Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Beschluss vom 5. Februar 2013
Aktenzeichen: 6 Wx 5/12

(Brandenburgisches OLG: Beschluss v. 05.02.2013, Az.: 6 Wx 5/12)

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den am 11. April 2012 verkündeten Beschluss der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Neuruppin - 6 AktE 1/10 -wird zurückgewiesen.

Die Gerichtsgebühren des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt in dem vorliegenden Verfahren die Feststellung, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regeln des Mitbestimmungsgesetzes nicht zu bilden sei.

Die Antragsgegnerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 7.11.2006 gegründet und wird im Handelsregister des Amtsgerichts Neuruppin unter der Nr. HRB € geführt. Gegenstand des Unternehmens ist nach § 2 Nr. 1 der Satzung der Erwerb, die Veräußerung und das Halten von Beteiligungen an Gesellschaften sowie deren einheitliche Leitung und Koordinierung. Gegenstand ist weiterhin die Aufstellung von Wirtschaftsplänen, die Durchführung von Budgetverhandlungen sowie aller Verwaltungsaufgaben. Nach § 2 Nr. 2 der Satzung ist die Gesellschaft verpflichtet, ihre Einrichtungen so zu führen, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Förderung des Krankenhausbetriebes gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erfüllt werden. Gemäß § 2 Nr. 3 der Satzung ist die Gesellschaft zu allen Geschäften und Maßnahmen berechtigt, die dem Gesellschaftszweck zu dienen geeignet sind. Regelungen hinsichtlich der Verwendung erwirtschafteter Gewinne enthält die Satzung nicht.

Organe der Gesellschaft sind nach § 7 die Gesellschafterversammlung, der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung. Die Gesellschafterversammlung ist nach § 9 der Satzung unter anderem für die Entscheidung über die Ergebnisverwendung zuständig. Der Aufsichtsrat setzt sich nach § 12 der Satzung bislang aus neun Mitgliedern zusammen. Dies sind neben dem Hauptverwaltungsbeamten fünf vom Kreistag vorgeschlagene Vertreter sowie drei Arbeitnehmervertreter.

Alleinige Gesellschafterin der Antragsgegnerin ist der Landkreis €. Der Antragsteller, Landrat des Landkreises €, ist zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin hält jeweils 100% des Stammkapitals der € gemeinnützige GmbH, der € gemeinnützige GmbH und der € Rettungsdienste gemeinnützige GmbH. Ferner hält sie Gesellschaftsanteile an der € gemeinnützige GmbH zu 52,9 %, an der € GmbH zu 50 % und der € gemeinnützige Gesellschaft für €. GmbH zu 52 %. Die €Kliniken gemeinnützige GmbH hält 100% der Gesellschaftsanteile an der €Catering und Service GmbH und der € Gesundheitsdienste gemeinnützige GmbH sowie 94% der Anteile an der Gesundheitszentrum €GmbH. Die Antragsgegnerin nimmt sämtliche Verwaltungsaufgaben für die von ihr abhängigen Gesellschaften wahr. Der Geschäftsführer der Antragsgegnerin ist zugleich auch Geschäftsführer der übrigen Gesellschaften.

Mit Ausnahme der € GmbH, der € und Service GmbH und der Gesundheitszentrum € GmbH sind alle Gesellschaften, an denen die Antragsgegnerin oder ihre Tochtergesellschaften beteiligt sind, als gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung anerkannt. Diese Gesellschaften verfolgen nach ihrer Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke und sind selbstlos tätig; Mittel der Gesellschaften dürfen nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden. Die Antragsgegnerin selbst ist nicht als gemeinnützig anerkannt.

Die € Kliniken GmbH als arbeitnehmerstärkste Tochtergesellschaft im Konzern der Antragsgegnerin betreibt ein kommunales Schwerpunktkrankenhaus mit Fachpsychiatrie einschließlich Nebeneinrichtungen und Hilfsbetrieben.

Die Geschäftsführung der Antragsgegnerin ließ durch Veröffentlichung im Elektronischen Bundesanzeiger vom € mit Datum der Veröffentlichung am € bekannt machen, dass sie der Auffassung sei, bei der Antragsgegnerin sei ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) zu bilden, weil der Gesamtkonzern der Antragsgegnerin mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftige.

Mit Antrag vom 9.9.2010, eingegangen bei Gericht per Telefax am gleichen Tage, hat der Antragsteller die Feststellung beantragt, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des MitbestG nicht zu bilden sei.

