Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 8. März 2006
Aktenzeichen: 6 U 126/05

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 08.03.2006, Az.: 6 U 126/05)

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des LGHeidelberg vom 14.6.2005 -Az.11 O 4/05 - im Kosten punkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es, bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Geschäftsführern, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel G...  wie folgt zu werben:

Die Gelenkschutzformel,

& enthält ein speziell entwickeltes Kollagen-Hydrolysat, dessen Knorpel aufbauende und regenerierende Wirkung bei alters- oder belastungsbedingtem Gelenkverschleißmehrfach nachgewiesen wurde.,

Wissenschaftliche Studien zeigen: G... (&)reichert sich im Gelenkknorpel an und stimuliert dort die Gelenkknorpelbildung.,

Täglich eine Trinkampulle G... versorgt Ihr Gelenk mit der empfohlenen Tagesdosis von 10 g Kollagen-Hydrolysat..

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben insbesondere die Kontrolle der Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs gehört. Die Beklagte ist Herstellerin des Nahrungsergänzungsmittels G... und bewarb dieses in D... am 28.8.2004 mit den im Klageantrag aufgeführten Angaben. Der Kläger nahm die Beklagte hier wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens auf Unterlassung in Anspruch. Die Klage wurde durch das LG Heidelberg mit Urteil vom 14.6.2005 abgewiesen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand das erstinstanzliche Urteil verwiesen. Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern, es zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel G... zu werben:

Die Gelenkschutzformel,

& enthält ein speziell entwickeltes Kollagen-Hydrolysat, dessen Knorpel aufbauende und regenerierende Wirkung bei alters- oder belastungsbedingtem Gelenkverschleiß mehrfach nachgewiesen wurde.,

Wissenschaftliche Studien zeigen: G... (&) reichert sich im Gelenkknorpel an und stimuliert dort die Gelenkknorpelbildung.,

Täglich eine Trinkampulle G... versorgt Ihr Gelenk mit der empfohlenen Tagesdosis von 10 g Kollagen-Hydrolysat.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger ist gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG berechtigt, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Er hat auch einen Anspruch gem. § 8 Abs. 1 S. 1 UWG auf Unterlassung der in Streit stehenden Werbeaussagen, da sie wettbewerbswidrig im Sinne der §§ 3, 5 UWG, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB sind.

1. a) Die Werbung verstößt zunächst gegen das Verbot des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB. Bei dem beworbenen Produkt der Beklagten handelt es sich um ein Lebensmittel, dem durch die Werbeaussagen Wirkungen beigemessen werden, die nicht wissenschaftlich abgesichert sind.

aa) Gemäß § 2 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind vom Begriff des Lebensmittels alle Stoffe oder Erzeugnisse erfasst, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigen Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Das ist vorliegend gegeben. Ein Ausschlussgrund greift nicht ein.

Im Hinblick auf die gem. Art. 2 S. 3 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 erforderliche Abgrenzung zu Arzneimitteln ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, WRP 2000, 510 ff. - L-Carnitin ) die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung maßgeblich, wie sie sich für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Die Verkehrsanschauung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung eines Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (BGH, GRUR 1995, 419, 420 - Knoblauchkapseln ; BVerwGE 97, 132, 135 f.; VGH München, NJW 1998, 845). Entscheidend für die Einordnung als Lebensmittel oder Arzneimittel ist die überwiegende Zweckbestimmung, welche objektiv zu ermitteln ist. Ein verständiger Durchschnittsverbraucher wird im Allgemeinen nicht annehmen, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Präparat tatsächlich ein Arzneimittel ist, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen hat (BGH, WRP 2000, 510, 513 - L-Carnitin ). Somit kommt der vorgeschlagenen Dosierung bei der Einnahme eine wesentliche Indizwirkung zu: Wenn die empfohlene Einnahme nicht zu einer deutlichen Überschreitung der Tagesdosis führt, so spricht dies dafür, dass es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt ( Rehmann , Arzneimittelgesetz, § 2 Rn. 2). Im vorliegenden Fall enthält eine Ampulle des Stoffes nur die empfohlene Tagesdosis, so dass die Einnahme einer Ampulle nicht zu einer (bedenklichen) Überdosierung führen kann. Als weiteres Indiz kann die Gestaltung der Anzeige herangezogen werden, die das Produkt als Nahrungsergänzung und nicht als Arznei bewirbt. Gegen das Vorliegen eines Arzneimittels spricht zudem das Fehlen von charakteristischen Begriffen aus dem Bereich der Arzneimittel, wie bspw. Patient, Therapie oder Nebenwirkungen. Außerdem wird die Einnahme in der Werbung nicht dem Fall eines krankhafter Befundes vorbehalten, sondern nur darauf hingewiesen, dass das Produkt eine knorpelaufbauende und regenerierende Wirkung habe, mithin präventiv wirke. Der Hinweis, dass ein Produkt spezifische gesundheitsfördernde Wirkungen aufweist, kann nicht zur Qualifizierung als Arzneimittel genügen, da solche Wirkungen vielen Lebensmitteln zugeschrieben werden können.

