Kammergericht:
Urteil vom 29. Oktober 2013
Aktenzeichen: 26a U 88/13

(KG: Urteil v. 29.10.2013, Az.: 26a U 88/13)

Wenn das zuständige Landgericht dergestalt durch eine nach dem gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplan unzuständige Kammer entscheidet, dass unter Verkennung der Zuständigkeit eines - durch das Kollegium entscheidenden - Spruchkörpers des Katalogs des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine andere Kammer, für die die Restriktion dieser Norm nicht gilt, durch den für sie originären Einzelrichter nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet, kann hierauf die Berufung nicht mit Erfolg gestützt werden.

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2012 € 18 O 26/12 € wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Unterlagen im Sinne von § 147 Abs. 1 AO, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen, wobei diese Unterlagen die Geschäftsvorfälle der Klägerin im Jahr 2010 betreffen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil des Landgerichts Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten, ihrem früheren Steuerberater, die Herausgabe von Steuerunterlagen. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.12.2012 als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren in zweiter Instanz fort.

Die Klägerin rügt:

Die Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin sei unzuständig gewesen. Es hätte stattdessen nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe d ZPO und dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Berlin für 2011 wie 2012 die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen entscheiden müssen, und zwar durch das Kollegium. Auf diese €exklusive Zuständigkeit€ habe sie das Landgericht mit Schriftsatz vom 28.02.2012 hingewiesen. In deren Nichtbeachtung liege ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG.

Ihr Hauptantrag sei bestimmt genug. Der Antrag folge im Wortlaut § 147 Abs. 6 Satz 2 AO. Die Zulässigkeit ergebe sich auch mit Blick auf § 94 StPO. Datenträger könnten nur aufgrund ihres Inhalts als der der Pfändung unterworfene Gegenstände identifiziert werden. Der Beklagte habe gewusst, worum es gehe, sein Interesse, sich erschöpfend verteidigen zu können, sei ebenso gewahrt wie sein Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

Auch ihr Hilfsantrag sei bestimmt genug. Kein Mensch wisse, welche Unterlagen im Einzelnen er seinem Steuerberater geschickt habe. Sie habe die Belege nicht näher bezeichnen müssen; sie wisse auch gar nicht, ob der Beklagte die betreffenden Belege noch habe. Die als Alternative bestehende Auskunftsklage sei lebensfremd und keine wirkliche Alternative.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 19.03.2013 (Bl. 134-138 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11.12.2012 € 18 O 26/12 € abzuändern und

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Unterlagen i.S.v. § 147 Abs. 1 AO, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen, wobei diese Unterlagen die Geschäftsvorfälle der Klägerin im Jahr 2010 betreffen,

hilfsweise,

den Beklagten zu verurteilen, die ihm von der Klägerin zugesandten Unterlagen i.S.v. § 147 Abs. 1 AO, insbesondere gem. § 147 Abs. 1 Ziff. 4 AO, dieses Jahres 2010 an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die Klageabweisung durch die von ihm als zuständig angesehen Zivilkammer 18 als unzulässig und ergänzt insoweit: Die Klägerin gehe von der irrigen Annahme aus, er werde etwaige Daten von seinem Computernetzwerk auf einen maschinell verwertbaren Datenträger überspielen und diesen im Rahmen einer Zwangsvollstreckung freiwillig zur Verfügung stellen. Falls dieses aber nicht erfolge, werde der Gerichtsvollzieher sich Zugang zum Computernetzwerk des Beklagten verschaffen und dort sorgsam nach den entsprechenden Daten suchen müssen. Dabei müsse der Gerichtsvollzieher die Daten Unbeteiligter meiden und dürfe er keinen Schaden an Hard- und Software verursachen. Hinsichtlich des Hilfsantrags hätte die Klägerin den vom Landgericht in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis aufgreifen und einen Auskunftsantrag stellen sollen.