Er hat die Auffassung vertreten, dass der bei der Antragsgegnerin gebildete €fakultative Aufsichtsrat€ in der richtigen Art und Weise gebildet und besetzt sei. Die Regelungen der § 1 Abs. 1, § 6 MitbestG, wonach bei Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmern ein paritätisch aus Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer besetzter Aufsichtsrat zu bilden sei, seien auf die Antragsgegnerin nicht anwendbar, weil zum einen der Unternehmensverbund der Antragsgegnerin insgesamt nicht mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftige und zum anderen die Antragsgegnerin über die von ihr geleiteten, abhängigen Unternehmen einen sogenannten Tendenzschutz genieße, d.h. sie falle unter die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 4 Nr. 1 MitbestG, wonach dessen Vorschriften nicht anwendbar sind auf Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen.

Der Antragsteller hat beantragt,

festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes nicht zu bilden ist.

Die Beteiligte zu 1. hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen

sowie

festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden ist.

Die übrigen Beteiligten haben keine eigenen Anträge gestellt.

Die Antragsgegnerin und die Beteiligten zu 1. bis 8. sind dem Begehren des Antragstellers entgegengetreten. Sie haben vorgetragen, der Konzern beschäftige seit 2010 mehr als 2000 Mitarbeiter. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 MitbestG lägen nicht vor, da die Antragsgegnerin selbst nicht unmittelbar tendenzgeschützte Zwecke verfolge.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen und auf den Antrag der Beteiligten zu 1. festgestellt, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden sei. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Unternehmensgruppe der Antragsgegnerin mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftige. Die Antragsgegnerin könne Tendenzschutz iSv § 1 Abs. 4 Nr. 1 MitbestG nicht für sich in Anspruch nehmen. Aus ihrer Satzung lasse sich nicht ableiten, dass das Wirken der Antragsgegnerin unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen unterliege. Als bloße Holdinggesellschaft unterhalte sie keinen eigenen Geschäftsbetrieb, auch beschränke sich der Unternehmensgegenstand nicht auf einen Klinikbetrieb. Der Unternehmenszweck der Antragsgegnerin sei vielmehr darauf ausgerichtet, Gewinne zu erzielen, ohne dass hiermit Einschränkungen verbunden seien.

Gegen diesen Beschluss, seinen Verfahrensbevollmächtigten erster Instanz am 17.4.2012 zugestellt und am €2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht, wendet sich der Antragsteller mit seiner am 25.4.2012 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Beschwerde.

Der Antragsteller macht geltend, das Landgericht habe die Vorschrift des § 1 Abs. 4 MitbestG fehlerhaft angewandt. Er vertieft seine Rechtsauffassung, dass die Antragsgegnerin bereits durch die tatsächliche Ausübung der Leitung der von ihr beherrschten, ihrerseits überwiegend tendenzgeschützten Gesellschaften ebenfalls tendenzgeschützt sei. Die Ansicht des Landgerichts, dass die Satzung des Holding-Unternehmens Einschränkungen im Hinblick auf die Gewinnerzielung enthalten müsse, werde von der Rechtsprechung und Literatur nicht geteilt. Das Erfordernis der Unmittelbarkeit nach § 1 Abs. 4 MitbestG sei erfüllt, da das herrschende Unternehmen aufgrund seiner Leitungsmacht unmittelbar an der Tendenzerarbeitung teilnehme. Nach dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 4 MitbestG solle eine Mitbestimmung bei der Konzernspitze gerade ausgeschlossen werden. Ob es bei Mischkonzernen, wie im vorliegenden Fall, für die Beurteilung der Frage, ob überwiegend tendenzgeschützte Zwecke verfolgt werden, auf das qualitative Gesamtgepräge des Konzerns oder auf quantitative Gesichtspunkte ankomme, könne dahinstehen, da Tendenzschutz in beiden Fällen zu bejahen sei.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 11.4.2012 € 6 AktE 1/10 € abzuändern und festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes nicht zu bilden ist.

