Landgericht Bonn:
Beschluss vom 29. April 2005
Aktenzeichen: 8 T 39/05

(LG Bonn: Beschluss v. 29.04.2005, Az.: 8 T 39/05)

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 01.03.2005 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15.02.2005 – 5 C 228/04 – aufgehoben und die Sache zur Festsetzung gemäß § 104 ZPO an das Amtsgericht Bonn zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem Amtsgericht Bonn übertragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 263,09 Euro festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung ausstehender Mietzinsen und Mietnebenkosten in Anspruch genommen. Nach Eingang der Klageerwiderung hat der Abteilungsrichter Termin zur Güteverhandlung mit eventuell anschließendem Haupttermin bestimmt und zugleich den Parteien Hinweise erteilt sowie einen Einigungsvorschlag unterbreitet. Nach Anzeige der grundsätzlich bestehenden beiderseitigen Vergleichsbereitschaft unterbreitete das Gericht auf Bitte beider Parteien unter dem 06.01.2005 einen formulierten Vergleichsvorschlag. Mit Schriftsatz vom 10.01.2005 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, dass dem Vergleichsvorschlag vorbehaltlich einer noch einzufügenden Änderung zugestimmt werde. An diesem Vorbehalt hielt er nach fernmündlicher Rücksprache mit dem Abteilungsrichter vom 12.01.2005 nicht mehr fest. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am selben Tag von dem vorgenannten Telefongespräch in Kenntnis gesetzt und die Zustimmung zu dem Vergleichsvorschlag angekündigt hatte, wurde der für den 26.01.2005 bestimmte Termin aufgehoben. Nach Eingang der schriftlichen Zustimmungserklärung der Beklagtenseite bei Gericht am 18.01.2005 wurde das Zustandekommen des Vergleichs am 20.01.2005 durch Beschluss festgestellt. Nach dem Inhalt des Vergleichs haben die Klägerin 38,2% und die Beklagten als Gesamtschuldner 61,2% der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zu tragen. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat die von der Klägerseite angesetzte Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15.02.2005 abgesetzt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Terminsgebühr bei der bloßen Protokollierung eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO nicht anfalle.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 23.02.2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss die bei dem Landgericht am 01.03.2005 eingegangene sofortige Beschwerde eingelegt mit der Maßgabe, unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 15.02.2005 gegen die Beklagten auch die Terminsgebühr in Höhe von 226,80 Euro zzgl. Umsatzsteuer festzusetzen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass – was unstreitig ist – der zustande gekommene Vergleich im Vorfeld außerhalb der mündlichen Verhandlung sowohl mit dem Gericht als auch mit der Beklagtenseite unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes erörtert worden sei.

II.

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 ff. ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat die von der Klägerseite angesetzte Terminsgebühr i. S. d. Nr. 3104 VV RVG in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss zu Unrecht außer Ansatz gelassen. Eine solche fällt nach Auffassung der Kammer jedenfalls dann an, wenn die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien und ihrer Vertreter zum Zustandekommen eines Vergleiches nach § 278 Abs. 6 ZPO führt, auch wenn es sich – wie vorliegend – nicht um ein Verfahren handelt, das infolge eines Einverständnisses der Parteien, nach § 128 Abs. 2 oder § 495a ZPO keine mündliche Verhandlung erfordert.

1. Die Frage, ob bei Abschluss eines Vergleiches nach § 278 Abs. 6 ZPO für den Rechtsanwalt auch eine Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG anfällt, ist äußerst umstritten.