bb) Die Werbeaussage verstößt gegen § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB. Durch die mit der Klage angegriffenen Werbeaussagen wird dem Produkt der Beklagten eine Wirkung beigelegt, die ihm nach Erkenntnis der Wissenschaft nicht zukommt oder die nicht hinreichend wissenschaftlich abgesichert ist.

Die in der Werbung behaupteten Wirkungen von Hydrolysat sind nicht gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB wissenschaftlich hinreichend abgesichert. Dass die entsprechenden Wirkungen nicht in einem wissenschaftlichen Standardwerk beschrieben werden, führt zwar nicht ohne weiteres zur Verneinung der wissenschaftlichen Absicherung. Das könnte nur dann anders gesehen werden, wenn aus einem solchen Standardwerk eine ausdrücklich Zurückweisung der in der Werbung enthaltenen Wirksamkeitsbehauptung und nicht ein bloßes Schweigen, hervorgehen würde.

Von der Beklagten wurden Studien vorgelegt, die ihre Behauptungen stützen und für deren Richtigkeit eine gewisse Plausibilität spricht. Nicht erforderlich ist, dass die Wirkungen unumstritten anerkannt sind. Eine solch strenge Anforderung würde praktisch zu einem Werbeverbot führen und wäre nicht von Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB gedeckt. Auch aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB lassen sich so strenge Anforderungen nicht herleiten, da er nur eine hinreichende und keine absolute wissenschaftliche Absicherung verlangt.

Gleichwohl kann für das Vorliegen einer hinreichenden Absicherung eine, wenn auch bedeutende, Mindermeinung nicht genügen. Bei einer Mindermeinung ist schon fraglich, ob sprachlich überhaupt von einer Absicherung gesprochen werden kann, da bereits dadurch, dass es sich um eine Mindermeinung handelt, erkennbar ist, dass sie in diesem Bereich keine gefestigte Erkenntnis repräsentiert. Da der Verbraucher gesundheitsbezogenen Angaben in der Regel eine gesteigerte Aufmerksamkeit und derartig gekennzeichneten Produkten eine erhöhte Wertschätzung entgegenbringt, sind strenge Anforderungen an die wissenschaftliche Absicherung zu stellen. Dies bedeutet, dass der Werbende zumindest die herrschende Meinung hinter sich haben muss, insbesondere dann, wenn der Werbende nicht nur eine bestimmte Wirkung behauptet, sondern ausdrücklich damit wirbt, diese Wirkung sei nachgewiesen (vorliegend: mehrfach nachgewiesen, wissenschaftliche Studien zeigen).