Die Beteiligte zu 1. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 1. hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Antragsgegnerin falle selbst nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 4 MitbestG, weil ihre Satzung keine Beschränkungen hinsichtlich der Gewinnerzielung vorsehe und die von der Antragsgegnerin erwirtschafteten Gewinne tatsächlich auch nicht primär für karitative Zwecke eingesetzt würden. Es fehle an dem Merkmal der Unmittelbarkeit, da nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 MitbestG Tendenzschutz nur für ein bestimmtes Unternehmen bestehe, nicht jedoch für einen Konzern. Die €Kliniken gemeinnützige GmbH erfülle selbst nicht das Merkmal der karitativen Tätigkeit, da sie in erster Linie wirtschaftlich im Wettbewerb mit privaten Kliniken tätig sei und ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag aus § 1 Abs. 2 BbgKhEG nachkomme, so dass es an dem Merkmal der Freiwilligkeit fehle.

II.

1.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 63 Abs. 1 FamFG, 99 Abs. 3 und 4 AktG eingelegt worden. Der Antragsteller ist nach § 99 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG beschwerdebefugt. Ein Beschluss des Aufsichtsrates ist für die Einlegung der Beschwerde nicht erforderlich (vgl. MünchKomm./Habersack, AktG, 3. Aufl., § 98 Rn. 14).

2.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 99 Abs. 3 Satz 3 AktG kann die Beschwerde nur auf die eine Verletzung des Rechts gestützt werden. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht jedoch nicht auf einer Rechtsverletzung. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Bestimmungen der §§ 1 Abs. 1, 6 ff. MitbestG zu bilden ist.

Die Antragsgegnerin fällt unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 MitbestG (dazu unter a). § 1 Abs. 4 MitbestG findet im vorliegenden Fall keine Anwendung, da der Unternehmensgegenstand der Antragsgegnerin selbst keinen karitativen Bestimmungen dient (dazu unter b). Eine Zurechnung über die von ihr beherrschten Gesellschaften kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil die Satzung der Antragsgegnerin einer solchen Zurechnung entgegensteht (dazu unter c).

a)

Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 MitbestG liegen vor. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um ein Unternehmen, das in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird und mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, wobei die Arbeitnehmer der von ihr abhängigen Unternehmen ihr über § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG zugerechnet werden. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, dass die Unternehmensgruppe um die Antragsgegnerin mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, werden mit der Beschwerde nicht weiter angegriffen.

b)

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 MitbestG auf die Antragsgegnerin keine unmittelbare Anwendung findet. Die Antragsgegnerin selbst verfolgt keine - hier einzig in Betracht kommenden - karitativen Zwecke.

aa)

Ein Unternehmen dient karitativen Bestimmungen, wenn es sich den sozialen Dienst an körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat und seine Tätigkeit auf die Heilung oder Milderung oder die vorbeugende Abwehr der inneren oder äußeren Nöte solcher Hilfsbedürftigen gerichtet ist, sofern diese Betätigung ohne die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAG, Beschluss vom 15.3.2006 € 7 ABR 24/05 - zitiert nach juris).

bb)

Diese Voraussetzungen treffen auf die Antragsgegnerin € für sich allein betrachtet € nicht zu, worüber zwischen den Beteiligten letztlich auch Einigkeit besteht. Der Unternehmensgegenstand der Antragsgegnerin dient selbst keinen karitativen Bestimmungen. Nach ihrer ganz allgemein gehaltenen Satzung ist es der Antragsgegnerin gestattet, ihre Geschäfte unbeschränkt mit Gewinnerzielungsabsicht zu betreiben. Die insoweit allein relevante Satzung der Antragsgegnerin enthält keine Regelungen dahingehend, dass die Antragsgegnerin selbstlos und ohne die Absicht, Gewinne zu erzielen, tätig wird oder dass Gewinne nur bis zur Höhe der Kostendeckung erzielt werden (vgl. BAG a.a.O., juris Rn. 30). Der Umstand, dass sie die Ausübung von Leitungs- und Verwaltungstätigkeiten für die von ihr beherrschten Gesellschaften wahrnimmt, reicht nicht aus, das Merkmal der Unmittelbarkeit i.S. des § 1 Abs. 4 MitbestG zu erfüllen. Denn die aus ihren gesamten Geschäften erzielten Gewinne können nach ihrer Satzung auch zu anderen, nicht tendenzgeschützten Zwecken verwendet werden, etwa durch Ausschüttungen an die Gesellschafter. Die Gesellschafterversammlung als nach § 9 lit. i) der Satzung für die Entscheidung über die Ergebnisverwendung zuständiges Organ ist hinsichtlich dieser Entscheidung, wie die erzielten Gewinne zu verwenden sind, an keine Vorgaben gebunden.