Hinsichtlich der € trotz Klageabweisung als unzulässig erfolgten € Erörterungen des Landgerichts zur Begründetheit der Klage erklärt der Beklagte: Das Landgericht liege hier falsch. Dem Beklagten stünde ein Zurückbehaltungsrecht nach § 66 Abs. 2 StBerG gegenüber dem Herausgabeverlangen der Klägerin zu. Aus der Erklärung des Finanzamts vom 14.09.2011 sei gerade nicht zu entnehmen, dass eine weitere Fristverlängerung für die Einreichung der Steuererklärungen für 2009 gewährt worden wäre. Die gesetzliche Frist für die Abgabe der Einkommens- und Umsatzsteuererklärungen für 2009 habe gemäß § 149 Abs. 2 AO am 31.05.2010 geendet und sich nach § 109 Abs. 1 AO bis zum 31.12.2010 verlängert. Er habe eine Verlängerung dieser Frist bis zunächst zum 28.02.2011 und sodann bis zum 30.04.2011 erwirkt, obwohl zum einen das Finanzamt, wie sich aus dessen Schreiben vom 14.09.2011 ergebe, die Steuererklärungen sogar vorzeitig zum 15.10.2010 angefordert habe und zum anderen nach den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder Fristverlängerungen für die Abgabe von Steuererklärungen betreffend das Jahr 2009 längstens bis zum 28.02.2011 hätten gewährt werden sollen, und auch dies nur in begründeten Einzelfällen. Ferner habe er von der Klägerin diverse Unterlagen benötigt, nämlich die Nachweise für die Bezahlung der Kfz-Haftpflichtversicherung für 2009 in Höhe von 702,42 Euro, des Rentenversicherungsbetrages in Höhe von 40,- Euro pro Monat und die Studiengebühr in Höhe von 200,- Euro sowie alle steuerlich relevanten Unterlagen für den Ehemann der Klägerin. Diese Unterlagen seien von der Sachbearbeiterin Frau S... bei der Klägerin mehrmals telephonisch und am 27.07.2011 auch per E-Mail angefordert worden. Seine Gebührenabrechnungen seien nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 28.05.2013 (Bl. 144-150 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2013 (Bl. 185, 186 d. A.) Bezug genommen.

Im Übrigen wird von einer Darstellung eines Tatbestands abgesehen, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.

II.

A. Die Berufung hat Erfolg.

Die gemäß §§ 511, 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte, mit einer Begründung versehene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Denn die Klage ist bereits im Hauptsantrag zulässig und vollumfänglich begründet.

1. Die Klägerin kann sich vorliegend allerdings nicht mit Erfolg darauf berufen, erstinstanzlich hätte anstelle des Einzelrichters der Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Berlin € und zwar in Dreierbesetzung € entscheiden müssen. Hierbei kann dahinstehen, ob nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Berlin die Zuständigkeit der dort eingerichteten Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen gegeben gewesen wäre.

Nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet die Zivilkammer erstinstanzlich durch eines ihrer Mitglieder als (originären) Einzelrichter. Nach Satz 2 Nr. 2 Buchstabe d dieser Vorschrift gilt das nicht, wenn die Zuständigkeit der Kammer nach dem Geschäftsverteilungsplan des betreffenden Gerichts wegen der Zuordnung des Rechtsstreits zu dem Sachgebiet €Streitigkeiten aus der Berufstätigkeit der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer€ begründet ist.

