Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Februar 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 320/04

(BPatG: Beschluss v. 26.02.2007, Az.: 19 W (pat) 320/04)

Tenor

Das Patent 101 07 912 wird widerrufen.

Gründe

I.

Für die am 15. Februar 2001 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung, für die die innere Priorität vom 18. April 2000 (Aktenzeichen 100 19 028.6) in Anspruch genommen ist, ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 5. Februar 2004 veröffentlicht worden. Es betrifft eine

"Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen".

Gegen das Patent sind insgesamt drei Einsprüche erhoben worden. Zwei der Einsprechenden haben ihren Einspruch zwischenzeitlich zurückgenommen. Die Einsprechende III hat mit Schriftsatz vom 4. Mai 2004 (eingegangen am 4. Mai 2004) Einspruch mit der Begründung erhoben, dass es dem Gegenstand des Patents an Neuheit und auch erfinderischer Tätigkeit mangele.

Die Einsprechende III beantragt, das Patent zu widerrufen.

Der Patentinhaber widerspricht dem Vortrag der Einsprechenden III und beantragt, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 12, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, hilfsweise, Patentansprüche 1 bis 2 nach Hilfsantrag, Patentansprüche 3 bis 12 gemäß Hauptantrag, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet unter Hinzunahme der Gliederungsbuchstaben a) bis e):

"a) Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen und/oder Datenleitungen für mehrere Arbeitsplätze, insbesondere miteinander und/oder mit einer zentralen Einrichtung verbundene Computer-Arbeitsplätze oder dergleichen in einem Raum, b) mit einem aus vorbereiteten Elementen gerüstartig aufbaubaren System, das unterhalb einer Decke des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe anbringbare Kanäle zur Aufnahme von Versorgungsleitungen und/oder Datenleitungen enthält, c) wobei an die Kanäle nach unten gerichtete, Arbeitsplätzen zugeordnete Säulen anschließbar sind, die mit in Greifhöhe anzuordnenden Versorgungsanschlüssen versehen sind, an die mittels Leitungen Geräte anschließbar sind, dadurch gekennzeichnet, d) dass die Säulen (21) um eine im Bereich der Kanäle (18) befindliche, horizontale Achse (53) aus der Greifhöhe heraus verschwenkbar angeordnet sind unde) dass den verschwenkbaren Säulen (21) Rast- oder Arretiermittel (54) zugeordnet sind."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag dadurch, dass im Merkmal d) im Anschluss an die Worte "aus der Greifhöhe heraus" eingefügt sind die Worte

"in eine Stellung parallel unterhalb des Kanals".

Dem Patentgegenstand soll die Aufgabe zugrunde liegen, eine Einrichtung der oberbegrifflichen Art zu schaffen, die einen flexiblen Aufbau und eine flexible Installation von Versorgungsleitungen ermöglicht, die leicht zu bedienen ist und die zu möglichst geringen Behinderungen führt (Abs. 0005 der Streit-PS).

Die Einsprechende III vertritt die Auffassung, dass die DE 94 11 771 U1 oder die Schweizerische Bauzeitung, Nr. 24, 11. Juni 1998, Seiten 10 bis 12 jeweils den nächstkommenden Stand der Technik beschrieben. Aus der Schweizerischen Bauzeitung a. a. O. erhalte der Fachmann dabei zusätzlich den Hinweis neben einer nach unten gerichteten Säule auch eine schwenkbare Quellabsaugung vorzusehen. Diese Verschwenkbarkeit könne er auch auf die Säule übertragen.

Auch die nicht nur auf Medizintechnik beschränkte Druckschrift der Firma Dräger "DVE 8031/32 Deckenversorgungseinheiten", Druckvermerk 9D 48 294 / PP 6923.54D / 059 E, Seiten 1 bis 6 zeige eine um eine horizontale Achse schwenkbare Säule, ebenso wie die US 4 801 815. Ein bestimmtes Anwendungsgebiet stehe nicht in den Ansprüchen; es sei auch kein Vorurteil im Stand der Technik bekannt, weshalb man Deckenstative, wie sie die Dräger-Druckschrift a. a. O. und die US 4 801 815 zeigten, nicht auch in anderen Bereichen nutzen könne.

