Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 6. März 1990
Aktenzeichen: 10 S 43/90

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 06.03.1990, Az.: 10 S 43/90)

1. Zur Auslegung des § 4 Abs 3 Postgiroordnung.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 123 VwGO) zu Recht wegen fehlender Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs abgelehnt.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist, da die vorliegende Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur und nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Dies folgt aus § 65 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Unternehmungsverfassung der Deutschen Bundespost (Postverfassungsgesetz -- PostVerfG --) vom 8.6.1989 (BGBl. I S. 1026), denn wegen der darin angeordneten Fortgeltung der Postgiroordnung vom 5.12.1984 (BGBl. I S. 1478, mit späteren Änderungen) für die Dauer von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ist, solange dieser Rechtszustand andauert, weiterhin von einem öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnis zwischen den Beteiligten auszugehen. Solange die aufgrund des § 14 des Postverwaltungsgesetzes vom 24.7.1953 (BGBl. I S. 676, mit späteren Änderungen) als Rechtsverordnung erlassene Postgiroordnung fortgilt, kommt die -- neu gefaßte -- Regelung des § 7 des Gesetzes über das Postwesen (PostG) vom 28.7.1969 (BGBl. I S. 1006, mit späteren Änderungen), wonach die durch die Inanspruchnahme der Einrichtungen des Postwesens entstehenden Rechtsbeziehungen nunmehr privatrechtlicher Natur sind, noch nicht zur Anwendung.

In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, daß der Antragsteller die Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten Unterlassungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht hat. Zwar kann sich der Antragsteller auf den Wortlaut des § 4 Abs. 3 der Postgiroordnung stützen, wonach die Postgiroämter über die Kontonummer und die Kontobezeichnung der Postgirokonten Dritten nur Auskunft erteilen können, soweit dem kontoführenden Postgiroamt keine gegenteilige Erklärung des Kontoinhabers vorliegt. Zur Kontobezeichnung gehören bei natürlichen Personen der Vor- und Zuname des Postgiroteilnehmers und die Ortsangabe mit der Postleitzahl sowie die Zustell- oder Postfachangabe (vgl. Eidenmüller, Post- und Fernmeldewesen, Postgiroordnung, § 4, Anm. 1 und 3). Der Antragsteller hat der beabsichtigten Übermittlung der Kontobezeichnung an die ... der Antragsgegnerin gegenüber ausdrücklich widersprochen. Die darin liegende Erklärung dürfte aber bei Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des hier gegebenen Einzelfalles keine unüberwindbare Auskunftssperre begründen. Denn die Annahme, das Postgiroamt müsse wegen der gegenteiligen Erklärung des Kontoinhabers die Auskunft verweigern, würde im vorliegenden Fall die berechtigten Belange des um Auskunft nachsuchenden Dritten grob unbillig zurücksetzen und deshalb gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) verstoßen.

Es ist davon auszugehen, daß die Kontobezeichnung nicht den Schutz des Postgirogeheimnisses genießt, wie er in § 6 PostG als besonderes Amtsgeheimnis, vergleichbar dem Bankgeheimnis, ausgeformt worden ist. Denn der Schutz dieses Geheimnisses ist nach dem Inhalt der Vorschrift darauf beschränkt, nur "Auskünfte über Postgiroguthaben", d.h. allein über den Kontostand und die ihn beeinflussenden Bewegungen, von der Zustimmung des Kontoinhabers abhängig zu machen (vgl. Eidenmüller, a.a.O., § 6 PostG, Vorbem. 2; § 4 Postgiroordnung, Anm. 4). Darum geht es im vorliegenden Fall aber erkennbar nicht.

Offen bleiben kann, ob der Postgirodienst und damit die Kontobezeichnung in den Schutzbereich des Post- und Fernmeldegeheimnisses im Sinne des Art. 10 GG fällt (bejahend etwa Pappermann, in: von Münch, GG, 2. Aufl., 1981, Art. 10 RdNr. 12; verneinend z.B. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 10. RdNr. 16). Denn auch bei einer derartigen Annahme wäre jedenfalls eine formell den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG und inhaltlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Beschränkung in der das Postgeheimnis konkretisierenden Vorschrift des § 5 Abs. 3 S. 2 PostG normiert worden, wonach das Verbot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 PostG, über den Postverkehr bestimmter Personen einem anderen eine Mitteilung zu machen, nicht gegenüber demjenigen gilt, gegen den im Zusammenhang mit dem Postdienst entstandene Ansprüche gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen sind. Sinn und Zweck dieser das Postgeheimnis ausdrücklich einschränkenden Bestimmung (vgl. § 5 Abs. 3 S. 3 PostG) ist es auch, die Abwicklung von Ansprüchen der Postbenutzer untereinander zu erleichtern (vgl. Eidenmüller, a.a.O., § 5 PostG, Anm. 14). Danach wäre hier das vom Antragsteller geltend gemachte Mitteilungsverbot zu verneinen, da es die Abwicklung der gegen ihn gerichteten Ansprüche eines anderen Postbenutzers, nämlich der ..., unverhältnismäßig erschweren würde. Sollte der Postgirodienst hingegen nicht dem Schutzbereich des Postgeheimnisses im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG unterfallen, so wäre er von vornherein nicht Gegenstand der ausdrücklich darauf bezogenen Regelung des § 5 PostG, würde also die dann enger zu verstehenden Merkmale des "Postverkehrs" (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 PostG) gar nicht erfüllen. Er würde in diesem Fall, soweit es um die streitige Kontobezeichnung geht, allein den Erfordernissen der speziellen Vorschrift des § 4 Abs. 3 Postgiroordnung unterliegen.

