Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. November 2008
Aktenzeichen: 15 W (pat) 346/04

(BPatG: Beschluss v. 06.11.2008, Az.: 15 W (pat) 346/04)

Tenor

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht erhalten: Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung, Absätze [0001] bis [0040] sowie Zeichnungen Figur 1 bis Figur 6 gemäß Patentschrift 100 58 205 B4.

Gründe

I.

Auf die am 23. November 2000 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung 100 58 205.2 ist ein Patent mit der Bezeichnung "Verfahren zum Stahl-Stranggießen" erteilt worden. Veröffentlichungstag der Patenterteilung in Form der DE 100 58 205 B4 ist der 5. Februar 2004.

Das Patent umfasst in seiner erteilten Fassung elf Ansprüche, die folgenden Wortlaut haben: "1. Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, insbesondere zum Stranggießen von oberflächenrißempfindlichen Stahlsorten, wie z. B. Aluminiumberuhigter, mikrolegierte oder peritektischer Stähle, wobei der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Strang durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung bei einer Oberflächen-Temperatur > Ac3 unterworfen wird.

2.

Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, insbesondere zum Stranggießen von oberflächenrißempfindlichen Stahlsorten, wie z. B. Aluminiumberuhigter, mikrolegierter oder peritektischer Stähle, wobei der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Strang einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung bei einer Oberflächen-Temperatur > Ac3 unterworfen wird, wobei die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit lokalen plastischen Deformationen pl zwischen 10 und 40 % durchgeführt wird und gegebenenfalls die Walzung durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille erfolgt.

3.

Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß der Strang in einer Stranggießanlage mit bogenförmiger Strangführung gegossen wird und in einem Bereich von knapp unterhalb einer geraden oder gebogenen Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage hochtemperaturthermomechanisch gewalzt wird.

4.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung in einem Oberflächen-Temperaturbereich zwischen 0,6, insbesondere zwischen 0,75 und 0,8 homologer Temperatur, durchgeführt wird.

5.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Oberflächen-Temperatur des Stranges während der hochtemperaturthermomechanischen Walzung unterhalb von 1200¡C, vorzugsweise in einem Bereich zwischen 900 und 1150 ¡C liegt.

6.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer globalen Deformation von weniger als 10 %, vorzugsweise mit einer globalen Deformation im Bereich zwischen 3 und 10 %, durchgeführt wird.

7.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer lokalen plastischen Mindestdeformation pl von 20 % durchgeführt wird.

8.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit Dehnraten d€/dt im Bereich 1,0 € 10-3 € d /dt € 0,1 [s-1] durchgeführt wird.

9.

Verfahren nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer Dehnrate d /dt > 1 10-2-[s-1] durchgeführt wird.

10.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung in zwei oder mehreren Stufen durchgeführt wird.

11.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, daß einem ersten Glättungsstich eine hochtemperaturthermomechanische Walzung mit mindestens einem Walzstich mit plastischer Verformung der Kantenund Stegbereiche des Stranges folgt."

Gegen die Erteilung des Patents hat die SMS Demag AG mit Schriftsatz vom 28. April 2004 Einspruch eingelegt.

Die Einsprechende stützt sich auf folgenden, druckschriftlich belegten Stand der Technik:

D1 EP0720874A1 D2 JP-A-60 26 29 15 Im Prüfungsverfahren sind darüber hinaus die folgenden Entgegenhaltungen in Betracht gezogen worden:

D3 EP0286862A1 D4 DE4403048C1 D5 DE4139242A1 D6 DE19529049C1 D7 EP0834364A2 In der mündlichen Verhandlung legt die Patentinhaberin neue Patentansprüche 1 bis 9 als Hauptantrag vor, die folgenden Wortlaut haben: "1. Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, insbesondere zum Stranggießen von oberflächenrissempfindlichen Stahlsorten, wie zum Beispiel Aluminiumberuhigter, mikrolegierter oder peritektischer Stähle, wobei der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Strang einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung bei einer Oberflächen-Temperatur > Ac3 unterworfen wird, wobei die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit lokalen plastischen Deformationen pl zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich durchgeführt wird und die Walzung durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille erfolgt, und dass der Strang in einer Stranggießanlage mit bogenförmiger Strangführung gegossen wird und in einem Bereich von knapp unterhalb einer geraden oder gebogenen Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage hochtemperaturthermomechanisch gewalzt wird.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung in einem Oberflächen-Temperaturbereich zwischen 0,6, insbesondere zwischen 0,75 und 0,8 homologer Temperatur, durchgeführt wird.

3.

Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Oberflächentemperatur des Stranges während der hochtemperaturthermomechanischen Walzung unterhalb von 1200 ¡C, vorzugsweise in einem Bereich zwischen 900 und 1150 ¡C, liegt.

4.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer globalen Deformation von weniger als 10 %, vorzugsweise mit einer globalen Deformation im Bereich zwischen 3 und 10 %, durchgeführt wird.

5.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer lokalen plastischen Mindestdeformation pl von 20 % durchgeführt wird.

6.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit Dehnraten d€/dt im Bereich 1,0 € 10-3 € d /dt € 0,1 [s-1] durchgeführt wird.

7.

Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit einer Dehnrate d /dt > 1 10-2-[s-1] durchgeführt wird.

8.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß die hochtemperaturthermomechanische Walzung in zwei oder mehreren Stufen durchgeführt wird.

9.

Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß einem ersten Glättungsstich eine hochtemperaturthermomechanische Walzung mit mindestens einem Walzstich mit plastischer Verformung der Kantenund Stegbereiche des Stranges folgt."

Des Weiteren legt die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise neue Patentansprüche 1 bis 9 vor, zu deren Wortlaut auf die Gerichtsakte verwiesen wird.