a. In der Rechtsprechung und vereinzelt auch im Schrifttum wird diese Frage verneint (OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.12.2004 – 3 W 4006/04 –, AnwBl. 2005, 222 m. abl. Anm. Henke; obiter dicta auch der BGH, Beschl. v. 30.03.2004 – VI ZB 81/03 –, AnwBl. 2004, 593, 594 m. abl. Anm. Henke 594 = NJW 2004, 2311, 2312 sowie – auf Gegenvorstellung der Beschwerdeführer – mit Beschl. v. 30.06.2004 – VI ZB 81/03 –, NOJZ 2004, 4083; ferner Enders, RVG für Anfänger, 12. Aufl. 2004, Rz. 926; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl. 2004, VV 3104 Rz. 30). Begründet wird dies primär mit dem Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG, der sich in seiner ersten Variante auf das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO beziehe und nicht auf § 278 Abs. 6 ZPO (BGH, Beschl. v. 30.06.2004 – VI ZB 81/03 –, aaO.; OLG Nürnberg, aaO.; Hartmann, aaO.). Darüber hinaus wird auf die vom Bundesgerichtshof angeführten Argumente zu der sich unter der Ägide der BRAGO entsprechend stellenden Problematik zurückgegriffen (OLG Nürnberg, aaO.). Danach widerspreche eine Ausdehnung des Gebührentatbestandes nach Nr. 3104 VV RVG auch auf Fälle des § 278 Abs. 6 ZPO nicht nur dem von den Parteivertretern zu wahrenden Interesse der Parteien, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Sie sei überdies auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Arbeits- und Zeitaufwand der Prozessvertreter bei einem gerichtlichen Termin wesentlich höher sei als bei einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO (vgl. zu den Argumenten unter der alten Rechtslage im Einzelnen BGH, Beschl. v. 30.03.2004 – VI ZB 81/03 –, AnwBl. 2004, 593 f. = NJW 2004, 2311, 2312 f.).

b. Die überwiegende Literatur zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vertritt dagegen den Standpunkt, dass auch der schriftliche Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO die Terminsgebühr i. S. d. Nr. 3104 VV RVG zum Entstehen bringt (Gebauer/Wahlen in Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl. 2004, VV 3104 Rz. 7, 31; Goebel, RVG-B 2004, 25, 26; ders., RVG-B 2005, 8, 9 f.; Henke, AnwBl. 2004, 594; ders., AnwBl. 2005, 222 f.; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 1. Aufl. 2004, VV 3104 Rz. 22; Mock, AGS – RVG-Spezial – 2004, 27; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Aufl. 2004, VV 3104 Rz. 58; Schneider/Mock, Das neue Gebührenrecht für Anwälte, 1. Aufl. 2004, § 14 Rz. 76; Zöller-Greger, 25. Aufl. 2005, § 278 Rz. 27).

c. Nach Auffassung der Kammer ist der letztgenannten Auffassung zuzustimmen, führt mithin das Zustandekommen eines Vergleiches gemäß § 278 Abs. 6 ZPO im normalen Prozessverfahren vor einer mündlichen Verhandlung jedenfalls dann zum Entstehen der Terminsgebühr i. S. d. Nr. 3104 VV RVG, wenn – wie vorliegend – dem Vergleich der Erledigung des Verfahrens dienende Besprechungen zwischen den Parteien vorausgegangen sind.

aa.

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Vorbemerkungen 3 Abs. 3 zu Teil 3 des RVG-Vergütungsverzeichnisses, denen zufolge die Terminsgebühr unter anderem "für ... die Mitwirkung an auf ... Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts" entsteht (vgl. Henke, AnwBl. 2004, 594; Müller-Rabe, aaO., VV 3104 Rz. 57 f.; Zöller-Greger, aaO., § 278 Rz. 24); hiervon ausgenommen sind lediglich Besprechungen allein mit dem Auftraggeber.

Dies hat auch im Wortlaut der Nr. 3104 VV RVG Niederschlag gefunden, wird doch dort der Abschluss eines "schriftlichen Vergleiches" angesprochen (Gebauer/Wahlen, aaO., VV 3104 Rz. 7, 31; Zöller-Greger, aaO., § 278 Rz. 27). Dass in dieser Nummer des Vergütungsverzeichnisses – anders als etwa in Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG – die Regelung des § 278 Abs. 6 ZPO nicht ausdrücklich aufgeführt worden ist, steht dem nicht entgegen, zumal diese Regelung ausweislich ihres Wortlautes ("Die Gebühr entsteht auch, …") die Vorbemerkungen 3 Abs. 3 zu Teil 3 des RVG-Vergütungsverzeichnisses ergänzt und nicht an deren Stelle tritt.

bb.

Diese Auslegung trägt überdies auch der Intention des Gesetzgebers Rechnung, der mit dieser Regelung den Anwendungsbereich der Terminsgebühr gegenüber der früheren Verhandlungs- und Erörterungsgebühr erweitern und unter der Ägide des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes auch solche auf Herbeiführung einer gütlichen Einigung abzielenden Besprechungen erfasst wissen wollte, die nach alter Rechtslage nicht honoriert wurden (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209; siehe insofern ferner Henke, AnwBl. 2005, 222 f. sowie – dort unter Berufung auf eine entsprechende Mitteilung des Bundesministeriums der Justiz – Goebel, RVG-B 2005, 8, 9, 10).

cc.