Eine Berufung kann nach § 513 Abs. 2 ZPO nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung und erhält die Sacharbeit der ersten Instanz auch bei fehlerhafter Annahme seiner Zuständigkeit (Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., 2014, § 513 Rdnr. 6). Die genannte Norm betrifft die sachliche, örtliche € und hier auch die ausschließliche und die vereinbarte örtliche Zuständigkeit € und funktionelle Zuständigkeit sowie auch die durch Gerichtszuständigkeitsverordnungen (vgl. etwa § 105 UrhG) geschaffenen Zuständigkeiten (Heßler, a. a. O., § 513 Rdnr. 7). § 513 Abs. 2 ZPO ist daher € innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Heßler, a. a. O., § 513 Rdnr. 12) € weit zu verstehen. Mit der Berufung kann daher auch nicht angegriffen werden, dass ein unzuständiger Spruchkörper entschieden hat (Heßler, a. a. O., § 513 Rdnr. 7). Dies erscheint vor dem Hintergrund des Vorstehenden folgerichtig. Wenn mit der Berufung nicht gerügt werden kann, dass das erstinstanzlich entscheidende Gericht sachlich, örtlich oder funktionell unzuständig war, kann die Berufung erst recht nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, es hätte ein anderer Spruchkörper innerhalb eines € zuständigen € Gerichts nach dessen Geschäftsverteilungsplan entscheiden müssen. Dies hat, falls anstelle einer nach einem Geschäftsverteilungsplan eines (Land-) Gerichts in den Katalog des § 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO fallenden Kammer eine andere Kammer entscheidet, zur Folge, dass auch hierauf die Berufung nicht mit Erfolg gestützt werden kann. Dies gilt auch dann, wenn, weil durch Verkennung einer Spezialzuständigkeit eine nicht in den Katalog des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO fallende Kammer entscheidet, diese Kammer durch den für sie originären Einzelrichter entscheidet (Greger in Zöller, a. a. O., § 348 Rdnrn. 7, 23). Insoweit liegt keine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG) vor, sondern lediglich ein € nach § 513 Abs. 2 ZPO gerade nicht rügbarer € Zuständigkeitsmangel (Greger in Zöller, a. a. O., § 348 Rdnr. 23). Dass dies richtig ist, zeigt folgende Kontrollüberlegung: Wenn in einer Sache, in der etwa wegen § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe d ZPO das Landgericht erstinstanzlich in Dreierbesetzung hätte entscheiden müssen, stattdessen das Amtsgericht € welches immer durch einen einzigen Richter entscheidet € entschieden hätte oder wenn ein anderes Landgericht, bei welchem keine Spezialkammer nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe d ZPO € deren Errichtung dem Präsidium eines Landgerichts frei steht (Greger in Zöller, a. a. O., § 348 Rdnr. 7) € besteht, durch den Einzelrichter nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO entschieden hätte, könnte unzweifelhaft nach § 513 Abs. 2 ZPO darauf die Berufung nicht mit Erfolg gestützt werden. Nichts anderes kann aber gelten, wenn das zuständige Landgericht dergestalt durch eine nach dem gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplan unzuständige Kammer entscheidet, dass unter Verkennung der Zuständigkeit eines Spruchkörpers des Katalogs des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine andere Kammer, für die die Restriktion dieser Norm nicht gilt, durch den Einzelrichter nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet.

Ob etwas anderes ausnahmsweise dann gelten kann, wenn der falsche Spruchkörper € und dort gegebenenfalls der originäre Einzelrichter € im klaren Bewusstsein der Zuständigkeit eines Spruchkörpers des Katalogs des § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO und damit im Bewusstsein seiner eigenen Unzuständigkeit € oder sonst willkürlich € entscheidet, kann dahinstehen. Derartige Umstände sind vorliegend nicht aufgezeigt. Dies gilt auch in Ansehung des Vortrags der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 28.02.2012 (Bl. 39 d. A.), in welchem die Klägerin lediglich erklärt hatte: €Einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter stehen keine Gründe entgegen, soweit sich diese nicht möglicherweise aus § 348 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 lit. d ZPO ergeben€ sowie in Ansehung der im Sitzungsprotokoll des Landgerichts vom 11.12.2012 festgehaltenen Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, €er halte die Kammer nicht für zuständig, jedenfalls den Einzelrichter für eine Entscheidung nicht zuständig€.