Die Patentinhaberin führt aus, dass bei ihrem Patent im Gegensatz zum Stand der Technik keine Dickenreduzierung des Stranges als Ganzes stattfinde. Vielmehr werde die Strangoberfläche nur so stark deformiert, dass die Oberfläche geglättet werde und somit das Auftreten von Rissen vermieden werden könne. So gesehen habe insbesondere die Entgegenhaltung D1 überhaupt nichts mit der patentgemäßen Lehre zu tun. In diesem Stand der Technik erfolge der Walzvorgang an einem durcherstarrten Strang in zwei Schritten, die in der dortigen Figur 3 mit den Bezugszeichen II und III bezeichnet seien. Dabei sei in dem mit dem Bezugszeichen 5 gekennzeichneten Punkt auch das Stranginnere erstarrt. Im Anschluss an die Strangführung werde im Punkt "6" die Dicke des Stranges reduziert, in der mit "III" bezeichneten Phase erfolge das sogenannte Richten -nämlich das Geraderichten -des Stranges. Insoweit beschreibe die D1 nichts anderes als herkömmliches Stranggießen. Was allerdings in D1 keine Berücksichtigung finde, ist das Auftreten von Rissen im Abschnitt I. Damit eine solche Rissbildung nicht auftrete und für die weitere Bearbeitung nicht mehr schädlich sein könne, werde nach dem Streitpatent die Oberfläche des nicht durcherstarrten Stranges behandelt. Dabei handele es sich patentgemäß um eine definierte, lokale Oberflächenbehandlung, die sich lediglich im Tiefenbereich von Millimetern abspiele, denn der schädigungsrelevante, rissempfindliche Bereich sei auf einen Bereich von 10 mm beschränkt, wie auch aus der Streitpatentschrift auf S. 5 re. Sp. im vierten Spiegelstrich hervorgehe. Dabei erfolge die Oberflächenwalzung unmittelbar unterhalb der Kokille und somit vor dem Geraderichten, so dass der Strang noch weich sei und deshalb auch nicht stark deformiert werden dürfe. Die Durchführung der Walzung im Bereich der bogenförmigen Strangführung biete zudem den Vorteil, dass auf ein separates Walzgerüst, wie es bei der D1 für den Vorwalzbereich I erforderlich sei, verzichtet werden könne. Die Walzung gemäß der D1 beschränke sich im Gegensatz zum Streitpatent auch nicht auf den schädigungsrelevanten Oberflächenbereich. Die Patentinhaberin räumt ein, dass zur plastischen Oberflächendeformation gemäß ihrem Patent kleine Walzen mit einem Durchmesser von 100 bis 150 mm verwendet würden, weil diese -im Gegensatz zu üblichen Walzen mit Durchmessern von 500 bis 800 mm -Deformationen erzeugten, die sich lediglich über eine geringe Tiefe in das Gefüge fortpflanzten und somit eine lokale Oberflächenbehandlung ermöglichten, anstatt eine Volumenreduzierung über den gesamten Strangquerschnitt zu erzeugen. Insgesamt hält die Patentinhaberin ihr verteidigtes Patent für bestandsfähig, da es aus dem Stand der Technik keine Hinweise in Richtung der gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 durchgeführten hochtemperaturthermomechanischen Walzung im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich im Bereich der Anlage von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in der Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage gebe.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten auf Grundlage der Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, hilfsweise auf Grundlage der Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, jeweils Beschreibung, Absätze [0001] bis [0040] sowie Zeichnungen Figur 1 bis Figur 6, wie Patentschrift 100 58 205 B4.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent vollumfänglich zu widerrufen.

Die Einsprechende führt aus, es sei nicht klar, wie die Spalteinstellung vorgenommen werden müsse und man wisse auch nicht, von wo und wie weit sich der Bereich "knapp unterhalb der Kokille" erstrecke. Somit sei die patentgemäße Lehre nicht nacharbeitbar. Darüber hinaus sei das im Patentanspruch 1 angegebene Verfahren gegenüber dem in der Entgegenhaltung D1 angegebenen Stand der Technik nicht neu, beruhe zumindest jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. So sei die Problematik des "surface cracking" seit langem bekannt, wobei es insbesondere in der D1 um die Vermeidung von Rissbildungen gehe. Im Übrigen verberge sich hinter dem streitpatentlichen Begriff der hochtemperaturthermomechanischen Walzung nichts anderes, als dass bei hohen Temperaturen mechanische Druckkräfte ausgeübt würden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

1. Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH, GRUR 2007, 859 -Informationsübermittlungsverfahren I und BGH, GRUR 2007, 862 -Informationsübermittlungsverfahren II) (vgl. auch Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 28 i. V. m. § 61 Rdn. 11).

2.

Der rechtzeitig und formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, denn es sind im Hinblick auf den druckschriftlich belegten Stand der Technik innerhalb der Einspruchsfrist die den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen dargelegt worden, so dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).

3.

Die Widerrufsgründe betreffen nur einen Teil des Patents, denn das Verfahren zum Stahl-Stranggießen gemäß dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, der gegenüber dem erteilten Patentanspruch eingeschränkt ist, ist patentfähig. Das Patent war deshalb beschränkt aufrecht zu erhalten (PatG § 61 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 3).

3a. Der Gegenstand des Patents geht über den Inhalt der Anmeldung in der am Anmeldetag beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichten Fassung nicht hinaus (§ 21 Abs. 1 S. 4 PatG). Insbesondere sind die Patentansprüche 1 bis 9 nach Hauptantrag formal zulässig, denn sie finden ihre Stütze sowohl in der Patentschrift, als auch in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen. So ergibt sich der Patentanspruch 1 aus den erteilten Ansprüchen 1 bis 3 i. V. m. [0038] der Streitpatentschrift. Die geltenden Ansprüche 2 bis 9 entsprechen -in gleicher Reihenfolge und mit angepassten Rückbezügen -den erteilten Ansprüchen 4 bis 11. In den ursprünglichen Unterlagen finden die geltenden Patentansprüche ihre Grundlage in den Ansprüchen 1, 2 und 6 i. V. m. Beschreibung S. 7 Abs. 2 Zn. 1 bis 4 und S. 8 Abs. 3, erster Punkt der Aufzählung, sowie in den Ansprüchen 3 bis 5 und 7 bis 11.