Der Patentinhaber meint, dass die Schweizerische Bauzeitung a. a. O. den nächstkommenden Stand der Technik darstellte. Der in der DE 44 30 533 A1 und in der Schweizerischen Bauzeitung a. a. O. gezeigte Saugrüssel gebe keinen Hinweis auf die Verschwenkbarkeit einer feststehenden Säule.

Die US 3 534 319 zeige eine Verlängerung für einen Elektroanschluss und aus dem Buch von Dr. Gotthelf Leimbach "Gestaltung und Einrichtung naturwissenschaftlicher Räume", Phywe-Verlag, Göttingen, 1954, Seiten 34 bis 37 sei es nicht bekannt, dass die dort gezeigten Gasleitungen außer Griffhöhe bringbar seien.

Deckenstative, wie sie die aus dem Jahre 1972 stammende DE 20 61 662 A1 zeige, würden den Fachmann nicht anregen, Geräte aus der Griffhöhe heraus bewegbar auszuführen, wie bei der Einrichtung nach dem Patent, da es bei Deckenstativen darum gehe, Geräte und Werkzeuge in Griffhöhe zur Verfügung zu stellen.

Der Patentinhaber meint außerdem, dass Deckenstative aus der Medizintechnik Kosten in der Größenordnung von € 10.000.- verursachen würden und daher kein Vorbild abgeben könnten für Einrichtungen, die in Schulen eingesetzt würden und deshalb kostengünstig sein müssten. Die patentgemäße Einrichtung verkaufe sich im Übrigen sehr gut.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Gemäß der Zuständigkeitsreglung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. Dezember 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den zulässigen, am 30. Juni 2006, d. h. vor Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts.

Dieser hatte aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden, vgl. BPatGE 46, 134.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

1. Fachmann Als Fachmann ist ein FH-Maschinenbauingenieur anzusehen mit Kenntnissen in der Konstruktion und Herstellung von Einrichtungen für die Versorgung von Arbeitsplätzen aller Art mit dementsprechend unterschiedlichen Medien.

2. Patentfähigkeit Die Einrichtung gemäß Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2. 1 Hauptantrag Aus der DE 94 11 771 U1 ist bekannt einea) Einrichtung zum Installieren von Versorgungsleitungen (S. 1 Abs. 2 Z. 4) und/oder Datenleitungen (S. 1 Abs. 2 Z. 6, 7) für mehrere Arbeitsplätze (6), b) mit einem aus vorbereiteten Elementen (13, 14, 15, 17, 22) gerüstartig aufbaubaren System (Fig.), das unterhalb einer Decke (Deckenstrebe 16) des Raumes und oberhalb einer normalen Greifhöhe (aus der Figur ist ersichtlich, dass die Kanäle 13, 14, 15 oberhalb normaler Greifhöhe liegen) anbringbare Kanäle (13, 14, 15) zur Aufnahme von Versorgungsleitungen (S. 1 Abs. 2 Z. 4) und/oder Datenleitungen (S. 1 Abs. 2 Z. 6, 7) enthält, c) wobei an die Kanäle (13, 14 ,15) nach unten gerichtete, Arbeitsplätzen (6) zugeordnete Säulen (17, 22) anschließbar sind, die mit in Greifhöhe (Fig.: siehe Schreibtisch und Versorgungsanschlüsse 27, 30, 32) anzuordnenden Versorgungsanschlüssen (27, 30, 32) versehen sind, an die mittels Leitungen Geräte anschließbar sind (an die Netzsteckdose 30, Telefonsteckdose 27, Netzwerksteckdose 32 sind mit Leitungen versehene Geräte, wie Elektrogeräte, Telefone und PCs anschließbar).

Darüber hinaus ist aus der DE 94 11 771 U1 noch bekannt, dass die Säulen (17, 22) nicht bis zum Boden verlaufen müssen, denn sie brauchen alternativ nur fest mit dem Kabelkanal verbunden zu sein, d. h. die Säulen können auch nur an einem Ende an den Kanälen (13, 14, 15) angebracht sein (Schutzanspruch 2).

