Kammergericht:
Urteil vom 22. Dezember 2005
Aktenzeichen: 23 U 160/04

(KG: Urteil v. 22.12.2005, Az.: 23 U 160/04)

Zur Überschuldung bei Rangrücktrittserklärung des (Mit-)Gesellschafters, -gläubigers; Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen dürfen in der Überschuldungsbilanz auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn der betreffende Gesellschafter, der einen Rangrücktritt gegenüber sämtlichen außenstehenden Gesellschaftsgläubigern erklärt, sich einen vorrangigen Zugriff auf einen etwaigen Liquidationsüberschuss vor seinen Mitgesellschaftern vorbehält (Abgrenzung zu BGH, Urt. vom 8. Januar 2001 - II ZR 88/89 = BGHZ 146, 264).



Revision eingelegt. Aktenzeichen des BGH: II ZR 48/06

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 5. Juli 2004verkündete Urteil der Zivilkammer 14 des Landgerichts Berlingeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durchSicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweilsbeizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorder Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Ersatz von 82.884,80 EUR, die dieser als Vorstand der Insolvenzschuldnerin zwischen dem 7. August und 19. Oktober 2001 an Gläubiger der Gesellschaft, insbesondere das Finanzamt und Sozialversicherungsträger gezahlt hat. Der Kläger behauptet unter Bezugnahme auf den Jahresabschluss der AG zum 31.12.2000, die Gesellschaft sei auch bei Berücksichtigung aller stillen Reserven bereits Ende 2000 mit 238.460,15 DM überschuldet gewesen.

Der Beklagte bestreitet, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Zahlungen überschuldet gewesen sei. Er ist der Ansicht, die im Jahresabschluss 2000 zugunsten der stillen Gesellschafterin IBB ausgewiesenen Darlehen müssten unberücksichtigt bleiben, da diese im Beteiligungsvertrag vom 30.11.2000 erklärt habe, dass sie ihren Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben in einem gerichtlichen Insolvenz- oder Vergleichsverfahren im Range nach den übrigen Insolvenzgläubigern geltend machen werde, jedoch vor den Forderungen der anderen Gesellschafter.

Demgegenüber beruft sich der Kläger darauf, dass nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs - II ZR 88/99 - vom 8. Januar 2001 (BGHZ 146, 264) eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz nur dann unberücksichtigt bleiben dürfen, wenn der betreffende Gesellschafter einen Rangrücktritt in dem Sinne erklärt, dass er nicht nur erst nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger, sondern auch nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt werden wolle.

Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 5. Juli 2004 verurteilt, an den Kläger 82.884,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. Mai 2004 zu zahlen.

Gegen das ihm am 23. Juli 2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23. August 2004 Berufung eingelegt und diese am 23. September 2004 begründet.

Der Beklagte meint, das Landgericht habe zu Unrecht ein Zahlungsverbot wegen Überschuldung angenommen, da die mit einem Rangrücktritt versehenen Gesellschafterdarlehen der IBB nicht hätten passiviert werden müssen; außerdem habe bis zur Zahlungsverweigerung und Kündigung der IBB eine positive Fortführungsprognose bestanden. Der Beklagte behauptet ferner, er habe sich seinerzeit bei der Beurteilung der Überschuldungssituation auf den Prüfbericht eines Wirtschaftsprüfers vom 17. August 2001 gestützt, in dem bestätigt werde, dass die Gesellschaft zwar bilanziell, nicht jedoch rechtlich überschuldet sei (Anlage B 1, Seite 32), und müsse sich daher keine Sorgfaltspflichtverletzung vorhalten lassen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung des Beklagten wahrt die gesetzlichen Formen und Fristen und ist daher zulässig.

Die Berufung ist begründet. Der Beklagte muss dem Kläger keinen Ersatz für die geleisteten Zahlungen leisten (§ 92 III, 93 III Nr. 6 AktG). Denn die Insolvenzschuldnerin war zum Zeitpunkt der Zahlungen weder zahlungsunfähig noch überschuldet.

Die vom Kläger behauptete rechnerische Überschuldung entfällt, wenn das im Jahresabschluss vom 31.12.2000 (Bd. I, Bl. 24, 36) mit 684.540,50 DM ausgewiesene eigenkapitalersetzende Darlehen der IBB unberücksichtigt bleibt. Das Berufungsgericht teilt die überzeugend begründete Ansicht des Beklagten, dass die ihrem wesentlichen Inhalt nach oben wiedergegebene Rangrücktrittserklärung der IBB ausreicht, um deren Forderung in der Überschuldungsbilanz unberücksichtigt lassen zu können.

15Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, dass der Wortlaut der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 146, 264) das Missverständnis begünstigt, dass eine den Tatbestand der Überschuldung abwendende Rangrücktrittserklärung nicht den Vorbehalt enthalten dürfe, dass der Gläubiger vor den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt werden wolle. Eine an Sinn und Zweck des Zahlungsverbots des § 92 III AktG orientierte Auslegung der Entscheidung führt aber zu dem Ergebnis, dass der Bundesgerichtshof einen Rangrücktritt mit dem dort in Anlehnung an seine Rechtsprechung zur Vorbelastungs- und Jahresbilanz (BGHZ 124, 282) wiedergegebenen Inhalt lediglich als hinreichende, nicht aber auch als notwendige Bedingung für die Abwendung einer Überschuldungssituation ansieht. Notwendig, aber auch hinreichend, ist lediglich die Erklärung, dass der kreditgebende Gesellschafter mit seiner Forderung hinter alle anderen Insolvenzgläubiger zurücktritt. Dass er sich den vorrangigen Zugriff auf einen etwaigen Liquidationsüberschuss vorbehält, ist unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes, auf den das Zahlungsverbot des § 92 III AktG allein abzielt, ohne Belang.

Dies entspricht anscheinend auch der Auffassung des Bundesgerichtshofs. Denn zwei Sätze nach der oben zitierten Stelle heißt es (immer noch unter I.2.c) bb)(2)):

Einer darüber hinausgehenden Erklärung des Gesellschafters, insbesondere eines Verzichts auf die Forderung (vgl. hierzu BT-Drucks. 12/2443, 115 re. Sp.) bedarf es nicht. Denn durch ihn würden - den allerdings nicht nahe liegenden Fall der Überwindung der Krise oder des Vorhandenseins eines Liquidationsüberschusses unterstellt - ausschließlich die Mitgesellschafter begünstigt, während die Interessen der außenstehenden Gläubiger durch die beschriebene Rangrücktrittserklärung ebenso gewahrt worden sind ...

Auch der Bundesgerichtshof geht also offenbar davon aus, dass die Geeignetheit einer Gläubigererklärung zur Abwendung der Überschuldung allein davon abhängt, dass die Interessen der außenstehenden Gläubiger gewahrt sind.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 I, 708 Nr. 10, 711, 543 II 1 ZPO. Die Revision wurde zugelassen, weil die Frage, ob eine Rangrücktrittserklärung, in der der Gesellschafter zwar sämtlichen Insolvenzgläubigern den Vorrang einräumt, sich aber vorrangigen Zugriff auf einen etwaigen Liquidationsüberschuss vor seinen Mitgesellschaftern vorbehält, zur Beseitigung einer Überschuldungssituation ausreicht, von grundsätzlicher Bedeutung und die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs insoweit nicht eindeutig ist.






KG:
Urteil v. 22.12.2005
Az: 23 U 160/04


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