Lediglich am Rande wird weiter darauf hingewiesen, dass es nach § 513 Abs. 2 ZPO auch nicht darauf ankommt, ob € was der nicht berufungsführende Beklagte erstinstanzlich verneint hat € das Landgericht Berlin sachlich zuständig war.

2. Die Klage ist bereits im Hauptantrag zulässig.

a. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben der bestimmten Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs auch einen bestimmten Antrag enthalten. Damit wird der Streitgegenstand abgegrenzt und zugleich eine Voraussetzung für die etwa erforderlich werdende Zwangsvollstreckung geschaffen. Daran gemessen ist ein Klageantrag grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Klageantrag zu stellen sind, hängt jedoch auch ab von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (BGH, Urteil vom 28.11.2001 € I ZR 168/00 € NJW 2003, 668, Rdnr. 46 nach juris; BGH, Urteil vom 14.12.1998 € II ZR 330/97 € NJW 1999, 954, Rdnr. 7 nach juris). Ein Antrag auf Herausgabe von Gegenständen hat diese so konkret wie möglich zu bezeichnen (BGH € I ZR 168/00 € a. a. O., Rdnr. 48 nach juris). Der Umstand, dass die Vollstreckung eines etwa obsiegenden Urteils mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, macht einen Herausgabeantrag aber nicht ohne weiteres unbestimmt (BGH € I ZR 168/00 € a. a. O., Rdnr. 50 nach juris). So hat der Bundesgerichtshof für den Fall eines Herausgabeverlangens bezogen auf Vervielfältigungsstücke einer bestimmten CD-ROM, die €im Eigentum€ des in Anspruch genommenen Beklagten stehen, angenommen, die Unsicherheit sei unvermeidlich und im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes hinzunehmen (BGH € I ZR 168/00 € a. a. O., Rdnr. 50 nach juris).

b. Unter Heranziehung dieses Maßstabs ist entgegen der Auffassung des Landgerichts der Hauptantrag der Klägerin hinreichend bestimmt. Dieser ist darauf gerichtet, den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Unterlagen im Sinne von § 147 Abs. 1 AO, welche die Geschäftsvorfälle der Klägerin im Jahr 2010 betreffen und welche mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen. Durch diesen Antrag wird der erhobene Anspruch konkret bezeichnet, es wird der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt und es sind Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung hinreichend zu erkennen. Denn es sollen Unterlagen, die durch den Katalog des § 147 Abs. 1 AO und durch die Beschränkung auf die Geschäftsvorfälle der Klägerin im Jahr 2010 näher konkretisiert werden, zur Verfügung gestellt werden, und zwar auf einem maschinell verwertbaren Datenträger. Dadurch wird auch nicht das Risiko eines Unterliegens der Klägerin durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt.

Problematisch erscheint allein € und wird demgemäß auch vom Beklagten in den Mittelpunkt seiner Argumentation gerückt € ob der Antrag bei Ausspruch durch das angerufene Gericht eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Diese Bedenken greifen letztlich aber nicht durch. Hierbei kann dahinstehen, ob der Beklagte überhaupt prozessual damit Erfolg haben könnte, die von ihm angenommene Unbestimmtheit gerade auch daraus herzuleiten, dass er bereits jetzt ankündigt, im Falle seiner Verurteilung dem ihm Auferlegten nicht freiwillig nachzukommen. Denn auch dann gilt, dass der Umstand, dass die Vollstreckung eines etwa obsiegenden Urteils mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, einen Herausgabeantrag nicht ohne weiteres unbestimmt macht. Vorliegend erscheinen die Schwierigkeiten, die richtigen Daten auf dem Computer des Beklagten zu finden, indes nicht derart groß, dass sie den Klageantrag unbestimmt machen würden. Auch wenn im Rahmen der Zwangsvollstreckung sorgsam vorgegangen werden muss und dabei € was sich von selbst versteht € die Daten Unbeteiligter geschützt werden müssen und die Hard- und Software des Beklagten nicht beschädigt werden darf, ist weder aufgezeigt noch sonst zu ersehen, weshalb dies nicht geleistet werden könnte.

