Bundespatentgericht:
Urteil vom 19. März 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 61/00

(BPatG: Urteil v. 19.03.2002, Az.: 3 Ni 61/00)

Tenor

Das europäische Patent 0 591 567 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Die Beklagte ist als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Mannes eingetragene Inhaberin des am 5. Oktober 1992 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 591 567 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 592 08 464 geführt wird und ein Verfahren zur Behandlung von kontaminiertem Erdreich betrifft.

Das Streitpatent umfasst 8 Patentansprüche, deren Patentanspruch 1 lautet:

" Verfahren zur Behandlung von kontaminiertem Erdreich (8), dadurch gekennzeichnet, dass man es auf eine bereits geschlossene Mülldeponie, die als Müllkörper (2) mit wasserdurchlässig gehaltener Oberfläche seitlich abgedichtet in großräumigen Wannen (11) abgelagert ist, aufbringt und aus dem unteren Bereich der Wanne Sickerwasser abpumpt, aus dem abgepumpten Wasser einige Schadstoffe durch Entgasung, Strippung und/oder Filterung entfernt und das abgepumpte Sickerwasser nach dem Entfernen der einigen Schadstoffe wieder zumindest teilweise über dem mit kontaminiertem Erdreich (8) bedeckten Müllkörper (2) verrieselt."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Der Kläger ist der Auffassung, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er weder neu sei noch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus sei das Streitpatent gegenüber den ursprünglichen Unterlagen in unzulässiger Weise erweitert, und es bestehe der Verdacht der Patenterschleichung.

Zur Begründung verweist er ua auf folgende Unterlagen:

K 8 EP 0 591 567 A1, K 9 EP 0 591 567 B1, K10 DE 35 25 701 C2, K11 Schreiben der Firma Didier vom 27. November 1997, K12 WO 91/02565 A1.

Der Kläger beantragt, das europäische Patent 0 591 567 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a EPÜ.

Inwieweit dem Streitpatent auch der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gemäß Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit c EPÜ entgegensteht, kann deshalb offen bleiben.

I.

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Behandlung von kontaminiertem Erdreich im Zusammenhang mit einer bereits geschlossenen Mülldeponie.

Aus dem Stand der Technik (vgl StrP Sp 1 Z 9 bis Sp 3 Z 2) sind verschiedene Verfahren zur Altlastensanierung bekannt, die jedoch Nachteile aufweisen. Entweder ist die Sanierung der Böden nur mit großem technologischen Aufwand zu betreiben oder lässt nur langsame Veränderungen der Altlasten zu, die innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes nicht abgeschlossen werden können. Die Vorgänge, die bei Betriebsdeponien mit aufgefangenem und nach Reinigung wieder aufgebrachtem Sickerwasser gemacht worden sind, spielen bei geschlossenen Deponien keine nennenswerte Rolle.

2. Es ist daher Aufgabe des Streitpatents (vgl StrP Sp 3 Z 3 bis 4), kontaminiertes Erdreich in einen gefährdungsfreien Zustand zu überführen.

3. Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 ein Verfahren zur Behandlung von kontaminiertem Erdreich, wobei man 1. das kontaminierte Erdreich auf eine bereits geschlossene Mülldeponie aufbringt, 1.1. die als Müllkörper mit wasserdurchlässig gehaltener Oberfläche seitlich abgedichtet in großräumigen Wannen abgelagert ist, 2. aus dem unteren Bereich der Wanne Sickerwasser abpumpt, 3. aus dem abgepumpten Wasser einige Schadstoffe durch Entgasung, Strippung und/oder Filterung entfernt und 4. das abgepumpte Sickerwasser nach dem Entfernen der einigen Schadstoffe wieder zumindest teilweise über dem mit kontaminiertem Erdreich bedeckten Müllkörper verrieselt.

II.

1. Der Patentanspruch 1 des Streitpatents erweist sich als nicht bestandsfähig.

Die Neuheit des beanspruchten Verfahrens kann im folgenden dahingestellt bleiben, weil es für den hier zuständigen Durchschnittsfachmann - einen Chemiker oder Verfahrensingenieur, der über Erfahrungen in der Anlage und im Betrieb von Mülldeponien verfügt - im Hinblick auf die aus den Entgegenhaltungen K10 und K12 bekannt gewordene technische Lehre zumindest keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um das Verfahren nach Patentanspruch 1 aufzufinden.

Die Patentschrift K10 betrifft nach Spalte 1, Zeilen 3 bis 10 ein Verfahren zur Sanierung von Deponien, insbesondere von Deponien, deren Sickerwässer einen Gehalt an organischen, halogenierten Verbindungen aufweisen, wobei die Deponie nach oben gegen Austritt von Gasen und gegebenenfalls auch nach unten gegen Austritt von Sickerwässern abgedichtet wird (vgl mit dem Merkmal 1.1. des Patentanspruchs 1 der Streitpatentschrift) und die Sickerwässer von schädlichen Bestandteilen gereinigt werden (vgl mit den Merkmalen 2. und 3. des Patentanspruchs 1 der Streitpatentschrift). Dieses Verfahren ist gemäß Patentanspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dassa) die Deponie von oben durch gezielte Zufuhr von Reinwasser berieselt wird, undb) die unten aus der Deponie ausgetretenen und gereinigten Sickerwässer erneut als Berieselungswasser eingesetzt werden, bis die Deponie von schädlichen Stoffen oder Bestandteilen freigewaschen ist (vgl mit den Merkmalen 1.1. und 4. des Patentanspruchs 1 der Streitpatentschrift).