3b. Als zuständiger Fachmann ist ein in der Entwicklung von Stranggießverfahren tätiger Fachhochschul-Ingenieur der Fachrichtung Metallurgie anzusehen, der insbesondere über vertiefte Kenntnisse und breite Erfahrung auf dem Gebiet der Gießereiund Umformtechnik verfügt. Im Zusammenhang damit kennt er die Zustandsdiagramme verschiedenster Stahlsorten.

3c. Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde (Streitpatentschrift [0009]), zum Zweck der Vermeidung des Entstehens von Oberflächenrissen ein Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges zu schaffen, mit dem auch rissempfindliche Stahlqualitäten, wie Aluminiumberuhigte und mikrolegierte Stähle, stranggegossen werden können, wobei ein Strang von hoher Qualität gebildet wird. Insbesondere sollen die Kantenbereiche des Stranges frei von Rissen sein.

3d. Mit Gliederungspunkten versehen lautet der Patentanspruch 1 folgendermaßen:

M1 Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, insbesondere zum Stranggießen von oberflächenrissempfindlichen Stahlsorten, wie zum Beispiel Aluminiumberuhigter, mikrolegierter oder peritektischer Stähle, M2 wobei der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, M3 dass der Strang einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung bei einer Oberflächen-Temperatur > Ac3 unterworfen wird, M4 wobei die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit lokalen plastischen Deformationen €pl zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich durchgeführt wird und M5 die Walzung durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille erfolgt, M6 und dass der Strang in einer Stranggießanlage mit bogenförmiger Strangführung gegossen wird und in einem Bereich von knapp unterhalb einer geraden oder gebogenen Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage hochtemperaturthermomechanisch gewalzt wird.

3e. Das Patent beschreibt die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 (Gliederungspunkte M1) betrifft das Streitpatent ein Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, bei dem der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird. Derartige Verfahren zählen zum Arbeitsgebiet des Fachmanns, an den sich die in dem Streitpatent offenbarte Lehre richtet, wie beispielsweise anhand der für diesen fachlichen Ausgangspunkt in Frage kommenden, im vorliegenden Fall in Betracht gezogenen Entgegenhaltung D1 (Titel und Zusammenfassung sowie Figur 3 i. V. m. Beispiel 3 ("Example 3") auf S. 10, 11) nachgewiesen ist. Demnach versteht der Fachmann unter einem solchen Verfahren eine Vorgehensweise, bei der -wie in der D1 auf S. 10 i. V. m. der Figur 3 im Einzelnen dargestellt ist -geschmolzener Stahl ("molten steel 2") in eine Form ("mold 1"), bekanntlich eine Kokille, eingefüllt wird und am unteren Ende als zumindest an seiner Oberfläche verfestigter Strang ("slab 4 having a surface which is solidified") austritt. Dieser Strang wird mit Walzen ("rollers 3") weiter transportiert und aus der von oben nach unten verlaufenden Gießrichtung in eine horizontale Anlagenebene gebogen, in der die weitere Bearbeitung, wie etwa eine Warmwalzung (S. 3 Zn. 17 bis 19: "hot rolling"), erfolgt. Das Umlenken aus der Gießrichtung in die horizontale Anlagenebene kennt der Fachmann als "Geraderichten", wie die Patentinhaberin zutreffend erläutert hat. Dabei ist dem Fachmann klar, dass bereits dieses Geraderichten eine Verformung des Stranges darstellt, so dass er zumindest aus diesem Blickwinkel weiß, was das Merkmal M2 bedeutet.

Doch selbst wenn der Vorgang der Verformung in Stufe II nicht im Sinne eines Geraderichtens gesehen wird, sondern, wie in der Streitpatentschrift, als hochtemperaturthermomechanische Walzung unterhalb der Stranggießkokille bei einer Oberflächentemperatur > Ac3 aufgefasst werden soll, vgl. M2 i. V. m. M3, kennt der Fachmann aus der D1 ein Vorbild dafür. Denn dort erfolgt in einem Anlagenabschnitt II unterhalb der Kokille ein Vorwalzen (S. 10 Zn. 12 bis 15: "preliminary rolling") des Stranges, also eine Verformung, und zwar in einem Temperaturbereich von 900 bis 1200¡C (S. 4 Zn. 40 bis 42), was mit dem im Streitpatent bevorzugten Temperaturbereich von unterhalb 1200¡C, insbesondere von 900 bis 1150¡C (vgl. Abs. [0018] in der Streitpatentschrift), übereinstimmt. Nun ist zwar in der Streitpatentschrift zum Begriff "hochtemperaturthermomechanische Walzung" lediglich ausgeführt, dass darunter eine Walzung bei Temperaturen im Gebiet des stabilen Austenits verstanden wird ([0012]). Der Fachmann weiß aber, wie auch die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung erläuterte, dass damit lediglich gemeint ist, dass bei hohen Temperaturen mechanische Druckkräfte ausgeübt werden. Schließlich bezeichnet eine Oberflächentemperatur > Ac3 bekanntlich nichts anderes als den Zustandsbereich von Stahl im Eisen-Kohlenstoff-Diagramm, der oberhalb des Umwandlungspunktes beim Aufheizen (der Index c steht für "chauffage") liegt und in dem nur noch Austenit vorliegt.