Von der Beklagten ist jedoch nur eine, wenn auch nicht unbeachtliche, Mindermeinung vorgetragen worden. Die ganz überwiegende Ansicht geht demgegenüber offensichtlich nicht davon aus, dass die Verwendung kurzkettigen Hydrolysats zu einer gänzlich verschiedenen Bewertung gegenüber der altbekannten Gelatine nötigt, zu der eindeutige, die in der Werbung behauptete Wirkung bestreitende Ansichten vorliegen. Anders ist nicht zu erklären, dass seit Beginn der Vermarktung des kurzkettigen Kollagen-Hydrolysats, der mehrere Jahre zurückliegt, keine belastbare Studie der tatsächlichen Wirkungen erstellt wurde. Der Ansicht der Beklagten, zu dem von ihr vertriebenen Wirkstoff habe sich keine, die Wirksamkeit ablehnende, Meinung gebildet, weil sich alle Untersuchungen, insbesondere des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGVV) vom 28.4.1999 und der chemischen Untersuchungsanstalt K. vom 11.12.1997 noch auf die Bewertung von Gelatine bezogen hätten und die darauf gestützten Äußerungen im Hinblick auf das Hydrolysat unergiebig wären, kann nicht gefolgt werden. Die Entwicklung des kurzkettigen Hydrolysats stellt keine Veränderung gegenüber der bekannten Gelatine dar, welche die Fachwelt überrascht haben kann. Auch die von der Beklagten gegebenen Erklärungen sind aus sich heraus nicht so zwingend, dass die älteren Untersuchungen ohne weiteres entkräftet wären. Es entspricht nicht dem Zweck des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB, durch die Modifikation eines Wirkstoffs eine eindeutig entgegenstehenden herrschenden Meinung umschiffen und auf der Grundlage nicht zusammenhängender Einzeluntersuchungen eine Wirksamkeit behaupten zu können. Eine hinreichende wissenschaftliche Absicherung ist deshalb nicht gegeben. Die Aussagen der Beklagten stellen somit einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 LFGB dar.

b) aa) Daneben verstößt die angegriffene Werbung der Beklagten gegen § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB. Die Aussagen der Beklagten beziehen sich ihrem Wortlaut nach zumindest auch auf die Verhütung von Krankheiten. Denn die streitgegenständliche Zeitungsanzeige benennt zwar den alters- oder belastungsbedingten Gelenkverschleiß. Unter Umständen kann der Gelenkverschleiß aber durchaus, auch wenn er altersbedingt und -üblich ist, ein Maß erreichen, welches es gestattet, von einer anerkannten Krankheit, nämlich einer Arthrose, zu sprechen. Unter einer Krankheit sind Beschwerden zu verstehen, die von der gesundheitlichen Norm abweichen, ohne Rücksicht darauf, ob die Normabweichungen nur vorübergehend oder nicht erheblich sind (BVerwGE 37, 209, 214). Sofern also bei einer Person die Arthrose ein Ausmaß erreicht, welches über die üblichen Beschwerden hinausgeht, die Personen einer vergleichbaren Altersgruppe erleiden, so kann nicht mehr von üblichen alters- oder belastungsbedingten Verschleißerscheinungen, sondern von einer Krankheit gesprochen werden. Die Werbung der Beklagten (bei Gelenkverschleiß) schließt die Behauptung der Wirksamkeit bei solchen fortgeschrittenen Verschleißstadien jedenfalls nicht aus. Dem entspricht, dass auch Arthrosepatienten nicht selten auf Kollagen-Hydrolysat zurückgreifen (vgl. etwa die Darstellung als Other Remedy auf der Website der US-amerikanischen Arthritis Foundation http://www.arthritis.org/conditions/supplementguide/herbs_a_c.asp [site zul. besucht am 17.1.2006)] oder auch die Darstellung auf der deutschen Website http://www.netdoktor.de/krankheiten/fakta/gelenksabnutzungen.htm , [zuletzt besucht am 18.1.2006], nach der für die Selbstmedikation der Arthrose knorpelaufbauende Präparate zum Kauf angeboten werden, die Gelatine oder pflanzliche Stoffe enthalten). Der Senat geht davon aus, dass deutsche Patienten sich diesbezüglich vergleichbar amerikanischen Patienten verhalten.

bb) Der erkennende Senat legt die Vorschrift allerdings im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben restriktiver aus, als ihr Wortlaut nahelegt. In seiner Entscheidung vom 15. Juli 2004 in der Rechtssache Douwe Egberts BV (Slg. 2004, I-7007) hat der EuGH festgestellt, dass Art. 18 Abs. 2 der Etikettierungsrichtlinie (2000/13/EG) nicht die Rechtfertigung pauschaler mitgliedstaatlicher Verbote von Bezugnahmen auf das Schlankerwerden ermöglicht. Ein absolutes Verbot, bestimmte Angaben über das Schlankerwerden oder ärztliche Empfehlungen in die Etikettierung von Lebensmitteln aufzunehmen, ohne dass in jedem Einzelfall zu prüfen wäre, ob diese Angaben tatsächlich den Käufer irreführen können, hätte zur Folge, dass in Belgien Lebensmittel mit diesen Angaben auch dann nicht frei vertrieben werden könnten, wenn diese gar nicht irreführend wären (a.a.O. Rdn. 43).