c)

Die Antragsgegnerin fällt auch nicht deshalb unter die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 MitbestG, weil sie in einen etwaigen Tendenzschutz, dem ein Großteil ihrer Konzerntöchter unterliegt, einbezogen werden kann. Die Bestimmungen ihrer Satzung stehen einer solchen Schutzerstreckung entgegen.

aa)

Allerdings kommt im Rahmen eines Konzernverbundes eine entsprechende Zurechnung zugunsten des herrschenden Unternehmens in Betracht, wenn das herrschende Unternehmen € wie hier € zwar nicht selbst unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 4 MitbestG fällt und damit keinem Tendenzschutz unterliegt, die einzelnen konzernangehörigen Unternehmen jedoch zumindest teilweise tendenzgeschützt sind und bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der tendenzgeschützte Bereich innerhalb des Konzerns überwiegt. Dabei muss sich die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens ausschließlich oder überwiegend auf Unternehmen beziehen, die ihrerseits die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 MitbestG erfüllen (so etwa OLG Hamburg NJW 1980, 1803; OLG Dresden, NZG 2011, 462, zitiert nach juris Rn. 42; Oetker in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, § 5 MitbestG Rn. 16; Münchener Kommentar zum AktG/Gach, 3. Aufl., § 1 MitbestG Rn. 38). Nimmt das selbst keinen Tendenzschutz genießende herrschende Unternehmen reine Verwaltungs- bzw. Leitungsaufgaben für seine überwiegend tendenzgeschützten Tochterunternehmen wahr, kann eine Erstreckung des Tendenzschutzes der Tochterunternehmen auf die Konzernspitze erfolgen mit der Folge, dass § 1 Abs. 4 MitbestG auch auf das herrschende Unternehmen Anwendung findet (vgl. Gach, a.a.O.; Großkommentar zum AktG/Oetker, 4. Aufl., § 1 MitbestG Rn. 38; Raiser in: Raiser/Veil MitbestG und DrittelbG, 5. Aufl. § 5 MitbestG Rn. 19).

Werden daneben Geschäfte mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben, ist eine solche Erstreckung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Voraussetzung ist jedoch, dass bei einer €Pluralität von Unternehmenszielen€ diese Geschäfte mit Gewinnstreben nicht derart im Vordergrund stehen, dass sie und nicht die reine Leitungstätigkeit als die maßgebliche Zielsetzung des Unternehmens erscheinen (vgl. OLG Hamburg a.a.O., S. 1804). In diesem Fall liegt bereits eine karitative Tätigkeit nicht vor (vgl. BayObLG ZIP 1995, 1671, zitiert nach juris; OLG Dresden a.a.O., zitiert nach juris Rn. 48).

bb)

Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Voraussetzungen der Schutzerstreckung bei der Antragsgegnerin nicht erfüllt sind.

Was die maßgebliche Zielsetzung des Unternehmens ist, ist anhand der Satzung der Antragsgegnerin zu ermitteln. Durch die statuarische Verankerung in der Satzung wird zum einen gewährleistet, dass die gesetzgeberischen Zielsetzungen des Mitbestimmungsrechts sowie die kooperationsrechtlichen Regelungen zur Bildung eines Aufsichtsrates nicht durch voluntative Akte der Gesellschafter und Verwaltungsorgane zu deren Disposition gestellt werden können. Zum anderen trägt das Erfordernis einer statuarischen Anknüpfung dazu bei, dass alle Beteiligten Transparenz sowie Prognosesicherheit erhalten und etwaige Umgehungsstrategien verhindert werden (vgl. OLG Dresden a.a.O., juris Rn. 50). Da es allein auf die Satzung ankommt, kann dahinstehen, ob die Antragsgegnerin tatsächlich Gewinne erzielt und für welche Zwecke sie diese tatsächlich verwendet.