Wie die unter dem Gliederungspunkt M4 angegebene Maßnahme -i. V. m. M5 zu verstehen ist, wonach die hochtemperaturthermomechanische Walzung mit lokalen plastischen Deformationen zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich durchgeführt wird, erschließt sich aus der Streitpatentschrift im Absatz [0038]. In diesem Absatz ist nämlich ausgeführt, dass der optimale Bereich für die gezielte plastische Verformung bei 10 bis 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich liegt (erster Spiegelstrich) und dass bei oberflächennahen Rissen die Risstiefe größtenteils limitiert ist, wobei Risstiefen größer als 10 mm selten anzutreffen sind (vierter Spiegelstrich). Damit erhält der Fachmann die Information, dass er das unter dem Gliederungspunkt M5 angegebene Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille derart vornehmen muss, dass lediglich 10 bis 40 % des rissempfindlichen Oberflächenbereiches von im Wesentlichen 10 mm, somit 1 bis 4 mm, bei der Walzung plastisch verformt werden. Der Fachmann ist damit jedoch nicht am Ende seiner Fähigkeiten angekommen. Denn zu seinem Wissen und Können zählt nicht nur der Bereich des Stranggießens, vielmehr kennt er sich auch auf dem Gebiet der Umformung aus und weiß insbesondere über das Walzen bei der Weiterverarbeitung von gegossenen Stahlsträngen Bescheid. Von daher ist ihm geläufig, dass das Tiefenprofil der beim Walzen auf den Strang einwirkenden Kräfte durch gezielte Auswahl des Wanzenquerschnittes verändert werden kann. Damit ist ihm auch klar, dass -wie die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung zutreffend dargelegt hat -ein hinreichend kleiner Walzenquerschnitt ein Tiefenprofil bewirkt, bei dem die deformierenden Kräfte bei der plastischen Verformung lediglich eine geringe Eindringtiefe haben und somit lokal im oberflächennahen Bereich des Strangquerschnittes wirken, während eine Deformierung mit großen Walzen den gesamten Strangquerschnitt erfasst, um beispielsweise bei der Warmwalzung zur Gewinnung von Blechen eine globale Dickenreduzierung erzielen zu können. Im Übrigen führt ihn auch die Streitpatentschrift selbst zu den kleinen Walzenquerschnitten hin, denn im Abschnitt [0034] ist ausgeführt, dass die hochtemperaturthermomechanische Walzung durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille, also dort, wo der Strang an zwei einander gegenüberliegenden Seiten beispielsweise durch Rollenbahnen -also Bahnen mit kleinen Transportrollen -gestützt wird, erfolgt. Konkrete Werte für die geeigneten Walzenquerschnitte lassen sich schließlich in zumutbarer Weise durch eine überschaubare Anzahl von Versuchen herausfinden und stellen somit den Fachmann ebenfalls nicht vor unüberwindbare Hindernisse.

Zu guter letzt ist der Fachmann auch in der Lage, die unter dem Gliederungspunkt M6 angegebene Maßnahme auszuführen. Er erhält dort die Anweisung, die hochtemperaturthermomechanische Walzung in einem Bereich von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage durchzuführen. Den genauen Ort, an dem diese Walzung mit der lokalen plastischen Deformation im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich durchgeführt werden soll, lässt die Streitpatentschrift schließlich -im Gegensatz zur Auffassung der Einsprechenden -ebenfalls nicht offen. Im Absatz [0037] ist i. V. m. den Figuren 5 und 6 nämlich ausgeführt, dass sich zur Festlegung dieses Ortes Abkühlkurven, wie sie in den Figuren 5 und 6 für Stränge mit Brammenquerschnitt mit etwa einer Dicke von 250 mm dargestellt sind, eignen. Darüber hinaus erhält der Fachmann auch noch die Information, dass die Gießgeschwindigkeit zur berücksichtigen ist, weil unterschiedliche Gießgeschwindigkeiten zu stark unterschiedlichen Abkühlkurven führen, wie aus dem Unterschied jeweils vergleichbarer Abkühlkurven in den Figuren 5 und 6 deutlich wird. Dabei bedeuten die Zahlen an den einzelnen Kurvenzügen in den Figuren 5 und 6 lediglich den jeweiligen Abstand der Temperaturmessung von der Strangoberfläche. Anhand dieser Kurven erkennt der Fachmann sofort, bei welcher Stranglänge die Oberflächentemperatur gemäß M3 oberhalb Ac3 liegt, also das Gebiet des stabilen Austenits vorliegt, wie in der Streitpatentschrift im Absatz [0012] angegeben, somit beispielsweise 900 bis 1200¡C beträgt (vgl. [0018]). Aufgrund seines Gesamtverständnisses der Streitpatentschrift weiß der Fachmann, dass er an diesem Ort die Spaltverengung zur Durchführung der im Merkmal M4 geforderten plastischen Deformationen vornehmen muss.

Insgesamt gibt die Streitpatentschrift somit dem Fachmann eine ausführbare technische Lehre in die Hand.

3f. Das im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag angegebene Verfahren ist patentfähig (PatG § 1 bis 5). Insbesondere ist dieser gewerblich anwendbare Gegenstand gegenüber dem gesamten, in Betracht gezogenen Stand der Technik neu und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Das beanspruchte Verfahren zum Stahl-Stranggießen ist neu, denn aus keiner der in Betracht zu ziehenden Entgegenhaltungen ist es bekannt, zur Vermeidung der Entstehung von Oberflächenrissen eine hochtemperaturthermomechanische Walzung bei Temperaturen im Gebiet des stabilen Austenits (M3) mit lokalen plastischen Deformationen zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich (M4) in einem Bereich von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage durchzuführen (M6). Weitere Einzelheiten hierzu ergeben sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Entgegenhaltung EP 0 720 874 A1 (D1), die dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 am Nächsten kommt, konnte dem zuständigen Fachmann für die Lösung der dem Patent zugrunde liegenden Aufgabe keine Anregung zu einer Lehre vermitteln, wie sie insgesamt im Patentanspruch 1 angegeben ist.