41 Zwar verbietet Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13 zum einen alle Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beziehen, auch wenn sie nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen, und zum anderen irreführende gesundheitsbezogene Angaben, doch lässt sich mit dem Gesundheitsschutz, falls in einer bestimmten Situation überhaupt Gesundheitsrisiken denkbar sind, keine Regelung rechtfertigen, die den freien Warenverkehr in einem solchen Maße beschränkt, wie das die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften tun (in diesem Sinne Urteile Kommission/Österreich, Randnr. 48, sowie Sterbenz und Haug, Randnr. 37).

42. Solche Restrisiken für die Gesundheit lassen sich nämlich durch weniger beschränkende Maßnahmen vermeiden, insbesondere durch die Verpflichtung des Herstellers oder des Vertreibers des betreffenden Erzeugnisses, in Zweifelsfällen die Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen auf der Etikettierung nachzuweisen (Urteile vom 28. Januar 1999 in der Rechtssache C77/97, Unilever, Slg. 1999, I 431, Randnr. 35, sowie Sterbenz und Haug, Randnr. 38).

Im Bereich der vorliegend allein relevanten Werbung finden die allgemeinen Vorschriften über die Produktfreiheiten Anwendung. Der EuGH hat in der bereits angesprochenen Entscheidung Douwe Egberts in dem absoluten Verbot der Bezugnahme auf das Schlankerwerden eine Marktzugangsbehinderung erkannt, die den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet (a.a.O., Rdn. 51 ff.). Mit der ebenfalls bereits genannten Begründung hat er die Rechtfertigung durch die Ziele des Gesundheits- und Verbraucherschutzes abgelehnt (a.a.O., Rdn. 56).

Diese Gesichtspunkte sind auf das generelle Verbot der Verwendung von Aussagen übertragbar, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen. Auch insoweit würde der Zugang zum deutschen Markt für Lebensmittel beschränkt, die in anderen Mitgliedstaaten, in denen in Einklang mit der Richtlinie 2000/13 nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben zulässig sind, rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden. Es kann ein Einfuhrhindernis darstellen, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer ein Werbesystem aufgeben muss, das er für besonders wirksam hält. Überdies ist ein absolutes Verbot der auf die Merkmale eines Erzeugnisses gestützten Werbung geeignet, den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse, mit denen der Verbraucher besser vertraut ist. Ein abstraktes Verbot solcher Aussagen ist zur Gewährleistung eines wirksamen Gesundheits- und Verbraucherschutzes nicht erforderlich; es genügt vielmehr das allgemeine Irreführungsverbot in Verbindung mit einer Beweislastumkehr.