Die Satzung der Antragsgegnerin steht der Annahme entgegen, maßgebliche Zielsetzung der Antragsgegnerin sei die schwerpunktmäßig ins Gewicht fallende oder gar reine Wahrnehmung von Leitungstätigkeiten für überwiegend dem Tendenzschutz unterfallende Unternehmen. Danach ist der Gegenstand der Antragsgegnerin ganz allgemein der Erwerb und das Halten von Beteiligungen an Gesellschaften und deren einheitliche Leitung. Die Satzung schließt somit nicht aus, dass die Antragsgegnerin auch Anteile an Gesellschaften, die rein erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgen, erwerben und deren Leitung wahrnehmen kann. Dementsprechend hält die Antragsgegnerin unstreitig auch Beteiligungen an Gesellschaften, die ihrerseits selbst nicht karitativen Bestimmungen dienen, wie der €GmbH und der ... Catering und Service GmbH. Sie kann sich ferner jederzeit an erwerbswirtschaftlich tätigen Unternehmen beteiligen und solche Beteiligungen mit Gewinn veräußern. Nach ihrer sind Satzung sind dem Umfang solcher Geschäfte der Antragsgegnerin keine Grenzen gesetzt, diese können zulässigerweise ihre Leitungs- und Verwaltungsfunktion für ihre Konzerntöchter weit überragen.

Im Ergebnis lässt die Satzung der Antragsgegnerin in ihrer Allgemeinheit nicht erkennen, dass der Gesellschaftszweck die Leitung im Sinne des § 1 Abs. 4 MitbestG privilegierter Unternehmen ist.

Diese Auslegung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in § 2 Nr. 2 der Satzung von einer öffentlichen Förderung des Krankenhausbetriebes die Rede ist. Diese Formulierung deutet zwar darauf hin, dass sich die Antragsgegnerin satzungsmäßig auch mit der Beteiligung an Gesellschaften befasst, die ihrerseits ein Krankenhaus betreiben. Eine Einschränkung hinsichtlich des Gesellschaftszwecks lässt sich dieser Formulierung jedoch nicht entnehmen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Verwendung des Begriffes €Klinik€ im Namen der Firma.

cc)

Die Beschwerdebegründung führt demgegenüber keine relevanten Gesichtspunkte an, die eine anderweitige Beurteilung im Streitfall rechtfertigen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde sind die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des OLG Dresden (jeweils a.a.O.) im vorliegenden Fall durchaus einschlägig. Wie in dem der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts zugrunde liegenden Fall wird im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin gemäß ihrer Satzung auch andere als lediglich reine Leitungsfunktionen zugunsten tendenzgeschützter Unternehmen ausübt. Das OLG Dresden hat bei seiner Entscheidung ebenfalls darauf abgestellt, ob das betreffende Unternehmen nach der Satzung eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt. Anhand dessen hat das OLG Dresden allerdings bereits bei dem konzernabhängigen Unternehmen einen Tendenzschutz verneint, so dass sich die Frage, inwieweit im dortigen Fall der Tendenzschutz auf das Leitungsunternehmen €durchschlägt€, nicht mehr stellte.

Der Senat weicht demnach bei der Beurteilung des hier vorliegenden Falles nicht von den die Entscheidungen der zitierten Oberlandesgerichte tragenden Rechtsgrundsätzen ab.

Nach alledem gebietet auch der Sinn und Zweck des § 1 Abs. 4 MitbestG, die Leitung tendenzgeschützter Unternehmen aus verfassungsrechtlichen Gründen vom Einfluss der Arbeitnehmer freizuhalten (vgl. Oetker in Erfurter Kommentar a.a.O.), nicht die Annahme einer Tendenzschutzzurechnung.

Ob die von der Antragsgegnerin abhängigen Tochterunternehmen, insbesondere die € Kliniken gemeinnützige GmbH, selbst unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen bzw. ob es wegen des gesetzlichen Versorgungsauftrages an dem Merkmal der Freiwilligkeit fehlt, kann im vorliegenden Falle dahinstehen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 99 Abs. 6 Satz 7 und 9 AktG. Der Senat hat von der ihm nach § 99 Abs. 6 Satz 8 AktG eingeräumten Möglichkeit, die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen, wenn dies der Billigkeit entspricht, keinen Gebrauch gemacht, da die Beschwerde weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. Habersack, a.a.O., § 99 Rn. 27).

4.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen. Gegenstand der Entscheidung des Senats ist der hier zugrunde liegende konkrete Einzelfall; grundsätzliche Bedeutung kommt diesem nicht zu. Der Senat weicht mit der vorliegenden Entscheidung auch nicht von bestehender höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung ab, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erforderlich ist.

5.

Der Gegenstandswert wird auf 50.000 € festgesetzt (§ 99 Abs. 6 Satz 6 AktG).






Brandenburgisches OLG:
Beschluss v. 05.02.2013
Az: 6 Wx 5/12


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