Aus der Entgegenhaltung D1 ist ein Verfahren zum Direktwalzen fortlaufend gegossener Stränge bekannt (Bezeichnung), das insbesondere beim kontinuierlichen Gießen von Aluminiumberuhigten Stahlsorten (S. 2 Zn. 7 und 8: "Alkilled steels") anwendbar ist. Somit beschreibt die D1 ein Verfahren zum Stahl-Stranggießen eines Stranges, beispielsweise zum Stranggießen Alberuhigter, also oberflächenrissempfindlicher Stähle, wie es im Gliederungspunkt M1 angegeben ist.

Auf S. 4 Zn. 31 bis 51 dieser Entgegenhaltung ist des Weiteren ausgeführt, dass das nach dem kontinuierlichen Gießen ausgeführte Warmwalzen ("hot rolling") unterteilt wird in das Vorwalzen ("preliminary rolling") und das Sekundärwalzen ("secondary rolling"), das somit das Hauptwalzen ("main rolling") bzw. das eigentlichen Warmwalzen darstellt. Während des Vorwalzens beträgt die Oberflächentemperatur des Stranges wenigstens 900¡C und höchstens 1200¡C. Im Beispiel 3 auf S. 10 wird diese Vorgehensweise i. V. m. der Figur 3 im Einzelnen dargestellt: In einem Abschnitt I wird geschmolzener Stahl ("molten steel 2") in eine Form ("mold 1") einer Anlage zum kontinuierlichen Stranggießen eingefüllt. Der geschmolzene Stahl 2 tritt durch die Form 1 hindurch -bei der Form 1 handelt es sich somit um eine Kokille -, und wenn er das untere Ende der Form 1 erreicht hat, ist er so weit abgekühlt, dass er einen Strang ("slab 4") mit einer verfestigten Oberfläche ("surface which is solidified") und mit einem nicht verfestigten Inneren ("interior which is unsolidified") bildet. Der Strang 4 wird durch Walzen ("rollers 3") -offensichtlich in einem Bogen -weiter transportiert und kühlt dabei ab. Am Verfestigungspunkt ("solidification point 5") ist der Kern des Stranges 4 verfestigt ("center of the slab 4 has solidified"). In dem darauf folgenden Vorwalzabschnitt II, in dem starke, in Lagern ("bearings 6") abgestützte Treibrollen ("pinch rolls 12") den Transportwalzen 3 nachgelagert angeordnet sind ("... disposed at the downstream end of the rollers 3"), erfolgt ein Vorwalzen ("preliminary rolling") des durcherstarrten Stranges, bei dem die Strangdicke von 60 mm auf 54 mm verringert wird. Dieser vorgewalzte Strang wird schließlich in einem Abschnitt IV aufgerollt ("coiler 15") und steht zur Weiterverarbeitung, etwa durch Warmwalzen, bereit

(S. 10 Zn. 48 bis 58: "rolling stands 18").

Rechnet man nun den Vorwalzabschnitt II, in dem der Gießstrang durch das Vorwalzen vorbehandelt wird, damit das anschließende Warmwalzen im Abschnitt III ohne Bildung von Oberflächenrissen durchgeführt werden kann (S. 3 Zn. 14 bis 21: "... hot rolling without the formation of surface cracks can be performed"), nicht der Walzstraße sondern der Stranggießanlage zu, handelt sich bei der in der D1 beschriebenen Lehre somit um nichts anderes, als um ein Verfahren zum Strahl-Stranggießen, wobei der Strang in einer Stranggießanlage einer Verformung unterworfen wird, wie es in M2 angegeben ist.

Nun wird der Strang nach der in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Lehre auch noch einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung bei einer Oberflächen-Temperatur größer als Ac3 i. S. d. Streitpatents unterworfen. Denn die Oberflächentemperatur des Stranges beträgt zwischen 900 und 1200¡C (S. 3 Zn. 17 bis 19), was mit dem im Streitpatent bevorzugten Temperaturbereich von unterhalb 1200¡C, insbesondere von 900 bis 1150¡C (vgl. Abs. [0018]) übereinstimmt. Wie auf S. 3 Zn. 14 bis 16 der D1 dargestellt ist, beruht die in dieser Entgegenhaltung dargestellte Lehre auf der Erkenntnis, dass Oberflächenrisse wirkungsvoll verhindert werden können, wenn das Vorwalzen in einem Zustand durchgeführt wird, in dem austenitische Kristallkörner grob sind und Verunreinigungen dazu veranlasst werden, im Voraus entlang der Korngrenzen zu präzipitieren ("... based on the finding that if a ... preliminary rolling is carried out in a state in which austenite crystal grains are coarse and impurities are made to precipitate in advance along grain boundaries, surface cracks can be effectively prevented"). Wie bereits zur Ausführbarkeit der streitpatentlichen Lehre unter II.3e. dargelegt, ist dem Fachmann aufgrund seines Wissens und Könnens klar, dass mit diesem Zustand derjenige Zustandsbereich von Stahl im Eisen-Kohlenstoff-Diagramm gemeint ist, in dem oberhalb einer bekanntlich mit Ac3 auf der Aufheizkurve bezeichneten Umwandlungstemperatur nur noch Austenit vorliegt. Infolgedessen ist in der Lehre gemäß der D1 auch M3 verwirklicht.

