Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. November 2010
Aktenzeichen: 25 W (pat) 27/10

(BPatG: Beschluss v. 04.11.2010, Az.: 25 W (pat) 27/10)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die am 11. Oktober 2004 angemeldete Wortmarke ALLERNIL ist am 1. Dezember 2004 für die Waren

"Pharmazeutische Erzeugnisse" in das Markenregister unter der Nummer 304 58 226 eingetragen worden. Dagegen hat die Inhaberin der für

"Arzneimittel gegen Erkrankungen allergischer Genese" seit dem 30. Dezember 1982 unter der Nummer 1 042 583 registrierten Wortmarke ALLERGODIL Widerspruch erhoben.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts hat mit zwei Beschlüssen vom 18. September 2007 und 9. April 2010, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, den Widerspruch aus der Marke 1 042 583 zurückgewiesen.

Eine Verwechslungsgefahr könne nicht festgestellt werden. Trotz einer möglichen Warenidentität, einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie unter Berücksichtigung allgemeiner Verkehrskreise genüge die angegriffene Marke den strengen Anforderungen, die an den Markenabstand zu stellen seien, in ausreichendem Maße.

Die Marken unterschieden sich im klanglichen Gesamteindruck trotz der Übereinstimmung in der Lautfolge "ALLER-" am Wortanfang durch die unterschiedliche Anzahl der Sprechsilben, der abweichenden Vokalfolge (aei/aeoi) sowie der sich daraus ergebenden Unterschiede in der Sprechund Betonungsweise hinreichend deutlich. In der Wortmitte verfüge die angegriffene Marke über den Nasallaut "N", die Widerspruchsmarke dagegen über den Sprenglaut "G", den Vokal "O" sowie den Sprenglaut "D". Zudem würden auch allgemeine Verkehrskreise, welche bei Waren, die die Gesundheit und das körperliche Wohlbefinden beeinflussen könnten, eine gewisse Sorgfalt walten lassen würden, den Bedeutungsanklang von "ALLERGO-" bzw. "ALLER-" an "Allergologie" bzw. "Allergie" erkennen und daher die nachfolgenden Markenbestandteile gleichermaßen beachten und die Unterschiede in jedem Fall bemerken.

Schriftbildlich werde durch die Buchstabenfolge "-GOD-/-god-" in der Widerspruchsmarke, die in der angegriffenen Marke kein Äquivalent habe, ein ausreichend deutlicher Abstand gewahrt.

Der Verkehr werde wegen des übereinstimmenden Wortanfangs "ALLER" auch nicht davon ausgehen, dass es sich bei der jüngeren Marke um ein Produkt der Widersprechenden handele, da dieser Bestandteil nicht zwingend auf die Widersprechende hinweise.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts vom 18. September 2007 und 9. April 2010 die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Ausgehend von einer möglichen Warenidentität sowie einer zumindest durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könne eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken nicht verneint werden. Die jüngere Marke stimme in sieben ihrer acht Buchstaben mit der Widerspruchsmarke überein, wobei neben der Übereinstimmung am Wortende "IL" vor allem der übereinstimmenden Lautfolge "ALLER" am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang maßgebliche Bedeutung zukomme. Dies gelte umso mehr, als entgegen der Auffassung der Markenstelle eine Verwendung von "ALLER-" als Bestandteil mit beschreibendem Anklang nicht belegt sei. Soweit die "ROTE LISTE" Produktbezeichnungen mit dem Bestandteil "ALLER" enthalte, sei deren Anzahl zum einen eher gering; zudem könne der "ROTEN LISTE" allein auch nichts zur deren Benutzung entnommen werden.

Gegenüber den weitgehenden Übereinstimmungen in beiden Markenwörtern fielen die geringen Unterschiede in der ohnehin regelmäßig weniger beachteten Wortmitte nicht ins Gewicht. Diese gingen klanglich insbesondere bei schneller Sprechweise oder einer flüchtigen Aussprache unter. Auch schriftbildlich spielten sie keine Rolle, zumal die Widerspruchsmarke aufgrund ihrer Eintragung in Großbuchstaben über keine Oberbzw. Unterlänge in den Buchstaben "g" und "d" verfüge. Verwechslungsfördernd wirke sich weiterhin aus, dass bei Arzneimitteln ohne festgeschriebene Rezeptpflicht nicht allein auf die Auffassung fachlich geschulter Ärzte und Apotheker, sondern auch auf den Endverbraucher abzustellen sei, welchem jedoch Unterschiede wegen seiner generell geringeren Aufmerksamkeit weniger auffielen.

Zur Begründung ihrer Auffassung beruft sich die Widersprechende ferner auf ihrer Meinung nach vergleichbare Entscheidungen der Beschwerdekammern des HABM in den Widerspruchsverfahren R-339/2006-1 v. 7. November 2006 -"ALLERGOSLIT / ALLERGODIL" und R-734/2008-1 v. 14. September 2009 -"ALLERIS / ALLERNIL" sowie auf eine Entscheidung der Widerspruchsabteilung des HABM v. 12. November 2008 -"ALLERSLIT / ALLERIS".