Gegenüber dem aus Dokument K10 bekannten Verfahren zur Sanierung von Deponien unterscheidet sich das patentgemäße Verfahren zur Behandlung von kontaminiertem Erdreich im wesentlichen dadurch, dass das kontaminierte Erdreich zur Behandlung auf eine bereits geschlossene Mülldeponie aufgebracht wird. Dieser Unterschied kann jedoch die erfinderische Tätigkeit des Verfahrens nach Patentanspruch 1 nicht begründen.

Soweit die Deponie gemäß Patentschrift K10 bereits durch Erdreich abgedeckt wird (Sp 5 Z 27 bis 35 oder Sp 4 Z 23 bis 29), handelt es sich um nicht kontaminiertes Erdreich, das dazu beitragen soll, das hindurchtretende Sickerwasser zu reinigen. Diese Fundstellen im Dokument K10 können somit - entgegen der Auffassung des Klägers - die erfinderische Tätigkeit des Verfahrens nach Patentanspruch 1 nicht in Frage stellen. In Entgegenhaltung K12 (WO 91/02565 A1) wird jedoch auf Seite 2 im vorletzten Satz darauf hingewiesen, dass es weitgehend üblich ist, verunreinigte Böden ohne Reinigung direkt auf Deponien einzulagern. Nach Zeile 8 und folgende derselben Seite in Entgegenhaltung K12 sind außerdem Verfahren bekannt, bei denen das zu behandelnde verunreinigte Erdreich bewässert wird, wodurch ein Auswascheffekt entsteht.

Nach Überzeugung des Senats muss das Aufbringen von kontaminiertem Erdreich auf eine geschlossene Deponie als weitere Ablagerung von Abfall auf eine bestehende Deponie verstanden werden. Eine Mülldeponie ist in technischer Hinsicht erst dann geschlossen, wenn endgültig keine Abfälle - also auch kein kontaminiertes Erdreich - mehr abgelagert werden. Als Deponie im Sinne der Entgegenhaltung K10 ist somit die patentgemäß als geschlossen bezeichnete Mülldeponie zusammen mit dem erneut aufgebrachten kontaminierten Erdreich anzusehen. Selbst wenn eine bestehende Mülldeponie - zB auf Grund des Verwaltungsaktes einer Behörde - vorübergehend als geschlossen bezeichnet wird, kann in diese Deponie technisch gesehen solange weiterer Abfall eingebaut werden, als die örtlichen Gegebenheiten eine Müllablagerung innerhalb des dafür vorgesehenen Bereichs dies erlauben. Eine Unterscheidung zwischen geschlossener Deponie und zusätzlich aufgeschüttetem kontaminierten Erdreich im Sinne der Streitpatentschrift ist daher im Hinblick auf die in Streit stehende technische Lehre ohne Bedeutung.

Nach Patentanspruch 1 der Patentschrift K10 wird nun, wie im Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents, die (endgültig) geschlossene Deponie durch gezielte Zufuhr von Reinwasser berieselt. Die von unten aus der Deponie ausgetretenen und gereinigten Sickerwässer werden erneut als Berieselungswasser eingesetzt, bis die Deponie von schädlichen Stoffen oder Bestandteilen freigewaschen ist. Mit dieser Vorgehensweise kann die Deponie in kurzen Zeitspannen saniert werden (Dokument K10 Sp 2 Z 16 bis 20). Da eine Mülldeponie nur dann eine zur Sanierung anstehende Deponie im Sinne der Entgegenhaltung K10 darstellt, wenn - im Sprachgebrauch der Streitpatentschrift - ein ursprünglicher Müllkörper und zusätzlich kontaminiertes Erdreich abgelagert sind, und da kontaminiertes Erdreich gemäß Entgegenhaltung K12 üblicherweise ohne Reinigung direkt auf Deponien eingelagert wird, beruhen die Maßnahmen nach Patentanspruch 1 des Streitpatents bei der gegebenen Aufgabenstellung nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Patentanspruch 1 des Streitpatents ist somit mangels erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig.

2. Bezüglich der Patentansprüche 2 bis 8 hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger erfinderischer Gehalt zukäme. Dies ist für den Senat auch nicht ersichtlich. Die Unteransprüche 2 bis 8, deren selbständiger erfinderischer Gehalt vom Kläger unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, fallen daher ebenfalls der Nichtigkeit anheim.

3. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung noch weitere bereits schriftsätzlich geltend gemachte Angriffe (zB unzulässige Erweiterung des Patentgegenstandes oder mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit) auf das Streitpatent vorgetragen. Der Senat verzichtet auf ein detailliertes Eingehen hierauf, weil dem Bestreben des Klägers bereits durch die erfolgte Vernichtung des Patents Rechnung getragen wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO.

Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit war wegen § 708 Nr 11 ZPO iVm § 99 Abs 1 PatG nicht angezeigt.

Hellebrand Dr. Wagner Sredl Dr. Proksch-Ledig Dr. Feuerlein Pr






BPatG:
Urteil v. 19.03.2002
Az: 3 Ni 61/00


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