Ferner ist auf S. 5 in Zn. 22 bis 24 in der D1 dargelegt, dass in den während der vergangenen Jahre durchgeführten, sogenannten unverfestigten Walzverfahren, bei denen ein mit hoher Geschwindigkeit gegossener Strang gewalzt wird, bevor er vollständig durcherstarrt ist, der präzipitierte Zustand nichtmetallischer Einschlüsse im Oberflächenbereich des Stranges, in dem während des Hauptwalzens ("secondary rolling") Risse entstehen, wichtig ist. Dem sich in den darauf folgenden Zeilen 25 bis 26 anschließenden Satz kann der Fachmann schließlich auch noch entnehmen, dass es -deshalb -bevorzugt ist, ein Vorwalzen mit einer durchschnittlichen Verringerung von 7 bis 15 % in einem sich bis in eine Tiefe von 10 mm von der Oberfläche erstreckenden Oberflächenbereich -der nichts anderes ist als der schädigungsrelevante Bereich i. S. d. Streitpatents -vorzunehmen. In Verbindung mit dem übrigen Inhalt der D1, insbesondere S. 3 Z. 40 und dem Anspruch 5 sowie S. 5 Zn. 12 bis 13, wo von einer Gesamtverringerung ("total reduction") von 5 bis 20 % bzw. bevorzugt 7 bis 15 % die Rede ist, und S. 10 Zn. 15 bis 16, wo die Dicke des Stranges von 60 mm auf 54 mm, entsprechend 10 %, verringert wird, fasst der Fachmann diese Information insgesamt nicht anders auf, als dass nach der in der D1 beschriebenen Lehre die Vorwalzung vorzugsweise so durchzuführen ist, dass sie zu einer Gesamtverringerung der Strangdicke von vorzugsweise 7 bis 15 %, höchstens jedoch 20 % führt, solange sie in der zahlenmäßigen Größenordnung des schädigungsrelevanten Oberflächenbereich bleibt.

Für das auf S. 10 beschriebene Ausführungsbeispiel mit einer Dickenverringerung von 60 mm auf 54 mm, ergibt sich insbesondere ein Wert, der bei beidseitigem Walzen jeweils 3 mm beträgt und damit rein zahlenmäßig in den streitpatentgemäßen Bereich zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich -also 1 bis 4 mm -fällt. Nun mag der Fachmann -den obigen Ausführungen zur Ausführbarkeit der streitpatentlichen Lehre unter II.3e folgend -auch noch erkennen, dass dieses Walzen insbesondere nicht den gesamten Strangquerschnitt erfasst, sondern -lokal -den schädigungsrelevanten Oberflächenbereich. Denn auf S. 10 ist in den Zeilen 12 bis 15 beschrieben, dass für das Vorwalzen im Abschnitt II starke Treibrollen ("pinch rolls 12") eingesetzt werden, die man üblicherweise in Stranggießanlagen zum Vorwärtsbewegen des Gießstranges findet, und die somit einen im Gegensatz zu den Hauptwalzrollen kleinen Querschnitt aufweisen, was eine geringe Eindringtiefe der deformierenden Kräfte -und somit eine lokale plastische Deformation -zur Folge hat. Insoweit erschließt sich auch noch das Merkmal M4 aus der Entgegenhaltung D1.

Eine Anregung dahingehend, den Strang in einem Bereich von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in der Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der Strangführung unterhalb der Stranggießkokille hochtemperaturthermomechanisch zu walzen, wie es im Merkmal M6 i. V. m. M5 festgelegt ist, ergibt sich hingegen aus dem gesamten Inhalt der D1 nicht. So erfolgt zwar, wie dort aus S. 10 Zn. 12 bis 23 hervorgeht, ebenfalls durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes des Vorwalzabschnittes II, nämlich von 60 mm auf 54 mm mit Hilfe einer hydraulischen Reduktionsvorrichtung ("hydraulic reduction apparatus 7") zum Einstellen des Rollenspaltes zwischen den Treibrollen 12. Dieser die Spaltverengung darstellende Vorwalzabschnitt II, der die Treibrollen 12, die Lager 6 und die hydraulische Einrichtung 7 umfasst, befindet sich jedoch ausdrücklich in einer den Walzen 3 -die offensichtlich die bogenförmige Strangführung bilden -nachgeordneten Position ("at the downstream end of the rollers 3") und liegt somit nicht vor einer Richtzone, in der das Geraderichten des Stranges stattfindet, sondern zweifellos hinter einem solchen Bereich. Außerdem ist in der D1 lediglich davon die Rede, dass das ausschließlich anhand der in den Figuren 3 und 5 dargestellten Ausführungsform mit dem hinter der Richtzone angeordneten Vorwalzabschnitt II beschriebene Verfahren eine Rissbildung beim nachfolgenden Warmwalzen ("hot rolling") verhindert (S. 3 Zn. 17 bis 19). Von der Problematik der Rissbildung beim Geraderichten, wie sie in der Streitpatentschrift beschrieben ist, beispielsweise in den Absätzen [0028], [0029], [0033], ist dagegen in der D1 überhaupt nicht die Rede. Insoweit hat der Fachmann auch keine Veranlassung, von einer Anordnung des die Spaltverengung bewirkenden Vorwalzabschnittes I hinter der Richtzone abzurücken und die Gesamtheit der den Vorwalzabschnitt I bildenden, besonderen Rollen 12, Lager 6 und Hydraulikeinheit 7 in den Strangführungsbereich vor die Zone des Geraderichtens zu versetzen. Erst recht ergibt sich kein Anstoß dahingehend, auf diese Vorwalzeinheit zu verzichten und die Walzung durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes der vor der Richtzone liegenden, durch die Walzen 3 gebildeten Strangführung selbst vorzunehmen, um somit, wie die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung überzeugend darlegte, auch noch das für die Aufnahme von Treibwalzen, Lager und Hydraulikeinheit erforderliche separate Walzgerüst einsparen zu können.

Auch die von der Einsprechenden sonst noch herangezogene Entgegenhaltung JP-A-60 26 29 15 (D2) sowie die anderen Entgegenhaltungen, die bereits in der Streitpatentschrift genannt sind und in der mündlichen Verhandlung im Übrigen keine Rolle spielten, können keinen Anstoß in Richtung des durch sämtliche, im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale festgelegten Verfahrens geben. Insbesondere ist dort ebenfalls nirgends ein Hinweis dahingehend zu finden, zur Vermeidung der Entstehung von Oberflächenrissen eine hochtemperaturthermomechanische Walzung bei Temperaturen im Gebiet des stabilen Austenits (M3) mit lokalen plastischen Deformationen zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich (M4) in einem Bereich von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage durchzuführen (M6).