Vor dem Hintergrund der vorstehend dargelegten gesetzgeberischen Intention lässt sich der zu § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO vorgetragene Einwand, die Ausdehnung dieses Kostentatbestandes auf einen Vergleichsschluss ohne Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin widerspreche dem Interesse der Parteien, die Kosten eines Rechtsstreits so gering wie möglich zu halten (BGH, Beschl. v. 30.03.2004 – VI ZB 81/03 –, AnwBl. 2004, 593, 594 = NJW 2004, 2311, 2312), nicht unbesehen auf Nr. 3104 VV RVG übertragen (so aber das OLG Nürnberg, aaO.). Abgesehen davon, dass durch die gesetzgeberisch beabsichtigte Ausdehnung des Kostentatbestandes die Vergleichsbereitschaft gefördert wird, lässt der vorstehend erörterte Einwand außer Acht, dass es im Fall eines Vergleichsabschlusses immer noch zu einer Ermäßigung der Verfahrensgebühr nach Nr. 1211 KV GKG kommt (vgl. Nr. 1211 Ziffer 3, 1222 Ziffer 3 KV GKG u.v.m.) und so im Ergebnis dem Interesse der Parteien an einer – verglichen mit einem streitigen Verfahrensabschluss – kostengünstigen Lösung Rechnung getragen wird. Auch wird der Prozessbevollmächtigte durch die Ausdehnung des Kostentatbestandes nicht von der gegenüber seinem Mandanten weiterhin bestehenden Verpflichtung entbunden, für diesen die Kosten niedrig zu halten; er wird mithin den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen und dementsprechend darüber befinden müssen, ob die Durchführung einer den Kostentatbestand der Nr. 3104 VV RVG auslösenden Besprechung mit der Gegenseite wirklich erforderlich ist.

Dementsprechend verfängt auch der in diesem Zusammenhang geäußerte Einwand nicht, dass der Anfall der Gebühr eher zufällig von der – von den Parteien schwerlich zu überschauenden – Arbeitsweise der Prozessbevollmächtigten abhänge (vgl. BGH, Beschl. v. 30.03.2004 – VI ZB 81/03 –, aaO.).

dd.

Schließlich steht die gesetzgeberisch beabsichtigte Ausdehnung der Terminsgebühr auf einen Vergleichsschluss ohne Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin auch dem zur alten Rechtslage vorgebrachten Einwand entgegen, Arbeits- und Zeitaufwand der Prozessvertreter seien bei einem gerichtlichen Termin wesentlich höher als bei einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO.

2. Vor diesem Hintergrund ist in dem vorliegenden Fall die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entstanden. Zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien ist es zu wechselseitigen telefonischen Rücksprachen gekommen, die der Abklärung des gerichtlichen Vergleichsvorschlages vom 06.01.2005 – insbesondere im Hinblick auf eine Ratenzahlung – dienten und zu dem durch Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 20.01.2005 – 5 C 228/04 – festgestellten Vergleich geführt haben.

III.

1. Die Kostenentscheidung war dem Amtsgericht zu übertragen, da im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nachträglich einen ergänzenden Antrag auf Festsetzung auch der Terminsgebühr stellen wird – der Ausgang des Verfahrens und das schlussendliche Maß des Obsiegens und Unterliegens (§§ 97 Abs. 1, 92 ZPO) noch offen ist (vgl. Zöller-Gummer, aaO., § 572 Rz. 47).

2. Die Entscheidung über die – unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung unter Ziffer II – zu treffende Festsetzung gemäß § 104 ZPO war nach § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Kammer hat von einer Entscheidung in der Sache abgesehen, weil in Anbetracht der gegebenen Möglichkeit eines nachträglichen Festsetzungsergänzungsantrages des Beklagtenvertreters eine abschließende Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt nicht geboten war.

3. Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Problematik ist Folge der Neuregelung in Nr. 3104 VV RVG und tritt in einer Vielzahl von Fällen auf. Eine höchstrichterliche Klärung steht, soweit ersichtlich, noch aus.






LG Bonn:
Beschluss v. 29.04.2005
Az: 8 T 39/05


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