Vor dem Hintergrund des Vorstehenden ist bei Abwägung aller Umstände einschließlich einerseits des zu schützenden Interesses des Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie seines Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen sowie andererseits des ebenfalls schutzwürdigen Interesses der Klägerin an einem wirksamen Rechtsschutz, der Klageantrag nicht als unbestimmt anzusehen. Zutreffend weist die Klägerin dabei darauf hin, dass der Beklagte weiß, um welche Daten es der Klägerin geht. Die Formulierung des Klageantrags beeinträchtigt in relevanter Weise weder seine Möglichkeit, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, noch sein Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Die verbleibende Unsicherheit, die gerade deshalb besteht, weil der Beklagte die entsprechenden Computerdateien angelegt hat, ist unvermeidlich und im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes hinzunehmen.

3. Die Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.

Die Klägerin kann vom Beklagten aus §§ 667, 675 Abs. 1, 611 ff. BGB Herausgabe der verlangten Unterlagen durch Zurverfügungstellung eines maschinell verwertbaren Datenträgers verlangen. Dem steht kein Verweigerungsrecht des Beklagten entgegen.

a. Die Pflicht des Steuerberaters zur Herausgabe seiner Handakten an den Mandanten wird in § 66 StBerG vorausgesetzt, aber nicht normiert. Gleichwohl ist eine solche berufsrechtliche Herausgabepflicht unmittelbar aus dieser Vorschrift nach deren Sinn und Zweck sowie aus dem Kontext ihrer einzelnen Absätze eindeutig zu entnehmen (Goez in Kuhls, StBerG, 3. Aufl., 2012, § 66 Rdnr. 21). Im Mandatsverhältnis ergibt sich eine Herausgabepflicht aus §§ 667, 675 Abs. 1, 611 ff. BGB. Danach hat der Steuerberater dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Dies umfasst auch die Handakten und gilt auch, soweit sich der Steuerberater zum Führen von Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedient (Goez, a. a. O., § 66 Rdnr. 21; BGH, Urteil vom 11.03.2004 € IX ZR 178/03 € MDR 2004, 967, Rdnr. 5 nach juris). Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit dem geführten Geschäft erhalten hat. Nach dieser Alternative sind auch die vom Beauftragten über die Geschäftsbesorgung selbst angelegten Akten, sonstigen Unterlagen und Dateien € mit Ausnahme von privaten Aufzeichnungen € herauszugeben (BGH € IX ZR 178/03 € a. a. O., Rdnr. 5 nach juris).

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG kann der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG normiert ein Zurückbehaltungs- und Leistungsverweigerungsrecht speziell in Bezug auf die € im oben genannten Sinn zu verstehenden € Handakten. Da diese vorliegend betroffen sind, ist nicht auf die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 66 StBerG heranzuziehenden allgemeinen Vorschriften der §§ 273, 320 BGB zurückzugreifen (vgl. OLG München, DStR 2012, 1939 Rdnr. 15 nach juris).

Nach § 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG darf der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten aber nicht verweigern, soweit die Vorenthaltung der Handakten und der einzelnen Schriftstücke nach den Umständen unangemessen ist. Dieser ausdrückliche Vorbehalt der Angemessenheit ist letztlich Ausfluss des Gebots von Treu und Glauben, § 242 BGB. Dabei wird im Besonderen auf die Verhältnismäßigkeit, also auf die Bedeutung der zurückbehaltenen Unterlagen für den Mandanten einerseits und auf die Höhe der Gebührenforderung des Steuerberaters andererseits, abgestellt. Die Zurückbehaltung der Handakten kann etwa dann treuwidrig sein, wenn der Steuerberater hinsichtlich der Erfüllung seines Anspruchs ausreichend gesichert ist oder wenn die Honorarforderung unverhältnismäßig gering ist (Goez, a. a. O., § 66 Rdnrn. 35, 36).

b. Hiernach steht vorliegend dem Beklagten kein Recht auf Verweigerung der Herausgabe der klägerseits beanspruchen Unterlagen € durch Zurverfügungstellung eines maschinell verwertbaren Datenträgers € zu.