So geht es in der Entgegenhaltung JP-A-60 26 29 15 (D2) ausweislich deren englischsprachiger Zusammenfassung lediglich um ein Verfahren zum Verhindern von Oberflächenrissen fortlaufend gegossener Knüppel ("billet"), wobei ein mit einer Stranggießanlage ("continuous casting maschine") erzeugter heißer Knüppel einer Vorwalzung ("primary rolling") am Ar3-Punkt -das ist bekanntlich der dem Umwandlungspunkt Ac3 entsprechende Umwandlungspunkt auf der Abkühlkurve im Eisen-Kohlenstoff-Diagramm von Stahl -mit einer Temperatur von kleiner oder gleich 1100¡C und einer Querschnittsabnahme ("draft") von 5 % oder darunter unterzogen wird. Einen darüber hinausgehenden Inhalt des zugehörigen japanischen Patentdokuments hat die Einsprechende nicht geltend gemacht.

Die EP 0 286 862 A1 (D3) beschreibt ein Verfahren und eine Anlage zum Herstellen eines Stahlbandes, womit qualitativ hochwertige Stahlbänder mit einer Dicke von 2 bis 25 mm auf einfache Art und Weise hergestellt werden können (Bezeichnung und Sp. 1 Zn. 48 bis 52). Dabei wird der noch nicht durcherstarrte Gussstrang nach dem Austritt aus der Kokille so weit zusammengedrückt, dass die inneren Wandungen der bereits verfestigten Strangschale miteinander verschweißt werden (Anspruch 1, Gliederungspunkt b)). Wie aus den Figuren 1 und 2 i. V. m. Sp. 5 Z. 12 bis Sp. 6 Z. 11 hervorgeht, erfolgt hierfür zwar eine Walzung in einer unmittelbar am Kokillenauslauf befindlichen Verformungsvorrichtung 3, so dass die im Gliederungspunkt M6 des streitigen Anspruchs 1 angegebene Maßnahme erfüllt ist. Das Zusammendrücken des Stranges auf eine Dicke von unter 25 mm geschieht aber mit Ausziehrollen 3a, deren Durchmesser zwischen 0,5 m und 1 m liegen sollte. Das bedeutet nach den obigen Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit unter II.3f nichts anderes, als dass nach der in der D3 beschriebenen Lehre keine auf den schädigungsrelevanten Oberflächenbereich beschränkte -lokale -plastische Deformation erfolgt, sondern eine globale Querschnittsveränderung stattfindet.

Wie bereits in der Streitpatentschrift im Absatz [0002] zum Stand der Technik ausgeführt, betreffen die Entgegenhaltungen DE 44 03 048 C1 (D4), DE 41 39 242 A1 (D5), DE 195 29 049 C1 (D6) und EP 0 834 364 A2 (D7) jeweils die als "LiquidSoft-Reduction" bekannte Technologie, bei der ein Strang nach dem Austreten aus der Kokille noch innerhalb der Stranggießanlage hinsichtlich seiner Dicke reduziert wird.

So ist die der in der Entgegenhaltung D4 beschriebenen Lehre zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, beim Stranggießen von Dünnbrammen eine vorgegebene Dicke des Dünnstranges dadurch zu erreichen, dass optimale Bedingungen bei der Schlackenversorgung sowie bei der Strangdickenreduzierung schon in der Kokille sowie im Führungsgerüst beim Gießwalzen erzielt werden. Dazu wird, wie dort aus Figur 5 i. V. m. S. 3 Zn. 21 bis 68 hervorgeht, die Dicke eines mit einem Brammenformat von "75800-1600 mm" aus der Kokille austretenden Stranges (Bezugszeichen 23) durch einen im Bereich der Strangführung mit Hilfe eines Vielrollengerüstes ("Segment 0" mit Bezugszeichen 25) auf einen Wert von 50 mm reduziert (Bezugszeichen 27).

Bei der Lehre nach der Entgegenhaltung D5 geht es darum, beim Stranggießen von Stahl den Strang so in seiner Erstarrung zu beeinflussen, dass eine Mittenseigerung, also eine Absonderung im Kern, unterdrückt bzw. praktisch vermieden wird (Sp. 1 Zn. 41 bis 45). Um dieses Problem zu lösen, wird, wie aus der einzigen Figur i. V. m. Anspruch 1 und Sp. 1 Z. 61 bis Sp. 2 Z. 44 hervorgeht, der in der Kokille (1) erzeugte Strang (2), der rund oder oval ist oder eine polygonale Querschnittsform mit mindestens vier Ecken besitzt, bis zu seiner Durcherstarrung durch verformend einwirkende Stützmittel, beispielsweise Rollenpaare (5, 6), in seiner Querschnittsfläche derart reduziert, dass unter im Wesentlichen beibehaltener Umfangslänge der Strang zu einer polygonalen Querschnittsform mit mindestens vier Ecken oder ovaler oder runder Querschnittsform verformt wird. Dabei ist darauf zu achten, dass bei rissempfindlichen Stahlqualitäten der durch die Querschnittsverringerung hervorgerufenen Verformung keine weiteren Verformungen, z. B. durch Richtstufen bei Ovalbogenanlagen überlagert werden (insbesondere Sp. 2 Zn. 33 bis 37).

Die Lehre, die in der Entgegenhaltung D6 offenbart ist, zielt auf die sichere Herstellung von warmgewalztem Stahlband mit Banddicken bis 1 mm unter Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte, wie etwa minimaler Investitionsaufwand bei maximaler Produktivität und minimalen Umwandlungskosten, mit einer Anlage, die aus einer Stranggießstufe und einer Walzstufe besteht (Sp. 1 Zn. 3 bis 6 und 27 bis 34 und Figur 1 i. V. m. Sp. 2 Z. 61 bis Sp. 3 Z. 54). Unter anderem wird dieses Ziel erreicht mit einer Stranggießanlage, die eine Stranggießkokille (1) mit einer Dicke von 140 bis 90 mm, Zangensegmenten (2) für das Reduzieren der Strangdicke auf minimal 90 mm und7oder einer Strangführung und Zentrierung mit Hilfe von konkaven Rollenprofilen und/oder seitlichen Elementen. Der aus der Gießanlage tretende Strang wird mit einer Querteileinrichtung (4) auf Länge geschnitten, läuft in den Temperaturausgleichsofen (6) und wird in einer Tandem-Vorstraße (8, 9) und einer Fertigstraße (13) gewalzt. In Sp. 4 Zn. 22 bis 30 wird schließlich darauf hingewiesen, dass die Konzeption der Stranggießanlage es möglich macht, peritektische Stähle rissfrei auch bei hohen Gießgeschwindigkeiten gießen zu können.