In der Konsequenz müsste das absolute Verbot der Bezugnahme des § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dem Anwendungsvorrang des EG-Vertrags weichen (ebenso für § 18 Abs. 1 LMBG entspr. § 12 Abs. 1 Nr. 2 LFGB Knopp/Grieb , Anm. zu EuGH - Douwe Egberts , ZLR 2004, 611, 616). Davon ausgehend erscheint es nicht als sachgerecht, dem europarechtlichen Regelungsregime allein Sachverhalte zu unterwerfen, bei denen die Einfuhr von durch den EG-Vertrag privilegierten Waren in Rede steht. Dieselbe - vom EuGH für Etikettierungen vorgeschlagene - Regelung in Gestalt eines Irreführungserfordernisses mit Beweislastumkehr scheint auch bei rein nationalen Sachverhalten angemessen zu sein, zumal sie der Lösung im allgemeinen Lauterkeitsrecht (dazu u.) entspricht. An dieser Stelle kann die streitige Frage offen gelassen werden, ob aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG eine Pflicht resultiert, die drohende Inländerdiskriminierung zu verhindern. Entscheidend muss sein, dass die sachangemessene restriktive Auslegung des Tatbestandes durch Hinzufügung eines ungeschriebenen Irreführungserfordernisses methodisch statthaft ist. In derselben Weise ist die Rechtsprechung zu § 6d Abs. 1 Nr. 2 UWG a.F. verfahren und hat dem abstrakten Verbot der mengenmäßigen Beschränkung von Sonderangeboten ein Erfordernis entnommen, dass gerade durch die Kombination von Sonderangebot und Abgabenbeschränkung beim Verbraucher eine Fehlvorstellung hinsichtlich der Lieferbereitschaft des werbenden Unternehmens geweckt wird (BGH, GRUR 1990, 378, 380 - Meister-Aktuell ). Auch das generelle Verbot des § 15 Abs. 1 Nr. 2 der Mineral- und Tafelwasserverordnung, Tafelwässer in einer Weise zu bezeichnen, die auf eine geographische Herkunft schließen lässt, ist von der Rechtsprechung als Konsequenz richtlinienkonformer Auslegung teleologisch in der Weise reduziert worden, dass die konkrete Gefahr einer Verwechslung eines derart bezeichneten Tafelwassers mit einem natürlichen Mineralwasser begründet werden muss (OLG Karlsruhe, ZLR 2000, 199, insoweit bestätigt in BGH, GRUR 2002, 1023 - Bodensee Tafelwasser ).

cc) Die auf der Packung und in der Werbung gemachten Angaben sind irreführend i.S.d. restriktiv ausgelegten § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB.

Zunächst fehlt es an dem behaupteten mehrfachen Nachweis der knorpelaufbauenden und regenerierenden Wirkung des beworbenen Produkts. Diese Aussage enthält für den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher, an den sich die Werbung wendet, die Angabe, dass das beworbene Produkt im Menschen bereits geschädigtes Knorpelgewebe wiederaufbaue, und diese Wirkung mehrfach nachgewiesen sei. Das stimmt so nicht. Es fehlt bis heute an einer geschlossenen wissenschaftlichen Studie, die diesen Wirkungszusammenhang belegt. Die von der Beklagten benannten Studien geben entweder nur Meinungen Dritter über den Wirkungszusammenhang wieder oder untersuchen einzelne Glieder einer Wirkungskette. An der von der Beklagten durch die Formulierung mehrere Studien und die damit verbundene Vorstellung der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zugleich nahegelegten Unanfechtbarkeit fehlt es jedenfalls.

Die in der angegriffenen Werbung behaupteten Wirkungen des beworbenen Produkts als Gelenkschutz, der durch Knorpelaufbau und Regenerierung bei alters- oder belastungsbedingtem Gelenkverschleiß bewirkt wird, der seinerseits durch die Stimulierung der Gelenkknorpelbildung durch das beworbene Produkt ausgelöst wird, können vom Senat nicht der rechtlichen Würdigung zugrundegelegt werden, da der Beklagten der ihr obliegende Beweis nicht gelungen ist.

Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweislast der rechtsbegründenden Tatsachen zwar beim Kläger. Der Beklagte als Verletzer hat hingegen diejenigen Umstände zu behaupten und zu beweisen, die den rechtsbegründenden Tatsachen ihre Grundlage entziehen (BGH, GRUR 1997, 229, 230 - Beratungskompetenz ). Im vorliegenden Fall kommt es jedoch zu einer Umkehr der Beweislast zulasten der Beklagten. Die Darlegungs- und Beweislast liegt hier auf Seiten der Beklagten, da sie mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben hat, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. In derartigen Fällen übernimmt der Werbende durch eine solche Aussage die Verantwortung für ihre Richtigkeit, die er im Streitfall auch beweisen muss (BGH, GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II ).