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Angesichts der deutlichen Unterschiede in der Wortmitte sei eine sichere Unterscheidung beider Marken auch bei identischen Waren gewährleistet, zumal dem übereinstimmenden Markenanfang "ALLER" wegen seines rein beschreibenden Charakters kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass zwischen beiden Marken keine Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht, so dass der nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG erhobene Widerspruch von der Markenstelle gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG zu Recht zurückgewiesen worden ist.

Entgegen der in der Entscheidung der 4. Beschwerdekammer des HABM vom 29. September 2009 (R-697/2007-4) vertretenen Auffassung, die bei identischer Kollisionslage getroffen wurde, verfügt die Widerspruchsmarke nach Auffassung des Senats allerdings jedenfalls in ihrer Gesamtheit über eine (noch) durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Auch wenn die ersten drei Silben "ALLERGO" der Widerspruchsmarke relativ deutlich auf "Allergie" und damit das Indikationsgebiet bzw. den Anwendungsbereich hinweisen (so auch bereits Senatsentscheidung 25 W (pat) 218/98 -Allergocur / Allergocrom), bildet die Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit aufgrund der Verbindung des Zeichenbestandteils "ALLER" mit der Endsilbe "DIL" eine hinreichend fantasievolle und zur Kennzeichnung geeignete Gesamtbezeichnung. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es bei pharmazeutischen Erzeugnissen übliche Praxis ist, Marken in der Weise zu bilden, dass diese als sprechende Zeichen durch eine phantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fachmann Wirkstoffund/oder Anwendungsangaben, die stoffliche Beschaffenheit und/oder das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl. BGH GRUR 1998, 815, 817 -Nitrangin).

Auch wenn die Vergleichszeichen zudem nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage verwechslungsfördernd zur Kennzeichnung identischer Waren verwendet werden können und ausgehend davon strenge Anforderungen an den Markenabstand gestellt werden müssen, wird die angegriffene Marke nach Auffassung des Senats diesen Anforderungen noch gerecht, auch wenn man im Hinblick auf die im Warenverzeichnis nicht festgeschriebenen Rezeptpflicht neben dem Fachverkehr die allgemeinen Verkehrskreise berücksichtigt, welche jedoch auch allem, was mit der Gesundheit zu tun hat, aufmerksamer begegnen als dies bei vielen anderen Produkten des täglichen Lebens der Fall ist (vgl. BGH GRUR 1995, 50 -INDOREKTAL / INDOHEXAL).

Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichszeichen, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 9 Rdnr. 170). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs(Sinn-)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht aus (BGHZ 139, 340, 347 -Lions; BGH MarkenR 2008, 393, 395 Tz. 21 -HEITEC).

Auch wenn beide Markenwörter bei rein formaler Betrachtungsweise weitreichende Übereinstimmungen, nämlich am Wortanfang "ALLER-" und in den Endlauten "-IL" aufweisen, wobei ferner auch der Unterschied in den konsonantischen Anlauten der Endsilben "D"/"N" für sich betrachtet eher unauffällig ist, heben sie sich nach Auffassung des Senats im klanglichen Gesamteindruck aufgrund der durch die zusätzliche Zwischensilbe "GO" der Widerspruchsmarke hervorgerufenen Unterschiede in der Silbenzahl, dem Sprechrhythmus sowie in der für den klanglichen Gesamteindruck besonders wichtigen Vokalfolge ("A-E-I" gegenüber "A-E-O-I") noch hinreichend deutlich voneinander ab. Bei der gegenüber der angegriffenen Marke zusätzlichen Mittelsilbe "-GO-" der Widerspruchsmarke handelt es sich nicht um eine eingeschobene, im klanglichen Gesamteindruck zu vernachlässigende unbetonte Zwischensilbe; vielmehr sorgt der Eingangskonsonant "G" gemeinsam mit dem nachfolgenden Vokal "O" für eine durchaus wahrnehmbare klangliche Zäsur zwischen der zweiten und dritten Sprechsilbe der Widerspruchsmarke und führt zu einer deutlichen Abweichung in der Betonung und im Sprechrhythmus gegenüber der angegriffenen Marke, bei der die drei Sprechsilben "AL-LER-NIL" zu einer einheitlichen Lautfolge verschmelzen. Neben dieser unüberhörbaren Abweichung im Gesamtklangbild beider Marken trägt weiterhin zur Unterscheidung bei, dass die dritte Wortsilbe "-GO-" der Widerspruchsmarke sich mit der in beiden Marken formal übereinstimmenden Lautfolge "ALLER" zu einem beschreibenden Hinweis auf "Allergie" bzw. "allergisch" und damit auf das Indikationsgebiet der betreffenden Arzneimittel verbindet, wodurch auch der Charakter des gesamten Wortanfangs der Widerspruchsmarke gegenüber der angegriffenen Marke, bei der die Lautfolge "ALLER" in der Gesamtbezeichnung "ALLERNIL" aufgeht und die daher in ihrer Gesamtheit als einheitlicher Fantasiebegriff wahrgenommen wird, verändert wird. Anders als bei der unvollständigen, das Indikationsgebiet allenfalls andeutenden und daher nach Auffassung des Senats nicht zwingend in ihrer Kennzeichnungskraft eingeschränkten Lautfolge "ALLER" handelt es sich bei "ALLERGO" um ein Wortbildungselement, welches häufig zur Bezeichnung von Arzneimitteln, die zur Bekämpfung von Allergien oder zur Linderung allergischer Beschwerden eingesetzt werden, verwendet wird und daher in seiner Bedeutung auch allgemeinen Verkehrskreisen weitgehend bekannt sein dürfte. So enthält die Rote Liste 2010 eine Reihe entsprechend gebildeter Marken für Arzneimitteln der Hauptgruppen 07 (Antiallergika), 28 (Broncholytika/Antiasthmatika), 67 (Ophthalmika) und 72 (Rhinologika/Sinusitismittel) wiez. B. "Allergo-COMOD", "Allergocrom", "Allergokatt", "allergologes", "Allergopos", "Allergospasmin", "Allergoval" und "Allergovit", wobei der Eintrag in der Roten Liste entgegen der Auffassung der Widersprechenden ein starkes Indiz für eine tatsächliche Verwendung der entsprechenden Kennzeichnung darstellt. Berücksichtigt man weiterhin, dass der bei der Widerspruchsmarke der eigenständig hervortretende Bestandteil "ALLERGO" regelmäßig auch eine deutlichere Betonung der zweiten Wortsilbe "-LER-" nach sich zieht als dies bei der angegriffenen Marke "ALLERNIL" der Fall ist, reichen die aufgezeigten Unterschiede in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der generell erhöhten Aufmerksamkeit des Verkehrs gegenüber Arzneimitteln aus, um auch unter ungünstigeren Übermittlungsbedingungen bzw. aus der ungenauen Erinnerung heraus eine klangliche Verwechslungsgefahr in einem markenrechtlich relevanten Umfang auszuschließen.