Die Entgegenhaltung D7 kann schließlich dem Fachmann auch keinen Anstoß dazu geben, in die streitpatentliche Richtung zu gehen. Die in der D7 beschriebene Patentanmeldung betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung für Hochgeschwindigkeits-Stranggießanlagen mit einer Strangdickenreduktion während der Erstarrung (Bezeichnung). Die Zielrichtung dieser Lehre liegt darin, durch verfahrenstechnische Maßnahmen und einfache Vorrichtungsmerkmale die Deformationsdichte der Strangquerschnittreduktion so vorzugeben, dass die kritische Deformation des Stranges unter Berücksichtigung der Gießgeschwindigkeit und auch Stahlgüte nicht überschritten wird (D7 S. 2 Zn. 29 bis 32). Wie dies am Beispiel einer Senkrecht-Abbiegeanlage für das Gießen von 100 mm dicken Brammen am Austritt einer 1,2 m langen Senkrecht-Kokille (K) mit einer Erstarrungsdicke von 80 mm erreicht wird, geht dort aus der Figur 6 i. V. m. S. 5 Zn. 12 bis 45 hervor: In einer insgesamt 30 m langen Strangführung, die aus der ca. 1,2 m langen Kokille (K), einem 3 m langen Segment 0 und weiteren Segmenten 1 bis 13 besteht, erfolgt eine starke Senkung der Deformationsdichte der Strangschale durch eine Umverteilung der während der Erstarrung vorgenommenen Gesamt-Dickenreduktion von 20 mm zwischen dem Segment 0, das beispielsweise ein Zangensegment ist (S. 3 Zn. 44 bis 46), und den jeweils aus Rollenpaaren bestehenden Segmenten 1 bis 13 (S. 2 Z. 51 bis S. 3 Z. 26 und S. 5 Zn. 38 bis 45). Wie in den Ansprüchen 1 und 12 beschrieben, wird zunächst in einem Segment 0 der Strang in seinem Querschnitt über eine Länge von mindestens 1 m maximal um 40 % linear reduziert, um dann über die restliche Strangführung bis maximal unmittelbar hinter der Sumpfspitze (2.1) (S. 3 Zn. 22 bis 24: "Enderstarrung") weiter reduziert zu werden, wobei die Gesamtreduktion des Strangquerschnittes im Segment 0 und in der restlichen Strangführung bis 60 % beträgt. Die D7 lehrt somit zwar auch ein Verfahren zum Stranggießen von Stahl unter Verformung des Stranges und Durchführung einer hochtemperaturthermomechanischen Walzung, die durch Einstellen einer bestimmten Spaltverengung des Spaltes einer bogenförmigen Strangführung unterhalb der Stranggießkokille erfolgt (Merkmale M1 bis M3 und M5). Es sind auf S. 3 Zn. 3 bis 11 auch beispielhaft Werte für die Dickenreduktion im Segment 0 angegeben -10 mm bzw. 5 mm -, die rein zahlenmäßig in den streitpatentlichen Bereich von 10 bis 40 % des schädigungsrelevanten Oberflächenbereichs fallen. Die Lehre der D7 bleibt jedoch nicht bei dieser anfänglichen Dickenreduktion stehen, sondern besteht insgesamt darin, über den gesamten Bereich der Strangführung eine linear verlaufende Verringerung des gesamten Strangquerschnittes durchzuführen. Ein Hinweis darauf, dass bereits eine Walzung mit lokalen plastischen Deformationen im streitpatentlichen Bereich (M4) ausreicht, damit eine kritische Deformation des Stranges verhindert werden kann, ist dagegen nirgends ersichtlich. Vielmehr erfolgt nach der D7 eine Walzung über den Bereich einer -offensichtlich durch die Segmente 1 bis 4 verwirklichten -Richtzone zum Geraderichten hinaus (Figur 6 i. V. m. S. 5 Zn. 2 bis 24). Somit kann die D7 den Fachmann auch nicht auf den Gedanken bringen, die Walzung im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich auf den Anlagenbereich bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten zu begrenzen, wie es in M6 i. V. m. M4 des streitigen Patentanspruchs 1 angegeben ist.

Da in den im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen somit Angaben und Hinweise in Richtung der Vermeidung der Entstehung von Oberflächenrissen durch eine hochtemperaturthermomechanische Walzung bei Temperaturen im Gebiet des stabilen Austenits (M3) mit lokalen plastischen Deformationen zwischen 10 und 40 % im schädigungsrelevanten Oberflächenbereich (M4) in einem Bereich von knapp unterhalb einer Kokille bis vor einem in einer Richtzone stattfindenden Geraderichten der Stranggießanlage (M6) nicht nachgewiesen werden konnten, führt auch eine zusammenschauende Betrachtung dieses Standes der Technik insgesamt zu keinem anderen Ergebnis.

4. In Verbindung mit dem Patentanspruch 1 haben auch die auf diesen Anspruch rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 Bestand, da diese Ansprüche vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsformen des im Anspruch 1 angegebenen Verfahrens beschreiben.

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BPatG:
Beschluss v. 06.11.2008
Az: 15 W (pat) 346/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/458ce4628631/BPatG_Beschluss_vom_6-November-2008_Az_15-W-pat-346-04




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