Der Beklagte berühmt sich gegenüber der Klägerin noch folgender Forderungen, auf welche er sein angenommenes Vorenthaltungsrecht stützt (vgl. Anlage K 1):

RechnungsnummerRechnungsdatumGegenstandForderung1-232/201128.07.2011Einkommenssteuererklärung 2009, Buchführung 2009, Überschussermittlung 2009, Umsatzsteuererklärung 2009506,08 €1-252/201111.08.2011Vorschuss zu den Steuererklärungen und der Gewinnermittlung 2010916,30 €1-274/201126.08.2011Rechtsbehelfsverfahren zu Einkommenssteuer 2009 und Umsatzsteuer 200973,08 Euro1-324/201128.09.2011Einkommenssteuererklärung 2010, Buchführung 2010, Überschussermittlung 2010, Umsatzsteuererklärung 2010446,23 €Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich in Bezug sowohl auf die Rechnung zu 1-252/2011 als auch hinsichtlich der Rechnung zu 1-324/2011 vorgetragen, der Beklagte habe insoweit keine Leistungen für 2010 erbracht (vgl. etwa den Schriftsatz vom 07.05.2012, dort S. 3 = Bl. 107 d. A.). Zu den Einwendungen der Klägerin hat der Beklagte, worauf schon das Landgericht im angefochtenen Urteil hingewiesen hat, Zureichendes nicht vorgetragen. Dabei kann dahinstehen, ob die auch zweitinstanzlich wiederholte pauschale Behauptung des Beklagten, seine Gebührenabrechnungen seien nicht zu beanstanden, auch die Rechnungen zu 1-252/2011 und zu 1-324/2011 betrifft. Denn der Beklagte hätte seine etwa auch insoweit behauptete Leistungserbringung € bereits erstinstanzlich € näher substantiieren müssen. Bestrittener neuer Vortrag in zweiter Instanz wäre nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Rechnung zu 1-252/2011 ist hierbei auch zu beachten, dass der Beklagte nach fristloser Kündigung des gesamten Mandatsverhältnisses durch die Klägerin mit Schreiben vom 13.09.2011 € welche unabhängig von der Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe jedenfalls deshalb zu einer wirksamen Beendigung des Mandatsverhältnisses geführt hat, weil der Beklagte mit Schreiben vom 28.09.2011 (Anlage 2/1 = Bl. 74-76 d. A.) die Wirkung der Kündigung ausdrücklich akzeptiert hat und damit jedenfalls von einer einvernehmlichen Mandatsbeendigung auszugehen ist € keine Arbeiten mehr zu erbringen hat. Der Beklagte kann daher auch keine Vorschüsse mehr für Arbeiten betreffend 2010 verlangen. Vor diesem Hintergrund kann dem Rechtsstreit nicht zugrundegelegt werden, dass dem Beklagten noch Forderungen in Höhe von 916,30 Euro und 446,23 Euro aus den Rechnungen zu 1-252/2011 und zu 1-324/2011 gegenüber der Klägerin zustehen.