Diese von der Rechtsprechung seit langem anerkannte Begründung der Beweislastumkehr bei Wirksamkeitsbehauptungen wird seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung durch deren Art. 6 lit. a, b geboten. Auf eine explizite Umsetzung dieser Norm wurde in Deutschland stets unter Hinweis auf die etablierte Spruchpraxis der Gerichte verzichtet. Die Übernahme einer Garantie für eine behauptete Wirksamkeit der beworbenen Produkte stellt einen Fall dar, in dem es im Sinne der Vorschrift unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und anderer Verfahrensbeteiligter im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls als angemessen erscheint, vom Werbenden Beweise für die Richtigkeit von in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu verlangen.

Weiter gestützt wird die Beweislastumkehr durch die oben vorgenommene restriktive Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB. Die mit der Regelung verfolgten Ziele des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes können nur wirksam verfolgt werden, wenn dem Werbenden der Beweis auferlegt wird, dass eine behauptete krankheitsverhütende Wirkung eines Lebensmittels tatsächlich eintritt. Diese Belastung mit der Beweislast ist auch unter dem Gesichtspunkt der Etikettierung europarechtskompatibel (vgl. dazu o.).

Den demnach zu führenden Beweis hat die Beklagte nicht erbracht. Die einzelnen Bestandteile der Argumentationskette der Beklagten über die Wirksamkeit von Kollagenhydrolysat erscheinen zwar plausibel. Eine solche Argumentationskette lässt aber außer Betracht, dass bei der Anwendung am Menschen Faktoren hinzu treten können, welche evtl. theoretisch zu erwartende Wirkungsergebnisse vereiteln können. Wäre dies anders, so bedürfte es bei Arzneimitteln keiner aufwendiger und mehrfach gestufter Testverfahren. Eine demnach erforderliche breit abgestützte Feldstudie, die wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, ist bis heute nicht mit im Hinblick auf die behaupteten Wirkungen positivem Ergebnis durchgeführt worden.

c) Die Rechtsverstöße gegen § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB begründen die Unlauterkeit der Handlung der Beklagten gem. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG (Hefer-mehl/ Köhler /Bornkamm, 24. Aufl., 2006, § 4 Rdn. 11.136). Sie wurden im Rahmen der Werbeanzeige, mithin einer Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG begangen. Die lebensmittelrechtlichen Vorschriften sollen zwar in erster Linie die Gesundheit und die Verbraucher schützen. Eine zumindest sekundär wettbewerbsschützende Funktion muss ihnen schon deshalb zugesprochen werden, weil durch die Irreführungsgefahren gerade auch die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher geschützt werden, die durch eine auf fehlerhafter Grundlage getroffene Vermögensdisposition berührt werden.

d) Schließlich ist die Wettbewerbsverletzung von nicht nur unerheblichem Gewicht, da die angegriffene Zeitungswerbung für das Produkt der Beklagten für das Wettbewerbsgeschehen von gewissem Einfluss ist.

2. Die Werbung der Beklagten verstößt ferner gegen die §§ 3, 5 UWG.

a) Die Werbung der Beklagten ist irreführend gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG, da die Beklagte die beworbene Ware mit bestimmten Wirkungen anpreist, die jedoch von der Beklagten nicht nachgewiesen worden sind. Die Beklagte ist insoweit, wie zuvor dargelegt, beweispflichtig.

b) Bei den Aussagen der Beklagten handelt es sich auch um Angaben im Sinne des § 5 Abs. 2 UWG, und nicht um nichts sagende Anpreisungen. Die Werbeaussage könnte nur dann als eine solche Anpreisung eingeordnet werden, wenn ihr ein zur Irreführung geeigneter Informationsgehalt fehlen würde (BGH, GRUR 1964, 33, 35 - Bodenbelag ). Jedoch sind die Angaben der Beklagten zur Wirkung ihres Produktes, auch wenn diese umstritten sind, tatsächlicher Natur und weisen somit einen konkreten Informationsgehalt auf.

c) Die übrigen Voraussetzungen des § 3 UWG sind, wie oben gezeigt, erfüllt.

3. Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,00 EUR festgesetzt.






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 08.03.2006
Az: 6 U 126/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/4817834af2ab/OLG-Karlsruhe_Urteil_vom_8-Maerz-2006_Az_6-U-126-05




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share