Die seitens der Widersprechenden genannten Entscheidungen des HABM (Beschwerdekammer bzw. Widerspruchsabteilung) bieten keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. "ALLERGOSLIT" und "ALLERGODIL" stimmen bei identischer Silbenzahl, Vokalfolge und Sprechund Betonungsrhythmus in dem Bestandteil "ALLERGO" überein -was vorliegend alles nicht der Fall ist -und weisen zudem auch noch Übereinstimmungen in der Endsilbe auf (Vokal "I" und Konsonant "L"). Auch die weiteren genannten Entscheidungen zu den Kollisionsverfahren "ALLERIS / ALLERSLIT" bzw. "ALLERIS / ALLERNIL" sind nicht vergleichbar, da in diesen Fällen beide Marken ebenfalls über übereinstimmende Silbenzahl, Vokalfolge etc. verfügen.

Beim schriftbildlichen Vergleich -wobei entgegen der Auffassung der Widersprechenden neben den registrierten Markenformen auch alle anderen verkehrsüblichen Schreibweisen zu berücksichtigen sind (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 9 Rdnr. 207) -fällt insbesondere die unterschiedliche Wortlänge auf. Hinzu kommt eine auffällige Umrisscharakteristik der Mittelsilbe "GO" der Widerspruchsmarke, wobei insbesondere die kreisrunde Form des Vokals "O" in der angegriffenen Marke "ALLERNIL" keine Entsprechung findet. Auch die Anfangskonsonanten der Endsilben "N"/"D" bzw. "n/d" heben sich aufgrund der abgerundeten Form bzw. der Oberlänge des Konsonanten "D/d" der Widerspruchsmarke deutlich voneinander ab. Ferner verfügt die Widerspruchsmarke bei einer regelmäßig zu erwartenden Wiedergabe in Kleinbuchstaben mit großem Anfangsbuchstaben aufgrund der zusätzlichen Unterlänge des Buchstabens "g" sowie der Oberlänge des Konsonanten "d" über weitere Unterscheidungshilfen gegenüber der angegriffenen Marke. Zu beachten ist weiterhin, dass das Schriftbild von Marken erfahrungsgemäß eine genauere und in der Regel sogar wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende Wort (vgl. dazu auch Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 9 Rdnr. 206 m. w. N.), so dass schon aus diesem Grund auch vergleichsweise größere Annäherungen der Vergleichsbezeichnungen hinzunehmen sind, ohne dass dies zur Bejahung einer Verwechslungsgefahr führen muss.

Eine Verwechslungsgefahr aus anderen Gründen wie z. B. unter dem Gesichtspunkt eines Serienzeichens kommt bei den erkennbar als einheitliche Wortzeichen ausgestalteten und wahrgenommenen Vergleichsmarken ebenfalls nicht in Betracht.

Die Beschwerde hat daher keinen Erfolg Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

Knoll Metternich Merzbach Cl






BPatG:
Beschluss v. 04.11.2010
Az: 25 W (pat) 27/10


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