Ob dem Beklagten noch Zahlung in Höhe von 506,08 Euro und 73,08 Euro aus den Rechnungen zu 1-232/2011 und 1-274/2011 gegenüber der Klägerin zustehen € was zwischen den Parteien umstritten ist, da sie sich wechselseitig dafür verantwortlich machen, dass die Einkommenssteuererklärung 2009 und die Umsatzsteuererklärung 2009 nach Ablauf der letzten Einreichungsfrist beim Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg eingereicht wurden mit der Folge, dass dieses der Klägerin (nunmehr von dieser zusammen mit Rechtsanwaltskosten gegenüber der Forderung aus der Rechnung zu 1-232/2011 zur Aufrechnung gestellte) Verspätungszuschläge in Höhe von 420,- Euro auferlegt hat und mit der weiteren Folge, dass der Beklagte die zur Rechnung zu 1-274/2011 führenden Rechtsbehelfsverfahren betrieben hat € kann für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits dahinstehen. Auf die diesbezüglichen Streitpunkte der Parteien kommt es nicht an. Denn selbst wenn dem Beklagten gegenüber der Klägerin noch Ansprüche in Höhe von 579,16 Euro zustehen sollten, ist vorliegend nach § 66 Abs. 2 Satz 2 StBerG die Geltendmachung eines Vorenthaltungsrechts ausgeschlossen.

Im Rahmen der insoweit anzustellenden Gesamtabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen hat (vgl. bereits die Klageschrift vom 28.12.2011, dort S, 5 = Bl. 5 d. A.), sie habe in der Vergangenheit die € von ihr akzeptierten € Forderungen des Beklagten einschließlich der Vorschusszahlungen immer pünktlich beglichen und der Beklagte habe kein Ausfallrisiko. Anlass zur Annahme, die umstrittenen Forderungen aus den Rechnungen zu 1-232/2011 und 1-274/2011 könnten € so sie besteht € nach einem entsprechenden Erkenntnisverfahren nicht beigetrieben werden, hat sich nicht ergeben. Die allenfalls offene Forderung in Höhe von 579,16 Euro ist relativ gering. Demgegenüber besteht ein erhebliches Interesse der Klägerin, Steuererklärungen zur Einkommenssteuer und zur Umsatzsteuer 2010, welche nach § 149 Abs. 2 AO bis zum 31.05.2010 hätten abgegeben werden müssen und hinsichtlich derer auch die vom Beklagten im Rahmen des streitigen Vortrags zu den Steuererklärungen 2009 erörterten Fristverlängerungsmöglichkeiten längst erschöpft sein dürften, beim Finanzamt einzureichen und damit Verspätungszuschläge zu vermeiden sowie weiter € je nachdem € eine Erstattung zu erhalten oder ihrer öffentlich-rechtlichen Pflicht, zu wenig bezahlte Steuern nachzuzahlen, nachzukommen. Unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände steht dem Beklagten kein Vorenthaltungsrecht zu.

Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 273, 320 BGB hat, wie ausgeführt, nicht zu erfolgen. Darüber hinaus würden die genannten Vorschriften auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

c. Der Beklagte dringt auch nicht mit seinem in Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.10.2013 erfolgten, klägerseits bestrittenen Vorbringen durch, er habe die Unterlagen für 2010, die Basis der Steuererklärungen für 2010 seien, bereits an die Klägerin ausgehändigt. Die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung dieses neuen, nicht unstreitigen Vortrags nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Falls € was seiner Erklärung indes schon nicht entnommen werden kann € der Beklagte gemeint haben sollte, er habe die betreffenden Unterlagen nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz an die Klägerin herausgegeben, könnte ihm dies auch unter Berücksichtigung von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zum Erfolg verhelfen. Da der beklagtenseitige Vortrag von der Klägerin bestritten wurde, wäre die einfache Behauptung des Beklagten unzureichend. Darüber hinaus wäre der Beklagte, falls er € wie nicht € näher zur Vornahme der behaupteten Aushändigung vorgetragen hätte, beweisfällig geblieben.

4. Da die Klage bereits im Hauptantrag Erfolg hat, hat keine Entscheidung über den Hilfsantrag zu ergehen.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung beruht € in Anwendung der ausreichend ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den vorliegenden Einzelfall € auf den besonderen Umständen des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts. Dies betrifft sowohl die Erwägung zur Zulässigkeit wie auch diejenigen zur Begründetheit.






KG:
Urteil v. 29.10.2013
Az: 26a U 88/13


Link zum Urteil:
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