement aufzuteilen. Sodann müsste er noch dafür sorgen, dass das mechanische Innenbetätigungselement - weg vom bequem zu erreichenden Griffbereich - an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür in unmittelbarer Nähe zu der Türschlosseinheit angeordnet ist (Merkmal 1.10)).

Die DE 39 07 674 A1 kann ihm hierzu keine Anregung geben, weil die darin beschriebene Kraftfahrzeugtür nur ein mechanisches Innenbetätigungselement in Form des Nothebels 23 besitzt und somit eine Aufspaltung in ein mechanisches und ein elektrisches Innenbetätigungselement nicht zur Diskussion stehen kann.

Da die ein Schloss für einen Kofferraumdeckel beschreibende DE 100 65 582 A1 die Befreiung eingesperrter Personen in einem Kofferraum betrifft (Sp. 1 Z. 36 bis 39 i. V. m. Sp. 3 Z. 20 bis 26) wird sie der Fachmann nicht in seine Überlegungen mit einbeziehen, wenn er aufgabengemäß eine Kraftfahrzeugtür für einen Fahrgastraum weiter optimieren will (Abs. 0008 der Streit-PS).

Für den Fachmann liegt es somit in Kenntnis des Standes der Technik nicht nahe, das aus der DE 199 44 968 A1 bekannte Innenbetätigungselement (1b) in ein elektrisches und ein mechanisches Innenbetätigungselement aufzuspalten und dabei das mechanische Innenbetätigungselement an der Innenseite der Kraftfahrzeugtür in unmittelbarer Nähe zu der Türschlosseinheit anzuordnen.

4. Rechtsbestand Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die erteilten Patentansprüche 2 bis 8 Bestand.

Bertl Gutermuth Groß

Dr. Scholz Be






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Az: 19 W (pat) 302/05


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