Die nach § 4 Abs. 3 Postgiroordnung aufgrund einer Erklärung des Kontoinhabers mögliche Auskunftssperre, die erstmals durch die neugefaßte Rechtsverordnung von 1984 eingeführt wurde, dient offenbar dem Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundrechts auf "informationelle Selbstbestimmung". Jedoch spricht einiges dafür, daß dieser Schutz, der nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Postgiroordnung durch eine entsprechende Erklärung des Kontoinhabers ausnahmslos erreichbar scheint gemäß der immanenten Zweckbestimmung der Vorschrift im Wege einer "teleologischen Reduktion" einzuschränken ist, d. h. daß die im Wortlaut zu weit gefaßte Rechtsnorm auf den ihr nach ihrem Sinn und Zweck zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt werden muß (vgl. etwa Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Studienausgabe, 1983, S. 265 ff.). Maßstab dafür dürfte, ähnlich wie es in der als Auffangnorm zu verstehenden Vorschrift des § 11 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) vom 27.1.1977 (BGBl. I S. 201, mit späteren Änderungen) als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens ausdrücklich geregelt ist, eine im jeweiligen Einzelfall vorzunehmende Abwägung der berechtigten Interessen eines um Auskunft nachsuchenden Dritten mit den Belangen des Betroffenen am Schutz seiner Daten sein, damit auf diese Weise auch kollidierende Grundrechte des Kontoinhabers und des Dritten in einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Weise zum Ausgleich gebracht werden können. Des weiteren könnte die gebotene Einschränkung der durch § 4 Abs. 3 Postgiroordnung eingeräumten Möglichkeit, allein durch eine Erklärung des Kontoinhabers eine Auskunftssperre herbeizuführen, mit Hilfe einer auf den Einzelfall bezogenen Konkretisierung des auch im öffentlichen Recht anwendbaren Maßstabs von Treu und Glauben (§ 242 BGB) erreicht werden (vgl. Larenz a.a.O., S. 270).

Ob mit diesen Maßstäben bereits generell der Regelungsgehalt des § 4 Abs. 3 Postgiroordnung hinter den Wortlaut der Vorschrift zurückgeführt werden kann und ob schon aufgrund eines derartigen Normverständnisses der der Antragsteller die Erteilung der von der ... begehrten Auskunft verhindern könnte, bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn wenn die Erklärung des Antragstellers bei einer allein am Wortlaut des § 4 Abs. 3 Postgiroordnung orientierten Anwendung der Auskunftserteilung noch entgegenstünde, so müßte sie bei der hier gegebenen Sachlage zumindest als eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung gewertet werden und erwiese sich jedenfalls damit als unbeachtlich. Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung folgt daraus, daß der Antragsteller mißbräuchlich und arglistig von der ihm durch § 4 Abs. 3 Postgiroordnung eingeräumten Befugnis, durch eine gegenteilige Erklärung eine Auskunft der Antragsgegnerin zu verhindern, Gebrauch gemacht hat (vgl. zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im gesamten öffentlichen Recht und zur Unbeachtlichkeit einer mißbräuchlichen und daher unzulässigen Rechtsausübung Palandt, BGB, 48. Aufl., 1989, Anm. 3 b, 4 C, D). Die Mißbräuchlichkeit und Arglist des Verhaltens des Antragstellers besteht darin, daß er das Einverständnis zur Mitteilung der ihn betreffenden Kontobezeichnung offenbar nur verweigert, um eine ihm nicht zustehende Rechtsposition, nämlich den ihm aufgrund von Fehlüberweisungen zugeflossenen Vermögensvorteil, bewahren zu können. Die darin liegende Rechtsausübung ist unzulässig, weil der Antragsteller mit ihr keine schutzwürdigen Interessen verfolgt, wohl aber überwiegende Interessen der ... mißachtet und mit seinem Verhalten deshalb ein grob unbilliges, unerträgliches Ergebnis heraufbeschwört (vgl. Palandt, a.a.O., Anm. 4 Cd). Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Antragsteller, dem von Januar 1987 bis Juni 1989 monatlich ein Betrag von 526,68 DM, insgesamt nahezu 16.000,-- DM mit dem Buchungshinweis ... Verw.Geb.MV 423" auf sein Postgirokonto überwiesen wurde, der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt eine Mitteilung über diese offensichtlichen Fehlüberweisungen gemacht hat, obwohl er -- über eine Anstandspflicht hinaus -- kraft des Postbenutzungsverhältnisses (vgl. § 7 PostG) dazu rechtlich verpflichtet gewesen sein dürfte. Die Vertraulichkeit seiner Kontobezeichnung ist in diesem besonderen Fall nicht schutzwürdig, denn die Preisgabe soll allein dem Zweck dienen, daß die ... in einem rechtsstaatlichen Verfahren Bereicherungs- oder Ersatzansprüche geltend machen kann, wobei dem Antragsteller die nach der Privatrechtsordnung möglichen Einwendungen oder Einreden nicht verloren gingen. Die ... wiederum kann die ihr möglicherweise gegen den Antragsteller zustehenden zivilrechtlichen Ansprüche von vornherein nur dann mit Aussicht auf Erfolg geltend machen, wenn sie über die Kontobezeichnung Kenntnis von Namen und Anschrift des Antragstellers erlangt.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 06.03.1990
Az: 10 S 43/90


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