Ausgehend von dem sich in der Praxis stellenden Problem, eine solche Säule bedarfsweise aus dem Weg zu schaffen, etwa weil ein Arbeitsplatz verlegt werden muss oder Aufbauten oder Gegenstände am Ort der Säule aufgestellt werden müssen, stellt sich die patentgemäße Aufgabe, eine Einrichtung der oberbegrifflichen Art zu schaffen, die einen flexiblen Aufbau und eine flexible Installation von Versorgungsleitungen ermöglicht, die leicht zu bedienen ist und die zu möglichst geringen Behinderungen führt, von selbst.

Einem Fachmann mit Kenntnissen in der Konstruktion und Herstellung von Einrichtungen für die Versorgung von Arbeitsplätzen aller Art mit dementsprechend unterschiedlichen Medien, sind aus dem Stand der Technik auf verschiedenen Anwendungsgebieten Möglichkeiten bekannt, wie Säulen mit in Greifhöhe angeordneten Versorgungsanschlüssen zu gestalten sind, damit sie sich aus dem Weg räumen lassen. Der Fachmann entnimmt - entgegen der Auffassung des Patentinhabers - aus dem Stand der Technik, beispielsweise jeweils für sich aus dem Buch von Leimbach a. a. O. (Abb. 19 i. V. m. S. 35 le. Abs.) Säulen für Gaszuleitungen jeweils mit Kugelgelenk als horizontale Schwenkachse und Gasauslässen in Greifhöhe oder aus der US 3 534 319 (Fig. 1 und 2 i. V. m. Sp. 2 Z. 5 bis 7) eine Säule 10 mit flexiblem Rohr 16 als horizontale Schwenkachse und Elektroanschluss in Greifhöhe oder aus der US 4 801 815 (Fig. 1 i. V. m. Sp. 2 Z. 48 bis 63) eine Säule 16 mit horizontaler Schwenkachse im Gehäuse 14 und Verteiler 20 in Greifhöhe, wobei es jeweils gelingt, dass die Säulen um eine horizontale Achse aus der Greifhöhe heraus verschwenkbar sind.

Bei der Ausgestaltung der - Kanäle aufweisenden - Einrichtung nach der DE 94 11 771 U1 und in Kenntnis der durch den Stand der Technik aufgezeigten Maßnahmen wird der Fachmann deshalb zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe in Übereinstimmung mit Merkmal d), die Säulen um eine im Bereich der Kanäle befindliche, horizontale Achse aus der Greifhöhe heraus verschwenkbar anordnen.

Dass die Säulen bei einem Verschwenken aus dem Griffbereich heraus bedarfsweise eine stabile Lage einnehmen müssen, ergibt sich zum Einen aus Gründen der Handhabbarkeit und ist dem Fachmann zum Anderen aber auch aus dem vorstehend genannten Stand der Technik (US 4 801 815 Sp. 2 Z. 59 bis 63: Elektromotor und Getriebe als Rast- und Arretiermittel für die verschwenkbare Säule 16) bekannt. Damit sieht er in Übereinstimmung mit Merkmal e) vor, dass den verschwenkbaren Säulen Rast- oder Arretiermittel zugeordnet sind.

Der nicht auf ein bestimmtes Anwendungsgebiet beschränkte Patentanspruch 1 nach Hauptantrag beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

2.2 Hilfsantrag Aber auch die Ausgestaltung der Säule gemäß dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag derart, dass sie aus der Griffhöhe heraus in eine Stellung parallel unterhalb des Kanals verschwenkbar ist, bedarf keiner erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Denn dies ist der maximal mögliche Schwenkbereich für die Säule, den der Fachmann zu erreichen sucht, wenn er die Säule in die am wenigsten störende Lage zu bringen hat.

Damit ist auch im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag etwas Erfinderisches nicht enthalten.

3. Nebenanspruch und Unteransprüche Mit dem Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag fällt auch jeweils der zum Patentanspruch 1 nebengeordnete Patentanspruch 2 nach Haupt- und Hilfsantrag, da ein Patent nur so aufrechterhalten werden kann, wie es beantragt ist (BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

Die jeweils auf die Patentansprüche 1 und 2 nach Haupt- und Hilfsantrag direkt bzw. indirekt rückbezogenen Unteransprüche 3 bis 12 nach Haupt- und Hilfsantrag teilen jeweils das Schicksal des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag; sie lassen etwas Patentfähiges ebenfalls nicht erkennen.






BPatG:
Beschluss v. 26.02.2007
Az: 19 W (pat) 320/04


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